Reisetagebuch: ‚Love & Mercy‘ (2015)

Filmreisechallenge #49: schaue einen Film, in dem es um einen Musiker oder eine Band geht

 

Lasst mich damit starten, dass ich sicherlich nicht der größte Experte bin, was die Beach Boys oder Brian Wilson im Allgemeinen angeht. Sicher kenne ich einige Beach Boy Songs, Pet Sounds ist allerdings ihr einziges Album, das ich zur Gänze gehört habe. Wilsons Solo-Arbeit hingegen war mir quasi völlig unbekannt, was sich nach Sichtung dieses Films aber durchaus ändern könnte. Sollte ich im Folgenden also allzu großen Blödsinn über die realen Personen schreiben, korrigiert mich gerne.

Ich habe mich ja im Zuge meiner Besprechung zu ‚Walk Hard‘ über die Formelhaftigkeit von Musiker-Biopics, die der Film persifliert, zur Genüge ausgelassen. Da reicht es zu sagen, dass ‚Love & Mercy‘ einen anderen Ansatz findet. Er konzentriert sich auf zwei kurze, aber entscheidende Phasen im Leben von Brian Wilson. Seinen künstlerischen Höhepunkt in den 60ern und die langwierige und schwere Rückkehr aus schweren psychischen Problemen in den 80ern. Der Film vermischt beide Zeitebenen, für meine Zusammenfassung behandle ich sie getrennt.

Nachdem Brian Wilson (Paul Dano) Mitte der 60er im Flugzeug eine Panikattacke erleidet, beschließen er und der Rest der Beach Boys, dass er nicht mehr mit ihnen auf Tour gehen wird und stattdessen an ihrem nächsten Album arbeiten soll. Inspiriert und herausgefordert von Rubber Soul der Beatles will Wilson mit Pet Sounds wahrlich Großes schaffen. Weg vom Surfer Sound der Beach Boys, hin zu ungewöhnlichen Kompositionen und einem der ersten Konzeptalben überhaupt. Seine zurückkehrenden Bandgenossen stellte er vor vollendete Tatsachen, sehr zum Unmut vor allem von Mike Love (Jake Abel). Obwohl die folgende Single Good Vibrations ein großer Erfolg wird, sorgen die Entfremdung von seinen Freunden und Experimente mit LSD dafür, dass sich Wilsons geistige Gesundheit rapide verschlechtert. Das Scheitern des Nachfolgealbums Smile lässt ihn dann vollends abstürzen.

Mitte der 80er trifft Autoverkäuferin Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) zufällig auf Brian Wilson (John Cusack), als der ein Auto kaufen will. Die beiden beginnen eine Beziehung, doch muss Melinda bald feststellen, dass Wilson vollständig unter der Kontrolle seines Vormunds und „Radikal-Therapeuten“ Eugene Landy (Paul Giamatti) steht, der ihn von Familie und Freunden isoliert hat. Während Landy sich bemüht auch ihre Beziehung zu torpedieren, versucht Ledbetter die Familie Wilsons über die Fehlbehandlung Landys, der auch als Wilsons Manager auftritt, zu informieren.

Beide Zeitebenen sind mit Filmmaterial, dass der Zeit angemessen ist gefilmt. Und insbesondere Dano ist dem Wilson der Zeit so ähnlich, dass man sich in manchen Momenten fragt, ob man gerade Archivmaterial oder Aufnahmen für den Film sieht (beachtet dafür insbesondere die Sloop John B Sequenz ab 1 Minute im untenstehenden Clip). Wichtiger noch, die 60er Jahre Sequenzen sind gänzlich dem kreativen Prozess verschrieben. Genau das, was ich von einem Film über Musik will. Als nicht sonderlich musikalischer Mensch ist der Prozess der Schöpfung von Musik für mich ein besonders faszinierender. Insbesondere hier, wo klar wird, dass nicht alles rein auf dem „Genie“ Wilsons basiert, sondern auch jemand wie er auf ein ständiges Feedback, einen Austausch mit den Musikern angewiesen ist. Insbesondere, weil Autodidakt Wilson, die Musik zwar in seinem Kopf hört (im wahrsten Sinne des Wortes, er leidet an akustischen Halluzinationen), die Notation aber anderen überlassen muss. Hier baut er „Fehler“ in die Komposition mit ein („If you repeat a mistake every four bars, it’s not a mistake!“) lässt zufällig aufgenommene Stimmen in den Aufnahmen oder nutzt Hundegebell. Die Studiomusiker (die Beach Boys waren an den Aufnahmen quasi nicht beteiligt, außer beim Singen) werden hier von echten Musikern verkörpert, was man deutlich merkt und was die Schaffensphase glaubwürdiger macht. Der erzürnte Mike Love soll als Reaktion auf den neuen Sound gesagt haben „Never fuck with the formula!“, ein Satz den jedes erfolgreiche Franchise sich bis heute zu Herzen nimmt, obwohl Love diese Aussage bestreitet. Im Film sagt er es denn auch nicht direkt, obwohl es mehr als angedeutet wird. Die Sequenzen in den 60ern sind ebenso grandios wie tragisch und sicherlich das Herzstück des Films.

