‚Ach Du Scheiße!‘ (2022)

Ich weiß es jetzt schon, nur etwa acht Leute werden diese Rezension lesen. Und ich verstehe durchaus warum. Ein deutscher Genrefilm mit dem Titel ‚Ach Du Scheiße!‘ weckt halt gewisse negative Erwartungen. Erwartungen an miefigsten Pipi-Kacka-Humor, ausgespielt in der Hoffnung handwerkliches Unvermögen und nicht vorhandenes Budget zu überspielen. Daher falle ich hier ausnahmsweise mal mit der Tür ins (Scheiß-)Haus: der Erstling von Autor und Regisseur Lukas Rinkner ist zwar durchaus Pipi-Kacka-eklig und hat sicherlich nicht viel Budget zur Verfügung gehabt, doch handwerkliches Können kann man ihm absolut nicht absprechen. Und das Budget Problem umgeht Rinkner geschickt mit einer Inszenierung als Escape-Klo-Film. So, in der Hoffnung, dass Ihr jetzt nicht direkt wegklickt, nochmal ausführlicher.

Es beginnt mit dem Striptease einer jungen, blonden Frau auf einer Trockeneis-vernebelten Bühne, während im Hintergrund „Ohne dich“, der 80er Hit der Münchner Freiheit erklingt. Doch dann erwacht Architekt Frank Lamm (Thomas Niehaus) mit einer Platzwunde am Kopf und muss feststellen, dass die schöne Blonde nur ein Pinup auf der Innentür eines Dixiklos war. Eines Dixiklos, das offenbar auf der Seite liegt. Und, dass von einer rostigen Stahlstrebe durchbohrt ist, die Franks rechten Arm an die Außenwand nagelt. Und dessen Tür in offensichtlich böswilliger Absicht mit einem Vorhängeschloss verschlossen wurde. Aber das geht noch schlimmer. In aus der Ferne herüberwehenden Geräuschen eines Volksfestes, kann Frank die Worte seines Freundes, des Bürgermeisterkandidaten Horst Wolff (Gedeon Burkhard) hören, der eine Sprengung in 30 Minuten ankündigt. Da wird Frank klar, in welch fataler Position er sich befindet. Er ist auf der Baustelle des alten Gutshauses, das er und Horst sprengen wollten, um Platz für ihr großes Projekt, ein neues Ressort-Hotel zu machen. Gewisse Fragen drängen sich auf. Etwa wie Frank in diese missliche Lage gelangt ist, denn erinnern kann er sich nicht. Oder, vielleicht derzeit wichtiger, wie er ihr wieder entrinnen kann. Denn bei sich hat Frank nur einen Zollstock und einen Hammer. Sein Mobiltelefon steckt, scheinbar unerreichbar, in der semiviskosen Fäkalmatsche, die, in normalen Zeiten, einmal „unten“ im Klo gewesen wäre. Es beginnt ein, aufs stille Örtchen begrenzter, Wettlauf gegen den Tod.

Und Rinkner nimmt seine örtliche Begrenzung hier absolut ernst. Wir sehen nur, was Frank im Klo und durch kleine gehämmerte Löcher sehen kann. Selbst Rückblenden werden nur gezeigt, wenn sie im Dixi stattfinden, ansonsten hören wir sie nur akustisch. Wir erfahren Einiges über unseren zentralen Charakter. Etwa, dass er privat ein unzuverlässiger Workaholic ist, der seine Freundin Marie (Olga von Luckwald) äußerst nachlässig behandelt. Aber wir bekommen auch Hinweise, wie er in diese Situation geraten sein könnte. Denn außerhalb des Klos erspäht er den reglosen Körper von Frau Grün (Friederike Kempter) vom Umweltamt, die den Abriss und Neubau verhindern wollte, ist hier doch Brutgebiet des Gamsbartkauzes.

Rinkner erzählt sein extremes Kammerspiel durchaus mit schwarzhumorigem Augenzwinkern, der Klodeckel mit Smiley-Gesicht drauf erweist sich als eine Art Anti-Wilson, der Frank mit „Bernd-das-Brot“-iger Negativität auf die Aussichtslosigkeit seiner Situation hinweist, aber er nimmt Franks Schmerz, Leid, Ekel und Angst dabei durchaus ernst. Sein angenagelter Arm, in deftigen, praktischen Effekten präsentiert, tut tatsächlich schon beim Hinschauen weh und der Inhalt des kloeigenen Verbandskastens hilft erkennbar wenig. Aber das ist ein Hinweis auf das was einen guten Teil der Story ausmacht. Frank ist Architekt, ein intelligenter Charakter, der durchaus zu planen weiß. Und so erleben wir, quasi in Echtzeit, wie er Plan um Plan fasst, der frustrierend fehlschlägt, bis seine Versuche später verzweifelter und absurder werden. Einer betrifft gar ein zufällig vorbeihoppelndes Häschen und eine Möhre aus einer vergessenen Brotzeitdose.

Thomas Niehaus bestreitet dementsprechend einen sehr großen Teil des Films quasi als One-Man-Show mit der Kamera oft in Großaufnahme auf seinem Gesicht. Er tut das mit sehr lesbaren Emotionen von Verzweiflung bis Entschlossenheit während seine großen Augen im steig dreckiger werdenden Gesicht immer ausdrucksstärker werden. Ihm gegenüber Gedeon Burkhard, der erkennbaren Riesenspaß an seiner Rolle als Provinzpolitik-Psychopath hat, der seinen Irrsinn hinter einer Bierseligen Fassade falscher Jovialität versteckt (und nein, das betrachte ich jetzt nicht als großen Spoiler). Bajuwarische Politik und Polizei kommen hier übrigens gleichermaßen schlecht weg.

