‚Die Nacht des Jägers‘ (1955) – „A hard world for little things“

In den 50er Jahren war das Hollywood Studio-System noch weitgehend intakt. Es gab Filme, die man machte und es gab Filme, die man nicht machte. Film Noir mit seinen moralisch fragwürdigen Charakteren war durchaus akzeptiert. Aber eine Geschichte um einen misogynen Serienmörder, der sich auch noch als Prediger ausgibt, erzählt aus der Perspektive von Kindern? Eine Mischung aus Märchen und southern gothic-Alptraum, angereichert mit Thriller-Elementen, Film Noir und der visuellen Wucht des deutschen Expressionismus der 20er Jahre? Inszeniert von einem Charakterdarsteller, der nie zuvor (Film-)Regie geführt hat? Das machte man in den 50ern in Hollywood bestimmt nicht und so stieß der Film bei Erscheinen sowohl bei Kritik als auch bei Publikum auf Unverständnis und Ablehnung.

Dieser erwähnte Charakterdarsteller, der Brite Charles Laughton, hatte das Glück mit dem Bühnen- und Fernsehproduzenten Paul Gregory befreundet zu sein, der auch ins Filmgewerbe einsteigen wollte. Da er schon auf der Bühne häufiger mit Laughton in Regie-Funktion zusammengearbeitet hatte, kaufte er die Rechte an dem erfolgreichen Roman ‚The Night of the Hunter‘ von Davis Grubb der 1953 erschien. Denn Laughton war ziemlich beeindruckt von dieser Serienmörder-Geschichte, die während der Großen Depression der 30er Jahre spielte. Und so wurde ein Film gemacht, der eigentlich nicht gemacht würde. Da Laughton bei seinen Schauspiel-Kollegen allgemein beliebt und respektiert war, fiel es ihm nicht schwer einen imposanten Cast zusammenzustellen. Neben Robert Mitchum, den Roger Ebert einmal die „Seele des Film Noir“ genannt hat und der hier seine beste und definitiv monströseste Darstellung abliefert, ist das vor allem Lillian Gish. Der vielleicht erste große Star des amerikanischen (Stumm-)Films, hier in einer ihrer mittleren Rollen, denn sie würde ihre beeindruckende Karriere noch bis 1987 und damit für insgesamt 75 Jahre fortsetzen.

Doch kommen wir erst einmal zur Geschichte. Der selbsternannte Prediger Harry Powell (Mitchum) hat nicht nur eine ganz eigene Interpretation des christlichen Glaubens, symbolisiert durch ein Ringen seiner Hände, auf deren Knöchel „LOVE“ und „HATE“ tätowiert sind, er macht sich auch an alleinstehende Frauen heran, heiratet sie, misshandelt sie und ermordet sie schließlich, um sich mit ihren mageren Ersparnissen davonzumachen. Als er wegen Autodiebstahls im Gefängnis sitzt, hört er von seinem zum Tode verurteilten Zellengenossen, der habe seine Raubbeute versteckt und nur seine Kinder wüssten wo. Alsbald steht Powell bei der Witwe (Shelley Winters) auf der Matte und gibt sich als Gefängnis-Seelsorger aus, der sich nun, nach der Hinrichtung des Familienvaters, um die Familie kümmern möchte. Sohn John (Billy Chapin) traut dem Mann zwar nicht über den Weg, doch seine Schwester Pearl (Sally Jane Bruce) ist schnell von der sich tatsächlich kümmernden Vaterfigur angetan. Schnell wird die willensschwache Willa vom Rest der Dorfbevölkerung in eine Beziehung und schließlich zur Hochzeit mit dem Prediger gedrängt. Doch als seine Befragungen der Kinder nach dem Verbleib der Beute immer weniger verblümt werden, eskaliert die Lage. Willa „verschwindet“ und die Kinder ergreifen die Flucht den Fluss hinunter immer verfolgt von der finsteren Gestalt des Predigers. Zuflucht finden sie bei der älteren Frau Rache Cooper (Gish), die bereits eine Reihe elternloser Kinder, Opfer der Großen Depression, bei sich aufgenommen hat. Womöglich hat Powell in ihr jemanden gefunden, bei dem sein Charme nicht verfängt.

Mit starken Kontrasten zwischen Licht und Dunkelheit scheint Laughton gleich am Anfang sagen zu wollen, dass der Film Noir nicht an der Stadtgrenze endet. Auch auf dem Land gibt es moralische Zerrissenheit, ist ein zynischer Blick auf die Institutionen von Staat und Kirche angemessen. Gleichzeitig gelingt es Laughton auch Hitchcockschen Suspense zu schaffen. Meist indem er uns als Zuschauer mehr wissen lässt als die Charaktere. Wir wissen, dass Powell ein Mörder ist, wir wissen lange vor ihm, wo das Geld versteckt ist. Doch vor allem weckt die Lichtsituation, in Verbindung mit Kameramann Stanley Cortezs ungewöhnlichen Perspektiven und der oftmals gewollten Künstlichkeit der Sets Erinnerungen an den deutschen Expressionismus der 20er Jahre. An ‚Das Cabinet des Dr. Caligari‘ oder ‚Der Golem‘. Laughton nutzt diesen Expressionismus allerdings nicht, wie etwa ‚Caligari‘ um Schrecken zu transportieren, sondern eher um eine märchenhafte Atmosphäre zu schaffen. Denn vor dem völlig realen Hintergrund der wirtschaftlichen Depression und eines frauenhassenden Serienkillers ist eine Situation, in der zwei Kinder vor einem mörderischen Stiefvater zu einer gütigen, alten Frau flüchten absolut eine märchenhafte. Besonders deutlich wird dies auf der Flucht der Kinder den Fluss hinunter, immer wieder mit Tierszenen dazwischen geschnitten, in denen Powells Silhouette vor dem Horizont, sicher nicht zufällig, an Lotte Reinigers Scherenschnitt-Märchenfilme aus den 20ern erinnert. In solchen Momenten wirkt ‚Die Nacht des Jägers‘ beinahe wie ein Experimentalfilm. Und im besten Sinne ist er das wohlauch. Es war die erste Filmregieerfahrung eines erfahrenen Bühnenregisseurs, der offenbar so weit weg vom theatralischen wollte wie nur möglich und sich hier ganz mutig ausprobierte.