Die Sequenzen in den 80ern sind stiller und unterkühlter. Cusack sieht nicht im Geringsten aus wie Wilson, was mich vermuten lässt, dass das hier beabsichtigt war. Die Geschichte zwischen Ledbetter und Wilson ist durchaus rührend und Cusack vermittelt den Schmerz und die Hilflosigkeit Wilsons in dieser Phase seines Lebens glaubwürdig. Elizabeth Banks spielt Melinda Ledbetter als jemanden, die nicht sonderlich beeindruckt vom früheren Ruhm Wilsons scheint, sondern mehr an ihm als Person interessiert ist und hin- und hergerissen scheint zwischen Liebe, Furcht vor einer derart problembehafteten und, dank Landy, durchaus bedrohlichen Situation und dem Wunsch Wilson zu helfen. Damit sind wir bei einem der kleineren Probleme des Films. Eugene Landy, verkörpert von Paul Giamatti bewegt sich durchgehend am Rande der Karikatur, überquert den fraglos auch das eine oder andere Mal. Autor Oren Moverman und Regisseur Bill Pohlad haben gesagt die Darstellung Landys beruhe auf Gesprächen mit Melinda Ledbetter und verbürgten Aussagen von Landy selbst. Die cartoonhafteren Momente stammen allesamt nicht von Ledbetter. Giamatti hat sich zur Vorbereitung auf die Rolle Vorträge Landys angehört, die er als „lange Paragrafen, die beeindruckend klingen, bei genauerer Untersuchung aber keinerlei Sinn ergeben“ beschreibt. Hier müssen wir wohl akzeptieren, dass wir es mit einer Person zu tun haben, die ein Autor so nicht schreiben würde, weil es zu übertrieben wirkt. Wilson selbst jedenfalls beschrieb Giamattis Darstellung „beängstigend“ (weil realistisch). Der Film scheint eine direkte Linie ziehen zu wollen, von Wilsons Vater, der ihn als Kind geschlagen hat und als Erwachsener versucht ihn zu unterminieren (God only knows klänge nicht wie ein Liebeslied, sondern wie eine Selbstmordnachricht), zu Landy. Nicht zuletzt weil der Darsteller des Vaters, Bill Camp, erhebliche physische Ähnlichkeit zu Giamatti hat.

Für den Soundtrack zeichnet, neben Beach Boys/Wilson Songs natürlich, Atticus Ross verantwortlich, der Bruchstücke von vorhandenen Beach Boys Songs zu neuen Kompositionen verarbeitet und dadurch einen hochoriginellen aber passenden Ton trifft.

Paul Danos Darstellung des jungen Wilson ist einfühlsam, beeindruckend und tragisch, getrieben und verzweifelt. Es ist erstaunlich, dass er für diese Leistung nicht einmal eine Oscar-Nominierung erhalten hat. Cusacks Darstellung fällt dagegen ein wenig ab. Er scheint im typischen „Musiker in der Spätphase der Drogen und Probleme“-Modus zu sein, wobei auch bei ihm immer mal wieder wahrhaftige Momente auftauchen. Die 80er Sequenzen werden aber ohnehin vor allem von Elizabeth Banks getragen, die gut darin ist Ledbetter als eine Frau zu verkörpern, die einerseits von Wilsons Situation zutiefst verstört ist, andererseits aber mehr als genug Empathie beweist, dass es nicht überrascht zu hören, dass sie und Wilson, Mitte der 90er weit nach der Handlung des Films, heiraten würden.

Kurz Bill Pohlad hat hier mit seiner zweiten Regiearbeit (die letzte war 1990, Pohlad arbeitete ansonsten als Produzent) eine der für mich besten Musiker-Biopics überhaupt geschaffen. Einem Film, dem es gelungen ist bei mir Interesse für einen Musiker zu schaffen, wo vorher nicht sonderlich viel war. Sicherlich, beide Teile funktionieren hier zwar nicht gleich gut, aber allein der Versuch zwei völlig verschiedene Tonarten miteinander zu mischen, wie Wilson das in seiner Musik tut, verlangt nach Respekt. Ebenso das Leben eines Musikers, der vor allem für seine psychische Krankheit bekannt scheint, darzustellen ohne dabei sensationalistisch zu wirken. Empfehlung!

Reisetagebuch: ‚The Dressmaker‘ (2015) – Kleider richten Unrecht

Reiseziel #01: Schaue einen Film aus Australien

Nach meinem Besuch im verrauchten Paris der 60er im Rahmen der Filmreise Challenge, brauchte ich dringend Frischluft. Und wo könnte man die besser finden als im Land der Beuteltiere und Bumerangs: Australien. Und was soll ich sagen? Die Landschaft hier ist trocken und rau aber schön und… uh, jemand hat mich soeben an die Existenz von Riesenkrabbenspinnen, Inlandtaipanen und Würfelquallen erinnert!! Zeit mich in einen hermetisch verschlossenen Raum zu verdrücken und einen Film zu schauen.

Manchmal liege ich verdammt falsch. Ich habe das Cover von ‚The Dressmaker‘ gesehen und ich habe den Klappentext gelesen und glaubte exakt zu wissen, wo die Reise hingeht. Lasst mich Euch die Ausgangssituation erklären: Mitte der 20er Jahre wird dem Mädchen Myrtle „Tilly“ Dunnage, aus dem australischen Kleinstdorf Dungatar vorgeworfen ihren Mitschüler Stewart ermordet zu haben. Der war der Sohn des Stadtrates und so wird sie des Dorfes verwiesen. Ein Vierteljahrhundert später kehrt Tilly (Kate Winslet), inzwischen eine erfolgreiche Damenschneiderin, zurück nach Dungatar. Augenscheinlich um sich um ihre demenzkranke Mutter Molly (Judy Davis) zu kümmern. Oder steckt doch etwas anderes hinter ihrer Rückkehr? Der Wunsch den Tod Stewarts aufzuklären? Oder gar Rache? Klar ist nur, dass zumindest ihre Kleider bei den Frauen Dungatars schnell Anklang finden. Ansonsten sind nur wenige Dorfbewohner froh Tilly zu sehen. Darunter der Dorfpolizist (Hugo Weaving mit John Waters Strichbärtchen), der Schuldgefühle hegt, weil er Tilly einst fortgebracht hat und eine stille Vorliebe für Crossdressing hat. Und der Außenseiter Teddy (Liam Hemsworth), der mit seinem kognitiv beeinträchtigten Bruder und seiner Mutter in einer Wohnwagensiedlung lebt. Der Rest der Bevölkerung sind mehr oder weniger Karikaturen, die Tilly unterschiedliche Ausprägungen von Hass entgegenbringen.

