In den 50er Jahren war das Hollywood Studio-System noch weitgehend intakt. Es gab Filme, die man machte und es gab Filme, die man nicht machte. Film Noir mit seinen moralisch fragwürdigen Charakteren war durchaus akzeptiert. Aber eine Geschichte um einen misogynen Serienmörder, der sich auch noch als Prediger ausgibt, erzählt aus der Perspektive von Kindern? Eine Mischung aus Märchen und southern gothic-Alptraum, angereichert mit Thriller-Elementen, Film Noir und der visuellen Wucht des deutschen Expressionismus der 20er Jahre? Inszeniert von einem Charakterdarsteller, der nie zuvor (Film-)Regie geführt hat? Das machte man in den 50ern in Hollywood bestimmt nicht und so stieß der Film bei Erscheinen sowohl bei Kritik als auch bei Publikum auf Unverständnis und Ablehnung.
Dieser erwähnte Charakterdarsteller, der Brite Charles Laughton, hatte das Glück mit dem Bühnen- und Fernsehproduzenten Paul Gregory befreundet zu sein, der auch ins Filmgewerbe einsteigen wollte. Da er schon auf der Bühne häufiger mit Laughton in Regie-Funktion zusammengearbeitet hatte, kaufte er die Rechte an dem erfolgreichen Roman ‚The Night of the Hunter‘ von Davis Grubb der 1953 erschien. Denn Laughton war ziemlich beeindruckt von dieser Serienmörder-Geschichte, die während der Großen Depression der 30er Jahre spielte. Und so wurde ein Film gemacht, der eigentlich nicht gemacht würde. Da Laughton bei seinen Schauspiel-Kollegen allgemein beliebt und respektiert war, fiel es ihm nicht schwer einen imposanten Cast zusammenzustellen. Neben Robert Mitchum, den Roger Ebert einmal die „Seele des Film Noir“ genannt hat und der hier seine beste und definitiv monströseste Darstellung abliefert, ist das vor allem Lillian Gish. Der vielleicht erste große Star des amerikanischen (Stumm-)Films, hier in einer ihrer mittleren Rollen, denn sie würde ihre beeindruckende Karriere noch bis 1987 und damit für insgesamt 75 Jahre fortsetzen.
Doch kommen wir erst einmal zur Geschichte. Der selbsternannte Prediger Harry Powell (Mitchum) hat nicht nur eine ganz eigene Interpretation des christlichen Glaubens, symbolisiert durch ein Ringen seiner Hände, auf deren Knöchel „LOVE“ und „HATE“ tätowiert sind, er macht sich auch an alleinstehende Frauen heran, heiratet sie, misshandelt sie und ermordet sie schließlich, um sich mit ihren mageren Ersparnissen davonzumachen. Als er wegen Autodiebstahls im Gefängnis sitzt, hört er von seinem zum Tode verurteilten Zellengenossen, der habe seine Raubbeute versteckt und nur seine Kinder wüssten wo. Alsbald steht Powell bei der Witwe (Shelley Winters) auf der Matte und gibt sich als Gefängnis-Seelsorger aus, der sich nun, nach der Hinrichtung des Familienvaters, um die Familie kümmern möchte. Sohn John (Billy Chapin) traut dem Mann zwar nicht über den Weg, doch seine Schwester Pearl (Sally Jane Bruce) ist schnell von der sich tatsächlich kümmernden Vaterfigur angetan. Schnell wird die willensschwache Willa vom Rest der Dorfbevölkerung in eine Beziehung und schließlich zur Hochzeit mit dem Prediger gedrängt. Doch als seine Befragungen der Kinder nach dem Verbleib der Beute immer weniger verblümt werden, eskaliert die Lage. Willa „verschwindet“ und die Kinder ergreifen die Flucht den Fluss hinunter immer verfolgt von der finsteren Gestalt des Predigers. Zuflucht finden sie bei der älteren Frau Rache Cooper (Gish), die bereits eine Reihe elternloser Kinder, Opfer der Großen Depression, bei sich aufgenommen hat. Womöglich hat Powell in ihr jemanden gefunden, bei dem sein Charme nicht verfängt.
