‚Halloween Kills‘ (2021) – Michael vs. Myerfighters

Hier eine Halloween nach Halloween Besprechung außer der Reihe. Denn ich habe über den Oktober ‚Halloween‘ (1978), ‚Halloween‘ (2018) und dieses „Meisterwerk“ in Erwartung des Abschlusses der neuen Trilogie geschaut. Ich wollte eigentlich nix drüber schreiben, aber der Film ist so doof, dass ich einfach nicht anders kann. FILMLICHTER WRITES TONIGHT! Um es mal in haddonfieldschen Begriffen auszudrücken.

Also, am Ende des letzten Films haben Laurie (Jamie Lee Curtis), ihre Tochter Karen (Judy Greer) und Enkelin Allyson (Andi Matichak) Lauries Festung/Falle in Brand gesteckt, mit Michael im Keller eingesperrt. Noch bevor das Trio um die schwerverletzte Laurie im Krankenhaus angekommen ist, erreicht die Feuerwehr den Brand. Und, welche Überraschung, ein nur leicht angesengter Michael metztelt nicht nur ein gutes Dutzend Feuerwehrleute, sondern macht direkt da weiter, wo er letzten Film aufgehört hat und sucht Haddonfield mit allerlei scharfen und spitzen Werkzeugen heim. Da die Polizei um Sheriff Barker (Omar Dorsey) so ineffektiv wie eh und je auf den Mann in der Shatnermaske reagiert, formiert sich um Tommy Doyle (Anthony Michael Hall), jenen Jungen den Laurie 1978 babysittete, nun in seinen 50ern, und einige andere Myers Überlebende alsbald eine Bürgerwehr mit dem Ziel Michael zu töten. Doch von einer derart spontanen Eingreiftruppe zum mörderischen Mob ist der Weg nicht weit.

Okay, fangen wir positiv an. Ich finde grundsätzlich sehr gut, was der Film hier versucht. Den Fokus von Laurie und Michael zu nehmen und auf ganz Haddonfield aufzuziehen. Vor allem aber die übrigen Michael-Überlebenden in den Mittelpunkt zu stellen. Allein, die Umsetzung steht dem im Weg. Aber ich wollte ja positiv anfangen. Was dem Film gut gelingt, sind die kleinen Nachbarschaftvignetten. Er stellt uns die Bewohner eines Hauses kurz aber effektiv vor, etwa Diva Tyler als Friedhofswärterin Sondra aus dem vorherigen Teil und ihren Mann (Lenny Clark). Die spielen hier mit einer Drohne und trinken Wein, und wir haben gerade genug Zeit um sie wirklich zu mögen, bevor Mörder-Michael in ihr Badezimmer platzt und das Morden beginnt. Jenes Morden ist hier mit durchaus effektiven Gore-Effekten ausgestattet und ein ganzes Stück brutaler als im letzten Film.

Auch gibt der Film jede Idee, Michael könne ein gewöhnlicher Mensch sein komplett auf. Nicht nur, dass ein angekokelter Mittsechziger hier ein Dutzend mit Äxten bewaffneter Feuerwehrleute am Stück niedermacht, auch Lauries Voice Over (viel mehr kriegt Curtis übrigens nicht zu tun, Laurie darf ja ihr Krankenbett nicht verlassen) macht völlig klar, dass kein Mensch überstehen könnte, was mit Michael alles in dieser Nacht passiert. Hatte Doktor Loomis mit seiner professionellen Einschätzung, „EEEVIIIL!!!“, also völlig recht. Ich nehme an, das macht ihn vom schlechtesten Psychiater aller Zeiten zu einem reichlich ineffektiven van Helsing. Upgrade?

Apropos Doktor Loomis, der taucht in Form eines durchaus überzeugenden Donald Pleasance Doppelgängers (Artdirector des Films, Tom Jones jr.) in den ausführlichen Rückblenden ins Jahr 1978 kurz auf. Diese sind technisch sehr gut gemacht, Schnittempo, Kamerabewegung, alles orientiert sich hier sehr gelungen an John Carpenters Original. Hat aber den Effekt dieser Legacy Sequels, dass jeder Moment des Originals quasi zum magischen Augenblick verklärt wird. Ja, wir kriegen jenen Hundekadaver zu sehen, an dem Michael, laut Loomis, geknabbert hat.