Von hier aus dachte ich, es wäre doch klar was passiert: Die Dorfbewohner stehen Tilly kritisch gegenüber, doch mit ihren Modekreationen verschönert sie das hinterwäldlerische Dorf, es stellt sich raus, dass ihr größter Kritiker hinter dem Mord steckt, alle lernen eine wichtige Lektion über Vorurteile und am Ende heiratet sie ihre Jugendliebe und alle Frauen tragen ihre Kleider. Hurra! Aber von wegen, dachte sich Regisseurin Jocelyn Moorhouse (und vor ihr die Autorin der Buchvorlage Rosalie Ham). Dass es in durchaus andere Gefilde geht macht der Film innerhalb seiner ersten Minute deutlich. Zu den Tönen einer Italowesternmelodie entsteigt Tilly dem Bus, wie einst Charles Bronson dem Zug, nur mit einer Nähmaschine statt der Winchester unter dem Arm, was vor dem Hintergrund des Outback-Kaffs gar nicht so absurd wirkt. Dann zündet sie sich in ihrem schwarz-weißen Kleid eine Zigarette an und verwandelt sich in jede Femme Fatale eines jeden Noir Films, was vor dem Hintergrund des Outback-Kaffs absolut absurd wirkt.

Der Film will also in allerlei unterschiedlichen Genres funktionieren, womit teilweise extreme Wechsel in der Tonalität einhergehen. Der Umgang mit durchaus ernsten Themen, im Mittelpunkt steht, wie gesagt, der gewaltsame Tod eines Kindes, aber auch häusliche Gewalt, Vernachlässigung, Alkoholismus sowie Demenz und andere Alterserscheinungen, ist zum größten Teil humoristisch. Der tonale Spagat gelingt dabei nicht immer und gelegentlich erscheint der Umgang mit diesen Themen dann doch allzu putzig, wenn nicht gar geschmacklos. Tillys Mutter Molly etwa erkennt ihre Tochter für eine ganze Weile überhaupt nicht, doch ihre Demenz wird zumeist als Grundlage für Humor verwendet, kann im nächsten Moment aber dramatische Züge annehmen. Dass das überhaupt funktioniert liegt meines Erachtens weniger am Drehbuch, als an Judy Davis schauspielerischen Fähigkeiten, die selbst Kate Winslet gelegentlich die Schau stehlen.

Normalerweise erwähne ich keine Kostümbildner, doch da das hier zentrales Element ist muss ich kurz Marion Boyces Kreationen erwähnen, die einerseits glaubhaft 50er Jahre sind, andererseits aber sowohl die Hinterwäldler des Dorfes beeindrucken, als auch mich, der von Mode vermutlich noch weniger Ahnung hat.

Wie dem auch sei, nachdem der Film also schon in den ersten Akten sowohl tonal unerwartet war, als auch einige handlungstechnische Überraschungen bot, so erfahren wir schon nach der Hälfte der Laufzeit, was hinter dem Tod steckt, beginnt dann der dritte Akt, über den ich gerne mehr schreiben würde, doch das wäre unfair. Nur so viel: er tritt eine Reihe von Ereignissen los, teilweise tragisch, teilweise bizarr, aber durchgehend makaber. Nachdem ein bestimmter Charakter gestorben ist, habe ich alle Ideen, ich könne voraussagen, wo es hingeht aufgegeben und mich nur noch auf die wahrlich wilde Fahrt, die Hirse, Cannabis-Kekse und Macbeth mitnimmt, eingelassen. Der Film bricht hier beinahe alle erzählerischen Konventionen und es wird klar, dass Moorhouse fast 20 Jahre nachdem sie ihren letzten Film in Hollywood gedreht hat, keinerlei Interesse hat in ihrer Heimat zum Mainstream zurückzukehren. Am Ende hat der Film sogar noch eine etwas pointiertere Aussage zu Erinnerungen und Vergangenheit, als ich vermutet hätte.

Das Ergebnis ist ein Film, an dem es sicherlich viel zu kritisieren gibt. Der gewollte tonale Spagat gelingt nicht immer, die Erzählweise ist gelegentlich arg simplistisch, wenn nicht gar geschmacklos und viele Charaktere bleiben zu sehr Karikatur um wirklich zu funktionieren. Neben typischen Filmproblemen, wie das Liam Hemsworth für seine Außenseiterrolle ein ganzes Stück zu sauber und gut frisiert ist. Aber seine Hauptaufgabe ist eh gut auszusehen und die erfüllt er natürlich achtbar. Andererseits ist Kate Winslet hervorragend in der Hauptrolle und Judy Davis und Hugo Weaving geben überzeugende, sympathische Nebendarstellungen. Vor allem lohnt sich der Film, meiner Meinung nach aber eben wegen des letzten Drittels, in dem der narrative Zug nicht einfach entgleist, sondern durch das Bahnhofsgebäude kracht und die Hauptstraße herabdonnert. Es ist sicher kein Film, der sich ins Gedächtnis einbrennt, noch wird jeder mit dem tonalen Schleudertrauma zurechtkommen, doch kann ich gar nicht anders als einen Film, der mich so überrascht hat weiterzuempfehlen.

So, nachdem ich mich an die Existenz von Koalas, Wallabys und Schnabeltieren erinnert habe, komme ich dann, allem Giftgetier zum Trotz, wohl doch wieder raus aus meinem Panic Room und bin mal gespannt, wo mich die Challenge nächstes mal hinführt.