Mit starken Kontrasten zwischen Licht und Dunkelheit scheint Laughton gleich am Anfang sagen zu wollen, dass der Film Noir nicht an der Stadtgrenze endet. Auch auf dem Land gibt es moralische Zerrissenheit, ist ein zynischer Blick auf die Institutionen von Staat und Kirche angemessen. Gleichzeitig gelingt es Laughton auch Hitchcockschen Suspense zu schaffen. Meist indem er uns als Zuschauer mehr wissen lässt als die Charaktere. Wir wissen, dass Powell ein Mörder ist, wir wissen lange vor ihm, wo das Geld versteckt ist. Doch vor allem weckt die Lichtsituation, in Verbindung mit Kameramann Stanley Cortezs ungewöhnlichen Perspektiven und der oftmals gewollten Künstlichkeit der Sets Erinnerungen an den deutschen Expressionismus der 20er Jahre. An ‚Das Cabinet des Dr. Caligari‘ oder ‚Der Golem‘. Laughton nutzt diesen Expressionismus allerdings nicht, wie etwa ‚Caligari‘ um Schrecken zu transportieren, sondern eher um eine märchenhafte Atmosphäre zu schaffen. Denn vor dem völlig realen Hintergrund der wirtschaftlichen Depression und eines frauenhassenden Serienkillers ist eine Situation, in der zwei Kinder vor einem mörderischen Stiefvater zu einer gütigen, alten Frau flüchten absolut eine märchenhafte. Besonders deutlich wird dies auf der Flucht der Kinder den Fluss hinunter, immer wieder mit Tierszenen dazwischen geschnitten, in denen Powells Silhouette vor dem Horizont, sicher nicht zufällig, an Lotte Reinigers Scherenschnitt-Märchenfilme aus den 20ern erinnert. In solchen Momenten wirkt ‚Die Nacht des Jägers‘ beinahe wie ein Experimentalfilm. Und im besten Sinne ist er das wohlauch. Es war die erste Filmregieerfahrung eines erfahrenen Bühnenregisseurs, der offenbar so weit weg vom theatralischen wollte wie nur möglich und sich hier ganz mutig ausprobierte.
Den Schrecken transportiert hingegen das Schauspiel von Robert Mitchum. Sein Powell ist monströs, widerwärtig, erbärmlich, grausam und selbstverliebt. Er ist ein hervorragend gespieltes Lehrstück, dass man demjenigen der von sich behauptet das Wort des Herrn besser zu kennen als jeder andere, mit erheblichem Misstrauen begegnen sollte. Dabei lässt der Film offen, wie viel von seinem Glauben (Selbst-)Betrug ist und wie viel psychische Störung. Wenn er im Auto allein ein kumpelhaftes Gespräch mit dem Herrn führt, dann kann man sich da wahrlich nicht mehr sicher sein. Mitchum war damals psychisch selbst in einer schlechten Situation. An beinahe jedem Filmset fiel er durch erratisches Verhalten und Trunkenheit auf. So auch hier. Jahre später erst äußerte er sich, wie schrecklich die Rolle für ihn war, da er sich in seinen finstersten Momenten mehr mit Powell identifiziert hat als ihm lieb war. Shelley Winters war in den 50ern ein Star, eigentlich zu groß für die recht kleine Rolle der armen Willa. Doch Laughton war einer ihrer Schauspiellehrer, daher nahm sie die Rolle an. Sie ist sehr gut im Film, war wohl aber unglücklich, weil sie dadurch später sehr auf die Rolle der willensschwachen Frau festgelegt wurde. Wenn Mitchum das monströse Herz des Films ist, dann ist Gishs Rachel Cooper seine helle Seele. Die „LOVE“ als Gegengewicht zum „HATE“. Sie liefert hier eine geradezu magnetische Performance ab und spätestens, wenn sie sich ein Hymnenduell mit dem das Haus belagernden Powell liefert, erreicht der Film seine höchsten Höhen.
Beim kontemporären Publikum und der Kritik stieß er hingegen auf Unverständnis und Ablehnung. Zu gewollt künstlerisch sei er, zu verzweigt in Nebenhandlungen und was soll eigentlich dieser ganze „Stil“? Warum nicht einfach erzählen? Einer der wenigen internationalen Kritiker, die seine Qualitäten erkannten, war ein junger Francois Truffaut. Doch auch der sagte Laughton voraus, er werde in Hollywood wohl nie wieder arbeiten. Tatsächlich hat er als Regisseur nie wieder gearbeitet. Ob das mehr an seiner (gut belegten) tiefen Enttäuschung über die Reaktion auf ein Herzensprojekt war, oder weil er schlicht kein Geld mehr bekommen hat, ist in der Rückschau schon fast egal. Die Reevaluation seines Filmes in den 70ern zunächst als Kultfilm, dann als wichtiges Werk, würde er jedenfalls nicht mehr erleben. 1962 starb er 63jährig an Nierenkrebs. Heute wird ‚Die Nacht des Jägers‘ in seiner Bedeutung für das US-Kino meist nicht allzu weit hinter ‚Citizen Kane‘ genannt. Popkulturelle Anspielungen finden sich von den Simpsons bis zu ‚The Big Lebowski‘. Visuelle Anspielungen in Filmen wie ‚Der Exorzist‘.
Normalerweise empfehle ich über 60 Jahre alte Filme hier stets mit Einschränkungen. Man muss willens sein, sich auf die andere Erzählweise und -geschwindigkeit einzustellen. Bei ‚Die Nacht des Jägers‘ würde das meiner Meinung nach ins Leere gehen. Denn den Film zeichnet gerade aus, dass er sich wie ein Relikt aus einer anderen Zeit anfühlt. Das tat er in den 50ern und das tut er heute. Doch waren seine Aussagen in den 50ern aktuell, dann sind sie es heute immer noch. Schmierige Demagogen haben nichts an ihrer Gefährlichkeit eingebüßt. Und Powell ist einer der schmierigsten. Ein Film um Schönheit und ihre Zerbrechlichkeit und nichts weniger als ein Meisterwerk.