‚Crimes of the Future‘ (2022)

David Cronenberg kehrt zurück zu Science Fiction und Body Horror! Das war die große Nachricht, die der Trailer dieses Films verbreitete. Diesen Genres, in denen seine Karriere ihren Anfang gefunden hat und wo er mit Filmen wie ‚Rabid‘, ‚Videodrome‘ oder ‚Die Fliege‘ absolut unvergessliche Werke geschaffen hatte, kehrte Cronenberg mit dem Millenniumswechsel den Rücken zu. Drehte Actionthriller mit psychologischem Tiefgang, wie ‚A History of Violence‘ oder ‚Eastern Promises‘ oder bitter-satirische Dramen wie ‚Maps to the Stars‘. Das waren alles, zumindest mMn. sehr gute Filme, aber ein guter Teil von Cronenbergs Fans (und, zugegeben, auch ein Teil von mir) erhofften eine Rückkehr zum Body Horror. Nun, hier ist sie, wenn auch der Horror Aspekt vielleicht nicht so groß wie erwartet ist.

In einer nicht näher benannten Zukunft hat sich die Menschheit entscheidend verändert. Physischer Schmerz und Infektionskrankheiten gehören der Vergangenheit an. Operationen sind daher in aller Öffentlichkeit und ohne Anästhesie möglich und haben sich zu einer Art Performance Kunst entwickelt. Manche Menschen zeigen aber noch seltsamere Entwicklungen. Bilden neue Organe aus, die jedoch meist ohne erkennbare Funktion bleiben. Diese müssen dem „National Organ Registry“ gemeldet werden, einer Organisation, die die menschliche Evolution überwacht. Daneben hat sich eine neue Technologie hochkomplexer, analoger, ja fast organischer Maschinen entwickelt, die die Menschen bei alltäglichen Vorgängen unterstützen sollen. Saul Tenser (Viggo Mortensen) ist nicht nur ein Mensch, der neue Organe ausbildet, er ist auch jemand, der im Schlaf Schmerz empfindet. Seine Partnerin Caprice (Léa Seydoux) tätowiert seine neuen Organe, bevor sie sie als Teil einer Show mittels einer modifizierten Autopsie-Maschine vor Publikum entfernt. Sämtliche neuen Organe werden dem örtlichen Arm des „National Organ Registry“ bestehend aus Chef Wippet (Don Mc Kellar) und seiner Gehilfin, der schüchternen, aber von Saul besessenen Timlin (Kristin Stewart) gemeldet. Tenser arbeitet gleichzeitig als Spitzel für die „New Vice“ Abteilung, die sich auf die Verfolgung illegaler Körpermodifikation spezialisiert hat. Dies wird entscheidend als ein mysteriöser Mann (Scott Speedman) mit einer neuen, radikalen Show-Idee auf Caprice und Tenser zukommt.

Cronenberg zeigt die Menschheit an keinem guten Ort. Die Menschen, die wir sehen, leben in den Ruinen einer älteren Zivilisation. Das „National Organ Registry“ etwa, befindet sich in einer alten Autowerkstatt. Zahllose auf dem Trockenen liegende Boote verdeutlichen, dass wir mit aktuellen Klimaproblemen wohl nicht adäquat umgehen werden. Und die Menschen, die es hier noch gibt, sind besessen von Körperlichkeit. In der Abwesenheit von Schmerz bekommen die seltsamen Performance Arts großen Zulauf, in dem Versuch Zugang zum eigenen, entfremdeten Körper zu bekommen. Tenser ist für diese Leute ein Held, obwohl er sich die neuen Schöpfungen seines Körpers spektakulär herausreißen lässt und damit letztlich dem Alten huldigt. Einem Alten, dem offenbar auch die Hauptarbeit der, wie auch immer gearteten, Regierung gilt, die sich jedenfalls die Kontrolle über die Körper der Bürger fest auf die Fahnen geschrieben hat.