Reisetagebuch: ‚Ausser Atem‘ – OT: ‚À bout de souffle‘ (1960)

Reiseziel #20 Schaue einen Film der europäischen „Neuen Welle“ der 1960er Jahre

Hallo zusammen, Zeit für eine neue Etappe der Filmreise Challenge. Diesmal bin ich mir nicht ganz sicher, wo oder wann ich eigentlich bin, ist alles so ungewohnt hier. Aha, da ist der Eiffelturm, ich bin wohl in Paris und… was ist das für eine Wolke? Sie kommt auf mich zu! Kann nichts sehen *hust* Lunge schmerzt *hust* ist das… Tränengas? Nein, schlimmer! Das ist Gauloises-Qualm. Und was sehen meine tränenden Augen da? Blasse, dürre Männer in schwarzen Rollkragenpullovern, die über Existentialismus philosophieren? Ich bin also im Paris des Jahres 1960 und die Nouvelle Vague beginnt sich heftigst aufzutürmen! (<- das war Episches Theater! (<- und das ein Verfremdungseffekt!!)) Jumpcut!

Der Kleinkriminelle Michel (Jean-Paul Belmondo) stiehlt einen Wagen und fährt damit Richtung Paris. Als er gestoppt wird, erschießt er einen Polizisten und ist fortan auf der Flucht. In Paris findet er Unterschlupf bei der amerikanischen Studentin Patricia (Jean Seberg), mit der er vor ein paar Monaten zusammen war und in die er immer noch verliebt ist. Während er versucht Geld für die Flucht nach Italien aufzutreiben, zieht die Polizei ihr Netz immer enger und bald ist es an Patricia eine Entscheidung zu treffen.

Jean Luc Godard war Filmkritiker bei der renommierten „Cahiers du cinema“, bevor er selbst Filme machte. Und mit seinem Erstling ‚Ausser Atem‘ wollte er alle Regeln brechen. Der gesamte Film sollte auf einer Handkamera, ohne besondere Beleuchtung gedreht werden. Dafür klebte er per Hand lichtempfindlichere Fotofilmstreifen zu langen Filmrollen zusammen. Es wurde ohne Drehgenehmigung in der Öffentlichkeit gefilmt und so kann man gelegentlich einen verwirrten Passanten in die Kamera schauen sehen. Der Film entstand chronologisch und Godard schrieb täglich was gedreht werden sollte (wobei Truffaut im Trailer – und nur da – einen Credit für das grundlegende Szenario bekommt), gab es den Schauspielern und drehte dann bis ihm nichts mehr einfiel für den Tag. Das konnte auch schon mal nach 2 Stunden sein. Sein Produzent war angeblich derart aufgebracht über dieses laxe, ungeplante Herangehen, dass die beiden in eine körperliche Auseinandersetzung gerieten. Am Ende war der Film knapp 3 Stunden lang und musste deutlich gekürzt werden. Goddard weigerte sich aber Szenen komplett zu entfernen und arbeitete stattdessen mit extremen Jumpcuts. Das war möglich weil Dialog und Geräusche ohnehin nachträglich eingefügt werden mussten, da direkte Tonaufnahmen nicht machbar waren. Bevor der Film in Frankreich in die Kinos kam wurden Gerüchte laut, der Film sei extrem amateurhaft und ein dümmlicher Kritiker habe sich beim Versuch selbst einen Film zu machen völlig überhoben. Die wurden vermutlich von Godard selbst gestreut, der aus seiner PR Zeit bei FOX um den Wert einer ordentlichen Kontroverse wusste. Ob es nun am Star Jean Seberg lag, an Mundpropaganda über den neuen Star Belmondo oder an (echten oder herbeigeführten) Kontroversen, der Film wurde ein voller Erfolg und zu einem der stilbildenden Filme der französischen Neuen Welle. Und sein Produzent versöhnte sich auch mit Godard, nachdem der Film allein in Frankreich das 50fache seines Budgets einspielte.

Und wie wirkt der Film heute? Vollkommen aus seiner Zeit, aber gleichzeitig unglaublich modern. Er ist wenig interessiert am „seamless cinema“ Hollywoods, ganz im Gegenteil Godard will das wir die Nähte sehen. Wenn ein Charakter einen Monolog hält, werden seine Bewegungen wieder und wieder von Jumpcuts unterbrochen, sprunghaft gemacht, die Künstlichkeit betont, Distanz hergestellt. Gleichzeitig geht er aber mir seiner Handkamera mitten hinein ins sommerliche Paris des Jahres ’59 und gibt uns als Zuschauer das Gefühl mitten drin zu sein, nimmt jede Distanz heraus. Immer wieder übertönen Musik und Verkehrslärm Dialoge, völlig gewollt, denn beides wurde ja hinterher eingefügt. Der Film ist gleichzeitig Hommage und ironischer Kommentar an den Film Noir und den Hollywood B-Movie an sich. Michel kleidet sich wie ein Noir-Held und ist ebenso unentrinnbar in seinem Schicksal gefangen. Er ist sich dessen aber bewusst, ist der Charakter selbst einerseits doch ein großer Fan von Humphrey Bogart, dessen Bild er durch ein Kinofenster bewundert und unternimmt als er das Ende kommen sieht nichts mehr um ihm zu entgehen. Vor allem ist der Film aber eines: cool. Verfolgungsjagden, Schießereien, ein Smooth Jazz Soundtrack von Martial Solal und zwei zentrale Charaktere und eine Stadt, deren Charme man sich unmöglich entziehen kann.

