‚Doctor Sleeps Erwachen – Director’s Cut‘ (2019) – „Won’t you help me, Dr. Sleep?“

Ich weiß nicht mehr genau von wem ich zum ersten Mal von diesem Film gehört habe, aber das Gespräch darüber spielte sich in etwa folgendermaßen ab:

Überbringer erstaunlicher Botschaften: „Ey, sie machen ein Sequel zu ‚The Shining‘!“

Ich: „Was? Warum?“

ÜeB: „Danny Torrance ist jetzt erwachsen und jagt Vampire!“

Ich: „Oh, [pieps] mich am [piep]!“

Damit war die Sache für mich dann auch direkt durch. Ja, das Sequel basiert auf Stephen Kings Fortsetzung zu seinem Roman, aber wenn etwas mal wirklich keiner Fortsetzung bedarf, dann doch wohl ‚The Shining‘. Dann gingen ein paar Jahre und eine Pandemie ins Land und ich wurde halt doch irgendwie neugierig. Und nun habe ich den Director’s Cut gesehen und fand den überraschend gut. Wirklich gut sogar. Ich weiß, ich bin auch erstaunt. Die Kinofassung kenne ich nicht, könnte mir aber vorstellen, dass die deutlich schwächer ist. Aber dazu unten mehr, fangen wir am Anfang an.

Danny Torrance (Ewan McGregor) hat nach Jahrzehnten des traumatisierten Wanderns in einer Kleinstadt an der nördlichen Ostküste der USA seinen Frieden gefunden. Er arbeitet hier als Pfleger in einem Sterbehospiz. Sein „Shining“ benutzt er, um das Sterben für die Patienten zu einem friedlichen Einschlafen zu machen, weshalb er von ihnen „Doctor Sleep“ genannt wird.
Seit Jahrhunderten macht eine Gruppe von Individuen Jagd auf Kinder mit jenen Fähigkeiten, die Danny „Shining“ nennt. Angeführt werden sie von Rose (Rebecca Ferguson). Als sie im Mittleren Westen einen Jungen brutal ermorden, um sich mit seiner Energie ein längeres Leben zu erkaufen, bekommt das Abra (Kyliegh Curran), eine junge Teenagerin mit erstaunlich mächtigem Shining, auf psychischem Wege mit. Sie wendet sich an Danny, der in ihrer Nachbarstadt wohnt. Beide hatten sich bereits vorher anhand ihres Shinings erahnt, doch nun benötigt Abra Hilfe. Denn Rose hat auch sie gespürt und nun steht sie auf dem Speiseplan der Energievampire ganz oben. Und möglicherweise ist das einzige Mittel gegen eine Bande hungriger Vampire ein altes Haus voll mörderischer Geister…

Horror und insbesondere der Horrorfilm bringt nicht eben viele Epen hervor. Sicher, der Schrecken dräut oft aus unvorstellbaren Zeitaltern, doch die Handlung an sich behandelt meist eine eher kurze Zeitspanne, schon um den Gruselfaktor zu halten. ‚Doctor Sleeps Erwachen‘ hingegen umfasst 38 Jahre und fast den gesamten nordamerikanischen Kontinent. Und es ist geradezu erstaunlich, wie viele Bälle Regisseur Mike Flanagan hier gleichzeitig jongliert. Er präsentiert uns Danny Torrance als von der Vergangenheit heimgesuchten Mann, führt mit Abra eine charismatische, neue Figur ein, schafft mit den mörderischen Vampir-Parasiten des „True Knot“ einen fiesen Gegner mit langer Hintergrundgeschichte, macht den Geist selbst zu einem Schlachtfeld zwischen gut und Böse und schafft natürlich auch noch ein Sequel zu Kubricks ‚The Shining‘. Es ist nichts weniger als erstaunlich, wie viele dieser Bälle er in der Luft zu halten mag.

Der Film beginnt wenige Wochen nach dem Ende von ‚The Shining‘. Und Flanagan hat sich allein dafür eine Einladung auf ein Getränk seiner Wahl verdient, dass er die bekannten Charaktere nicht mit furchtbaren CGI Masken darstellt, sondern neu castet. Ja, das geht! Und was für ein inspiriertes Casting das ist! Insbesondere Carl Lumbly als Scatman Crothers/Dick Halloran (s Geist) und ‚Starry Eyes’s Alex Essoe als Shelley Duvall/Wendy Torrance fangen brillant die Essenz der ursprünglichen Darstellungen ein. Henry Thomas als Jack Nicholson/Jack Torrance bleibt etwas flach. Aber Nicholson spielte die Rolle so nah an der Eigenparodie, dass ich einem Darsteller hier etwas Vorsicht kaum übelnehmen kann. Es ist extrem merkwürdig diese Szenen zu sehen, so gut fängt Flanagan hier den Geist des Films ein, dass man sich fast fragt, ob es immer schon einen Epilog in Florida gab.

