Hey Leute, Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe da diesen Film entdeckt, der quasi ein Weihnachtsfilm, gleichzeitig aber einer der besten Actionfilme aller Zeiten ist! Okay, nein, ich habe ihn nicht entdeckt und so ziemlich jeder, der über Filme schreibt, dürfte über ‚Stirb Langsam‘ geschrieben haben. Vermutlich so um Weihnachten herum. Er ist quasi der Weihnachtsfilm für Leute, die mit dem typischen Weihnachtsfilm nichts anfangen können. Und für Leute, die weihnachtliches Fußtrauma sehen möchten, denen Kevin MacAllister aber doch ne Nummer zu brutal ist. Er war allerdings zu seiner Zeit ein Wendepunkt im Actiongenre. Dessen Auswirkungen über Jahrzehnte in Film und sogar Videospiel spürbar waren. Ich bin sicher, jeder von Euch hat ihn eh so etwa drei Mal gesehen, aber schauen wir mal, ob ich ihm den einen oder anderen originellen Gedanken abringen kann.
Der New Yorker Polizist John McClane (Bruce Willis) besucht seine getrennt lebende Ehefrau Holly (Bonnie Bedelia) in L.A.. Genau genommen auf einer Weihnachtsfeier ihres Arbeitgebers (einer dieser Weihnachtsfeiern, wie es sie nur im Film gibt, an Heilig Abend) im nur etwa halb fertig gestellten Hochhaus Nakatomi Plaza. Das Gebäude und die Weihnachtsfeier werden von Terroristen (eigentlich Dieben) unter der Führung von Hans Gruber* (Alan Rickman) übernommen. Nur John entgeht der Geiselnahme und nimmt den Kampf gegen die Ganoven auf, während er versucht Hilfe zu rufen. Doch die einzig freundliche Antwort darauf stammt von Streifenpolizist Al Powell (Reginald VelJohnson).
Regisseur John McTiernan hat sich am typischen 80er Jahre Hollywood Actionhelden ziemlich abgearbeitet. 1987 machte er in ‚Predator‘ eine Gruppe Supermachos zu Opfern eines außerirdischen Slasher-Killers. 1993 war seine Persiflage ‚Last Action Hero‘ für viele fast zu überdeutlich. Aber wirklich beendet hat er die Zeit der unverwundbaren One-Man-Army Superkiller wohl mit ‚Stirb Langsam‘. Klar, Willis‘ McClane besiegt immer noch ein gutes Dutzend schwer bewaffneter Widersacher im Alleingang, aber er nutzt dafür Hinterhalt, Cleverness, seine ihm eigene entnervende Persönlichkeit, Glück und Improvisation. Und meine Güte, muss er unterwegs einstecken! Das ist kaum zu vergleichen etwa mit Schwarzeneggers John Matrix, der Hundertschaften von Gegnern niedermäht, die seine Kleiderschrank-ähnliche Physis mit Stormtrooper-hafter Sicherheit verfehlen. Umso erstaunlicher, dass ‚Stirb Langsam‘ ursprünglich mal als eine Fortsetzung eben von ‚Phantom Kommando‘ angedacht war. Ich habe nicht die blasseste Ahnung, wie das hätte funktionieren sollen. Der Film wäre wohl nach 20 Minuten vorbei, wenn Gruber, begleitet von einem Oneliner, vom Dach fliegt.
Doch hier dauert es ganze zwei Stunden. Zwei Stunden der Hochspannung und zwei Stunden der Tortur für McClane. Das ist zwar recht revolutionär, doch man kann sich vielleicht fragen, wo hier, im Vergleich zu den anderen zwei oben genannten McTiernan-Filmen denn das parodistische Element ist. Und das ist, zugegeben, schwerer auszumachen, man muss es fast annehmen. Sicher, der Film macht sich immer wieder direkt über Autorität lustig. Autorität, die den Weg des Frontalangriffs wählt („You macho assholes!“, wie McClane es ausdrückt). Aber das eigentliche, parodistische Element liegt noch tiefer. Denn McTiernan nutzt Weihnachten hier nicht einfach als Hintergrund, wie Shane Black es immer wieder tut. ‚Stirb Langsam‘ ist ein Weihnachtsfilm, in dem die Helden ihr Heil durch Gewalt finden. McClane fällt, kaum dass er Holly wiedertrifft, in die alten Routinen, die ihre Ehe zerrüttet haben. Er muss erst die brutalen Geiselnehmer besiegen und dabei selbst schwer leiden, bevor er Holly zurückgewinnt. Und Gruber besiegt er, indem er Hollys Rolex, das Symbol, ihres beruflichen Erfolges, löst. Noch viel deutlicher wird dieses Heil durch Gewalt aber an Al Powell. Der hat ein Kind erschossen und kann, aufgrund der Schuld, seitdem seine Waffe nicht mehr einsetzen. Doch als am Ende des Films einer der Terroristen ein letztes Mal aufspringt ist es Powell der ihn erschießt, was der Film mit anschwellender Musik als Weihnachtswunder inszeniert. Hurra, Sgt. Powell kann wieder töten, Frohe Weihnacht! Dies in Bezug auf DAS Fest des Friedens kann ich eigentlich nur als ziemlich finstere Satire lesen. Kann man aber sicher auch anders sehen, denn typische reaktionäre Motive der Reagan-Zeit sind hier auch zu finden. Die Japaner, die die amerikanische Wirtschaft übernehmen und feministische Frauen, die einfach selbst Karriere machen wollen, was den Mann zutiefst verstört.