Dabei sollten sie gar nicht sympathisch sein, zeigt uns Godard hier doch eigentlich zwei extreme Narzissten, die mehr aneinander vorbei als miteinander zu sprechen scheinen. Michel ist ein arroganter Kleinganove, der zu angeberischen Gesten neigt aber keine tiefen Überzeugungen hat. Patricia ist eine extrem freiheitsliebende, unabhängige aber auch von großer Bindungsangst geprägte Studentin. Aber Seberg und Belmondo sind derart charismatisch in ihren Darstellungen, dass es unmöglich ist nicht mit ihnen zu fühlen. Die beste Sequenz für mich war denn auch die längste „konventionelle“ des Films, ein langes Gespräch in Patricias Hotelzimmer, während der dritte Hauptdarsteller Paris durchs Fenster tönt. Das endet natürlich in einer Sexszene, aber da für Godard alle Regeln falsch sind, findet die komplett unsichtbar unter den Laken statt.

Godard kann und will den revolutionären Geist dieses Films nicht verbergen. Insbesondere metatextuell wird es, wenn Godard selbst in der Rolle des Mannes auftaucht, der die Polizei auf Michels Fährte bringt. Der Regisseur kontrolliert das Schicksal seiner Charaktere von außen, wie vom Inneren des Films. Gelegentlich wirkt er darum fast ein wenig wie ein filmkritischer Essay in Form eines Films. Allerdings vergisst er darüber nicht, wie manche spätere Filme des Regisseurs, eine Geschichte zu erzählen, dem Zuschauer etwas zu geben, dass er für 90 Minuten erleben kann.

Im Fazit bleibt ein, dank seiner revolutionären Erzähltechniken für die Zeit extrem flott erzählter, eleganter, cooler Film mit zwei extrem charismatischen Hauptdarstellern. Und natürlich eine absolute Notwendigkeit, wenn man die Nouvelle Vague verstehen möchte.

Reisetagebuch: ‚Capote‘ (2005)

Reiseziel #56: Schaue ein Biopic über eine männliche Person

Es wird langsam mal wieder Zeit für eine weitere Etappe auf der Filmreise Challenge. Und da ich gerade dabei bin mir noch unbekannte Filme mit Philip Seymour Hoffman nachzuholen, passt es doch, dass meine größte Hoffmann-Lücke, sein Oscar-Gewinn für die Darstellung Truman Capotes, sich gut mit der Filmreise Challenge ergänzt.

Ich schreibe hier ja gerne darüber, dass ich Filmbiographien bevorzuge, die sich auf eine bestimmte Zeit im Leben ihres Protagonisten beschränken und uns anhand seines Umgangs mit einer gegebenen Situation mehr über ihn verraten, anstatt den aussichtslosen Versuch zu unternehmen ein Leben oder auch nur eine Karriere in zwei Stunden unterzubringen. Insofern kam mir ‚Capote‘ von Anfang an entgegen, beschreibt der Film doch „nur“ Truman Capotes Recherche für seinen Tatsachenroman ‚Kaltblütig‘, der ihn einerseits zu Weltruhm führen sollte, andererseits das letzte Buch bleiben würde, dass er je vollendet hat.

Der Film führt in seinem ersten Drittel auf eine etwas falsche Fährte. Schnell meint man seine Erzählweise durchschaut zu haben. Truman Capote liest in der Zeitung vom brutalen Mord an der vierköpfigen Farmerfamilie Clutter. Er ist von dem Fall fasziniert und bietet dem „New Yorker“ an darüber zu schreiben. Im hell erleuchteten, modernen New York des Jahres 1959 ist Capote das magnetische Zentrum jeder Literatenparty, ein wegen seines Charmes und seines Humors gern gesehener Gast. Als er aber zu Recherche in das ländliche Kansas reist, dass hier mit bleigrauen Himmeln und kahlen Bäumen weit von der Idee der goldenen, endlosen Weizenfelder entfernt ist, muss er schnell feststellen, dass er hier der absolute Außenseiter ist. Seine lispelnde Fistelstimme, seine zahllosen Manierismen, seine gelegentlich offen zu Schau getragene, städtische Überheblichkeit, seine Direktheit und nicht zuletzt seine (für 1959) recht offen ausgelebte Homosexualität machen die Interaktion mit der Bevölkerung schwierig. Neben seinem Charme hilft ihm aber auch die weit bodenständigere Harper Lee (Catherine Keener), die ein wenig einfühlsamer mit der Situation umgeht und mit den betroffenen Menschen auf Augenhöhe spricht. Der örtliche Untersuchungsbeamte Alvin Dewey (Chris Cooper) beginnt bald sogar Capotes Bücher zu lesen, obwohl die Dorfbibliothek ‚Frühstück bei Tiffanys‘ verboten hat. Der Film scheint ‚Kaltblütig‘ also ein Stück weit umzudrehen. Anstatt zu beschreiben, wie die Stadt und die Betroffenen mit den Morden umgehen, zeigt er wie Capote es tut.

Dann allerdings ändert sich die Erzählung spürbar, wenn die beiden Täter, Dick Hickok (Mark Pellegrino) und Perry Smith (Clifton Collins Jr.) in Las Vegas gefasst werden. Capote interviewt beide umfangreich. Seine Beziehung zu Hickok bleibt dabei distanziert, er bringt ihm Bücher und das gelegentliche Pornoheft ins Gefängnis, im Ausgleich für Informationen. Zu Perry Smith entwickelt er hingegen eine weitaus engere Beziehung. Ob das Freundschaft ist, wie Dewey ihm unterstellt, oder Verliebtheit wie sein Lebensgefährte Jack Dunphy (Bruce Greenwood) ihm vorwirft, oder ob er sich in dem Mann mit der schweren Kindheit, der sich sein Leben lang nach Respekt gesehnt hat ein Stück weit wiedererkennt, bleibt weitgehend offen. Was immer es ist, es hält Capote nicht davon ab Smith für sein Buch auszunutzen. Mit zahlreichen Lügen und Fehlinformationen gelingt es ihm eine genaue Beschreibung der Mordnacht aus dem jungen Mann herauszuholen. Die  Brutalität dieser Szenen entfaltet im ansonsten sehr ruhigen Film eine erschreckende Wirkung. Als ihm dies gelungen ist, informiert er Smith, dass er leider keinen Anwalt für ein Gnadengesuch auftreiben konnte und lässt ab dann dessen zahllose Briefe unbeantwortet.

