Ich bin ein großer Fan der Filme von Park Chan-wook. Durch seinen ‚Joint Security Area‘ bin ich damals sogar erst auf das moderne südkoreanische Kino aufmerksam geworden. Seine Rache-Trilogie ist großartig, ‚Thirst‘ ein ungewöhnlicher, gelungener Vampirfilm, selbst seinen etwas ungeliebten ‚I’m a Cyborg, but that’s okay‘ mag ich sehr. Seinen bislang einzigen Hollywood-Ausflug in Form der Hitchcock-Hommage ‚Stoker‘ fand ich allerdings eher interessant als rundum gelungen. Nachdem ich nun ‚Die Taschendiebin‘ zum zweiten Mal gesehen habe, kann ich sagen, dass ‚Stoker‘ in gewissem Sinn eine Trockenübung für diesen Film gewesen sein könnte, finden sich doch viele thematische Elemente aus diesem Film hier wieder. Überhaupt ist dieser Film, wie das Herrenhaus in dem ein Großteil der Handlung spielt und die Mode vieler Charaktere, eine Melange aus östlichen und westlichen Einflüssen, die Park hier wunderbar zu seinem vielleicht besten Film vermischt.
Der Film basiert auf dem Roman „Fingersmith“ von Sara Waters, den ich allerdings nicht kenne. Er verlegt die Handlung vom viktorianischen England ins japanisch besetzte Kore der 30er Jahre. Das passt, wie ein schwarzer Lederhandschuh, findet sich doch hier wie dort eine extrem streng stratifizierte Gesellschaft. In dieser Gesellschaft möchte der Betrüger Fujiwara (Ha Jung-woo) um jeden Preis aufsteigen. Dafür will er die japanische Adlige Lady Hideko (Kim Min-hee ) heiraten. Zu diesem Zweck plant er sich selbst als japanischer Graf auszugeben und gleichzeitig eine Gaunerkollegin, die Taschendiebin Sookee (Kim Tae-ri), als Dienstmädchen in den Haushalt von Hidekos Onkel Kouzuki (Cho Jin-woong) einschleusen, die ihre Position nutzen soll, um Hideko von der Großartigkeit „Graf Fujiwaras“ zu überzeugen und als Dienstmädchen Treffen zwischen den beiden ermöglichen soll. Onkel Kouzuki seinerseits möchte Hideko ebenfalls heiraten, um so als echter Japanischer Adliger akzeptiert zu werden. Wirklich kompliziert wird die Sache allerdings, als sich Sookee und Hideko ineinander verlieben.
Das Erste, was man über den Film sagen muss ist, wie unfassbar gut fotografiert er ist. Wenige Filme bringen mich dazu schon in den ersten Minuten mehrfach ein leises „wow“ von mir zu geben, Park schafft das hier problemlos und hält diesen Wow-Faktor über zweieinhalb Stunden. Er fasst hier wunderschöne Menschen in wunderschönen Kostümen vor wunderschönen Hintergründen in Bilder, die es schaffen tatsächlich noch etwas mehr zu sein als die Summe ihrer Teile. Die Musik von Cho Young-wuk trägt weiterhin ihren Teil dazu bei. Bei aller inszenatorischen Eleganz verliert der Film allerdings niemals seinen Drive, sein Tempo. Selbst im zweiten, des in drei Kapiteln unterteilten Films, das zahlreiche Sequenzen des ersten Kapitels aus anderer Perspektive wiedergibt, wird er nicht langweilig. Sprich, der Film verliebt sich nie zu sehr in seine Bilder, weiß das seine rauschenden Kimonos und überschwänglichen Bibliotheken immer nur dazu dienen dürfen seine Charaktere zu unterstützen. So gewaltig aber ist seine Bilderflut, dass ich mehrfach schlicht vergessen habe die Untertitel zu lesen, weil ich zu sehr in seinen Bildern verloren war. Das ist mir noch nicht häufig passiert.