Carpenter, sein Sohn Cody und  Patenkind Daniel Davies sind musikalisch in absoluter Form und liefern hier interessante neue Interpretationen alter Stücke aber auch gelungene neue Musik ab. Sehr gut und vermutlich das Beste am Film. Und damit sind wir am Ende des Positiven.

Als Horrorfan weiß man, dass die Protagonisten in diesen Filmen teilweise mal blöd handeln müssen, einfach um die Handlung am Laufen zu halten. Aber wenn ein Drehbuch davon ausgeht, dass jeder einzelne Charakter so dumm wie irgend möglich handelt, nicht einmal um die Handlung am Laufen zu halten, denn die ist ohnehin unwesentlich, dann fange ich wirklich an, an meinem eigenen Geschmack zu zweifeln. Ich meine, man könnte zwischendurch meinen, man wäre nicht in Haddonfield, sondern im Simpsons’schen Springfield gelandet. Nicht bloß weil die Leute reichlich doof sind, sondern weil sie es kaum erwarten können, einen Mob zu formen.

Anthony Michael Hall kämpft tapfer mit den idiotischen Dialogen, die er als Tommy Doyle von sich geben muss, am Ende wird es aber ein Rückzuggefecht, das vermutlich kein Darsteller gewinnen könnte. Ich verstehe, was Autor/Regisseur Green mit der Handlung um Tommy Doyle ausdrücken wollte. Im tiefen Herzen eigentlich wohlmeinende Leute formen sich allzu leicht zu einem Mob der simplistische Slogans a la „EVIL DIES TONIGHT!“ brüllt und so zur mörderischen Gefahr wird. Ich könnte das Ganze vielleicht ernster nehmen, wenn der Mann, den sie als Michael Myers identifizieren und in den Tod hetzen, nicht körperlich so weit wie irgendmöglich von Myers entfernt wäre und sich die Leute, die wissen, dass es nicht Michael ist nicht wie absolute Vollidioten anstellen müssten, damit sie den Mob eben nicht davon überzeugen können, hier den Falschen zu haben. Aber hier wird der Springfield Vergleich unfair. Denn wenn Sheriff Barker nach dem Tod des Unschuldigen auf der Treppe sitzt und in seinen Cowboyhut heult, dann wäre das sogar für einen Clancy Wiggum zu viel an schierer Nutzlosigkeit! Da kann ihm höchstens noch Karen das Wasser reichen, die Michael mit einer Mistgabel in den Rücken ausschaltet. Doch nutzt sie die dann um weiterzuarbeiten, bis bloß noch feinstes Myers-Mus übrig bleibt? Nö. Sie klaut ihm stattdessen die Maske…

Eine Handlung als solche gibt es kaum. Michael zieht durch Haddonfield und mordet, der Mob folgt ihm und Laurie liegt im Bett. Klar, wenn man schon Jamie Lee Curtis als Darstellerin hat, warum was mit ihr anfangen? Hier drehen gut 100 Minuten lang alle erzählerischen Zahnräder hohl und am Ende sind wir an exakt demselben Ort wie am Anfang, bloß Michaels Bodycount ist nun albern hoch und Haddonfield der dümmste Ort der USA. Die Extended Edition flanscht da noch ein Ende dran, dass mit dem neuen dritten Teil nix zu tun hat. Aber immerhin muss Curtis dafür aufstehen.