Ist das also ein rundum gelungener Film? Nein, natürlich nicht, aber ein grandioser Erstling, ohne jede Frage. Mit 90 Minuten befindet sich die Prämisse bereits am äußersten Punkt ihrer Dehnbarkeit und der Film hat mich, ausgerechnet, in seinem Finale ein wenig enttäuscht. Ohne hier zu viel zu verraten, hatte ich den Eindruck, dass das auch eher eine Notlösung war. Auf mich wirkte das, als hätte man hier eigentlich eine wilde Funsplatter-Eskalation geplant, wurde dann aber eben doch vom Budget gekniffen und musste allzu viel Offscreen stattfinden lassen. Dabei hätte hier etwas mehr Remmidemmi nach der würgend klaustrophobischen Handlung sehr kathartisch gewirkt.

Und dennoch es bleibt ein doller Genrebeitrag aus Deutschland. Etwas, von dem man immer wieder hört, das sei gar nicht möglich. Dabei kommt vermutlich alle paar Monate ein gelungener, deutscher  Genrefilm heraus. Das eigentliche Problem scheint mir eher, dass das keiner mitbekommt. Denn die Filme haben kaum das Budget ihre Vision umzusetzen, geschweige denn für Werbung. Und das hat auch mit der deutschen Filmförderung zu tun, die ihre Gelder am liebsten in die üblichen Romcoms und ewig gleichen Historienfilme steckt, die mundgerechtes Abendprogramm für die öffentlich rechtlichen Sender liefern. Oder kann mir irgendwer erklären, warum ein ‚Manta, Manta – zwoter Teil‘ der Förderung bedarf?

Aber gut, ein Fördergeld-Rant meinerseits wird Lukas Rinkners Film wirklich alles andere als gerecht. Ob er sich mit seinem, zweifelsohne passenden Titel einen großen Gefallen getan hat, weiß ich nicht, aber das ist die Art Film, die sicherlich demnächst als Kultfilm entdeckt werden dürfte.

‚Red Eye‘ (2005)

‚Red Eye‘ ist einer von Wes Cravens „neueren“ Filmen, den ich immer noch einmal nachholen wollte. Ich sage lieber nicht, wie ich mich gefühlt habe, als ich feststellen musste, dass der 18 Jahre alt ist, wählen darf und Alkohol kaufen. Aber gut, „zu spät“ gibt es bei Filmen schließlich nicht. Craven verlässt für diesen Film sein übliches Horror-Genre, auch wenn es durchaus noch Bezüge gibt. Vor allem aber ist ‚Red Eye‘ ein schlanker Thriller und das ist etwas, was mir eigentlich immer gefällt.

Hotelmanagerin Lisa Reisert (Rachel McAdams) hat die Beerdigung ihrer Großmutter besucht. Nun nimmt sie einen Nachtflug von Dallas zurück nach Miami. Während sie auf den verspäteten Abflug wartet, begegnet sie am Flughafen einem charmanten jungen Mann, Jackson Rippner (Cillian Murphy) und ja, der Film weist auf die Absurdität des Namens hin/deutet an, dass es ein Deckname ist. Obwohl sich ihre Wege bald wieder trennen, sitzen sie im Flugzeug scheinbar zufällig nebeneinander. Doch Rippner hat genau das geplant. Reisert managt das Hotel, in dem der stellvertretende Minister des Ministeriums für Innere Sicherheit, Charles Keefe (Jack Scalia) absteigen wird. Rippner will nun Reisert zwingen, ihr Hotel anzurufen, damit Keefe ein neues Zimmer zugewiesen wird, da er an einem Anschlagsplan beteiligt ist. Sollte Reisert das nicht tun, würde ihr Vater ermordet. Zum Glück verhindern Turbulenzen längere Zeit das Telefonieren und geben Reisert Gelegenheit nach einem Ausweg zu suchen. Rippner jedoch ist, trotz seines Namens, nicht doof.

Ich war durchaus überrascht, dass sich der Film, trotz seiner knappen Laufzeit von 85 Minuten, anfangs recht viel Zeit nimmt, um nicht nur unsere beiden Hauptcharaktere einzuführen, sondern auch eine Menge der anderen Passagiere. Die freundliche, aber aufdringliche ältere Dame, das allein reisende Kind, ein zeichnender Teenager, oder eine Dame mittleren Alters, die ganz offensichtlich auf Murphys Charakter steht. Das fühlt sich schon ein wenig wie diese Flugzeugkatastrophenfilme der 70er Jahre, bekommt aber durchaus Sinn, denn das Drehbuch ist peinlich darauf bedacht, dass jedes Setup, das hier gesetzt wird, später ein ordentliches Payoff erfährt.

Filmisch kann Craven seine Stärken ausleben, sobald wir das Flugzeug betreten. Nicht nur verortet er unsere Charaktere und das Verhältnis ihrer Sitzreihen zu den anderen Charakteren mit scheinbar spielerischer Einfachheit und trotz, oder wegen einer scheinbar durch die Kabine schwebenden Kamera, er vermittelt auch die scheußliche Klaustrophobie der Situation von Rachel McAdams Charakter. Ihre Lisa ist keine Actionheldin, sie ist aber auch nicht so hilflos, wie Rippner sich das vielleicht erhofft hätte. Das Vergnügen des Films ist es vor allem zu sehen, wie sie Plan um Plan um Plan schmiedet, um der Situation zu entgehen und Rippner jeden davon zunichtemacht.

Dabei müssen wir sicherlich gelegentlich auf allzu tiefes logisches Hinterfragen verzichten. Der Film inszeniert die Enge eines Flugzeugs meisterlich, doch kaum sitzen die Hauptfiguren in ihrer Sitzreihe, bekommt keiner der anderen Passagiere oder der Crew mehr mit was vor sich geht. Da kann Rippner sie bedrohen wie er lustig ist und ihr gar keine Kopfnuss versetzen, als wär er Arnie in ‚Phantom Kommando‘. Das tut dem Film wenig Abbruch, doch ist seine Schwäche sicherlich sein Buch, das nicht von Craven selbst stammt, sondern von Carl Ellsworth.