Spätestens jetzt ist es an der Zeit über die Darstellung Philip Seymour Hoffmans zu sprechen. Er imitiert Capote nicht einfach (was bei einem derart exaltierten Charakter auch schnell zu Karikatur verkommen könnte), er kanalisiert ihn geradezu. Sein Capote ist in jedem Moment gleichzeitig involviert und distanziert. Wenn er Smalltak mit Dewey und dessen Frau betreibt, dann merkt man, dass er gleichzeitig mit dem wissenschaftlichen Auge des Anthropologen dessen Haus analysiert. In der Beziehung zu Smith wird diese Mischung aus Empathie und Apathie dann aber zu einem Problem. Wenn er dem Mörder, den er einerseits sehr mag, andererseits ins Gesicht lügt, sich später gar endlich dessen Tod wünscht dann nagt das nicht einfach nur an ihm, Hoffman spielt es so, dass man das Gefühl haben muss er weiß, dass er seine eigene moralische Grundfesten zerstört. Und er ist bereit das zu tun für sein Buch. Das Buch wird für ihn zum absolut wichtigsten Lebensinhalt, dem alles andere geopfert werden muss. Wenn Capote sagt, dass es das wichtigste Buch aller Zeiten würde, dann ist das nicht nur Egozentrik (von der er einiges mitbringt), er meint das absolut ernst. Und der Rest der literarischen Welt scheint ihm Recht zu geben. Als gegen Ende Harper Lee zur Stimme seines Gewissens wird, dann ist es zu spät, sein Absturz in den Alkoholismus ist nicht mehr aufzuhalten. Letztlich stellt der Film also die Frage, ob Kunst (oder eher deren Erschaffung) über der Moral stehen kann.

‚Capote‘ ist zu jedem Moment Hoffmans Film. Keine Szene ohne ihn und doch sieht man ihn in keiner Szene, sondern nur Capote. War ich bisher beeindruckt von ihm als Darsteller, bin ich jetzt überwältigt. Das dürfte seine beste Rolle und ein absolut verdienter Oscar sein. Daneben gehen andere Figuren leider etwas unter. Von Catherine Keeners faszinierender Harper Lee hätte ich gerne mehr gesehen und besonders Bruce Greenwood, als Capotes Partner bleibt eine Nebenrolle mit kaum mehr als 5 Sätzen Text. Die zweite Nebenrolle hat eindeutig Clifton Collins Jr., dem der Spagat seiner Rolle zwischen waidwundem Reh, einem verletzten Mann auf der ehrlichen Suche nach Freundschaft und tatsächlich kaltblütigen Mörder sehr gut gelingt.

Auch abseits des Schauspiels ist der Film gelungen. Obwohl ein Erstlingswerk, gelingt es dem routinierten Werbefilmer Bennet Miller und Kameramann Adam Kimmel den Film nicht zur Hoffman-One-Man-Show zu machen, sondern durchaus auch durch ihre Bilder zu sprechen. Es wäre faszinierend zu analysieren, wie unterschiedlich New York, Kansas und die Cost Brava hier ins Bild gesetzt werden. Aber ich bin eh schon wieder viel zu lange am Schreiben…

Ein absolut sehenswerter Film, der sich ganz hervorragend mit Capotes Buch ergänzt. Eine Glanzleistung von Hoffman und ein großartiger Erstling von Miller, der dieser Art der Erzählung über reale Personen anhand eines Geschehnisses in ‚Moneyball‘ und ‚Foxcatcher‘ treu bleiben sollte.

Reisetagebuch: ‚Duell der Giganten‘ (1975) – Er guillotinierte im Fluge gar meisterlich

Reiseziel #03: Schaue einen Film aus Fernost

Um zu erklären, wie ich zu meinem heutigen Ziel der Filmreise Challenge komme, muss ich ein Geständnis ablegen. Mein Name ist Filmlichter und ich habe ein Problem: wenn ich mich in der Medienabteilung eines Technikmarktes wiederfinde und dort eine Sammlung von Martial Arts Filmen zum Budget Preis sehe, dann muss ich sie kaufen. Die liegt dann oft monate- oder sogar jahrelang bei mir herum, bis mal einer der Filme in den Player wandert. Und oftmals wandert er dann sehr schnell wieder heraus, wenn ich einsehen muss, dass es einen guten Grund gibt, warum der Film zusammen mit 6 anderen verramscht wurde. Aber gelegentlich entdecke ich doch kleine Schätze. ‚Duell der Giganten‘ konnte direkt einen Platz in meinem Herzen erobern, weil er mir Kontext und einen Namen für ein paar Szenen gab, die ich vor Jahren (oder Jahrzehnten) im Fernsehen gesehen habe aber nie zuordnen konnte. Sie stammten aus diesem ebenso trashigen, wie grandiosen Film. Aber genug der Vorrede.