Aber wer braucht denn auch schon Handlung, wenn wir auf die alten Filme anspielen können. Das 78er Original wird in langen Rückblenden ausgeschlachtet und nicht nur die Crew um Tommy Doyle (darunter auch Lonnie (get your ass away from there) Elam) kommt zurück, auch Charles Cyphers, der damalige Sheriff Brackett kommt als alter Sicherheitsdienstmann im Krankenhaus zurück, der sich dem Mob anschließt und allen Ernstes den Satz sagen muss „Now he has made us into monsters!“. Nur falls jemand die allzu subtile Aussage des Mob-Plots nicht kapiert haben sollte. Aber nicht nur auf den ersten Film wird angespielt, auch Ben Tramer findet Erwähnung, die Silver Shamrock Masken sind zu finden und sicher noch viel mehr, was mir nicht aufgefallen ist. Busta Rhymes Karatekünste hingegen bleiben unerwähnt. Okay, damit hätte ich vermutlich ausreichend klargemacht, dass dies ein nicht sonderlich guter, wahnsinnig doofer Film ist. Sprich, ein typisches ‚Halloween‘ Sequel. Aber ich habe mich trotz allem nur selten gelangweilt. Die einzelnen Vignetten funktionieren, wie erwähnt, als Minierzählungen ziemlich gut. Die Krankenhaus und Mob-Szenen, die als Kitt dazwischen dienen, funktionieren nicht wirklich. Aber immerhin funktionieren sie auf eine meist unterhaltsame Weise nicht. Sprich, ich kann meist immerhin über den Film lachen, anstatt mich zu langweilen. Empfehlen kann ich ihn trotzdem nicht. Er wirkt auf mich wie ein technisch versierter Fanfilm mit riesigem Budget, der sich in Anspielungen auf Bestehendes verliert und absolut nichts eigenes zu sagen hat.

‚Der Blob‘ (1988)

‚Blob – Schrecken ohne Namen‘ von 1958 war auf manche Weise ein typischer Vertreter des 50er Jahre B-Movies. Ein alles verschlingender, außerirdischer Organismus, delinquente Teenager von 30Jährigen gespielt, die amerikanische Kleinstadt gegen „das Fremde“, das letztlich mehr oder weniger Metapher für den Erzfeind des kalten Krieges, den Kommunismus war. Dennoch bringt er auch einige Auffälligkeiten mit. So entstand er außerhalb des Hollywoodsystems, Regisseur Irvin Yeaworth arbeitete sonst mit dem Televangelisten Billy Graham zusammen. Es war die erste Hauptrolle für „King of Cool“ Steve McQueen und brachte durchaus ein paar erinnerungswürdige Szenen mit, allen voran vielleicht die, wenn der Blob in ein Kino eindringt.

30 Jahre später jedenfalls schwebten Pläne eines Remakes durch Hollywood. Und mit Autor Frank Darabont und Regisseur Chuck Russell waren zwei am Werk, die mit dem unterschätzen dritten ‚Nightmare On Elmstreet‘ bereits zusammengearbeitet haben. Darabont ist heute für seine Stephen King Verfilmungen, vor allem aber als Entwickler des TV Dauerbrenners ‚The Walking Dead‘ bekannt. Russell hat später etwa den unterschätzten Arnie-Kracher ‚Eraser‘ gedreht und mit ‚Die Maske‘ dazu beigetragen Jim Carrey zu dem Komiker der 90er zu machen.

In ‚Der Blob‘ schlägt ein Meteorit nahe der Kleinstadt Arborville ein. Er bringt eine Schleimpilz-artige Substanz auf die Erde, der sich aus eigener Kraft fortbewegen und biologisches Material auflösen kann. Sein erstes Opfer wird ein Landstreicher (Billy Beck) an dessen Hand er sich festsetzt. Panisch läuft der Mann vor das Auto von Highschool-Football-Star Paul (Donovan Leitch) und Cheerleaderin Meg (Shawnee Smith). Die beiden bringen ihn ins Krankenhaus und da sich Teenage-Tunichtgut und Biker Brian Flagg (Kevin Dillon) in der Nähe aufhält, zwingt Paul den auch zum Mitkommen, denn sicher hat der was mit der Sache zu tun. Im Krankenhaus kommt es zu ersten grotesken Toden und bald ist auch der Rest des Dorfes nicht mehr sicher. Nicht vor dem Blob und nicht vor einer Gruppe Soldaten und Wissenschaftlern in Gefahrenschutzanzügen, die alsbald auftauchen.