Den Schrecken transportiert hingegen das Schauspiel von Robert Mitchum. Sein Powell ist monströs, widerwärtig, erbärmlich, grausam und selbstverliebt. Er ist ein hervorragend gespieltes Lehrstück, dass man demjenigen der von sich behauptet das Wort des Herrn besser zu kennen als jeder andere, mit erheblichem Misstrauen begegnen sollte. Dabei lässt der Film offen, wie viel von seinem Glauben (Selbst-)Betrug ist und wie viel psychische Störung. Wenn er im Auto allein ein kumpelhaftes Gespräch mit dem Herrn führt, dann kann man sich da wahrlich nicht mehr sicher sein. Mitchum war damals psychisch selbst in einer schlechten Situation. An beinahe jedem Filmset fiel er durch erratisches Verhalten und Trunkenheit auf. So auch hier. Jahre später erst äußerte er sich, wie schrecklich die Rolle für ihn war, da er sich in seinen finstersten Momenten mehr mit Powell identifiziert hat als ihm lieb war. Shelley Winters war in den 50ern ein Star, eigentlich zu groß für die recht kleine Rolle der armen Willa. Doch Laughton war einer ihrer Schauspiellehrer, daher nahm sie die Rolle an. Sie ist sehr gut im Film, war wohl aber unglücklich, weil sie dadurch später sehr auf die Rolle der willensschwachen Frau festgelegt wurde. Wenn Mitchum das monströse Herz des Films ist, dann ist Gishs Rachel Cooper seine helle Seele. Die „LOVE“ als Gegengewicht zum „HATE“. Sie liefert hier eine geradezu magnetische Performance ab und spätestens, wenn sie sich ein Hymnenduell mit dem das Haus belagernden Powell liefert, erreicht der Film seine höchsten Höhen.

Beim kontemporären Publikum und der Kritik stieß er hingegen auf Unverständnis und Ablehnung. Zu gewollt künstlerisch sei er, zu verzweigt in Nebenhandlungen und was soll eigentlich dieser ganze „Stil“? Warum nicht einfach erzählen? Einer der wenigen internationalen Kritiker, die seine Qualitäten erkannten, war ein junger Francois Truffaut. Doch auch der sagte Laughton voraus, er werde in Hollywood wohl nie wieder arbeiten. Tatsächlich hat er als Regisseur nie wieder gearbeitet. Ob das mehr an seiner (gut belegten) tiefen Enttäuschung über die Reaktion auf ein Herzensprojekt war, oder weil er schlicht kein Geld mehr bekommen hat, ist in der Rückschau schon fast egal. Die Reevaluation seines Filmes in den 70ern zunächst als Kultfilm, dann als wichtiges Werk, würde er jedenfalls nicht mehr erleben. 1962 starb er 63jährig an Nierenkrebs. Heute wird ‚Die Nacht des Jägers‘ in seiner Bedeutung für das US-Kino meist nicht allzu weit hinter ‚Citizen Kane‘ genannt. Popkulturelle Anspielungen finden sich von den Simpsons bis zu ‚The Big Lebowski‘. Visuelle Anspielungen in Filmen wie ‚Der Exorzist‘.

Normalerweise empfehle ich über 60 Jahre alte Filme hier stets mit Einschränkungen. Man muss willens sein, sich auf die andere Erzählweise und -geschwindigkeit einzustellen. Bei ‚Die Nacht des Jägers‘ würde das meiner Meinung nach ins Leere gehen. Denn den Film zeichnet gerade aus, dass er sich wie ein Relikt aus einer anderen Zeit anfühlt. Das tat er in den 50ern und das tut er heute. Doch waren seine Aussagen in den 50ern aktuell, dann sind sie es heute immer noch. Schmierige Demagogen haben nichts an ihrer Gefährlichkeit eingebüßt. Und Powell ist einer der schmierigsten. Ein Film um Schönheit und ihre Zerbrechlichkeit und nichts weniger als ein Meisterwerk.

Reisetagebuch: ‚Tote schlafen fest‘ (1946)

Filmreisechallenge Ziel #16: Film Noir.

Film Noir, die „Schwarze Serie“, eine Reihe von Filmen, die mehr über ihre Ästhetik als über ihren Inhalt gruppiert werden. Kontrastreiche schwarz-weiße Bilder gegenüber verschwimmender Moral. Eine Ikone dieser Filme ist natürlich der ebenso heruntergekommene wie clevere Privatdetektiv in Trenchcoat und Fedora, in den Taschen einen Flachmann und einen Revolver. ‚Die Spur des Falken‘ von 1941 gilt als Begründer des „Genres“. John Huston brachte hier Sam Spade, den Hard Boiled Detective aus der Feder von Dashiell Hammett auf die Leinwand. Verkörpert von Humphrey Bogart, der dadurch zum Superstar wurde. In ‚Tote schlafen fest‘ steht Bogart nun als der andere große Vertreter der amerikanischen Privatschnüffelei vor der Kamera. Philip Marlowe, erdacht von Raymond Chandler.

Los Angeles 1945. Der greise und steinreiche General Sternwood (Charles Waldron) beauftragt Privatdetektiv Marlowe (Bogart) eine Erpressung wegen Spielschulden gegen seine unvernünftige Tochter Carmen (Martha Vickers) unauffällig aus der Welt zu schaffen. Carmens ältere Schwester Vivian (Lauren Bacall) ist allerdings überzeugt, dass etwas komplett anderes hinter dem Auftrag steckt. Und auch wir als Zuschauer fragen uns, was wirklich los ist, wenn sich ein wahrer Reigen von Schlägern, Mördern, professionellen Spielern und verschwundenen Personen vor unseren Augen abspielt.