Cronenberg hat das Drehbuch in den späten 90ern geschrieben. Er bekam nun einen Anruf von einem Produzenten, der ihn fragte, ob ihm bewusst sei, dass es sich derzeit aktueller denn je anfühle. Und tatsächlich, in Zeiten von Klimawandel, in einer post-Covid Welt, fühlt sich dieser Film erstaunlich aktuell an. Gleichzeitig aber ist er auch eine Rückschau auf das alte Oeuvre von Cronenberg. Die Versmischung von Operationen und Erotik etwa lässt Erinnerungen an ‚Crash‘ aufkommen, die organische Technologie an ‚Naked Lunch‘. Aber Cronenberg verliert sich hier keinesfalls in Nostalgie, etwas, was ich in seinem Falle auch sehr, sehr merkwürdig fände. Nicht dass ich nicht vieles an Cronenberg sehr, sehr merkwürdig finde…

Natürlich ist es genau diese Merkwürdigkeit, die den Film funktionieren lässt. Cronenberg schafft hier eine kaum erklärte, in sich erstaunlich kohärente, wenn auch oft genug undurchschaubare Welt. Eine Welt, die so weit ab vom modernen Blockbuster mit seinen Origin-Stories und seinen ewigen Erklärungen ist, wie sie nur sein kann. Eine wunderbar abgefuckte Welt, bevölkert von seltsam-abschreckenden Charakteren, an der ich mich dennoch kaum sattsehen konnte und von der ich wahnsinnig glücklich bin, dass sie existiert.

Viggo Mortensen, Cronenbergs häufigster Darsteller seit der Jahrtausendwende irrlichtert zwischen gelacktem Künstler/Kunstobjekt und seltsamem, vermummten Aussätzigem, der sich röchelnd, spuckend und um Luft ringend durch Hintergassen drückt. Kristen Stewart gibt ihre Timlin als vibrierendes Bündel unter aufgezwungenen Komplexen begrabener Lust und Léa Seydoux die verzweifelte Künstlerin auf der Suche nach etwas, dass es sich zu sagen lohnt. Scott Speedman perfektioniert indessen das bedrohliche Essen von etwas, was ich anfangs für Schokoriegel hielt, sich aber als etwas ganz anderes entpuppte. „Gern“ hat man sicher niemanden von ihnen, aber es ist faszinierend sie anzuschauen, ob sie sich nun gerade selbst aufschneiden oder nicht.

Und doch fehlt mir in dem Film teilweise die Wucht der frühen Cronenbergs. Tonal sind wir hier weit näher an der bitteren Introspektive seiner späten Filme, als der offenbarten Freude am körperlichen Verfall, präsentiert als Schönheit seiner frühen Werke. ‚Crimes of the Future‘ ist ein erstaunlich stiller Film, mit einem erstaunlich stillen Ende und ja das fühlt sich seltsam an über einen Film zu schreiben, der Nahaufnahmen von Operationen zeigt und Bohrmaschinen, die sich in Köpfe drillen. Und dennoch stimmt es.

Wem würde ich ‚Crimes of the Future‘ empfehlen? Tja, vor allem Cronenberg Fans. Also Fans seines gesamten Schaffenszeitraums, nicht nur der Body Horror Ära oder der späteren Filme. Insgesamt ist es sicherlich nicht einer seiner quintessentiellen Filme, doch, wie oben erwähnt, ich bin sehr froh, dass es ihn gibt!

‚Die Fliege‘ (1986) – „Be afraid, be very afraid!“

Remakes haben, nicht unbedingt zu Unrecht, einen miserablen Ruf bei Filmfans. Das gilt vermutlich doppelt für Horrorfans. Dabei sind einige Filme, die heute als absolute Klassiker gelten, ihrerseits Remakes. John Carpenters ‚Das Ding aus einer anderen Welt‘ etwa. Oder eben David Cronenbergs ‚Die Fliege‘. Der beruht auf dem Film ‚Die Fliege‘ mit Vincent Price von 1958. Der wiederrum eine exakte Verfilmung der gleichnamigen Geschichte von George Langelaan war. Tatsächlich kam Cronenberg eher zufällig zu dem Projekt. Der ursprüngliche Regisseur sprang in Folge einer persönlichen Tragödie ab und Produzent Mel Brooks (ja, der), wandte sich an Cronenberg. Der hatte den originalen Film als Kind gesehen und albern gefunden. Auch das neue Drehbuch fand er nicht besonders. Einzig die Idee des stetigen körperlichen Verfalls des Hauptcharakters sprach etwas im Meister des „body horrors“ an. Er ließ sich vertraglich zusichern das Drehbuch komplett umschreiben zu dürfen und stieg ein. Er strich die Figuren auf ein absolutes Mindestmaß zusammen, änderte Figurenkonstellationen und alle Dialoge. Das Ergebnis wurde der erste große Kassenerfolg für Cronenberg, inklusive jeder Menge positiver und negativer Aufmerksamkeit.

