David Cronenberg kehrt zurück zu Science Fiction und Body Horror! Das war die große Nachricht, die der Trailer dieses Films verbreitete. Diesen Genres, in denen seine Karriere ihren Anfang gefunden hat und wo er mit Filmen wie ‚Rabid‘, ‚Videodrome‘ oder ‚Die Fliege‘ absolut unvergessliche Werke geschaffen hatte, kehrte Cronenberg mit dem Millenniumswechsel den Rücken zu. Drehte Actionthriller mit psychologischem Tiefgang, wie ‚A History of Violence‘ oder ‚Eastern Promises‘ oder bitter-satirische Dramen wie ‚Maps to the Stars‘. Das waren alles, zumindest mMn. sehr gute Filme, aber ein guter Teil von Cronenbergs Fans (und, zugegeben, auch ein Teil von mir) erhofften eine Rückkehr zum Body Horror. Nun, hier ist sie, wenn auch der Horror Aspekt vielleicht nicht so groß wie erwartet ist.
In einer nicht näher benannten Zukunft hat sich die Menschheit entscheidend verändert. Physischer Schmerz und Infektionskrankheiten gehören der Vergangenheit an. Operationen sind daher in aller Öffentlichkeit und ohne Anästhesie möglich und haben sich zu einer Art Performance Kunst entwickelt. Manche Menschen zeigen aber noch seltsamere Entwicklungen. Bilden neue Organe aus, die jedoch meist ohne erkennbare Funktion bleiben. Diese müssen dem „National Organ Registry“ gemeldet werden, einer Organisation, die die menschliche Evolution überwacht. Daneben hat sich eine neue Technologie hochkomplexer, analoger, ja fast organischer Maschinen entwickelt, die die Menschen bei alltäglichen Vorgängen unterstützen sollen. Saul Tenser (Viggo Mortensen) ist nicht nur ein Mensch, der neue Organe ausbildet, er ist auch jemand, der im Schlaf Schmerz empfindet. Seine Partnerin Caprice (Léa Seydoux) tätowiert seine neuen Organe, bevor sie sie als Teil einer Show mittels einer modifizierten Autopsie-Maschine vor Publikum entfernt. Sämtliche neuen Organe werden dem örtlichen Arm des „National Organ Registry“ bestehend aus Chef Wippet (Don Mc Kellar) und seiner Gehilfin, der schüchternen, aber von Saul besessenen Timlin (Kristin Stewart) gemeldet. Tenser arbeitet gleichzeitig als Spitzel für die „New Vice“ Abteilung, die sich auf die Verfolgung illegaler Körpermodifikation spezialisiert hat. Dies wird entscheidend als ein mysteriöser Mann (Scott Speedman) mit einer neuen, radikalen Show-Idee auf Caprice und Tenser zukommt.
Cronenberg zeigt die Menschheit an keinem guten Ort. Die Menschen, die wir sehen, leben in den Ruinen einer älteren Zivilisation. Das „National Organ Registry“ etwa, befindet sich in einer alten Autowerkstatt. Zahllose auf dem Trockenen liegende Boote verdeutlichen, dass wir mit aktuellen Klimaproblemen wohl nicht adäquat umgehen werden. Und die Menschen, die es hier noch gibt, sind besessen von Körperlichkeit. In der Abwesenheit von Schmerz bekommen die seltsamen Performance Arts großen Zulauf, in dem Versuch Zugang zum eigenen, entfremdeten Körper zu bekommen. Tenser ist für diese Leute ein Held, obwohl er sich die neuen Schöpfungen seines Körpers spektakulär herausreißen lässt und damit letztlich dem Alten huldigt. Einem Alten, dem offenbar auch die Hauptarbeit der, wie auch immer gearteten, Regierung gilt, die sich jedenfalls die Kontrolle über die Körper der Bürger fest auf die Fahnen geschrieben hat.
Cronenberg hat das Drehbuch in den späten 90ern geschrieben. Er bekam nun einen Anruf von einem Produzenten, der ihn fragte, ob ihm bewusst sei, dass es sich derzeit aktueller denn je anfühle. Und tatsächlich, in Zeiten von Klimawandel, in einer post-Covid Welt, fühlt sich dieser Film erstaunlich aktuell an. Gleichzeitig aber ist er auch eine Rückschau auf das alte Oeuvre von Cronenberg. Die Versmischung von Operationen und Erotik etwa lässt Erinnerungen an ‚Crash‘ aufkommen, die organische Technologie an ‚Naked Lunch‘. Aber Cronenberg verliert sich hier keinesfalls in Nostalgie, etwas, was ich in seinem Falle auch sehr, sehr merkwürdig fände. Nicht dass ich nicht vieles an Cronenberg sehr, sehr merkwürdig finde…
Natürlich ist es genau diese Merkwürdigkeit, die den Film funktionieren lässt. Cronenberg schafft hier eine kaum erklärte, in sich erstaunlich kohärente, wenn auch oft genug undurchschaubare Welt. Eine Welt, die so weit ab vom modernen Blockbuster mit seinen Origin-Stories und seinen ewigen Erklärungen ist, wie sie nur sein kann. Eine wunderbar abgefuckte Welt, bevölkert von seltsam-abschreckenden Charakteren, an der ich mich dennoch kaum sattsehen konnte und von der ich wahnsinnig glücklich bin, dass sie existiert.
Viggo Mortensen, Cronenbergs häufigster Darsteller seit der Jahrtausendwende irrlichtert zwischen gelacktem Künstler/Kunstobjekt und seltsamem, vermummten Aussätzigem, der sich röchelnd, spuckend und um Luft ringend durch Hintergassen drückt. Kristen Stewart gibt ihre Timlin als vibrierendes Bündel unter aufgezwungenen Komplexen begrabener Lust und Léa Seydoux die verzweifelte Künstlerin auf der Suche nach etwas, dass es sich zu sagen lohnt. Scott Speedman perfektioniert indessen das bedrohliche Essen von etwas, was ich anfangs für Schokoriegel hielt, sich aber als etwas ganz anderes entpuppte. „Gern“ hat man sicher niemanden von ihnen, aber es ist faszinierend sie anzuschauen, ob sie sich nun gerade selbst aufschneiden oder nicht.
Und doch fehlt mir in dem Film teilweise die Wucht der frühen Cronenbergs. Tonal sind wir hier weit näher an der bitteren Introspektive seiner späten Filme, als der offenbarten Freude am körperlichen Verfall, präsentiert als Schönheit seiner frühen Werke. ‚Crimes of the Future‘ ist ein erstaunlich stiller Film, mit einem erstaunlich stillen Ende und ja das fühlt sich seltsam an über einen Film zu schreiben, der Nahaufnahmen von Operationen zeigt und Bohrmaschinen, die sich in Köpfe drillen. Und dennoch stimmt es.
Wem würde ich ‚Crimes of the Future‘ empfehlen? Tja, vor allem Cronenberg Fans. Also Fans seines gesamten Schaffenszeitraums, nicht nur der Body Horror Ära oder der späteren Filme. Insgesamt ist es sicherlich nicht einer seiner quintessentiellen Filme, doch, wie oben erwähnt, ich bin sehr froh, dass es ihn gibt!