Nein, die eigentliche Handlung ist wahrlich nicht die Stärke von ‚Tote schlafen fest‘. Anstatt der üblichen Konvention, dass der Detektiv bei der Untersuchung eines kleinen Verbrechens etwas viel größerem auf die Spur kommt, sind es hier eine ganze Reihe von Verbrechen, lose und höchstens lateral verbunden aber dennoch so labyrinthin miteinander verwoben, dass man irgendwann merkt, dass man den Film mindestens ein zweites Mal schauen muss, um der Handlung vollends zu folgen. Wenn denn überhaupt. Der Legende nach haben die Autoren, die das Buch adpatierten (darunter der spätere Nobel-Preisträger William Faulkner) dem Autor der Vorlage Chandler telegrafiert, mit der Frage, wer denn nun eigentlich einen bestimmten Charakter getötet habe. Als Antwort kam lapidar „Keine Ahnung“ zurück. Chandler und auch Regisseur Howard Hawks kommt es weit mehr auf Atmosphäre und Stimmung an. Und die wird perfekt transportiert. Jeder hier hat mehr oder weniger Dreck am Stecken. Keiner ist unschuldig. Und auch Marlowe hat kein großes Interesse an Gerechtigkeit. Er will die Interessen seines Auftraggebers vertreten wissen und er will nicht in den Knast. Wenn man für diesen Zweck mal besser nicht die Polizei ruft, dann ist das völlig vertretbar. Wenn aber jeder so seinen ureigenen Interessen folgt, dann scheint es bald, es entwickelt sich kein großes Mysterium, sondern ein großes Chaos, aus dem keiner unbeschadet herausfinden wird. „Zu viele Waffen in dieser Stadt und zu wenig Hirn“. So fasst Marlowe die Situation einmal ganz passend zusammen.

Wenn das jetzt alles recht finster klingt, dann zu Recht, es ist schließlich ein Noir. Doch was mich wirklich überrascht hat war der Humor des Films. Schon in der allerersten Szene kündigt sich der leichte Ton an. „Sie sind aber ganz schön kurz geraten!“, so begrüßt Carmen den Privatdetektiv. „Naja“, antwortet der, zerknittert aber schlagfertig „das war keine Absicht.“ Hawks bedient sich hier für Wortgefechte reichlich bei der Screwball-Komödie. Und wenn dann noch die beinahe knisternde Chemie zwischen Bogie und Lauren Bacall (die kurz vor den Dreharbeiten geheiratet hatten) zum Tragen kommt, dann ist Unterhaltung garantiert. Wobei die besten Szenen die sind, in denen die scharfzüngige Coolness der beiden Hauptfiguren Risse bekommt und die wahren Menschen dahinter durchscheinen. Überhaupt stattet Bogart seinen Marlowe mit allerlei Charakteristika aus. Lässt er sich direkt nie Nervosität anmerken, durschauen wir bald, dass der Griff an sein Ohrläppchen Unsicherheit transportiert. Wenn er hingegen mit beinahe jeder Frau, die ihm über den Weg läuft wortgewitzt flirtet ist das voll drin im Genre. Wenn er hingegen ausgerechnet die Femme Fatale komplett ignoriert weist das auf ein fast schon parodistisches Verständnis hin. Bacalls Vivian ist hier nämlich keineswegs die Femme Fatale, sie wird ebenso wie Marlowe von den wirren Gezeiten der Handlung hin und hergetrieben. Und als sie sich begegnen empfinden sie, womöglich zum ersten Mal, echte Gefühle für einen anderen Menschen.

Da überrascht es, dass es eine ältere Schnittversion des Films gibt (auf der BluRay zu finden), die weit weniger Szenen zwischen den beiden zeigt und stattdessen versucht Chandlers Geschichte nachvollziehbarer zu machen. In meinen Augen war die Entscheidung hier mehr auf die Beziehung zu setzen exakt die Richtige. Aber es ist schön beide Versionen zu haben.

Gegenüber dem Buch ist einiges geändert. Die Tatsache, dass Erpresser Geiger mit pornografischen Schriften und Bildern handelt, wird etwa nur angedeutet. Seine homosexuelle Beziehung nicht einmal erwähnt. Carmen Sternwood erwartet den überraschten Privatdetektiv nicht etwa nackt in seinem Bett, sondern vollständig bekleidet in einem Sessel. Dagegen überrascht es dann schon fast, wie viele Schlüpfrigkeiten und Doppeldeutigkeiten in den Dialogen den Augen der Studiozensoren entgangen zu sein scheinen.

Der Film erwähnt es nie direkt, aber man kann ihm anmerken, dass er während des zweiten Weltkriegs spielt. Wenn Marlowe, nach der Entdeckung einer neuen Leiche, bei seinem Kumpel Ohls von der Polizei anruft, fragt er ihn, ob er noch „Red Points“ habe, bevor er ihm den Standort des Toten mitteilt. Da musste ich erst mal googeln, um zu verstehen, warum das zynisch ist: mit „Red Points“ konnten die Amerikaner während der Kriegs-Rationierung frisches Fleisch kaufen… Die auffälligste Szene ist aber die, in der Marlowe an eine Taxifahrerin gerät und das nicht einmal für kommentierenswert hält. Nach dem Krieg würd‘s dann nochmal ein paar Jahrzehnte dauern, bis das wieder so war.

Da habe ich ausgerechnet einen so zentralen Vertreter des Film Noir so lange vor mir hergeschoben. Er lohnt sich auf jeden Fall und ist auch aus heutiger Sicht noch äußerst unterhaltsam. Und einflussreich. Fans von ‚The Big Lebowski‘ oder ‚Kiss, Kiss, Bang, Bang‘ etwa werden Szenen entdecken, die diese Filme beinahe direkt zitieren. Versucht nur nicht beim ersten Ansehen allzu sehr der Handlung zu folgen, sondern lasst Euch auf die Atmosphäre ein. Oder, um es mit Roger Ebert zu sagen: es geht um den Prozess der Ermittlung, nicht so sehr um deren Ergebnis.

Diese Rezension entstand im Zuge der Filmreisechallenge.

Letzte Woche gelesen: ‚HAMBURG NOIR: Die verschwundene Frau‘ (2016) von Tom Krausz

Ich frage mich, wie mir als Film Noir Fan dieses tolle Buch solange entgehen konnte. Vielleicht kommt die Besprechung für ein paar Weihnachtsgeschenke-im-letzten-Moment-Käufer aber genau richtig, denn, soviel sei vorweggenommen, mit diesem Buch kann man durchaus eine Freude machen.