Journalistin Veronica Quaife (Geena Davis) trifft den exzentrischen Wissenschaftler Seth Brundle (Jeff Goldblum), der ihr begeistert sein Geheimprojekt, ein Teleportationsgerät zeigt. Da bislang nur nichtorganische Materie transportiert werden kann, bittet er sie mit einer Veröffentlichung zu warten, bis das Gerät bereit ist Menschen zu teleportieren. Sie willigt ein, solange sie seine Arbeit dokumentieren darf. Bald beginnen beide auch eine romantische Beziehung, sehr zum Missmut von Veronicas Redakteur und Exfreund Stathis (John Getz). Eines Nachts beschließt Seth, betrunken und eifersüchtig, einen Selbstversuch zu unternehmen. Doch außer ihm ist unbemerkt noch eine Fliege in der Teleportationskammer. Fühlt er sich anfangs besser als je zuvor, mit erhöhter Stärke und Geschicklichkeit, beginnen die mit seinen vermischten Gene der Fliege bald immer dominanter ausgeprägt zu werden. Sein Körper und Geist werden immer weniger menschlich. Noch dazu erhält Veronica eine schockierende Mitteilung.

Nein, Cronenberg scheint sie nicht besonders zu schätzen, die Körper. Jene Fleischsäcke, in denen wir unsere Existenz verbringen, die wir hegen und pflegen können so viel wir wollen und die uns am Ende doch immer im Stich lassen werden. Damit ist der Kanadier in Hollywood, das dem Ideal des perfekten Körpers verschrieben ist, natürlich automatisch ein Fremdkörper. Hat er zum Zeitpunkt dieses Films schon einen hässlichen Sorgerechtsstreit filmisch in ‚Die Brut‘ verarbeitet, einen Kopf in ‚Scanners‘ explodieren lassen und James Woods in ‚Videodrome‘ eine pulsierende VHS in eine Loch in seiner Brust schieben lassen, waren das doch Filme, die man suchen musste. Dieser hier wurde von FOX vertrieben und war so in quasi jedem Lichtspielhaus zu finden. Plötzlich sah sich ein argloses Publikum damit konfrontiert, wie Jeff Goldblum das Ohr abfiel und er sich die Fingernägel herauszieht. Haufenweise soll zorniges Publikum den Film verlassen haben und auch die Kritik war eher gespalten. In der deutschen, kontemporären Kritik kann man etwa noch einen Text des selbsternannten „Dr. Horror“ Rolf Giesen finden, der nachdem ihm „speiübel“ wurde, den Film am liebsten verboten gesehen hätte und für das „kranke Muttersöhnchen“ Cronenberg nur kalten Zorn übrig hatte.

Krankheit ist denn auch ein gutes Stichwort. Denn Krankheit ist offensichtlich das zentrale Thema des Films. Krankheit und was sie mit dem Betroffenen selbst und seiner Umgebung macht. Cronenberg selbst sagt, der Film war eine Reaktion auf die oftmals romantisierte Form von Krankheit, wie man sie in Film oder Seifenoper sieht, als ein stilles, edles Leid, nachwievor wunderschöner Leute. Was Cronenberg widerwärtig fand. Womit wir wieder beim „körperlichen“ Konflikt zwischen Hollywood und Cronenberg wären. Zum Erscheinen des Films sahen viele Kritiker einen Kommentar auf die AIDS-Epidemie, den Cronenberg zwar nicht geplant hatte, aber als Interpretation nachvollziehbar findet. Bei ihm jedenfalls ist Krankheit schrecklicher, grotesker Verfall. Und der wird umso schlimmer, da wir unter all dem grotesken Make-up und dem schmierigen Gummianzug immer noch Goldblums große, traurige Augen sehen. Irgendwo im unmenschlicher werdenden Handeln der „brundlefly“ noch den Menschen erahnen.