Sei es, dass McAdams Charakter ein ziemlich überflüssiges Erlebnis auf den Leib geschrieben wird, als Erklärung, warum sie sich derartig wehrt. Als ob dafür eine Erklärung notwendig wäre. Und nachdem das Flugzeug gelandet ist, wird die Handlung zu Bush-Ära Politik-Action ala ‚24‘ einerseits und typisches „Final Girl“-Gerenne andererseits. Aber Craven inszeniert auch das so luftig, dass man stets das Gefühl hat, er lache mit uns, so dass wir nie Gelegenheit bekommen über den Film zu lachen, selbst wenn die Story es wohl verdienen würde. Und Murphys schmierigen Terroristen wiederholt Dreck fressen zu sehen ist auch aus sich selbst heraus höchst befriedigend und unterhaltsam (Frage an medizinisch Versierte: wie weit kann man eigentlich mit einer punktierten Luftröhre rennen? Ungefährer Wert reicht!).

Murphy tut hier schauspielerisch dass, was er in den mittleren 2000ern meistens getan hat. Wechselt scheinbar übergangslos vom charmanten, jungen Mann zum wahrlich garstigen Fiesling. Er legt die Rolle mehr oder weniger exakt wie seinen Jonathan Crane an, den er kurz darauf, oder davor, vermutlich in einem Studio ein paar Türen weiter für ‚Batman Begins‘ gespielt hat. Aber was soll‘s? Das funktioniert für ihn ja ganz großartig. Rachel McAdams gibt ihre Lisa als scheinbares Reh im Scheinwerferlicht. Der Film macht aber bereits zuvor klar (wie gesagt, für Setup und Payoff könnte das Buch ein Lehrstück sein), dass sie als erfahrene Servicekraft ihre eigenen Emotionen selten direkt zeigt. Es dürfte wohl auch keine große Überraschung sein, dass gerade Wes Craven starke weibliche Charaktere zeigt.

Der Film hat mich über seine 85 Minuten wunderbar unterhalten. Craven war in sehr guter Form, das Buch hat mich mal positiv mal negativ überrascht, aber dabei immer unterhalten. Und Überraschungen sind in einem Thriller ja was ganz wunderbares. Das ist in Cravens Filmografie nun sicher keiner der ganz wichtigen Filme, aber einer dem es gelingt an einem öffentlichen Ort ein beklemmendes Gefühl der Klaustrophobie zu schaffen. Und das ist schwieriger als man denken sollte.

‚Nightmare Alley‘ (2021)

Die letzten beiden Jahre scheinen eine Zeit zu sein, in der Regisseure, die ich sehr mag, Filme drehen, die keiner schaut. Letztens habe ich hier George Millers ‚Three Thousand Years of Longing‘ besprochen und nun ist Guillermo del Toros ‚Nightmare Alley‘ dran. Ein, wie der Regisseur es selbst ausdrückt, 100 Millionen Dollar Film, den er für 60 Millionen gedreht hat. Eingespielt hat er allerdings keine 40. Doch ähnlich wie bei Miller handelt es sich bei dieser Verfilmung des gleichnamigen Romans von William Lindsay Gresham um ein Herzensprojekt. Das Buch wurde bereits kurz nach Erscheinen 1947 zum ersten Mal mit Tyrone Powers in der Hauptrolle verfilmt. Bei ‚Three Thousand Years of Longing‘ habe ich ein etwas sperriges, nicht ganz funktionierendes, aber dennoch (oder gerade deswegen) interessantes Filmprojekt gefunden. Thematisch liegt mir ‚Nightmare Alley‘ durchaus näher, daher war ich sehr gespannt.

1939 sieht sich der Herumtreiber Stan (Bradley Cooper) auf einem wandernden Jahrmarkt eine „Geekshow“ an, bei der ein Mann einem Huhn den Kopf abbeißt. Kurz darauf bekommt er vom Jahrmarktleiter Clem (Willem Dafoe) einen Job als Aushilfe zum Auf- und Abbau angeboten. Alsbald hat er sich zum Helfer der Hellseherin Zeena (Toni Collette) hochgearbeitet und erfährt, dass diese früher mit ihrem inzwischen alkoholkranken Partner Pete (David Strathairn) ein hochkomplexes mnemonisches System entworfen hat, um einen „Mentalisten“-Akt vorzutäuschen. Stan, der sich als geborener Hochstapler erweist, tut alles, um von ihnen dieses System zu lernen. Kaum hat er es, setzt er sich mit der hübschen Molly (Rooney Mara) als Assistentin nach Buffalo ab. Dort hat er als Mentalist großen Erfolg. Eines Abends taucht die Psychotherapeutin Dr. Ritter (Cate Blanchett) in seiner Vorstellung auf, um ihn zu entlarven. Doch Stan erweist sich als offenbar cleverer. Nun ergibt sich für ihn die Chance das zu tun, wovor ihn seine Lehrmeister immer gewarnt haben: „Spookshows“, also Seancen, für die Superreichen der Stadt abzuhalten und so das ganz große Geld zu machen. Mit Ritter als Komplizin, die ihm die Geheimnisse ihrer Klienten verrät. Allerdings könnte dies auch ihn alles kosten.

Es hat ehrlich gesagt nicht lange gedauert, bis der Film mich eingefangen hatte. Es war definitiv bevor Coopers Charakter auch nur ein Wort gesagt hat. Ich vermute es war bereits als er auf dem Jahrmarkt ankam, über dessen bunten Lichtern ein Gewitter tobte. Als er gebannt und angewidert auf den brutalen und erniedrigenden Auftritt des „Geek“ starrte. Del Toros insgesamt fast dialogfreie Inszenierung dieser ersten Minuten, die sich aber ähnlich durch den Rest des Films zieht, ist nichts weniger als meisterhaft. „Worldbuilding“ ist etwas, das del Toro scheinbar im Schlaf beherrscht. Seine zumeist fantastischen Welten macht er uns in wenigen Aufnahmen so glaubhaft, dass wir meinen sie anfassen zu können. So gelingt es ihm auch mit diesem Jahrmarkt, nur eben noch mit dem zusätzlichen Twist, dass alles Fantastische hier purer und ausgefeilter Betrug ist.