Tom Krausz ist ein in Hamburg lebender freier Fotograf und Dokumentarfilmer. Für dieses Buch hat er bekannte und weniger bekannte Ecken der Hansestadt in kontrastreiche, raue und zumeist düstere schwarz-weiß Bilder gebannt, die ihren Vorbildern aus Filmen, wie ‚Der dritte Mann‘ oder ‚Der Malteser Falke‘ in nichts nachstehen. Der Clou ist aber, dass ‚Hamburg Noir‘ nicht einfach nur ein Bildband ist. Krausz hat seine Bilder in eine Geschichte um den Privatdetektiv Paul Ness auf der Suche nach der titelgebenden verschwundenen Frau gebettet. Damit hat er eine sehr kreative Lösung für ein Problem gefunden, dass viele Fotografen und bildende Künstler umtreiben dürfte: wie bekommt man den potentiellen Leser eines Bildbandes dazu, sich mit den Bildern auseinanderzusetzen, anstatt das Buch einfach nur durchzublättern und dann zur Seite zu legen.

Hier sind sie ein Angebot tiefer in die Atmosphäre einer Geschichte einzutauchen. Aber versteht mich nicht falsch, die großartigen schwarz-weiß Aufnahmen sind auf jeden Fall der „Star“ des Buches. Die Geschichte für sich genommen ist zwar nett aber nicht viel mehr. Am besten ist sie immer dann, wenn sie die typischen Klischees des „Hardboiled Detectives“ persifliert. Paul Ness, der Kettenraucher in Fedora und Trenchcoat wirkt ohnehin schon ein wenig aus der Zeit gefallen, gerade auch in den wenigen Bildern, in denen er selbst auftaucht. Da wirkt es passend, dass zum Beispiel seine Unaufmerksamkeit beinahe zu einem Running Gag wird, wenn ihm Unbekannte wieder und wieder unbemerkt Zettel mit neuen Hinweisen für seinen Fall zustecken. In typischer Noir-Manier stellt sich natürlich raus, dass hinter dem Auftrag die verschwundene Ehefrau eines reichen Hamburgers deutlich mehr steckt als anfangs erwartet. Diese Verwicklungen ballen sich aber im Finale der Erzählung.

Der Fall bleibt so für die meiste Zeit auf dem Niveau einer Schnitzeljagd, was aber nicht überrascht, da er vor allem dazu dient die Fotos zu untermalen und da muss Ness schon der Abwechslung wegen ordentlich in der Stadt herumkommen. Wobei dem Fotografen eine besondere Liebe zu Hafen und Speicherstadt anzumerken ist, die er besonders oft in besonders schöne Fotos zu bringen weiß. Aber auch die üblichen Hamburger Sehenswürdigkeiten betrachtet Krausz hier aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. Vom Rathaus über Michel, die ElPhi, die Reeperbahn und den Dom bis zu Hagenbecks Tierpark. Eher unbekannte Ecken werden auch nicht vergessen, so führt Ness‘ Suche ihn von den Grindeltürmen bis zu einem Villenviertel in Alt-Rahlstedt. Und auch eine meiner liebsten Touren im realen Leben vollzieht er nach, mit der Fähre die Elbe herunter über Teufelsbrück bis raus nach Blankenese.

Tatsächlich ist Krausz für mich bei den städtischen Momentaufnahmen der unbekannteren Gegenden sogar am besten. Das Bild einer verregneten Straße oder ein Blick auf die Binnenalster mit Baum lässt im inneren Ohr direkt melancholische Saxophon-Musik ertönen und fangen den rauen Charme eines Film Noir aber letztlich auch Hamburgs perfekt ein.

Daneben erfüllt das Buch aber für nicht-Hamburger ganz subtil noch eine weitere Funktion: die eines Reiseführers oder – aufgrund der Unhandlichkeit – eher eines Reiseplaners. Alle Motive sind auf einer Stadtkarte vermerkt und erleichtern so die Planung eines Besuches und auch im Text lässt Ness erstaunlich häufig Bemerkungen fallen, wo man z.B. besonders gut essen kann. Wer sich zu einem Besuch entschließt wird hoffentlich nicht enttäuscht sein, dass Hamburg im realen Leben dann doch deutlich heller (und vor allem grüner!) ist als auf den Bildern – selbst wenn ihr die zwei Tage Hamburger Sommer verpassen solltet.

Die Aufmachung des Buches als stabiler Hardcover-Band mit dicken, glossigen Hochglanzseiten lässt die Fotos perfekt zur Geltung kommen und rundet ein absolut wertiges Gesamtpaket ab, über dass sich nicht nur Filmfans unter dem Weihnachtsbaum freuen dürften. Empfehlung!

Vienna Noir: ‚Der dritte Mann‘ (1949)

‚Der dritte Mann‘ ist ein Film, der nicht einfach den Lokalkolorit seines Handlungsortes einfängt, sondern einen zeitlich eng begrenzten Lokalkolorit. Den des Wiens der direkten Nachkriegszeit. Noch halb in Trümmern und von den vier Siegermächten kontrolliert. Und im Zentrum die Internationale Zone, wo sich alle vier Mächte die Polizeiarbeit teilen und dabei nicht immer kooperieren, wenn sie denn überhaupt kommunizieren können. Bei dieser mangelnden Kontrolle, in einer Stadt voll mit Menschen, die nichts mehr haben, blüht natürlich der Schwarzmarkt. Und dieser Schwarzmarkt sei nichts für Amateure bemerkt ein lakonischer Erzähler zu Anfang des Films, während eine Leiche mit dem Gesicht nach unten die Schöne Blaue Donau herabtreibt.

