Film & Verbot 2: Der Film, der Disney ins Wanken brachte – ‚Taran und der Zauberkessel‘

Beim letzten Mal haben wir gesehen, was staatliche Verbote mit einem Film und einer ganzen Filmindustrie machen können. Doch Verbote von Filmen müssen nicht unbedingt von staatlicher Seite ausgehen. Oft genug sind es die Produzenten, die Studios, deren Geld im Werk steckt, die eine Veröffentlichung des Films in seiner von den Machern gedachten Form verhindern. Die Beispiele hier wären zahllos, doch ich habe mich hier für einen entschieden, der beinahe für die Schließung der Disney Zeichentrickstudios gesorgt hätte und damit fraglos die heutige Filmlandschaft vollständig verändert hätte. Wir reden heute über ‚Taran und der Zauberkessel‘.

Walt Disney war stets so etwas wie ein kreativer Leitfaden für seine Firma. Insbesondere für die Zeichentrickfilme. Auch wenn er sich in seinen letzten Lebensjahren eher den Vergnügungsparks zuwandte, war er doch in die Produktion von ‚Das Dschungelbuch‘ eng involviert. Dessen Veröffentlichung 1967 sollte er nicht mehr erleben, nachdem er am 15. Dezember 1966 an den Folgen einer Operation wegen seines Lungenkrebses verstarb. In der Zeichentricksparte der Walt Disney Company war klar, dass man zunächst einmal Ideen umsetzen würde, die Walt bereits angestoßen, zumindest aber angedacht hatte. Daraus entstanden Filme wie ‚Robin Hood‘ und ‚Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei‘ Doch während der Produktion von ‚Cap und Capper‘ kam es immer wieder zu kreativen Streitigkeiten. Streitigkeiten, die wieder und wieder mit der vermeintlichen Antwort auf die Frage „was hätte Walt gemacht?“ beigelegt wurden. Doch entpuppten sich diese Antworten als problematisch. Walt war zeitlebens jemand, der die Grenzen der Kreativität erweitern wollte. Die reine Rückschau auf seine Ideen führte aber notwendiger Weise zu Stagnation und Wiederholung. Und damit ziemlich genau zu dem, was Walt ganz sicher nicht gewollt hätte.

Es musste also etwas wirklich Neues her. Da besann man sich darauf, dass bereits seit 1971 eine Option auf die Verfilmung der Fantasy-Buchreihe „Die Chroniken von Prydain“ von Lloyd Alexander auf Halde lag. Die frühen 80er Jahre schienen der ideale Moment für deren Umsetzung, hatte doch gerade das Rollenspiel mit „Dungeons & Dragons“ Einzug in Kinderzimmer und Studentenbuden gleichermaßen gehalten. Ritter, Schlösser, Drachen, finstere Magier und strahlende Helden waren „in“. Und so begann die Produktion von ‚Taran und der Zauberkessel‘ unter Ted Berman und Richard Rich (wirklich). Dieser Film würde anders werden als bisheriger Disney Zeichentrick. Der Film sollte „Disney“ neu erfinden. Düsterer im Ton der Geschichte. Finsterer in den Bildern. Es würden sicherlich keine Lieder gesungen.  Fun Fact am Rande: Tim Burton legte eine ganze Reihe Charakterkonzeptzeichnungen für das Projekt vor, die aber alle verworfen wurden. Tatsächlich sollte der Film noch vor ‚Cap und Capper‘ erscheinen, doch gab es wieder und wieder Probleme in der Animation. So wurde letztlich Weihnachten 1984 als Veröffentlichungszeitpunkt angepeilt.

Die Handlung dreht sich um den jungen Schweinehirten Taran, der gerne ein großer Held wäre. Eines Tages wird seine weissagende Sau Henwen vom bösen Gehörnten König entführt, damit sie ihm den Weg zum Schwarzen Kessel weise, mit dem der Gehörnte eine unbesiegbare, untote Armee erschaffen will. Auf der Suche nach seinem Schwein trifft Taran auf eine sture Prinzessin, einen aufbrausenden Barden und auf Gurgi, ein Wesen irgendwo zwischen Rauhaardackel und Affe mit Einsteins Kopfbehaarung. Er begegnet Hexen und Elfen und lernt, dass ein Held zu sein mehr bedeutet als Ruhm und Ehre und es auf ganz andere Werte ankommt.