Im Großen und Ganzen folgt der Film den Konventionen des 50er Jahre B-Movies. Allerdings hat er auch einige „moderne“ 80er Kniffe zu bieten. So stellt sich das „Alien“ alsbald nämlich als misslungenes Biowaffenexperiment der USA heraus, der „Meteorit“ als abgestürzter Satellit. In der post-Watergate Welt, nach der Paranoia der 70er und dem Zynismus der 80er steht das Fremde und Böse nicht mehr notwendig für den Feind am anderen Ende der Welt, sondern für hausgemachte Gefahr und ihre rücksichtslose Vertuschung. In gewisser Weise nimmt der Film so die Thematik von ‚Akte X‘ voraus, an die ich mich hier durchaus teilweise erinnert fühlte.

Aber selbstverständlich schaut so einen Film niemand, aufgrund möglicher politischer Kommentare, sondern wegen der B-Movie Thrills, die man sich erhofft. Und da  kann ich sagen, hier liefert ‚Der Blob‘ auch heute noch voll ab. Er überrascht zunächst mal damit, wer wann stirbt. Und hier weiß er wirklich zu überzeugen, weswegen ich dazu gar nicht mehr sagen möchte. Bleiben die praktischen Effekte, die hier elegant-eklig und wirklich grotesk sind. Seien es die Opfer des Blob, die bizarr aufgelöst werden, oder ihre Leichen, die später in seiner Gallerte herumschwimmen. Das ist eklig und sieht verdammt überzeugend aus. Weit weniger funktionieren Composite Shots, wenn Leute später dem Riesenblob gegenüber stehen. Derartige Tricks hat man auch aus den 80ern besser gesehen. Aber wenn der Blob eine Telefonzelle umschwemmt, was wir aus dem Inneren sehen, oder der Film die Kinoszene des Originals nachstellt und übertrifft, dann sind das echte Höhepunkte der Tricktechnik.

Ich habe daher öfters den Vergleich mit John Carpenters ‚The Thing‘ gesehen, den ich für mich aber kaum nachvollziehen kann. Sicher, die Effekte in beiden Filmen sind beeindruckend, aber die Atmosphäre von ‚Der Blob‘ ist weit weniger nihilistisch und düster. Wenn ich ihn stimmungsmäßig mit etwas aus der Zeit vergleichen sollte, dann vermutlich am ehesten ‚Return of The Living Dead‘. Wobei auch der durchaus zynischer und sicherlich mehr „punk“ ist.

Beiden gemein ist aber ein amüsierter Tonfall, ohne wirklich zur Komödie zu werden. So wird hier im Kino der fiktive Slasher ‚Garden Tool Massacre‘ gezeigt. Und der Moment, in dem Meg Paul ihrem Vater vorstellt, könnte auch direkt aus einer Sitcom stammen. Die Atmosphäre der Kleinstadt mit ihrem Diner, Sheriffstation und der hübschen Cheerleaderin zwischen dem Football-Quarterback und dem Biker-Außenseiter hat mich, selbstverständlich, auch an ‚Twin Peaks‘ erinnert. Nicht ganz ohne Grund, so tauch Jack Nance (Pete Martell in ‚TP‘) hier immerhin für ein paar Sekunden als Arzt auf.

Unter den Darstellern sticht ganz klar Shawnee Smith (Jigsaws rechte Hand in der ‚Saw‘-Reihe) positiv hervor. Ihre Meg ist von Anfang an ein hochsympathischer Charakter, der eine glaubhafte Wandlung von der naiven Cheerleaderin zum „badass“, aber nicht übermächtigen Final Girl durchmacht. Kevin Dillon (Matts jüngerer Bruder und „Drama“ aus ‚Entourage‘) kämpft als Biker Brian gelegentlich mit dem allzu offensichtlichen (und sicherlich augenzwinkernden) Skript (er muss tatsächlich „ich habe ein Problem mit Autoritätsfiguren“ sagen), liefert letztlich aber ebenfalls eine sehr sympathische Performance ab. Ansonsten möchte ich nur noch Del Close als Pastor Meeker erwähnen, der im Blob alsbald eine biblische Strafe und die Apokalypse erkennen will. Nun ist im Horrorfilm für Priester allgemein wenig Platz zwischen „heldenhaftem Exorzist“ und „Untergangsprediger, 5 Minuten vom eigenen, apokalyptischen Kult entfernt“. Allerdings frage ich mich hier, ob der eine Anspielung auf die Verbindung des Blob-Originals zum durchaus unangenehmen Prediger Billy Graham sein soll. Zutrauen tät ich es dem Film.

