‚Aus dem Nichts‘ ist schon ein wenig ein Paradoxon bevor man ihn gesehen hat. Einerseits ist es der erste Film von Fatih Akin, der auch international auf großes Interesse gestoßen ist. Auf weit mehr, möchte man meinen, als sein eigentlich international gemeinter ‚The Cut‘, um den Völkermord an den Armeniern. In Deutschland hingegen wurde dem Film von der Kritik eine ungewöhnlich kalte Schulter gezeigt. Aus seinem Film, der vor Eindrücken aus der NSU Mordserie entstanden ist, habe Akin wenig mehr als einen Krimi auf TV Niveau gemacht, so liest man nicht selten. Doch woher dann das internationale Interesse? Liegt es an der Thematik? Nazi-Anschläge in Deutschland? Liegt es an der international bekannten Hauptdarstellerin Diane Kruger in ihrem ersten (größtenteils) deutschsprachigen Film? Es gibt natürlich einen recht einfachen Weg das herauszufinden, nämlich den Film zu schauen. Das habe ich jetzt, nur drei Jahre verspätet, auch gemacht.
Normalerweise würde hier jetzt ein kurzer Anriss der Handlung stehen. Doch Akin teilt seinen Film in drei Kapitel ein. Drei Kapitel sowohl in Personal als auch in Ästhetik distinkt genug, dass sie beinahe eigene Filme sein könnten. Ich will sie nicht gänzlich für sich besprechen, das würde dem Ganzen nicht gerecht, dennoch lohnt es sich zumindest einen Blick auf die einzelnen Teile zu werfen.
Das erste Kapitel, Familie genannt, beginnt mit einer Rückblende. Die hamburger Kunststudentin Katja (Kruger), heiratet im Gefängnis ihren Haschisch-Dealer, den Deutschkurden Nuri Sekerci (Numan Acar). Als wir sie einige Jahre später wiedertreffen ist Nuri, der im Gefängnis BWL studierte, lange entlassen, dealt nicht mehr und betreibt ein Übersetzungs-, Steuerhilfe- und Reisebüro speziell für türkischsprachige Kunden. Als Katja den gemeinsamen 5jährigen Sohn Rocco für den Nachmittag bei ihrem Mann abliefert, findet sie abends die Straße abgesperrt. Vor dem Büro ist eine Nagelbombe explodiert, ihr Mann und Sohn sind tot. Die kommende Zeit wird für Katja annähernd unerträglich. Die Polizei scheint mehr daran interessiert gegen Nuri zu ermitteln, eine Frau, die Katja dabei gesehen hat wie sie ihr Fahrrad vor der Tür des Büros abgestellt hat wird von der Presse grundlos zur „Osteuropäerin“ erklärt, selbst ihre Mutter kann sich rassistische Bemerkungen nicht verkneifen und Nuris Eltern wollen die Leichen ihres Sohnes und Enkels mit in die Türkei nehmen, wohin sie zurückkehren. Selbst das Mutterglück ihrer besten Freundin Birgit wird ihr unerträglich. Gerade noch rechtzeitig für sie nimmt die Polizei ein junges Nazi-Pärchen fest.
Der Beginn des Films ist unheimlich stark und führt für sich allein schon ‚Tatort‘-Vergleiche ad absurdum. Kruger liefert eine absolute Tour de Force ab. Kaum eine Einstellung gibt es, in der sie nicht zu sehen wäre, zahllose Nahaufnahmen, die ungeschönt die Verwüstung der Tat auf ihrem Gesicht zeigen. Das verstärkt Akin gekonnt mit dem Rest seines cinematischen Ausdrucks. Ihre anfängliche Wut wandelt sich immer mehr zu Verzweiflung. Der schöne Vorstadtbungalow der Sekercis wird dabei zum gläsernen Sarg, der seine unerträgliche Leere geradezu herausschreit. Polizei und Presse begegnen der Untat mit der (mehr oder weniger) unausgesprochenen Idee, dass Nuri die Tat doch irgendwie „verdient“ haben müsse. Akin verzichtet auf jegliche Darstellung der Gewalt, was eine filmische Metapher, die das emotionale Blutbad, das die Tat bei Katja angerichtet hat nur umso stärker wirken lässt.