Und hier werden die Darsteller eben ganz wichtig. Goldblum bekam die Rolle nur, weil jeder vor ihm dankend abgelehnt hatte. Er konnte zwar schon auf eine recht lange Filmkarriere zurückblicken, ein echter Star war er aber eher nicht. Schreckte aber eben auch nicht vor täglichen, mehrstündigen Make-up Sitzungen zurück. Aus heutiger Sicht ist es sehr schwer sich irgendjemand anderen in der Rolle vorzustellen. Goldblum darf sein nerdiges Charisma hier voll ausleben, als Wissenschaftler mit 5 exakt gleichen Kleidungssets im Kleiderschrank, der zum ersten Date in den Burgerschuppen lädt. Doch genau wie Veronica können wir uns als Zuschauer seinem Charme nicht entziehen und so ist es nicht nur purer Ekel, den wir empfinden, wenn er beginnt Verdauungsenzyme auf seine Nahrung zu kotzen, es ist auch Empathie. Die empfinden wir auch für Davis‘ Veronica. Anfangs weil ihr ihr Chef, der übergriffige Widerling Stathis (war ein Vollbart eigentlich in den 80ern ein typisches Merkmal für Schmierlappen im Film?) nachstellt, später aufgrund ihrer… komplizierten Beziehung zu Seth. Die Chemie zwischen Goldblum und Davis, die zu diesem Zeitpunkt auch noch eher unbekannt war, ist ebenso wichtig für das Gelingen des Films, wie Chris Wallas schmodderige Kreatureneffekte.

Es heißt immer Cronenberg würde keine Sequels drehen. An der Fliege wird deutlich, dass das nicht immer an ihm liegt. Er schlug Mel Brooks ein Sequel vor, das der aber als „zu anders“ ablehnte und stattdessen Effektmann Wallas selbst eine Fortsetzung drehen ließ, der leider die meisten Qualitäten des Originals außer den Schmoddereien fehlten. Als er 2009 hörte, dass FOX nach einem Regisseur für ein Remake suchte, schlug er stattdessen vor selbst ein Sidequel, einen weiteren Film im selben Universum zu inszenieren. FOX lehnte ab, verzichtete aber auch auf das Remake.

Ihr braucht vermutlich nicht meine Rezension, die Euch sagt, dass ‚Die Fliege‘ einer der großen Horrorklassiker ist. So sehr, dass man ihn heute lieber „Reimagining“ als Remake nennt. Dabei tut er nur das, was ein wirklich gutes Remake tun sollte: setzt dem bekannten Stoff unübersehbar den Stempel seines Machers auf. Und wenn ‚Die Fliege‘ nicht essentieller Cronenbergscher body horror ist, dann weiß ich auch nicht.

Das ist auf Youtube! John Landis, John Carpenter und David Cronenberg ‚Fear On Film‘

Jetzt, wo hier gerade ein 80er Quiz läuft und ich viel zu viel über Horrorfilme schreibe, ist vermutlich der perfekte Moment, um dieses Kleinod zu verlinken. Drei absolute Größen des Genres werden interviewt von Mick Garris, der einige Jahre später selbst für einige Stephen King Umsetzungen verantwortlich zeichnen sollte. Ein durchaus intelligentes Gespräch über die Unsterblichkeit des Horror Genres, Gewaltdarstellungen und Altersfreigaben, praktische Spezialeffekte und den Horror sie drehen zu müssen. Und so schmerzhaft 80er, dass es brummt (das Aroma kalten Rauchs ist fast spürbar).

Zwei der Regisseure waren zu diesem Zeitpunkt mit dem Dreh ihrer „besten Filme“ (das ist offensichtlich Geschmacksache) John Carpenter mit ‚Das Ding aus einer anderen Welt‘ und Cronenberg mit ‚Videodrome‘ (ein Film, der seine volle Wirkung wohl am besten entfaltet, wenn man ihn spät nachts zufällig auf irgendeinem Privatsender sieht). John Landis dagegen arbeitete an einem Film, der ihn aus weit tragischeren Gründen  in die Schlagzeilen bringen sollte. Beim Dreh seines Teils des Anthologie-Films ‚Unheimliche Schattenlichter‘ kamen, bei einem Unfall drei Menschen ums Leben, sechs weitere wurden verletzt (Landis weigert sich bis heute dafür Verantwortung zu übernehmen).

Cronenbergs Darstellung der kanadischen Zensur ist reichlich erschreckend und ich frage mich, ob das bis heute so unnachgiebig behandelt wird.

Carpenter-Griesgram-Level: gering bis mittel (zum Ende hin steigend)