Wer für Halloween noch einen ekligen Monsterfilm, mit durchaus grotesken, überraschenden, aber nicht unbedingt Alpträume auslösenden Toden sucht, macht mit ‚Der Blob‘ sicherlich wenig falsch. Die Kunst von Darabont und Russell ist es die bekannten Versatzstücke so geschickt anzuwürzen, dass ein wirklich interessantes Menü dabei herauskommt. Schmeckt wirklich gut, auch wenn es nach Glibber aussieht!

‚Climax‘ (2018) – Nein, Mann! Ich will noch nicht geh’n…

Man ahnt es bereits, auch hier könnte man wieder weidlich um die Genreeinfassung als Horror streiten. Unpassend ist sie allerdings keinesfalls. Und Regisseur Gaspar Noé, nie um freudige Provokation verlegen, wird es sicherlich gefallen. Falls Ihr, wie ich, durchaus schlechte Erfahrungen mit diesem Regisseur gemacht habt, dann lasst Euch gleich einleitend sagen, dass das hier sein vermutlich zugänglichster Film ist. Was seltsam klingen wird, sobald ich ihn genauer beschrieben habe. Doch wer seine anderen Filme kennt, wird mir zustimmen müssen.

Im tiefsten Winter des Jahre 1996 hat die Tanztruppe der Choreographin Emmanuelle (Claude-Emmanuelle Gajan Maull) seit drei Tagen eine komplexe Choreografie für eine anstehende Tournee trainiert. Dafür haben sie sich in ein abgelegenes, nicht mehr verwendetes Schulgebäude auf dem Land zurückgezogen. Zur Feier des ersten, erfolgreichen Durchlaufs spendiert Emmanuelle selbstgemachte Sangria. Die Gespräche unter den 21 Tänzerinnen und Tänzern beginnen fröhlich, werden ausgelassen und dann teilweise ausufernd oder gar aggressiv. Als ihr das merkwürdige Verhalten ihrer Kollegen auffällt, spricht Tänzerin Selva (Sofia Boutella) den Verdacht aus, dass jemand die Sangria mit halluzinogenen Drogen versetzt habe. Emmanuelle ist natürlich die erste Verdächtige, streitet allerdings alles ab und ist damit beschäftigt ihren kleinen Sohn Tito (Vince Galliot Cumant), der sich ebenfalls einen kleinen Schluck Sangria erschlichen hat, vor dem aggressiven Verhalten der unfreiwillig Vergifteten in Sicherheit zu bringen. Den, aufgrund seiner Religion, dem Alkohol entsagenden Omar (Adrien Sissoko) und Lou (Souheila Yacoub), die ebenfalls nichts getrunken hat, erwischt es deutlich schlimmer, als die Masse der Tänzer sich immer weiter von rationalem Handeln entfernt und alle mit ihren eigenen Geistern ringen, oder sich ihrem Verlangen, sei es freizügig oder sehr finster, hingeben.

 Der Film beginnt mit einem direkten visuellen Verweis auf ‚The Shining‘. Und Benoît Debies Kamera folgt den Darstellern später durch die Gänge der Schule, getaucht in Primärfarbenes Licht, das Dario Argento gefallen würde, wie einst Kubrick es mit Danny Torrance auf seinem Dreirad getan hat. Doch Noés Ansatz ist letztlich ein genau gegenläufiger. Während es bei Kubrick die schreckliche Einsamkeit in einem Hotel voller Geister war, die seinen Protagonisten in den Wahnsinn trieb, gibt es hier keine Geister und die klaustrophobischen Orte sind, im Gegenteil, angefüllt mit entfesselter Menschheit. Es ist eine Höllenfahrt als Kammerspiel, die sich zu einem guten Teil in der alten Turnhalle mit dem roten Linoleumboden und der erdrückend riesigen, französischen Flagge abspielt.