Aber während der Film in Produktion ging, kam es bei der bereits angeschlagen Walt Disney Company zu einigen Änderungen im Management. Für uns wichtig sind zwei Personen, die sich beide durch kapitalistisches Geschick, aufbrausende Persönlichkeiten und gigantische Egos auszeichnen: Jeffrey Katzenberg, als neuer Chef der Filmsparte und Michael Eisner als neuer Disney CEO. Katzenberg war anwesend bei der traditionellen Testvorführung von ‚Taran und der Zauberkessel‘ für Disneymitarbeiter, die auch ihre Kinder mitbringen durften. Und was er sah gefiel ihm überhaupt nicht. Immer mehr Kinder verließen, teilweise weinend, den Kinosaal. Frustriert konfrontierte er nach Ende der Vorführung die Macher und verlangte, dass der Film entschieden gekürzt würde. Produzent Joe Hale versuchte ihm zu erklären, dass das bei Zeichentrick nicht so einfach sei und monatelange Nacharbeit bedeuten würde. Katzenberg verlor die Geduld, ließ sich die Filmrollen aushändigen und ging damit in einen Schnittraum, um höchstpersönlich Hand anzulegen. Panisch informierten die Macher Eisner, der herüber eilte und das Schlimmste verhinderte. In der Sache war er allerdings einig mit Katzenberg: Kürzungen waren nötig. Die Veröffentlichung wurde auf Juli 1985 verschoben.

Zwölf Minuten fielen der Schere letztlich zum Opfer. Die Kontinuität konnte dank Nachanimationen einigermaßen gewahrt werden. Doch die ohnehin nicht ganz klare Handlung, die bereits weit vom Buch entfernt war, wurde durch die Schnitte nicht eben nachvollziehbarer. Auch hatte Komponist Elmer Bernstein keine Zeit seine Musik anzupassen, so dass hörbare Sprünge im Soundtrack verblieben. Die mehrere Jahre dauernde Produktion hatte am Ende etwa 45 Millionen Dollar gekostet. Damit war ‚Taran‘ in diesem Moment der teuerste Animationsfilm aller Zeiten. Die erhoffte Erneuerung  würde allerdings eine herbe Blamage für Disney werden.

Die Kritiken waren lauwarm bis negativ. Die Animation wurde gelobt, technische Innovation (früher Einsatz von Computeranimationen) gar gefeiert, doch fehlte eben die „Magie“ der klassischen Disneyfilme. Zur eigentlichen Katastrophe wurde aber die Kinokasse. Nur gut 20 Millionen Dollar spielte der Film in den USA ein. Um die Schande noch zu vergrößern: ‚Der Glücksbärchi-Film‘ des kleinen Animationsstudios Nelvana, der gerade einmal 2 Millionen in der Produktion gekostet hatte, schlug ‚Taran‘ problemlos an den Kinokassen und spielte fast doppelt so viel ein wie der. David hatte Goliath geschlagen und der hätte nun einer saftigen Ladung Glückstrahlen aus Bärenbäuchen bedurft, um alle negativen Gefühle zu vertreiben. Sicher, außerhalb der USA war ‚Taran‘ erfolgreicher, doch das reichte bei weitem nicht, um auch nur die Kosten wieder einzuspielen. Merchandise oder Zweitverwertung in den Parks stand außer Frage (Ausnahme: eine einzige Attraktion im Disneyland Tokio). Bei Disney wollte man den Film einfach nur vergessen wissen.

