Lasst uns über Filme klönen: Warum Horror?

Teil 1: Theater, Mord und Politik

Im Herbst des Jahres 1962 schloss das Pariser „Théâtre du Grand Guignol“ seine Pforten. Das mit weniger als 300 Plätzen für Pariser Verhältnisse winzige Theater war 1897 gegründet worden. Ein Abend bestand aus einer Handvoll kurzer Vorstellungen. Waren anfangs vor allem derbe Komödien erfolgreich, zeigte sich schnell, dass sich das Publikum vor allem für die Horror-Stücke begeisterte. Grausamkeiten aller Art, Mord, Folter, Vergewaltigung, brutale Rache aber auch Krankheit und Krieg wurden dem Publikum hier in möglichst blutigem Detail präsentiert. Schauspielerin Paula Maxa schätzt, dass sie zwischen 1917 und 1930 etwa 10.000 mal auf mindestens 60 verschiedene Arten ermordet wurde1. Den Grund für das Anfang der 60er Jahre schwindende Interesse suchte Charles Nonon, der letzte Direktor des „Grand Guignol“, im 2. Weltkrieg und im Holocaust. Nichts könne diesen wahren Schrecken gleichkommen, meinte er. Da hat er sicherlich Recht. Doch da war noch etwas Anderes, etwas dem sein nicht sehr altes und nicht sehr ehrwürdiges Theater nichts entgegenzusetzen hatte. Der Unterhaltungsmoloch des 20ten Jahrhunderts hatte zu ihm aufgeschlossen: der Film. Auch die Filmemacher, ebenso wie das Publikum hatten die unfassbaren Schrecken des Krieges gesehen, hatten gesehen, was Menschen bereit sind einander anzutun. Nach einer Pietätsphase von 15 Jahren tauchten diese Schrecken nun im Film auf. Die Schreckgestalten wurden Menschen, wie Du und ich. ‚Psycho‘ (1960) aus den USA, ‚Peeping Tom‘ (1960) aus Großbritannien, ‚Les Yeux sans Visage‘ (1960) aus Frankreich oder ‚Onibaba‘ (1964) aus Japan. Die Täter waren Menschen, wie die Opfer und die Taten erreichten eine neue Qualität blutiger Grausamkeit, z.B. in ‚Blood Feast‘ (1963), der allgemein als erster Splatterfilm gilt. Diese Filme schienen förmlich hervorzubrechen, der Zeitgeist nach ihnen zu verlangen. Es war eine kleine Revolution im Horrorfilm und nicht die erste. Weiterlesen