Der Schritt zu Danny als zunächst am Geschehenen fast zerbrochenen, dann noch später als gefestigtem Überlebenden ist sehr gut gelungen. Ewan McGregor ist großartig in der Rolle. Eine Ansprache, die Danny vor seiner anonymem Alkoholiker Gruppe hält, wie er sich seinem monströsen, toten Vater immer dann nahefühlte, wenn er sich bis zur Bewusstlosigkeit betrank fühlt sich geradezu schmerzhaft wahrhaftig an. Und humanisiert gleichzeitig Jack Torrance. In Bezug auf seine Fähigkeiten hat er gelernt sie nur vorsichtig einzusetzen. Nicht gesehen zu werden und unauffällig zu bleiben. Das (dis-)harmoniert wunderbar mit Kyliegh Currans Abra, die mit der moralischen Eindeutigkeit des Teenagers natürlich alles tun will um die „True Knot“ zu stoppen. Gelegentlich kommt der Film hier einem ‚X-Men‘ (junges Mädchen mit „Superkräften“ und älterem nicht ganz willigem Lehrer) etwas nahe, bleibt aber immer eigen in seiner Tonalität.

Rebecca Fergusons Rose und ihr „True Knot“ sind denn auch entsprechend widerlich und gleichzeitig monströs charismatisch. Flanagan weiß genau was er tut, wenn er Rose das erste Mal an einem Fluss auftauchen lässt, an dem ein kleines Mädchen Blumen pflückt. Eine direkte Hommage an Universals ‚Frankenstein‘. Doch während das Monster dort aus naiver Unschuld tötet, sind Rose und ihre Spießgesellen geradezu monströs überlegt in ihrem brutalen, kindermordenden Vorgehen.

Visuell überzeugt der Film am meisten, wenn sich Abra und Rose in den Kathedralen und Lagerhäusern ihres Geistes gegenüberstehen. Mit allerlei Kameratricks schafft Flanagan hier eine Welt, die kaum anders von der unseren scheint und in der doch alles möglich ist.

Am schwächsten ist der Film dann aber leider im dritten Akt, wenn (den wenig überraschenden Spoiler muss sich mir erlauben) die handelnden Personen zum Overlook Hotel kommen. Man war erkennbar stolz darauf, die Kulissen exakt nachgebaut und 40 Jahre gealtert zu haben. Leider so stolz, dass Flanagan mehrere Szenen aus ‚The Shining‘ exakt mit neuer Besetzung nachstellt. Vorher gab es im Film auch schon überdeutliche Hommagen, hier aber wird es so direkt, dass es mich aktiv von der Handlung ablenkt. Ja Mike, ich glaub Dir, dass Du ‚The Shining‘ kennst und voll gut findest. Ich auch. Können wir jetzt trotzdem weitermachen? Und ich bin mir nach dem ersten Ansehen nicht sicher, ob das Ende des Films tonal zu der Aussage passt, die der Rest des Films anstrebt.

Denn während ‚The Shining‘ als ein zentrales Element die Sucht und ihre Zerstörungskraft hatte, zeigt ‚Doctor Sleeps Erwachen‘ den Umgang, das Leben mit Trauma und Sucht. Der „True Knot“ gibt sich seiner Sucht vollkommen hin, während Danny einen Weg findet sich aktiv mit ihr auseinanderzusetzen und letztlich seinen Frieden zu machen. Das Ende ist da… schwierig. Aber das soll nicht heißen, dass der dritte Akt mir den Film vermiest hätte. Er ist nur erkennbar schwächer als der Rest, eben weil er so sehr an das große Vorbild gekettet ist.

Ich bin normalerweise nicht der größte Fan von langen Filmen. Aber Flanagans Film fühlt sich zu keinem Moment zügellos an, sondern jede Minute wird exakt genutzt. Wenn ich das mit der letzten drei Stunden Verfilmung eines King-Stoffes vergleiche, die ich gesehen habe, ‚ES Kapitel 2‘, dann platzt dieser Film inhaltlich fast aus allen Nähten, so viel steckt im Vergleich drin. Daher vermute ich auch, dass die Kinofassung mit ihren 30 Minuten weniger deutlich schwächer ist. Ich habe jedenfalls keine 30 Minuten gesehen, die man verlustfrei schneiden könnte. Ich kenne die Buchvorlage nicht, weiß daher nicht was fehlt (nehme aber mal an, das Ende muss deutlich anders sein, aufgrund der Unterschiede zwischen ‚The Shining‘ Film und Vorlage) aber der Film zumindest fühlt sich für mich weitgehend  rund an.

Rund ist denn auch ein sehr gutes Schlusswort. Ja der Film klingt bizarr in einer auf einen Satz heruntergebrochenen Beschreibung. Nein, ‚The Shining‘ bräuchte in der Tat keine Fortsetzung. Aber für diese überflüssige Voraussetzungen ist der vorliegende Film einfach verdammt rund, solange man bereit ist, sich auf ihn einzulassen.