Tatsächlich waren Katzenberg und Eisner sogar kurz davor die Animationssparte komplett zu schließen. Disney zu einem reinen Live Action Studio zu machen. Eine erstaunliche Überlegung, sah es doch bei der Realfilmproduktion ähnlich düster aus. ‚Das scharze Loch‘ (1979) und ‚Tron‘ (1982) etwa hatten, angeregt durch die Star Wars Euphorie, mit gigantischen Budgets finanziell enttäuscht. Einer der Gründe warum Disney in diesem Moment der Pleite näher war als je zuvor und – bislang – später. Aus der Rückschau kann man sagen, die Schließung der Zeichentricksparte hätte den Untergang zumindest der Filmabteilung von Dsiney gesichert. Denn das hätte bedeutet es gäbe keine ‚Arielle, die Meerjungfrau‘ im Kino, kein ‚Ducktales‘ im Fernsehen. Und damit kein gigantisches Comeback für Disney während der 90er, das endlich die kreative Renaissance herbeiführte. Sicher wäre Disney nicht der Mediengigant, der sie heute sind. Aber es kam anders. Mit kleinem Budget und kurzer Produktionszeit wurde der großartige ‚Basil, der große Mäusedetektiv‘ auf den Weg gebracht und der wurde, bereits im nächsten Jahr, immerhin zu einem Achtungserfolg.

Und was wurde aus ‚Taran und der Zauberkessel‘? Nun, Disney spricht anscheinend bis heute nicht gern über den Film. Es gibt zumindest eine recht lieblose DVD Veröffentlichung der gekürzten Version. An eine BluRay ist wohl nicht zu denken. Es war ebenfalls nicht einfach einen halbwegs vernünftigen Trailer aufzutreiben. Und die eigentliche, ungekürzte Fassung? Ich habe meine Zweifel, ob es überhaupt noch in einem Archiv eine Kopie der ursprünglichen Version, des „echten“ Films gibt. Obwohl im Internet immer wieder einmal Gerüchte auftauchen. Ich mag die Rumpfversion von ‚Taran‘, die wir bekommen haben eigentlich ganz gern, aber die ungekürzte Fassung wäre so etwas wie ein heiliger Gral. Was hat Katzenberg als zu finster empfunden und floss die Handlung ursprünglich besser? Wir werden es vermutlich nie vollständig erfahren.

Und die Macher? Ted Berman musste nach mehr als 50jähriger Karriere bei Disney seinen Hut nehmen. Und Richard Rich zeichnete später verantwortlich für einige dieser Direct-to-Video Fortsetzungen von Disney Zeichentrickerfolgen. Katzenberg fühlte sich von Eisner bei einer Beförderung übergangen, verließ Disney 1994 und wechselte zu Spielbergs „Dreamworks Animation“. Hier produzierte er unter anderem ‚Shrek‘. Dessen Schurke Lord Farquaad lebte nicht nur in einer Kopie des Disney Schlosses, auch von Aussehen und Manierismen erinnert er frappierend an Michael Eisner. Der führte Disney derweil zum finanziellen Erfolg. Zwar setze Disney unter ihm  seltener Trends doch wusste er immer sie geschickt auszunutzen. Von wenigen (finanziellen) Fehltritten sowohl im Zeichentrickbereich (‚Der Schatzplanet‘) und abseits davon („Euro Disney“) machte er Disney mehr und mehr zu einem echten Platzhirsch in Hollywood. Sein Fall kam letztlich von ganz unerwarteter Seite. Roy E. Disney*, Walts Neffe und letztes kreativ involviertes Familienmitglied, entledigte sich 2003 unter lautem Medienecho aller seiner Ämter innerhalb des Disney Konzerns. Disney unter Eisner beschrieb er als „habgierig, seelenlos und stets auf der Suche nach dem schnellen Dollar“. Zwei Jahre später beendete Eisner unter stetig lauter werdender Kritik sowohl von innerhalb als auch außerhalb des Konzerns sein Arbeitsverhältnis und übergab die Geschäfte an Bob Iger. Und Tim Burton war vermutlich rückblickend ganz froh, dass seine Charakterkonzepte keine Verwendung fanden.

 

*Roy galt übrigens häufig als Quelle dafür, dass es die vollständige Version von ‚Taran‘ noch gäbe.