Del Toro und Kameramann Dan Lauststen (mit dem er bereits ‚Shape of Water‘ inszeniert hat) schaffen düstere Bilder mit ziemlich einzigartiger Farbgebung. Eine Melange aus  blau-grün-gelb, die jederzeit kränklich wirkt, wie die Farbmischung eines frischen Blutergusses. Durchsetzt nur teilweise vom schwärzlichen rot einer allzu langsam heilenden Kopfwunde. Es ist eine schreckliche Schönheit, die ähnlich fesselt wie eben jene Schau, die Stan am Anfang des Films schaut.

Tatsächlich wird der Film etwas schwächer, wenn Stan den kleinen Teich des Jahrmarkts gegen den Ozean der Stadt eintauscht. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Obwohl wir Blanchett als Darstellerin gewinnen, verlieren wir viele Charaktere, die den Charme der ersten Hälfte ausgemacht haben. Auch begeben wir uns von den Planen und Bauten des Jahrmarkts in den holzvertäfelten Wohlstand der Großstadt der 40er und landen somit in deutlich bekannterem und kartierten noir-Gebiet.

Thematisch vermengt del Toro hier, wie im ganzen Film, Elemente des film noir mit der Unausweichlichkeit der griechischen Tragödie. Ich wunderte mich zwischendurch wie allzu deutlich der Film das endgültige Schicksal seines „Helden“ erahnen lässt, aber genau darum geht es. Der Weg dorthin ist das Ziel. „Held“ setze ich hierbei in Anführungsstriche, denn Stan ist ganz der typische film noir Protagonist, der einem sicherlich nicht sympathisch sein muss. Tatsächlich beginnen wir mit einer zunächst unerklärten Szene, in der er offenbar eine Leiche in einem abgelegenen Haus verbrennt. Wir schauen also die ganze Zeit mit gehörigem Misstrauen auf ihn.

Tatsächlich ist das denn wohl auch die erste Rolle, in der mich Bradley Cooper vollkommen überzeugt. Scheinbar mühelos wechselt er zwischen dem wortkargen Fremden, dem gewandten Schwindler und durchaus auch anderem, was hier aber als Spoiler gelten dürfte. Sein Stan wirkt dabei jederzeit seltsam brüchig und undurchschaubar. Seine Leistung ist umso beeindruckender, weil sie vor einem absoluten Starensemble zu bestehen weiß. Cate Blanchetts femme ist hier so fatale wie sie nur sein kann, macht da gar kein großes Geheimnis draus und man merkt ihr das Vergnügen an dieser Rolle geradezu an. Wenn es etwas auszusetzen gäbe, dann für mich höchstens, dass sie nur eine einzige Szene mit ‚Carol‘ Kollegin Rooney Mara bekommt. Maras Molly hingegen ist vielleicht der schlaueste Charakter des ganzen Films. Nicht zuletzt weil sie weiß, wann ein guter Moment ist, sich davonzumachen. Richard Jenkins verstört als bedrohlich-spleeniger Milliardär Ezra Grindle. Del Toro-Spezi Ron Perlman hat eine kleine aber nachdrückliche Rolle als Kraftmensch Bruno.

Mir hat der Film ganz hervorragend gefallen, was aber nicht zuletzt daran liegt, dass er wie für mich gemacht scheint. Hier werden Elemente aus Todd Brownings ‚Freaks‘ und Hitchcocks ‚Spellbound‘ mit jeder Menge noir und pulpigen B-Movie Zutaten gemischt. Und obwohl del Toro hier auf seine üblichen Monster, Geister und Dämonen verzichtet (jeder Schrecken hier ist explizit menschgemacht), ist das doch eine Mischung, die wohl nur er so elegant hinbekommen könnte.

Es ist schade, aber vielleicht nicht überraschend, dass der Film zwischen den heutigen Blockbustern untergehen musste. Wenn ich kritisieren sollte, dann fiele mir höchstens ein, dass der Film mit zweieinhalb Stunden vielleicht eine gute Viertelstunde zu lang ist. Gerade in der zweiten Hälfte ließen sich leicht Szenen finden, die ohne großen Verlust entfernt werden könnten. Aber vielleicht würde gerade diese Zurücknahme den Film eben doch beeinträchtigen. Denn man merkt jeder Minute an, dass hier die exakte Vision des Machers umgesetzt wurde.

Ich für meinen Teil bin jetzt auch sehr an der Version von 47 interessiert.

‚Castle Rock‘ (2018-19) Serienbesprechung

Neulich habe ich hier über das Problem geschrieben, dass ich manchmal bei Filmen einfach nicht sagen kann, warum sie mir gefallen. Das gilt natürlich auch für Serien. Und nun habe ich in, für mich, Rekordzeit beide Staffeln der Serie ‚Castle Rock‘ durchgeschaut und kann nicht direkt sagen, was mich so gefesselt hat. Aber vielleicht hilft es dem Erkenntnisgewinn ja, wenn ich hier eine Besprechung schreibe. Und falls ich nebenbei jemanden überzeuge diese ziemlich übersehene Serie zu schauen, umso besser.

Die Idee der Serie ist es, Geschichten zu schreiben, die in Stephen Kings fiktiver Version des Staates Maine spielen. Vor allem eben im namensgebenden Castle Rock, das neben Jerusalem’s Lot und Derry eine der großen Kleinstädte seiner Fiktion ist. Die Staffeln sind dabei weitgehend in sich abgeschlossen und arbeiten mit großteils eigenen Darstellern. Wobei es durchaus Zusammenhänge gibt. Während also J.J. Abrams Name neben dem von King groß auf der Serie prangt, hat er eigentlich wohl wenig damit zu tun und kann schon aufgrund der Struktur hier auch nicht seine Mystery-Box der vielen Fragen ohne Antworten nicht ausspielen.