Der amerikanische Western-Groschenromanautor Holly Martins (Joseph Cotten) ist definitiv ein Amateur. Er ist pleite, da kam ihm ein nebulöses Jobangebot von seinem alten Kumpel Harry Lime gerade recht. Das kam zusammen mit einem Flugticket nach Wien. Nun ist Martins hier und muss erfahren, dass Harry tot ist. Vom Auto überfahren. Nach der spärlich besuchten Beerdigung nimmt ihn der britische Major Calloway (Trevor Howard) beiseite und versucht ihm zu erklären, dass Lime ein übler Schieber gewesen sei und Martins gut daran täte mit der nächsten Maschine nach Hause zu fliegen. Dummerweise verwechselt sich Martins in seinen betrunkeneren Momenten gern einmal mit seinen eigenen Romanhelden mit zwei Colts in den Fäusten und teilt dem „korrupten Sheriff“ mit er selbst würde die Wahrheit über Leben und Tod seines Freundes ans Licht bringen. Im Laufe seiner Ermittlungen wird er nun bedroht, verprügelt, entführt, des Mordes bezichtigt, zu einem Vortrag über den modernen Roman verdonnert und von einem Papageien gebissen. Aber er lernt auch Harrys Freundin Anna Schmidt (Alida Valli) kennen, in die er sich flugs verliebt. Und sie sich in ihn. Oder auch nicht, verwechselt sie doch ein paar Mal zu häufig die Namen Holly und Harry. Selbstverständlich stellt sich Harry als noch quicklebendig und zutiefst zynisch heraus, bevor der Film in einer Verfolgungsjagd durch die Wiener Kanalisation gipfelt.

Regisseur Carol Reed und Kameramann Robert Krasker tun alles, um visuell den Grundgedanken von Graham Greenes Drehbuch zu unterstreichen: dieses Wien ist ein moralisches Vakuum. Alle Werte sind auf den Kopf gestellt. „He is already in hell“ teilt ein nicht sehr englisch-sicherer Hausmeister (Paul Hörbiger) Martins über seinen Freund Lime mit. Und deutet dabei nach oben. Kaum einmal richtet Krasker seine Kamera gerade auf das Geschehen, immer schaut sie etwas schief, alles scheint aus dem Gleichgewicht. Die für den Film Noir typischen Licht und Schattenspiele wirken hier teilweise absichtlich überzogen, erinnern an den deutschen Expressionismus. In den ewigen Wiener Nächten mit nass glänzendem Kopfsteinpflaster zeichnet sich der Schatten eines kleinen Jungen ebenso gigantisch auf den zerklüfteten Häuserfluchten ab, wie der eines gefährlichen Gangsters. Und Harry Lime (Orson Welles) erhält eine der sowohl melodramatischsten als auch besten Einführungen der Filmgeschichte. Eine Stunde lang ist er das zentrale Thema des Films, die Spannung auf diesen Mann ist bereits greifbar. Da versucht sich Martins in einer Szene mit einem Kater anzufreunden. Der läuft aber weg vor ihm. „Er mag nur Harry“ erklärt ihm Anna. Als Martins später in sein Hotel zurückkehrt sieht er ein Paar Beine in Anzughosen in einem finsteren Hauseingang und der Kater streicht um sie herum, der Rest des Mannes ist im Dunkeln. Anders als der Zuschauer ahnt Martins nicht, um wen es sich handelt (habe ich erwähnt, das er nicht der Hellste ist?). Er hat es aber satt verfolgt zu werden und schreit ihn lauthals an sich zu zeigen. So laut, dass im Haus gegenüber jemand aufwacht, der das Licht einschaltet. Das fällt auf das Gesicht von Lime, der ein Grinsen irgendwo zwischen spitzbübisch und wölfisch zeigt. Bevor Martins ihn erreicht ist er natürlich längst verschwunden.

Das wir bei aller dickköpfigen Naivität doch immer auf der Seite von Holly Martins bleiben ist sowohl dem geschickten Drehbuch von Greene als auch Cottens Spiel zu verdanken. Er ist so gutmütig und offenherzig, das wir gar nicht anders können als ihn zu mögen, sind das doch Qualitäten die ansonsten Mangelware in diesem Film sind. Das sorgt wohl auch dafür, dass ihn im Film absolut niemand respektiert. Nicht einmal die Kamera. Die wendet sich mitten in einem Gespräch von ihm ab, folgt lieber Anna Schmidt, als sie in Erinnerungen an Harry schwelgt. Und während der dramatischen Verfolgung durch die Unterwelt scheint sie Martins für lange Zeit zu vergessen und folgt stattdessen lieber Harry Lime selbst. Auch Alida Valli überzeugt als Anna Schmidt. Die Figur ist hier nie als die typische „Femme Fatale“ angelegt, die den Helden verführt, sondern ist genauso ein Spielball ihrer Umgebung. Und am Ende wird sie sogar die Einzige sein, die ihrem moralischen Kompass konsequent gefolgt ist. Für die Nebenfiguren konnte Reed aus einem großen Schatz österreichischer Darsteller schöpfen. Sei es die bedrohliche Ausdrucksstärke von Ernst Deutsch als Lime-Komplize „Baron“ Kurtz oder die tragikomische Figur von Annas Vermieterin (Hedwig Bleibtreu), die dem alten Glanz des Landes, der Stadt und ihres eigenen Hauses („Ein Metternich ist hier abgestiegen!“) nachtrauert. Der Star des Films, auch wenn er nur für etwa 15 Minuten im letzten Drittel zu sehen ist, ist fraglos Orson Welles. Sein Charakter ist verachtenswert. Harry Lime handelt mit verdünntem Penicillin und ist so für den Tod mehrerer Kinder verantwortlich. Major Calloways echte Empörung über diesen Mann ist also völlig korrekt. Und dann kommt Welles und spielt diesen Widerling mit so viel Verve und Extravaganz, die allem widersprechen, was wir bis dahin im niedergeschlagenen Wien gesehen haben. Und er hält eine dieser Reden, die in die Filmgeschichte eingegangen sind (und die von Welles improvisiert wurde):

„In den 30 Jahren unter den Borgias hat es in Italien nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe. 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr.“

Dieses Plädoyer für Chaos in der Welt fühlt sich auf unheimliche Weise modern an. Es klingt wie etwas, dass der Joker aus ‚Dark Knight‘ von sich geben würde. Und natürlich ist es hier völlig eigennützig, dient Lime nur der Rechtfertigung seiner monströsen Taten. Und doch fühlen wir ein wenig mit Harry, wenn es im Finale eben nicht zu einem Duell unter Gleichen im Sonnenschein kommt, wie es wohl in Martins Büchern passieren würde, sondern ein Mann einem anderen, den er einmal verehrt hat, tief in der Kloake in den Rücken schießt.