Der Film eröffnet mit Aufnahmen eines einsamen Hauses im Gebirge. Eine ernste Stimme erzählt uns, dass während der Quing-Dynastie schreckliche Kämpfer von der Regierung ausgebildet wurden. Und der Gefährlichste von ihnen, Fung Sheng (Kang Kam), lebt hier. Fortgeschrittenes Alter und Blindheit machen ihn keineswegs harmloser. Außerdem besitzt er die wohl furchtbarste Waffe überhaupt, die fliegende Guillotine! Diese besteht aus einem klingenbesetzten Eisenring an einer Kette, an dem ein Säckchen befestigt ist. Der Nutzer wirft dem Opfer den Eisenring um den Hals zieht einmal kräftig an der Kette, der Eisenring schließt sich, der Kopf ist ab und befindet sich direkt im praktischen Säckchen, ideal für den Kopfgeldjäger in Eile! Ob das nun wirklich die gefährlichste Waffe aller Zeiten ist will ich hier nicht diskutieren (die Leichtigkeit mit der sein Gegner sie überwinden wird, siehe unten, spricht allerdings dagegen). Fung Sheng erhält per Brieftaube eine Nachricht von zweien seiner Schüler, die ihn informiert, dass sie ermordet wurden. Es ist sicherlich überaus höflich, dass ihr Mörder ihnen noch erlaubt hat eine Nachricht zu schreiben und an eine Brieftaube zu heften aber Rache will Fung Sheng dennoch. Die einzige Information die er besitzt ist, dass der Mörder nur einen Arm hat. Also packt er seine Guillotine ein, zündet sein klein Häuschen an und beschließt das einzig Vernünftige zu tun: jeden Einarmigen in China um die Ecke bringen!

Okay, spätestens jetzt ist klar: das ist nicht unser Held. Unser Held ist der einarmige Boxer (Wang Yu), der, obwohl von der Regierung gesucht, eine Kung-Fu Schule betreibt. Als ein großes Turnier stattfindet, lässt er sich von seinen Schülern überreden es als Zuschauer zu besuchen, sie dürfen aber keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Das geht gründlich schief, wenn ein rachsüchtiger, alter Giftzwerg mit Wurfguillotine beim Turnier auftaucht, wohl weil er Einarmigkeit wittert. Der einarmige Boxer wird sich ihm stellen müssen…. und allen anderen Turnierteilnehmern natürlich auch. Aus fadenscheinigsten Gründen. Das hier ist immerhin ein Martial Arts Film.

Nein, die Geschichte ist sicherlich nicht der Grund warum man diesen Film schaut. Auch nicht die tiefschürfenden Charaktere. Ich habe oben den Widersacher weitaus ausführlicher beschrieben als den Helden, einfach weil er eine weit charismatischere Filmpräsenz darstellt (das zeigt sich auch daran, dass der internationale Titel ‚Master of The Flying Guillotine‘ ist). Vielleicht ist das einer der Gründe, warum man sich heute an „Jimmy“ Wang Yu (der hier auch Regie geführt hat) weniger erinnert als an Zeitgenossen wie Bruce Lee oder Sonny Chiba. Das soll aber nicht heißen die Geschichte würde gar nichts Interessantes leisten. Es ist zum einen spannend, dass es hier einmal der Schurke ist, der auf Rache sinnt (und dabei etwa zwei Dutzend Schritte zu weit geht). Auch ist es ungewöhnlich, dass sich zwei Kämpfer mit Handicaps gegenüber stehen, ein Blinder und ein Einarmiger. Doch während Fung Sheng als Ausgleich für seine Blindheit „Daredevil“-artiges Gehör und Orientierungssinn entwickelt hat, hat der Boxer keinen derartigen Ausgleich für seine Einarmigkeit. Er muss immer etwas besser und etwas schlauer als seine Gegner sein. Daher scheut er auch von der Verwendung von Fallen nicht zurück.

Aber kommen wir zum eigentlichen Highlight des Films: den Kämpfen. ‚Duell der Giganten‘ ist sicherlich nicht der erste Martial Arts Turnier Film (Lees ‚Der Mann mit der Todeskralle‘ erschien z.B. zwei Jahre früher), doch was diesen von früheren unterscheidet ist die Zusammensetzung der Kämpfer. Waren es bis hierhin meist nur Chinesen (und gelegentlich Amerikaner, um diese ins Kino zu locken), ist das hier beinahe ein Pan-Asiatisches Turnier. Da ist ein japanischer Samurai, ein Thai-Boxer, ein Mongole (mit offensichtlich falschem Super Mario Schnauz) und ein Inder (wenn auch alle von chinesischen Darstellern gespielt werden). Zusammen mit der weiblichen Teilnehmerin kann man hier quasi die Vorlage für das typische Roster von Video-Prügelspielen sehen. Und wer daran zweifelt, dem sei gesagt, dass der indische Kämpfer seine Arme grotesk strecken kann, genau wie ein gewisser Dhalsim aus der „Street Fighter“ Serie…

Davon ab sind die Kämpfe aber erstens: sehr gut fotografiert und zweitens: sehr bodenständig. Es kommt kaum Wire-Fu zum Einsatz (quasi alle Wire-Szenen sind dafür im Trailer), auch das beliebte Mittel des schneller abgespielten Films bleibt aus. Wang Yu verlässt sich, zu Recht, voll auf das Können seiner Darsteller. Das mag für moderne Ansprüche ein bisschen altbacken und langsam wirken, mich hat es aber durchaus beeindruckt. Und immerhin kann man der Action jederzeit folgen.

Im Fazit ein gelungener, wenn auch nicht herausragender Martial Arts Film, den man vermutlich nicht allzu ernst nehmen sollte. Ob ich Wang Yu unrecht tue mit meiner Unterstellung er sei uncharismatisch werde ich zurückmelden, wenn ich die anderen drei Filme aus meiner Wang Yu Box gesehen habe…

Oh richtig, ich wollte verraten, wie der einarmige Boxer die gefährlichste Waffe der Welt überwindet: er hält ein Bambusrohr über seinen Kopf, so dass der Ring nicht um seinen Hals fallen kann und der Henker nur Bambus schneidet. Gefährlichste Waffe der Welt… jup.

Reisetagebuch: ‚JCVD‘ (2008) – Jean-Claude Van Damme hat die Post überfallen!

Reiseziel #59: schaue einen Film in einer Dir fremden Sprache

Französisch hatte ich zwar mal in der Schule gelernt, die Sprache ist mir also eigentlich nicht ganz fremd, doch würde ich heute ohne Untertitel heute sicher durch keinen französischsprachigen Film mehr kommen. Insofern zähle ich den einfach mal für die Filmreise Challenge.