Aber nichts vom oben genannten ist, was die Faszination des Films ausmacht. Wobei es McTiernans filmemacherische Qualitäten unterstreicht, dass man nichts vom oben genannten hinterfragt. Aber was den Film wirklich ausmacht, das sind die hart inszenierten Action-Szenen, die cleveren Stealth-Taktiken, die McClane anwendet und die gekonnt inszenierten Suspense-Momente. Hier sei stellvertretend der Moment genannt, wenn sich Gruber gegenüber McClane als Geisel ausgibt. Es ist aber auch ein wirklich cleveres Drehbuch, eine Art Musterbeispiel an Setup und Payoff. Alles was der Film etabliert und wenn es auch noch so unwichtig wirkt, wird später seine Bedeutung bekommen. Die Dialoge sind ebenfalls für einen Actionfilm äußerst gelungen und haben den Darstellern gewissen Raum zur Improvisation gegeben. Was direkt zu den Darstellern selbst führt, wo natürlich allen voran Willis und Rickman zu nennen sind. Die geben hier ein wunderbares Zerrspiegelbild ab. Auf der einen Seite der klassisch gebildete, eiskalte Mörder Rickmans, auf der anderen Willis‘ rotziger, aber gutherziger Prolet. Rickman darf sich dabei als höhnischer Mistkerl gerieren, wie es kaum einer außer ihm konnte. Und Willis gibt einen interessanten Helden, der nichts weniger gerne tun würde als die Verantwortung der Situation an irgendwen anders abzutreten. Leider sind alle anderen komplett unfähig. Erwähnt gehören aber auch Bedelia, deren Holly sich auf ihre Weise gegen Gruber behauptet, der wunderbare Reginald VelJohnson als Powell, als einziger Ansprechpartner für McClane und, viel zu oft vergessen, Hart Borchner als widerwärtige, aber letztlich tragische Koksnase Ellis.
Ich mag ja immer Filme sehr gern, die einen Ort nachvollziehbar etablieren und dann damit spielen. John Carpenter etwa war sehr gut darin. Doch McTiernan und Kameramann Jan de Bont liefern hier eine Meisterklasse darin ab. Nakatomi Plaza (man vergebe mir das Klischee) wird so selbst zu einem Hauptdarsteller. Es ist faszinierend wie distinkt die Bereiche des Gebäudes sind. Die vergitterte Tiefgarage. Die brutalistische Lobby, mit ihren riesigen Betonplatten. Das überschwänglich ausgestatte Stockwerk 30, mit seinem japanischen Garten und eleganten Büros. Die Stockwerke drunter mit ihren schmucklosen Büros. Die Stockwerke drüber, die noch Baustelle sind. Bis hoch zur Gebäudetechnik unter dem Dach und dem Dach selbst. Selbst wenn man mal unaufmerksam war, reicht ein Blick auf den Fernseher und man weiß sofort wieder wo man ist. Die Verwendung eines Pin-Up-Girls als Wegmarke zeigt dann den Humor des Films. Zum Ende hin verändert der Film die bekannte Geographie des Gebäudes durch wiederholte Explosionen mehr und mehr. Toll! In meinen Augen ist genau das einer der Hauptgründe, warum ‚Stirb Langsam‘ so viel besser funktioniert, als seine zahllosen Epigonen in den 90ern, die die Struktur „einsamer Held in geschlossenem Ort vs. Terroristen“ übernahmen. Da brauchte es schon Jan de Bont selbst um mit der Variation ‚Speed‘ ein ähnliches Niveau zu erreichen.
Das Niveau von ‚Stirb Langsam‘ hat auch keine seiner Fortsetzungen erreicht. Am nächsten kam noch ‚Stirb langsam: Jetzt erst recht‘, McTiernans eine Rückkehr zum Franchise. Aber gerade die späteren Teile verstehen nicht, dass ‚Stirb Langsam‘ nicht funktioniert, wenn McClane ein Terminator, ein unverwundbarer Superheld ist. Die Faszination seines Charakters ist gerade seine Verletzlichkeit. Sein reagierendes, impulsives und gelegentlich dummes Handeln. Kurz, seine Menschlichkeit.
Natürlich empfehle ich ‚Stirb Langsam‘. Alle, mit dem kleinsten Interesse für Actionkino kommen um den Film gar nicht herum. Er hat das Actionkino für lange Jahre definiert, bis die Superhelden übernommen haben. Er hat Bruce Willis Karriere geprägt. Und er ist, auf seine eigene, tief schwarzhumorige Weise, ein Weihnachstfilm.
*in der deutschen Synchro werden die (angeblichen) deutschen Terroristen der holprig benannten „Radical West-German Volksfrei Movement“ in englisch-namige, vermutlich Iren umgedeutet. Was seinerseits ziemlich holprig wird, wenn sich John die originalen Namen auf den Unterarm schreibt. Aber hey, der Film ist eh bei europäischer Staatenkunde nur so mittel. Helsinki ist nicht Stockholm! Yippie-ki-Yay, Melonfarmers!