Jetzt habe ich so viel darüber geschrieben, wie der Film aussieht, dass ich ein wichtiges Element völlig übersehen habe. Wie er klingt. Kein anderer Film klingt wie ‚Der dritte Mann‘. Carol Reed hörte in einer Gaststätte den Zitherspieler Anton Karras. Er nahm – für wienerischen Lokalkolorit – ein paar Stücke mit ihm auf, bevor er beschloss den gesamten Film mit Karras‘ Zithermusik zu unterlegen. Und diese streicht nun, wie eine Straßenkatze durch das finstere Wien, taucht an überraschenden Stellen auf, verschwindet dann länger spurlos aber lässt den Zuschauer so bald nicht wieder los. Das Harry Lime Thema hielt sich übrigens für 11 Wochen in den US-Musikcharts und verkaufte bis 1963 40 Millionen Tonträger. Nicht übel für ein Zitherstück.

‚Der dritte Mann‘ ist einer dieser Filme, die ich auch Leuten empfehle, die sonst mit alten Filmen wenig anfangen können. Das Erzähltempo ist für einen beinahe 70 Jahre alten Film erstaunlich hoch, der tiefschwarze Humor trifft immer noch und Orson Welles als cooler Mistkerl ist ohnehin zeitlos. Und nun liegt er in 4K Qualität vor. Worauf wartet Ihr denn noch?

„The ape blows or I clam“ – ‚Brick‘ (2005)

Rian Johnson hat einen recht dicken Stein bei mir im Brett. Er arbeitete als Cutter an Lucky McKees ‚May‘ mit, einem Film den ich sehr mag (leichte Untertreibung). Folglich freue ich mich auf ‚Star Wars Episode VIII The Last Jedi‘ (Episode IX heißt dann wohl „No wait, we found another one!“), daran kann auch ein relativ lahmer Teaser-Trailer nichts ändern. Immerhin hat der mich dazu gebracht mal wieder etwas von Johnson sehen zu wollen. Ich hätte endlich ‚Brothers Bloom‘ nachholen können. Oder ‚Looper‘ noch eine Chance geben können, bei dem bin ich nämlich in der Minderheit und finde ihn höchstens okay. Stattdessen bin ich zurück zu seinem Erstlingswerk als Regisseur gegangen, dem Neo-Noir ‚Brick‘. Und das nicht nur weil der eine wunderbar unauffällige Anspielung auf ‚May‘ enthält*.

Als Highschool-Schüler Brendan Frye (Joseph Gordon-Levitt) einen Zettel mit einer Bitte um ein Treffen in seinem Schließfach findet, weiß er das etwas nicht stimmt. Denn der Zettel kommt von seiner Ex-Freundin Emily (Emilie de Ravin), die jeden Kontakt zu ihm abgebrochen hat. Schnell stellt sich heraus, dass sie in Schwierigkeiten steckt. Wie tief sie in diesen Schwierigkeiten steckt merkt Brendan leider erst als es zu spät ist. Nun muss er ein gefestigtes Machtgefüge aus Spitzensportlern, Schlägertypen, einer manipulativen Angehörigen der Schauspiel AG und nicht zuletzt dem mysteriösen Drahtzieher The Pin (Lukas Haas) ins Wanken bringen, um so etwas wie Gerechtigkeit für Emily einzufordern. Zur Seite stehen ihm dabei nur der hochintelligente Einzelgänger Brain (Matt O’Leary) und die mysteriöse Laura Dannon (Nora Zehetner).

Ich bin selbst nie auf eine amerikanische Highschool gegangen. Ich kenne sie daher nur aus Filmen und Serien. Und wenn ich denen Glauben schenken darf, dann ist die durchschnittliche amerikanische Highschool ein Ort tiefster Verschwörungen, strengster hierarchischer Ordnung, plötzlich aufflammender brutaler Gewalt, ewiger Liebe und innigster Feindschaften. Von daher erscheint es einen Moment lang beinahe logisch, dass Autor und Regisseur Johnson das Geschehen seines Noir vom typischen Ort des Geschehens, der Gangsterwelt einer amerikanischen Großstadt der 40er Jahre, an eine kalifornische Kleinstadtschule verlegt hat. Selbst die ungewöhnliche Sprache des Films, die sich direkt nach Quellen wie Dashiell Hammet oder Raymond Chandler richtet, wirkt nicht völlig fehl am Platz. Haben doch Jugendsprache und Gangsterslang, egal aus welcher Zeit, grundsätzlich den selben Anspruch. Sie wollen nur für eine eingeweihte Gruppe verständlich sein und den Rest der Gesellschaft nach Möglichkeit ausschließen. Andererseits ist die Idee natürlich auch vollständig absurd. Die typischen Stereotype lassen sich vielleicht noch halbwegs glaubwürdig umpflanzen, doch sobald die Jugendlichen in ihren Dialogen die Gefühls- und Erlebenswelt einer anderen Generation, einer anderen Welt äußern wird es bizarr. Der Film ist sich dessen absolut bewusst und überhöht dies gelegentlich bewusst, z.B. in einer Szene in der Brendan eine Unterredung mit Gangsterboss The Pin in dessen Haus hat und seine Mutter O-Saft und Cornflakes serviert. Diese komischen Momente sind allerdings wohldosiert eingesetzt, der Film nimmt sich und seine Charaktere im Ganzen durchaus ernst, was genau der Grund ist, warum er so gut funktioniert. Die Handlung ist, wie es sich für einen guten Noir gehört, reichlich konvolut und beim ersten Ansehen ist man vielleicht gut beraten nicht alles bis ins Detail nachvollziehen zu wollen und mehr die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen.