Man muss kein King Experte sein, um die Serie zu genießen. Es gibt zwar einige Charaktere, die direkt seinen Geschichten entnommen sind und eine Menge Anspielungen, aber die sind meistens nicht handlungsentscheidend. Das Shawshank Gefängnis kennt man aus der Kurzgeschichte „Frühlingserwachen: Pin-up“ bzw. der Verfilmung ‚Die Verurteilten‘ (man kann im Büro des Direktors sogar noch das Einschussloch sehen…). Den hier im Ruhestand befindlichen, ehemaligen Sheriff Pangborn aus ‚In einer kleinen Stadt‘. Jackie Torrance erzählt von ihrem Onkel, der seine Familie in einem Ski Ressort mit einer Axt töten wollte (‚Shining‘). Eine Immobilienmaklerin hat Shining-artige Fähigkeiten. King Kenner können nicken, bei Anspielungen wie „die Sache mit dem Hund“ (‚Cujo‘) oder „Das war damals, kurz nachdem diese Kinder die Leiche gefunden haben.“ (‚Stand by me‘) und sicherlich zahllosen weiteren, die ich übersehen habe/mir nicht bekannt waren.

Die Handlung aber ist sehr eigenständig. In der ersten Staffel begeht Gefängnisdirektor Lacey (Terry O’Quinn) spektakulär Selbstmord. Seine Nachfolgerin ist erschüttert, als sie erfährt, dass Lacey einen ganzen Flügel im „for profit“ Gefängnis Shawshank, nach einem Feuer, über Jahrzehnte hat leer stehen lassen. Bei der Untersuchung des Trakts wird ein unterirdischer Käfig entdeckt, darin ein junger Mann (Bill Skarsgård), der nur den Namen „Henry Deaver“ sagt. Unterlagen gibt es keine über ihn. Wachmann Dennis (Noel Fisher) weiß, dass der Mann nicht Henry Deaver ist, denn Deaver (André Holland) ist das afroamerikanische Adoptivkind des ehemaligen Pfarrers von Castle Rock. Der hat die Stadt lange verlassen und ist nun Strafverteidiger. Der Unbekannte sagt also nicht seinen Namen, sondern verlangt seinen Anwalt. Die Leitung will das Problem des unbekannten Gefangenen vertuschen, geht gar so weit den Mann in eine Zelle mit einem gewalttätigen Nazi zu sperren, in der Hoffnung es löse sich von allein. Dennis hat genug und informiert anonym Deaver. Der kehrt widerwillig in die Stadt seiner Jugend zurück. Als Kind, 1991, ist er mit seinem Adoptivvater im tiefsten Winter in den Wald gegangen. Vater Deaver wurde bald mit schweren Verletzungen gefunden. Henry blieb über 11 Tage verschwunden und wurde schließlich ohne jede Spur von Kälteschaden gefunden. Bald hieß es Henry habe seinen Vater, der seinen Verletzungen erlag, getötet. Und nun muss Henry feststellen, dass seine demenzkranke Mutter (Sissy Spacek) ausgerechnet mit dem ehemaligen Sheriff Pangborn (Scott Glenn) zusammen ist, der damals von Henrys Schuld überzeugt war.

Es ist eine spannende Prämisse, die sehr viel Raum zum Erzählen gibt. Henrys private Probleme vermischen sich mit den Mysterien des Ortes und dem enigmatischen Gefangenen, um den herum stets Unheil zu geschehen scheint. Leider tritt die Serie eine ganze Weile auf der Stelle und es braucht bis zur vierten Folge von zehn bis die Dinge wirklich in Gang kommen. Das dürfte der Grund sein, warum die Serie recht unbekannt ist. Denn bis dahin heißt es durchhalten. Leider ist die Serie bis dahin auch nicht sonderlich gut darin, die Charaktere zu etablieren. Wiederholt allzu oft bereits Gesagtes und tritt auch hier auf der Stelle. Wenn es dann aber losgeht, dann geht es wirklich los! Die zweite Hälfte der ersten Staffel macht ein ordentliches Fass auf und die Qualität der Folgen steigt erheblich.

Der Höhepunkt ist hier eine Folge, aus der Sicht von Henrys Adoptivmutter Ruth. Wir sehen hier Ereignisse früherer Folgen noch einmal, aus ihrer Sicht. Die Folge stellt ihre Demenzkrankheit als eine Losgelöstheit in der Zeit dar. Mittels im Haus verteilter Schachfiguren schafft sie sich Anker, um zu wissen, wann „jetzt“ und nicht „damals“ ist. Es ist eine spannende und berührende Folge und Sissy Spacek ist grandios. Und hier erreicht denn auch der Meta-Kommentar auf King(-Verfilmungen) seinen Höhepunkt, wenn Spacek, Star der ersten King-Verfilmung ‚Carrie‘, mit Skarsgård, dem Pennywise aus der damals aktuellsten Verfilmung ‚ES‘ interagiert.

Was daneben sicherlich im Gedächtnis bleiben wird, ist die Musik. Nicht nur der von Thomas Newman und Chris Westlake komponierte Soundtrack, sondern die Auswahl an Musikstücken. „Twenty Four Hours from Tulsa“ bildet hier eine Thematische Klammer. In der ersten Folge in der Version von Gene Pitney in der letzten von Dusty Springfield. Aber auch sonst kommen Songs von Tom Waits, Roy Orbison oder Instrumentalstücke von Max Richter zum Einsatz. Am Ende fühlt sich die Staffel erstaunlich „rund“ an. Nicht eben mit einem echten Happy End, aber das wäre wohl auch zu viel verlangt.

Ein paar Probleme bleiben. So habe ich mich gefragt, was genau Jackie Torrance (Jane Levy) und ihre eigene Handlung, um ein seltsames Ehepaar, das das Haus des Selbstmörders Lacey gekauft hat, eigentlich soll. Das fühlte sich stets parallel zu eigentlichen Handlung an, auch wenn, etwas bemüht, ein Zusammenhang hergestellt wurde.  Als ich dann aus dem Augenwinkel ein Artwork für Staffel 2 sah, eine junge Frau mit Axt, war ich mir sicher, Jackie wäre einfach die Hauptfigur von Staffel 2. Das war aber ein Irrtum. Ich bin mir dennoch fast sicher, dass das geplant war. Habe aber keine Beweise dafür.