Wir sehen keine Geister, die Charaktere hingegen sicherlich schon. Noé lässt uns hier nicht mit visuellen Mitteln oder Effekten am Trip seiner Charaktere teilhaben. Wir sind in die erschreckende Rolle des Nüchternen auf einer rapide entgleisenden Party gezwungen. So sehen wir Selva, die hypnotisiert auf eine Fototapete starrt und Isabelle Adjanis U-Bahn-Moment aus ‚Possession‘ nachzuerleben scheint. Emmanuelle, die ihren kleinen Sohn „zum Schutz“ in den Transformatorraum(!!) der Schule sperrt (und prompt den Schlüssel verliert). Und es ist kein guter Ort für Nüchterne, wie Omar und Lou schnell und schmerzhaft erfahren. Erst zum Ende hin dreht Debie seine Kamera auf den Kopf. In der Notbeleuchtung der Turnhalle sind nunmehr nur noch zuckende Arme, Beine und Leiber zu erkennen, keine Individuen mehr auszumachen. Wir schweben scheinbar endlos durch ein bewegtes, apokalyptisches Hieronymus Bosch-Gemälde. Die Fahrt hat die Hölle erreicht. Und endet dann dort wo sie begonnen hat. Die Sonne geht wieder auf. Wenn auch nicht für alle Charaktere.

Das ist denn auch, was der Film letztlich ist. Ein visuelles Erlebnis, ein Trip, eine Erfahrung. Es ist weder eine komplexe Handlung, noch ausgearbeitete Charaktere, die wir hier bekommen. Es ist sogar schwer wirklich einen Hauptcharakter auszumachen. Am ehesten noch Selva, mit der wir vermutlich die meiste Zeit verbringen und die mit Sofia Boutella die einzige professionelle Schauspielerin als Darstellerin hat (Korrektur: Souheila Yakoub hatte ebenfalls Schauspielerfahrung und ist, nach diesem Film durchaus gefragt. So wird sie im zweiten Part von ‚Dune‘ zu sehen sein). Die anderen Charaktere werden sämtlich von Tänzern dargestellt. Und das ist eine hervorragende Entscheidung. Denn die mögen nicht allesamt sagenhaft begabte Darsteller sein, sind aber mit erkennbarer Verve bei der Sache und bringen vor allem eine physische Präsenz mit, die für den Film sehr wichtig und einem des Tanzes nicht begabten Darstellers vermutlich schwer beizubringen wäre. Mal ganz davon ab, dass die immer wieder vorkommenden Tanzszenen nicht eingeübt, sondern sämtlich improvisiert sind.

Am meisten über die Charaktere erfahren wir ganz am Anfang, von aufgezeichneten Einstellungsgesprächen, die uns auf einem alten Röhrenfernseher, eingezwängt zwischen Videokassetten von ‚Suspiria‘, ‚Possession‘, Die 120 Tage von Sodom‘ und ähnlichen auf der einen und Werken von Nietzsche und Büchern über Lang und Murnau auf der anderen. Dies lässt zunächst ein arg verkopftes Werk vermuten, meiner Meinung nach bekommen wir aber das genaue Gegenteil. Der Film funktioniert dann am besten, wenn man ihn als Erlebnis über sich hinwegwaschen lässt. Ein Trip zur Musik von Aphex Twin und Giorgio Moroder. Ein Film, der uns, in sicherlich völlig gewollter Ironie, gar den titelgebenden „Klimax“ vorenthält.