Bewundernswert an diesem Film ist Johnsons Ökonomie. Damit meine ich nicht einmal so sehr, dass er einen sehr ansehnlichen Film für weniger als eine halbe Million Dollar produziert hat, obwohl das natürlich auch bemerkenswert ist. Ich meine die erzählerische Ökonomie. ‚Brick‘ ist einer dieser Filme, die kein Gramm Fett mit sich tragen. Alles, jede Szene ist reines Muskelfleisch mit dem einen Zweck die Handlung voranzutreiben. Johnson hat eine wahnsinnig elegante Art Charaktere einzuführen, die an Kurosawa oder auch Sergio Leone erinnert. Er zeigt uns die neue Figur in einer Ganzaufnahme in einer bestimmten Umgebung und in einer bestimmten Körperhaltung. Dann blendet er oftmals auf ein besonderes Detail um, ein Kleidungsstück vielleicht, oftmals Schuhe. Innerhalb von Sekunden wissen wir dank dieser rein visuellen Informationen sofort, wie wir den neuen Charakter einzuschätzen haben. Und Zeit ist in diesem Film ein ganz zentraler, treibender Faktor. Ständig schaut Brendan auf seine Armbanduhr, muss die Zeit bis zum nächsten Termin abschätzen, bis die roten Ziffern eines Radioweckers zu einer geradezu bedrohlichen, lauernden Präsenz werden, die den ganzen Bildschirm einzunehmen scheint.

In stark desaturierten, grauen aber doch noch nicht schwarz weißen Bildern stellt Johnson die doch eigentlich so sonnige kalifornische Kleinstadt dar. Er arbeitet zwar selten mit sehr kontrastreichen Bildern, doch weiß er das typische hell-dunkel des Noir durchaus zu nutzen. Sei es die alles verschluckende Schwärze eines Abwassertunnels, eine Szene in der Brendan einen Spiegel benutzt um – wortwörtlich – Licht ins Dunkel zu bringen oder ein Gespräch zwischen einer Person ganz in schwarz, einer in ganz weiß und Brendan in seiner grauen Jacke dazwischen. Eine wiederkehrende Traumszene gemahnt ein wenig an David Lynch aber das tun gute (Alp-) Traumszenen ja häufig.

Die Musik (aus Kostengründen übrigens von Johnsons Cousin geschrieben) folgt bekannter, typischer Noir Musik, die das Geschehen passend untermalt. Bemerkenswert ist das merkwürdig eingängige Titelthema irgendwo zwischen Carl Orffs „Schulwerk“ und dem Klappern von Geschirr (und jetzt wisst ihr warum ich nicht über Musik schreibe).

Ich muss noch einmal auf die oben erwähnten Dialoge zurückkommen. Wenn die Dialoge der klassischen Screwball-Komödie einem Degengefecht mit wehenden Mänteln entsprachen, dann war das Pendant zum Dialog im Noir eine Messerstecherei in einer dreckigen Seitengasse. In seinen besten Momenten schafft Johnson hier Dialoge, die es problemlos mit den Größen des Noir aufnehmen können. Von daher ist es ein Film, den ich niemals synchronisiert schauen wollen würde. In schlechteren Momenten können sie allerdings durchaus schon einmal gekünstelt wirken. Vor allem einige Dialoge zwischen Brendan und Laura schlagen nicht ganz die Funken, die wohl eigentlich gedacht waren.

Das liegt allerdings keineswegs an den Schauspielern, die durch die Bank verstanden haben woran sie hier arbeiten und sich daran halten. Johnson hat ihnen allerdings explizit untersagt zur Vorbereitung klassische Noirs zu schauen. Und das hat den angenehmen Effekt, das keiner der Darsteller sich in einer bloßen Imitation versucht. Herauszuheben ist hier sicherlich Joseph Gordon-Levitt, der in jeder einzelnen Szene auftritt. Es gelingt ihm in seiner Rolle mühelos zwischen „hardboiled“ und verletzlich zu oszillieren und dabei nie eine direkte Assoziation zu Bogart oder anderen typischen Noir Darstellern aufkommen zu lassen. Kein Wunder, dass er zu einem Stammdarsteller Johnsons geworden ist.

Dieses Erleben jeder Szene durch die Person Brendans führt dann aber auch zum einzigen wirklichen Vorwurf, den ich diesem Film machen kann. Dadurch, dass wir alles durch den Blick einer zynischen, zurückgezogenen Person erleben, bleiben alle anderen Charaktere und alles Geschehen immer ein wenig auf Armeslänge. Wir als Zuschauer beobachten mehr, als dass wir wirklich mitfiebern. Das ist allerdings kein spezifisches Problem dieses Films, sondern eines das auch zahlreiche klassische Film Noir gebeutelt hat. Insofern könnte man durchaus annehmen, dass dies hier so gewollt war.

Der Film Noir hatte im klassischen Hollywood, ebenso wie der Horrorfilm, den Ruch der Billigproduktion. Das hat den erstaunlichen Effekt, dass viele klassische Noirs heutzutage besser funktionieren als teure A-Produktionen derselben Zeit, die von den Studios voll auf den Geschmack des kontemporären Publikums abgestimmt wurden. Und auch diesem Neo-Noir merkt man an, dass hier kein Produzent seinen Senf dazugegeben hat. Johnson hat den Film selbst an seinem Heimcomputer geschnitten. Von Anfangs zwei Stunden bis runter auf den gut 100 Minuten langen, wunderbar schlanken Endschnitt, den wir zu sehen bekommen. Es ist eine persönliche, zwar zurückblickende aber doch zukunftsgerichtete Version des Noir, nicht ganz Hommage und nicht ganz Parodie. Er erreicht nicht ganz das Niveau der Beiträge der Coen-Brüder zu diesem Genre aber stellt doch eine wunderbare Bereicherung des Genres dar. Absolut sehenswert!

Wer möchte kann sich übrigens das Skript des Films oder auch eine zur Novelle umgeschriebene Version auf Rian Johnsons Seite herunterladen.

* man halte bei dem Kostümfest in den ersten Minuten die Augen offen!

Der Tod kennt keine Wiederkehr (1973)

Philip Marlowe ist cool. Das ist eine ziemlich unstrittige Aussage. Er ist das Urbild des Klischees des „hardboiled detective“ aus dem „film noir“. Immer einen Spruch auf den Lippen, der Gangster und Polizisten gleichermaßen aus der Fassung bringt (so es in der Welt Marlowes zwischen den beiden überhaupt einen Unterschied gibt), immer eine Whisky-Flasche in der Schreibtischschublade und das Gesicht im eleganten schwarz-weiß beleuchtet vom Streichholz für die nächste Zigarette. Seine einzige Schwäche, die „femme fatale“, die ihn – ohne Ariadnefaden -in ein kretisches Labyrinth aus Motivationen und Beziehungen schickt, aus dem er nur entkommen kann, weil er die Fähigkeit hat,  Menschen perfekt einzuschätzen und richtig und falsch im entscheidenden Moment mit einem funktionierenden, moralischen Kompass auseinanderzuhalten. Doch was passiert, wenn wir dieses Klischee aus seiner natürlichen Umgebung, den späten 40er, frühen 50er Jahren, reißen und es in die (damals kontemporäre Zeit) der 70er versetzen? Diese Frage stellt uns Regisseur Robert Altman und die Antwort ist ebenso interessant wie unterhaltsam.