Dann folgt das zweite Kapitel, Gerechtigkeit. Quasi ein Gerichtsfilm. Hierbei muss gesagt werden, dass Akin an seinen Tätern und ihrer Motivation keinerlei Interesse zeigt. Ihre Schuld zweifelt der Film zu keiner Zeit an. Das ist an und für sich auch ein durchaus verständlicher Ansatz, allerdings ist das schwierig für einen Gerichtsfilm. Der besteht ja grundsätzlich aus einem rhetorischen Ballwechsel beider Seiten. Doch was tun, wenn die eine Seite gar keinen Ball hat? Die Antwort ist, wie so oft in Gerichtsdramen, die Karikatur eines Verteidigers. Anwalt Haberbeck (Johannes Krisch) scheint die Boshaftigkeit schon ins Gesicht geschrieben und jeden Zweifel räumt er aus, wenn er mit einer direkten Attacke auf Katja startet. Ich mag Gerichtsfilme grundsätzlich nicht gerne. Sie sind selten cinematisch. Akin gibt sich hier alle Mühe mit Overhead-Shots und Hitchcock-Zooms einen Film daraus zu machen, ganz gelingen will es ihm nicht. Das soll nicht heißen, dass es in diesem Teil keine funktionierenden Szenen gibt. Hier findet sich sogar eine stärksten, wenn eine medizinische Sachverständige emotionslos die Verletzungen von Rocco herunterliest und dabei viel zu häufig Phrasen wie „vollständige Ablösung“ verwendet und die Platzierung von Zimmermannsnägeln im Torso beschreibt. Akin hält die Kamera dabei die ganze Zeit auf Katja, bis es fast unerträglich zu werden droht. Einen starken Moment hat auch Ulrich Tukur als Vater eines der Täter, der sie bei der Polizei gemeldet hat. Er scheint vor den Kopf gestoßen und überfordert, dabei durchaus sympathisch. Allerdings fällt es uns als Zuschauer schon beinahe so schwer wie Katja seine plumpe Idee der Versöhnung, er lädt sie zu Kaffee und Kuchen, nicht mit einem gewissen Misstrauen zu begegnen.
Dieses Kapitel ist ein wenig plump und hat halt, zumindest für mich, das Problem, dass es ein Gerichtsfilm ist, die einfach selten funktionieren. Krugers Darstellung bleibt der starke Leitfaden auch in diesem Kapitel.
Das dritte Kapitel trägt den Titel Das Meer. Über dieses kann ich aus Spoilergründen nicht viel sagen. Das ist aber auch in Ordnung, ich hätte eh nicht allzu viel anzubringen. Akin will hier den Michael Kohlhaasschen Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit aufzeigen (womit ich, zugegeben, wohl auch den Ausgang des zweiten Kapitels indirekt gespoilert habe) und welch fatale Folgen dieser haben kann, landet letztlich aber in den sattsam bekannten Genregrenzen des Rachefilms. Krugers Spiel bleibt auch weiterhin die größte Stärke des Films, doch fand ich hier erstmals das Handeln der Figur weniger nachvollziehbar, was nicht an ihr, sondern eher am Buch lag. Dessen Antwort scheint in letzter Konsequenz ein verzweifeltes Schulterzucken zu bleiben.
Letztlich bleibt ‚Aus dem Nichts‘ für mich ein unebener Film. Ich denke den NSU Terror als reinen Hintergrund zu nehmen und in ein rein fiktives Szenario (wenn auch mit direkten Bezügen auf reales Geschehen) umzubauen war eine gute Idee. Dem Ganzen könnte ein einziger Film nie gerecht werden und eine Konzentration auf einzelne Geschehnisse wäre ebenfalls schwierig. Ein wenig fehlt mir vielleicht der gerechtfertigte Zorn im Film. Zorn nicht einmal so sehr über die Tatsache, dass Nazis über Jahre Morde begehen konnten, sondern über das Totalversagen der Ermittlungsbehörden und ihr selbstgerecht-feixender („Dönermorde“) Umgang damit. Henning Pekers Ermittler im Film verläuft sich in die falsche Richtung, scheint dabei aber fast überlegter und engagierter als ein Großteil des realen Personals. Dass der Film am Ende nicht wirklich Antworten hat, das kann und will ich ihm kaum vorwerfen. Antworten zu finden ist sicher nicht die Aufgabe von Fatih Akin. Dass wir jedoch Antworten brauchen, die über das bedauernde Kopfschütteln, dann aber auch weiter wie vorher von Ulrich Tukurs Charakter hinausgehen, das lässt sich, auch in der Post NSU Zeit, nicht wirklich abstreiten.
Ein echtes Fazit zum Film fällt mir schwer. Ich fand ihn keinesfalls schlecht, aber zu meinem Lieblings-Akin wird er es auch kaum bringen. Getragen wird er, das lohnt es zu wiederholen, von der rohen, ungeschönten Darstellung durch Diane Kruger, die hier möglicherweise ihre beste Arbeit abliefert und zum absoluten Herzstück des Films wird. Das allein, lässt mich ob des allgemeinen Tonfalls des deutschen Feuilletons von wegen „TV Krimi“ die Stirn runzeln. Da macht mich die Tatsache, dass Akins Neuester, ‚Der Goldene Handschuh‘, die Kritik geradezu in zorniges Brüllen versetzt hat ja schon fast wieder neugierig…