Jean-Claude Van Damme (Jean-Claude Van Damme) ist ein 47 Jahre alter Action Star. Das Geld ist knapp, gute Rollenangebote kommen kaum noch und die weniger guten schnappt ihm der ewige Rivale Steven Seagal weg. Er droht das Sorgerecht für seine kleine Tochter zu verlieren, nicht zuletzt weil er ihr peinlich ist. In dieser Situation will Van Damme ein paar Tage Urlaub in seiner alten Heimat Brüssel-Schaerbeek verbringen. Als er eine Postbank betritt, um eine dringend benötigte Überweisung abzuholen, fallen kurz darauf Schüsse. Es scheint klar, dass Van Damme in einer Verzweiflungstat die Post überfallen und Geiseln genommen hat. In Wirklichkeit ist er in eine laufende Geiselnahme geraten und wird von den Tätern nun als Sprachrohr und Sündenbock gebraucht.

In den ersten Szenen sah es so aus, als würde es ein typischer, ironisch distanzierter, augenzwinkernder Blick auf die Karriere des Hauptdarstellers. In einem langen One-Take kämpft sich Van Damme durch enge Gassen, bevor einige Effekte nicht zünden und eine Wand umfällt. Die Gassen sind das Set eines Billigfilms. Van Damme beschwert sich beim Regisseur des Films im Film, der fragt, was er glaubt hier zu drehen, ‚Citizen Kane‘? Seagal bekommt ein paar Seitenhiebe ab, Hollywood auch, vor allem aber John Woo. Doch dann wird schnell klar, dass sowohl Van Damme, als auch Regisseur Mabrouk El Mechri hier mehr schaffen, wahrhaftiger sein wollen.

Van Damme geht fast härter mit sich ins Gericht, als irgendeiner seiner Kritiker das tun würde. Untreue, Verantwortungslosigkeit, Drogensucht und Arroganz sind nur einige Vorwürfe, die der Film erhebt. Als Van Dammes (anscheinende) Tat bekannt wird, zeigen Fernsehsender peinliche Interviews mit dem Star. Trotz Todesangst kann eine von Van Dammes Mitgeiseln nicht umhin über ihn zu lachen. Van Damme tritt hier als ein Mann auf der einmal ganz oben war, jetzt aber ganz weit unten ist. Und dann tut der Film etwas wirklich Unerwartetes. Die Kamera und Van Damme scheinen nach oben zu schweben, bis zu den Gerüsten und Lichtern des Studios. Die Künstlichkeit des Films wird enttarnt und plötzlich durchbricht Van Damme die vierte Wand. Er wendet sich direkt an den Zuschauer und für 6 Minuten ohne Schnitt reflektiert er über sein Leben und seine Fehler, fragt sich, ob er je etwas erreicht hat, spricht über seine Angst vor Karriereende und Tod. Mittendrin beginnt er zu weinen. Der Effekt ist einer von Wahrhaftigkeit. Hinter Van Damme, Weltstar einerseits, Witzfigur andererseits steht immer noch ein Mensch.

Dies ist dann wohl auch der Moment, um Van Dammes Darstellung zu loben. Ich spare mir hier launige Bemerkungen, darüber, dass er „nur“ sich selbst spielt, denn das ist bei weitem nicht so leicht wie es klingt. Und es ist definitiv die Metaerzählung um Van Damme und dessen Darstellung, die mich als Zuschauer durch den Film gezogen hat. Der Rest ist zwar durchaus gut konstruiert, der Film macht mehrere Zeitsprünge und erzählt Szenen aus verschiedenen Perspektiven erneut, allerdings konnte mich die Handlung um die Geiselnahme nicht wirklich fesseln. Zu sehr folgen die Räuber den üblichen Archetypen, der Psychopath, der Vernünftige und der Van Damme Fan (okay, der ist kein Archetyp). Der Film ist dann am besten, wenn er von Van Damme erzählt oder wenigstens komisch ist, der Spannungsaufbau gelingt nicht wirklich. Die komischen Elemente dafür umso mehr. Die gesamte Situation ist wunderbar bizarr und das wird nur noch erhöht, wenn Fans aus Van Dammes ehemaligen Viertel zusammen kommen und seinen Namen skandieren und Polizisten ausjohlen.

El Mechri erzählt seine Geschichte in extrem desaturierten Bildern, die zum Geschehen passen und dem Film eine beinahe pseudodokumentarische Note verleihen. Er sagte später nur etwa 70% des Films entsprächen dem Drehbuch, den Rest habe Van Damme improvisiert.

Es ist erstaunlich, dass Van Damme aus seiner Arbeit in diesem Film, die manche Kritiker gar mit Heath Ledgers Darstellung des Jokers aus demselben Jahr verglichen, keinen neuen Karriereschub herausholen konnte. Womöglich ist aber die Zusammenarbeit mit den „Muscles From Brussels“ wirklich so schwierig, wie seine zahlreichen öffentlichen Fehden mit anderen Action-Darstellern aus der zweiten bis dritten Reihe vermuten lassen. Wie auch immer, diesen Film kann ihm keiner nehmen.

Die Idee eine reale Person in eine fiktive Situation zu schicken, um auf diese Weise mehr über sie (und womöglich Film an sich) zu erfahren ist spannend und unverbraucht genug, wirkt beinahe wie etwas, dass sich Jean-Luc Godard einfallen lassen würde (den El Mechri denn auch als Vorbild nennt). Und Van Dammes Darstellung ist so sehenswert, dass sich der Film zehn Jahre nach Erscheinen auf jeden Fall noch lohnt, auch wenn nicht alle Elemente rundherum funktionieren. Dafür ein „Oss!“