Nein, in Staffel 2 kommt jemand anderes nach Castle Rock. Annie Wilkes (Lizzy Caplan) und ihre Teenager-Tochter Joy (Elsie Fisher) sitzen nach einem Unfall mit Totalschaden in der Kleinstadt fest. Zuvor sind sie durch die Staaten gereist. Annie findet überall kurzzeitige Anstellung als Krankenschwester und räumt dann alsbald die die Krankenhausapotheke aus, damit sie an benötigte Psychopharmaka herankommt. Denn Annie weiß, dass etwas mit ihr nicht stimmt, aber eben auch, wie sie es behandeln kann. Doch in Castle Rock drohen Schwierigkeiten. Zwar bekommt sie problemlos einen Job im händeringend nach Personal suchenden Krankenhaus, allerdings werden die Medikamente dort allzu sorgfältig weggeschlossen. Dazu geraten sie und Joy zwischen die Fronten eines örtlichen Konflikts. Der Boss der semilegalen und schlicht illegalen Geschäfte in Castle Rock, Pop Merill (Tim Robbins, und als Andy Dufresne aus ‚Die Verurteilten, natürlich eine Anspielung in sich selbst) befindet sich im Endstadium einer Krebserkrankung. Er hat nicht nur die beiden Söhne seines im Knast sitzenden Bruders, „Ace“ (Paul Sparks) und Chris (Matthew Allan) aufgezogen, sondern auch zwei somalische Flüchtlingskinder Nadia (Yusra Warsama) und Abdi (Barkhad Abdi). Im Vakuum seiner verblassenden Macht liefern sich Ace und Abdi nun einen Kleinkrieg. Dabei muss Ace sehr bald schmerzhaft feststellen, dass man sich mit Annie nicht anlegen sollte. Ihre Tat allerdings, weckt ein sehr viel älteres Übel tief unter dem Marsten Haus im nahen Jerusalem’s Lot.

Eine jüngere Version einer King-Antagonistin hier zur Protagonistin zu machen ist ein spannender Kniff. King Neulinge werden die scheinbar freundliche und sorgfältige junge Frau sicher anders wahrnehmen, als solche die ‚Misery‘ gelesen oder gesehen haben. Ob ich mit dem Hintergrund, den die Serie ihr verpasst ganz glücklich bin, weiß ich nicht. Teilweise ist mir das zu „on the nose“, aber Lizzy Kaplans merkwürdig-mitfühlende Darstellung lässt sie zu jeder Zeit funktionieren, insbesondere, wenn sie etwas Grauenhaftes tut. Die Idee des persönlichen Schicksals, verwickelt mit dem Horror des Ortes funktioniert hier noch ein ganzes Stück besser als in Staffel 1. Nicht zuletzt weil Annie wie ein Charakter wirkt, der ohnehin neben der ganzen Welt herlebt.

Die großen Themen der ersten Staffel (Adoptiv-)Elternschaft und wie sich gerade schlechte Elternschaft auf der Seele der erwachsenen Kinder widerspiegelt werden hier gekonnt weitergeführt und sind natürlich nicht nur die großen Themen der Serie, sondern fraglos auch von King im Allgemeinen. Das gelingt es hier facettenreich darzustellen. Da macht es deutlich weniger, dass die böser-Kult-aus-alter-Zeit-Geschichte selbst ein klein wenig angestaubt wirkt. Auch werden die King Anspielungen deutlich zurückgefahren. Das Marsten Haus taucht zwar auf, Kurt Barlow (aus ‚Brennen muss Salem‘) wird aber mit keinem Wort erwähnt. Aber gut, Pop und Ace Merill sind häufige Charaktere (Ace ist Kiefer Sutherlands psychotischer Bully aus ‚Stand By Me‘) und Annie ist in sich selbst natürlich ohnehin die größte Anspielung.

Auch musikalisch kann man sich wieder hören lassen. Die Staffel eröffnet mit Carly Simons mächtigem Oscargewinner „Let The River Run“, der erneut zu einer Art Leitmotiv wird, dass sich auch in Folgennamen widerspiegelt. Leonard Cohen, Johnny Cash, die Dubliners und eine Menge mehr werden clever eingesetzt.

So ganz bin ich jetzt nicht dahinter gedrungen, was die Faszination der Serie ausmacht. Vielleicht ist es einfach wie mit einem guten King Roman, der ja auch die Wirkung von Fast Food hat, insoweit man einfach nicht aufhören kann, bis er durch ist. ‚Castle Rock‘ ist eine sehenswerte Serie, wenn man durch die recht drögen ersten dreieinhalb Folgen durchkommt. Auch ist sie letztlich völlig in sich geschlossen, obwohl sie überraschend nach der zweiten Staffel abgesetzt wurde.

‚M3gan‘ (2022)

Wenn ein Film allein durch seinen Trailer schon zu einem Meme wird, dann ist das oftmals ein zweischneidiger Papierschneider. Es kann ein Zeichen für einen sehr unterhaltsamen Film sein, es kann aber auch ein mittelprächtiges Machwerk sein, dass seine wenigen absurd-unterhaltsamen Momente bereits in der Vorschau verschwendet hat und im fertigen Film nurmehr eine aufgebähte Variante des eingangs unterhaltsamen Konzepts liefert. ‚M3gan‘ sah für mich im Trailer nach einem Killerpuppenfilm aus und natürlich ist sie auch genau das. Aber immerhin ist das ein sehr unterhaltsamer Vertreter seines Genres, der, wenigsten in meinen Augen, mehr ist als bloß ein spaßiger Trailer.