Und die Untertitel zu lesen, um der Geschichte zu folgen lohnt sich absolut, denn die kommt mit so einigen Wendungen, daher, mit Plänen innerhalb von Plänen. Park erzählt sie mit Leichtigkeit, Eleganz und wunderbar wohldosiertem, tiefschwarzen Humor. Sicherlich hat keine Wendung die Wucht jenes Moments aus Parks ‚Oldboy‘, das ist aber auch nicht das Ziel, auch die Ränke dieser Geschichte dienen vornehmlich dazu uns die Charaktere näher zu bringen.
Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen funktioniert ganz hervorragend. Sookees sorgfältig gehegte Pläne sind von dem Moment zum Scheitern verurteilt, als sie die kühle, scheinbar naive aber definitiv einsame Hideko das erste Mal sieht. Das bringt mich zu den, in vielen Besprechungen kritisierten, Sexszenen zwischen den beiden. Die sind sicherlich expliziter als vieles, was wir heute im Kino geboten bekommen, sind allerdings für die Wärme und die Intimität zwischen den beiden Charakteren von entscheidender Wichtigkeit und erscheinen mir ehrlich gesagt in keiner Weise exploitativ oder geschmacklos. Wenn man sich weiterhin die männlichen Figuren ansieht, wird es für mich schwierig hier besondere Männerfantasien auszumachen. Denn Fujiwara wird schnell zu einem reinen Störfaktor für die beiden, ein lästiger, aufdringlicher Vollidiot, während Onkel Kozouki eine schwarzzüngige, sadistische, übergriffige Monstrosität ist, der die Realität am liebsten seinen geliebten, pornografischen Schriften angleichen würde. Insofern würde ich den Film eher als sexuell befreiend begreifen wollen, denn als typischen Vertreter des „Male Gaze“. Ein passender Vergleich wäre vielleicht der zu ‚Carol‘ von 2015, den ich ebenfalls sehr mochte.
Wenn ich einen Kritikpunkt einbringen müsste, dann ist das die gelegentliche, nur mäßig gelungene Einbindung von Gedankengängen der Charaktere als Voice-Over. Es ist beinahe erstaunlich, dass Park in der Lage ist solche Bilder zu komponieren, ihnen dann aber in entscheidenden Momenten doch nicht genug vertraut und auf eine solche Krücke zurückgreift. Wenn Sookee Hideko das erste Mal sieht, dann sagt ihre Reaktion alles, da brauche ich kein Voice-Over, das mir sagt, dass Hideko wunderschön ist. Das sehe ich nebenbei auch selbst. Aber ich will das nicht zu sehr aufblähen, der Einsatz ist wie gesagt sehr sparsam, zumindest für mich dennoch gelegentlich störend.
Lasst mich noch ein paar Worte zum Titel sagen, weil das ein Thema ist, dass mir immer noch durch den Kopf geht. Der koreanische Titel lautet ‚Agassi‘, hat nichts mit Tennis zu tun, sondern bedeutet Fräulein, im Doppelsinne von Adelstitel und unverheirateter Frau. Der internationale Titel wurde dann ‚The Handmaiden‘, also das Dienstmädchen. Im Deutschen war man dann direkt so ehrlich zu verraten, wer hinter dem Dienstmädchen steckt. Der originale Titel ist sicher der beste, allerdings glaube ich nicht, dass ‚Das Fräulein‘ im Deutschen besonders gut funktioniert hätte. Das lässt doch eher an piefige 50er Jahre denken, als an viktorianisch-gothische Erotik. Und der deutsche Titel gefällt mir hier ehrlich gesagt besser als der internationale.
Wenn ihr alle Elemente einer gelungenen „Gothic Novel“, also verbotene Leidenschaften, Selbstmorde und verborgene Perversionen elegant eingebettet in eine für Korea ebenso verstörende, wie prägende Epoche sehen möchtet, dann ist dieser Film der Richtige für Euch. Wenn ihr einen Meister sowohl der Technik als auch des visuellen Erzählens auf dem Höhepunkt seines Schaffens sehen wollt, dann auch. Sicherlich einer der (wenn nicht der beste) besten Filme des letzten Jahres.