Marlowe (Elliott Gould) erhält eines Nachts in Los Angeles Besuch von seinem Freund Terry Lennox (Jim Bouton), der ihn bittet ihn schnell über die Grenze nach Mexiko zu fahren. Marlowe erklärt sich bereit, wird jedoch, kaum zurückgekehrt, von der Polizei festgenommen, da Lennox‘ Frau ermordet wurde, Terry der Hauptverdächtige ist und Marlowe unter Verdacht steht Komplize zu sein. Nach langen Verhören und einigen Tagen in der Zelle wird Marlowe entlassen, da Lennox in Mexiko Selbstmord begangen hat und ein umfängliches Geständnis niedergeschrieben hat. Wieder frei nimmt Marlowe von der jungen Eileen Wade (Nina van Pallandt) den Auftrag an ihren deutlich älteren Mann, einen hemmingwayesken Schriftsteller zu finden. Kurz darauf erhält Marlowe Besuch von der Unterweltgröße Marty Augustine (Mark Rydell) und dessen Schlägern, dem Lennox Geld schuldete, dass dieser jetzt bei Marlowe vermutet. Natürlich bestehen zwischen all diesen Gruppen byzantinische Verbindungen, die hier jeglichen Rahmen sprengen würden.

Dieser Philip Marlowe ist nicht cool. Er wirkt wie aus der Zeit gefallen, läuft im heißen L.A. der Flower Power Zeit stets im zerknitterten Anzug herum, ist der einzige in der Nachbarschaft der raucht und bringt kaum ein Wort heraus, wenn er auf seine Nacktyoga betreibenden Nachbarinnen trifft. Die ersten 10 Minuten des Films bestehen daraus, dass er mitten in der Nacht versucht das richtige Futter für seine Katze aufzutreiben. Das ist einerseits albern und lässt ihn ein wenig wie einen Verlierer wirken, doch dient es auch dazu die wichtigste Qualität dieses Marlowe zu definieren: Loyalität. Seine größte Stärke und seine größte Schwäche. Für jeden Unbeteiligten ist eindeutig, dass mit Lennox etwas nicht stimmt, doch Marlowes Loyalität zwingt ihn ihm zu helfen.

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Gelegentlich meint man Marlowe von der Leinwand zu riechen

Er ist so etwas, wie ein Ritter von trauriger Gestalt, in einer Welt die ihn nur zu verwirren scheint, Narzissmus, sinnlose Gewalt und esoterisches Gesundheitsbewusstsein, all diese Dinge entlocken ihm immer wieder sein Mantra, wenn er etwas nicht versteht: ein schulterzuckendes „that’s alright with me“. Wir ahnen, dass das nicht stimmt. Er scheitert an seiner Katze, an einem Hund, der nicht auf sein Hupen reagiert, niemand nimmt ihn ernst oder respektiert ihn. Er versteckt sich in Büschen, drückt die Nase an Fenstern platt und droht betrunken Polizisten den Präsidenten auf den Hals zu hetzen. Elliott Gould bringt die Verwirrung, das Verlorensein seiner Figur perfekt rüber bleibt dabei aber stets so charismatisch, dass ihm die Sympathie des Zuschauers sicher ist. Und ganz am Ende gibt er uns einen kurzen Blick auf den Marlowe, den wir kennen. Den knallharten „hardboiled detective“.

Die Geschichte ist gewollt unklar (auch wenn am Ende alles Sinn ergibt) und entspricht weitgehend der Buchvorlage ‚Der lange Abschied‘ von Raymond Chandler, auch wenn die Verantwortung für einige Tode verschoben wurde und ein wesentlicher Charakter für den Film hinzugefügt wurde. Dabei ergeben sich einige bizarre und zum Teil wahnsinnig komische Szenen. Die Momente zwischen Marlowe und einem Gangster, der ihn verfolgen soll sind schlicht perfekt.  Die Unklarheit wird gesteigert durch die typischen Altmanschen Dialoge, bei denen sich die Darsteller selten ausreden lassen, sondern ins Wort fallen und die Kameraarbeit, die selten direkt auf das Geschehen schaut sondern durch ein Fenster oder an einem Objekt vorbei. Ein weiteres interessantes Element ist die Musik. Es gibt nur ein einziges Stück, die Titelmelodie, die im Film in allen möglichen Versionen gespielt wird, sowohl als Hintergrundmusik, als auch im Film. Egal, ob Supermarktbeschallung, mexikanische Blaskapelle oder sogar Türklingeln alles hat dieselbe Melodie, ein unwirklicher, fast märchenhafter Effekt.

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Nein, ich verrate nicht was hier los ist. Aber ja, das ist Arnold Schwarzenegger in seinem zweiten Spielfilm mit OLiBa

Falls es nicht klar sein sollte: ich liebe diesen Film. Er war zu seiner Zeit kein Erfolg (vor allem, weil er als Actionkracher beworben wurde), sein vielleicht wichtigstes Erbe aber ist, dass er die Coen Brothers zu ihrem eigen Riff auf chandlereske Detektivgeschichten inspiriert hat: „The Big Lebowski“ enthält jede Menge DNA aus ‚Der Tod kennt keine Wiederkehr‘. Roger Ebert war der Meinung, man sollte ‚Der Tod kennt keine Wiederkehr‘ am besten schauen, wenn man schon ein paar „film noirs“ kennt. Ich würde sagen, dass ist nicht nötig, allein durch kulturelle Osmose hat wahrscheinlich jeder genug noir aufgenommen, um zu erkennen welche Ideen hier satirisch überhöht oder verdreht werden. Ansehen! Am besten im Doppelpack mit dem Dude.