Die neunjährige Cady (Violet McGraw) verliert bei einem Unfall beide Eltern. Sie wird in die Obhut ihrer Tante Gemma (Allison Williams), einer erfolgreichen Ingenieurin und Spiezeugentwicklerin, gegeben. Doch trotz ihres Bezuges zu Spielzeug taugt Gemma, als Elternersatz überhaupt nicht, wie sie selbst schnell eingesehen muss. Da kommt ihr eine sicher nicht ganz ethische Idee: sie hat, gegen den Willen ihrer Chefs, eine wahnsinnig teure, KI-kontrollierte, voll bewegliche Roboterpuppe namens M3gan entwickelt. Falls die positiven Einfluss auf die traumatisierte Cady hätte, könnte das ihren Arbeitgeber von der Wirtschaftlichkeit der Puppe überzeugen. Und so wird Cady zu M3gans primärer Nutzerin, die sie fortan vor jeglichem körperlichen und seelischen Schaden schützen wird…

Wir wissen natürlich alle ganz genau was geschehen wird. Weil wir den Trailer kennen. Oder weil wir wissen, dass wir einen Killerpuppenfilm schauen. Und selbst wenn nicht, Gerard Johnstones Film ist so subtil wie eine volle Ladung chemischer Reiniger ins Gesicht. Natürlich ist es eine ganz üble Idee einem traumatisierten Mädchen eine künstliche Person als wichtigste Bezugsperson vorzusetzen. Ob die nun mörderisch veranlagt ist, oder nicht. Da stecken selbstverständlich gewollte Parallelen zu aktuellen Themen drin. Erziehung in der modernen Welt, in der Verhandlungen über „Bildschirmzeiten“ eben nicht mehr nur den ollen Fernseher betreffen, sondern eine ganze Batterie an Geräten. Wo die Verführung für Eltern riesig sein dürfte, die Kinder mal kurz Youtube zu überlassen, um sich selbst einen Moment der Ruhe zu gönnen, mit all den Gefahren, die das mit sich bringt.

All das ist hier durchaus vorhanden, steckt aber nicht wirklich im Kern des Ganzen. Der Film interessiert sich nur insoweit dafür, als dass sich hier Absurdität oder Grusel herausziehen lassen. ‚M3gan‘ ist kein ‚Robot & Frank‘, oder ‚Her‘, oder ‚Ex Machina‘. Sie ist eindeutig eine Nachfahrin von Chucky. Cadys Trauma und ihre schwierige Beziehung zu ihrer entnervend distanzierten Tante ist für den Film nur die Grundlage, auf der die absurde Puppe floriert. Gemma ist eine derart hyperrationale Technikerin, die stets nur nach dem wie und nicht dem warum fragt, dass sie wohl, hieße sie Frankenstein, von der Idee eine Braut für ihr Monster zu schaffen wahnsinnig angetan wäre. Und selbstverständlich werden die familiären Probleme am Ende dadurch gelöst, dass Nichte und Tante die maschinelle Widersacherin gemeinsam zu Altmetall zerlegen. Wenn mir das jetzt jemand als Spoiler auslegen will, weiß ich auch nicht, was ich sagen soll…

Aber Cady, Gemma und M3gan existieren in einer ohnehin überzeichneten Cartoonwelt, in der sich all das völlig richtig anfühlt. Gemmas Chef David (Ronny Chieng) ist ausdrücklicher Kinderhasser und CEO eines Spielzeugkonzerns. Vor allem darum, um Hasbro in den Hintern zu treten. Gemmas Nachbarin ist ein aufdringlicher, grenzüberschreitender Messie, mit einem Hund, der eine erhebliche Gefahr für Kinder darstellt. Eine andere Mutter, an der Schule, an der Gemma Cady unterbringen will, schwärmt von ihrem hochbegabten Sohn, während der sie öffentlich eine „Schlampe“ nennt (später ist er auch noch fies zu Cady… großer Fehler).

Das einzige, was mir in dieser Cartoonwelt fehlt, sind ein paar mehr Kills. Und bei den Toden, die wir zu sehen bekommen ist mir der Film allzu zurückhaltend. Und ich habe offenbar bereits die erweiterte Version geschaut. Diese stilvolle Zurückhaltung will so gar nicht zum Rest des Films passen, der durchaus mit dem Trash flirtet. Ich für meinen Teil habe etwa den großen Fehler gemacht, gerade einen Schluck von meinem Getränk zu nehmen, als M3gan zu ihrem ersten Song ansetzt. Trotz der daraus entstehenden Sauerei habe ich sehr gelacht. Und ähnlich over-the-top hätten die Kills eben auch sein müssen, damit ich voll zufrieden bin. Aber womöglich war diese Zurückhaltung gerade eines der Geheimnisse zum Erfolg des Films.

Man darf hier halt auch nicht den Fehler machen, einen Horrorfilm zu erwarten. Ja, der uncanny valley Effekt M3gans (die oft genug tatsächlich von einer Puppe dargestellt wurde, gelegentlich von der etwa 10jährigen Tänzerin Amie Donald mit Maske und CGI Nachhilfe) ist gelegentlich verstörend, aber das daraus resultierende Gefühl ist eben eher Absurdität als echter Horror. Will der Film aber halt auch nicht sein.

Was ich wohl sagen will ist, dass ‚M3gan‘ gut aber eben auch arg seichte Unterhaltung ist. Ich werde den Film in Zukunft sicherlich noch öfter schauen und jetzt bin ich immerhin gewarnt, wann ich lieber nix trinken sollte. Ein zweiter Teil mit einem auf drölf gedrehten Bodycount würde mich allerdings auch sehr freuen!

‚Crimes of the Future‘ (2022)

David Cronenberg kehrt zurück zu Science Fiction und Body Horror! Das war die große Nachricht, die der Trailer dieses Films verbreitete. Diesen Genres, in denen seine Karriere ihren Anfang gefunden hat und wo er mit Filmen wie ‚Rabid‘, ‚Videodrome‘ oder ‚Die Fliege‘ absolut unvergessliche Werke geschaffen hatte, kehrte Cronenberg mit dem Millenniumswechsel den Rücken zu. Drehte Actionthriller mit psychologischem Tiefgang, wie ‚A History of Violence‘ oder ‚Eastern Promises‘ oder bitter-satirische Dramen wie ‚Maps to the Stars‘. Das waren alles, zumindest mMn. sehr gute Filme, aber ein guter Teil von Cronenbergs Fans (und, zugegeben, auch ein Teil von mir) erhofften eine Rückkehr zum Body Horror. Nun, hier ist sie, wenn auch der Horror Aspekt vielleicht nicht so groß wie erwartet ist.

In einer nicht näher benannten Zukunft hat sich die Menschheit entscheidend verändert. Physischer Schmerz und Infektionskrankheiten gehören der Vergangenheit an. Operationen sind daher in aller Öffentlichkeit und ohne Anästhesie möglich und haben sich zu einer Art Performance Kunst entwickelt. Manche Menschen zeigen aber noch seltsamere Entwicklungen. Bilden neue Organe aus, die jedoch meist ohne erkennbare Funktion bleiben. Diese müssen dem „National Organ Registry“ gemeldet werden, einer Organisation, die die menschliche Evolution überwacht. Daneben hat sich eine neue Technologie hochkomplexer, analoger, ja fast organischer Maschinen entwickelt, die die Menschen bei alltäglichen Vorgängen unterstützen sollen. Saul Tenser (Viggo Mortensen) ist nicht nur ein Mensch, der neue Organe ausbildet, er ist auch jemand, der im Schlaf Schmerz empfindet. Seine Partnerin Caprice (Léa Seydoux) tätowiert seine neuen Organe, bevor sie sie als Teil einer Show mittels einer modifizierten Autopsie-Maschine vor Publikum entfernt. Sämtliche neuen Organe werden dem örtlichen Arm des „National Organ Registry“ bestehend aus Chef Wippet (Don Mc Kellar) und seiner Gehilfin, der schüchternen, aber von Saul besessenen Timlin (Kristin Stewart) gemeldet. Tenser arbeitet gleichzeitig als Spitzel für die „New Vice“ Abteilung, die sich auf die Verfolgung illegaler Körpermodifikation spezialisiert hat. Dies wird entscheidend als ein mysteriöser Mann (Scott Speedman) mit einer neuen, radikalen Show-Idee auf Caprice und Tenser zukommt.

Cronenberg zeigt die Menschheit an keinem guten Ort. Die Menschen, die wir sehen, leben in den Ruinen einer älteren Zivilisation. Das „National Organ Registry“ etwa, befindet sich in einer alten Autowerkstatt. Zahllose auf dem Trockenen liegende Boote verdeutlichen, dass wir mit aktuellen Klimaproblemen wohl nicht adäquat umgehen werden. Und die Menschen, die es hier noch gibt, sind besessen von Körperlichkeit. In der Abwesenheit von Schmerz bekommen die seltsamen Performance Arts großen Zulauf, in dem Versuch Zugang zum eigenen, entfremdeten Körper zu bekommen. Tenser ist für diese Leute ein Held, obwohl er sich die neuen Schöpfungen seines Körpers spektakulär herausreißen lässt und damit letztlich dem Alten huldigt. Einem Alten, dem offenbar auch die Hauptarbeit der, wie auch immer gearteten, Regierung gilt, die sich jedenfalls die Kontrolle über die Körper der Bürger fest auf die Fahnen geschrieben hat.

Cronenberg hat das Drehbuch in den späten 90ern geschrieben. Er bekam nun einen Anruf von einem Produzenten, der ihn fragte, ob ihm bewusst sei, dass es sich derzeit aktueller denn je anfühle. Und tatsächlich, in Zeiten von Klimawandel, in einer post-Covid Welt, fühlt sich dieser Film erstaunlich aktuell an. Gleichzeitig aber ist er auch eine Rückschau auf das alte Oeuvre von Cronenberg. Die Versmischung von Operationen und Erotik etwa lässt Erinnerungen an ‚Crash‘ aufkommen, die organische Technologie an ‚Naked Lunch‘. Aber Cronenberg verliert sich hier keinesfalls in Nostalgie, etwas, was ich in seinem Falle auch sehr, sehr merkwürdig fände. Nicht dass ich nicht vieles an Cronenberg sehr, sehr merkwürdig finde…

Natürlich ist es genau diese Merkwürdigkeit, die den Film funktionieren lässt. Cronenberg schafft hier eine kaum erklärte, in sich erstaunlich kohärente, wenn auch oft genug undurchschaubare Welt. Eine Welt, die so weit ab vom modernen Blockbuster mit seinen Origin-Stories und seinen ewigen Erklärungen ist, wie sie nur sein kann. Eine wunderbar abgefuckte Welt, bevölkert von seltsam-abschreckenden Charakteren, an der ich mich dennoch kaum sattsehen konnte und von der ich wahnsinnig glücklich bin, dass sie existiert.

Viggo Mortensen, Cronenbergs häufigster Darsteller seit der Jahrtausendwende irrlichtert zwischen gelacktem Künstler/Kunstobjekt und seltsamem, vermummten Aussätzigem, der sich röchelnd, spuckend und um Luft ringend durch Hintergassen drückt. Kristen Stewart gibt ihre Timlin als vibrierendes Bündel unter aufgezwungenen Komplexen begrabener Lust und Léa Seydoux die verzweifelte Künstlerin auf der Suche nach etwas, dass es sich zu sagen lohnt. Scott Speedman perfektioniert indessen das bedrohliche Essen von etwas, was ich anfangs für Schokoriegel hielt, sich aber als etwas ganz anderes entpuppte. „Gern“ hat man sicher niemanden von ihnen, aber es ist faszinierend sie anzuschauen, ob sie sich nun gerade selbst aufschneiden oder nicht.

Und doch fehlt mir in dem Film teilweise die Wucht der frühen Cronenbergs. Tonal sind wir hier weit näher an der bitteren Introspektive seiner späten Filme, als der offenbarten Freude am körperlichen Verfall, präsentiert als Schönheit seiner frühen Werke. ‚Crimes of the Future‘ ist ein erstaunlich stiller Film, mit einem erstaunlich stillen Ende und ja das fühlt sich seltsam an über einen Film zu schreiben, der Nahaufnahmen von Operationen zeigt und Bohrmaschinen, die sich in Köpfe drillen. Und dennoch stimmt es.

Wem würde ich ‚Crimes of the Future‘ empfehlen? Tja, vor allem Cronenberg Fans. Also Fans seines gesamten Schaffenszeitraums, nicht nur der Body Horror Ära oder der späteren Filme. Insgesamt ist es sicherlich nicht einer seiner quintessentiellen Filme, doch, wie oben erwähnt, ich bin sehr froh, dass es ihn gibt!