Natürlich ist es immer noch ein Film von Gaspar Noé und so komme ich um einige inhaltliche Warnungen vermutlich nicht herum. Hier stirbt ein Kind, wird eine Schwangere brutal in den Bauch getreten, zieht sich eine inzestuöse Beziehung mal mehr mal weniger erzwungen durch den Film, Selbstverletzung wird mehrfach gezeitgt. Die Bruchstellen zwischen den Tänzerinnen und Tänzern, die unter dem ungewollten Drogeneinfluss zur Katastrophe führen sind intim und oftmals schmerzhaft. Und doch geschieht erstaunlich viel vom Schrecklichsten offscreen. Noé verzichtet einmal darauf voll draufzuhalten und kann so vermutlich ein weit größeres Publikum abholen. Die Werbung für den Film bei den Festspielen von Cannes trug dem humorige Rechnung, indem sie verkündete: „You despised ‚I Stand Alone‘, hated ‚Irréversible‘, execrated ‚Enter the Void‘, cursed ‚Love‘, come celebrate ‚Climax‘.“

Ich bin sicher Noé rächt sich in seinem nächsten Werk ganz furchtbar für eine derart positive Resonanz auf einen seiner Filme. Aber bis dahin kann ich ‚Climax‘ tatsächlich ein Stück weit dafür feiern was er ist!

Kurz & schmerzlos Halloween Special

Ja, ist denn heut scho Weihnachten? Nein. Auch wenn beim Supermarktbesuch ein anderer Eindruck entstehen könnte. Es ist noch nicht einmal Halloween. Und trotzdem gibt es heute nicht einen, nicht zwei, sondern gleich drei gruselige Kurzfilme!

‚Ghost Dogs‘ (2020)

Ein Animationsfilm von Joe Cappa. Ein frisch adoptierter Hund ist allein zuhause, abgesehen vom Staubsaugroboter. Da wird er von den Geistern früher Hunde des Hauses heimgesucht. Visuell einfallsreiche, ungewöhnliche 11 Minuten, ohne Dialoge (wohl aber mit einem Monolog). Fängt wunderbar den Geist dieser Dinge ein, die man früher spät abends beim Durchzappen sah und sich nie ganz sicher war, ob man das wirklich gerade gesehen hat.

‚Scary Car‘ (2022)

Vier ca. 30 Jahre alte Teenager sind von Aliens, Geistern und allerlei Verschwörungstheorien begeistert. Und nun sitzen sie mitten im Wald im Auto um eine außerdimensionale Wesenheit zu beschwören. Keiner rechnet damit, dass es wirklich funktioniert, doch plötzlich ist einer von ihnen… anders. ‚Blair Witch Project‘ als Stoner Komödie beschreibt diesen Short recht gut. Das klingt so als sollte es nicht funktionieren, tut es aber ganz wunderbar.

‚Those That Follow‘ (2022)

In Thailand haben zwei jugendliche Gangster einen Laden überfallen und die ältere Besitzerin dabei schwer verletzt. Nun verstecken sie sich in einer Hütte im Wald (immer die beste Idee im Horrorfilm!), in einer ländlichen Region, wo gerade das Phi Ta Khon Geisterfestival gefeiert wird. Das bedeutet zwar einerseits, dass mehr Leute als gewöhnlich auf den Straßen sind, andererseits aber auch, dass man sich hinter Masken verbergen kann. Doch die Probleme der beiden fangen erst an, als sie eine merkwürdige Maske finden. Parkpoom Wongpoom (einer der Ko-Regisseure hinter dem interessanten Kamerahorror ‚Shutter‘ von 2004) inszeniert in etwa 23 Minuten eine gelungene Mischung aus Folk-Horror, Geisterspuk und ungesühnter Schuld. Man sollte wohl dazusagen, dass es sich in gewisser Weise um einen Apple Werbespot handelt, da der Film sehr deutlich macht, dass er komplett auf einem iPhone 13 Pro entstanden ist. Aber solange die Werbung nur darin besteht die Leistungsfähigkeit der Kamera zu präsentieren, während Wongpoom dadurch gleichzeitig die finanziellen Mittel für Komparsen, Kostüme und den ein oder anderen Spezialeffekt hatte, habe ich damit ehrlich gesagt kein allzu großes Problem. 

‚Possession‘ (1981) – Kramer gegen Kra- OH MEIN GOTT, WAS IST DAS??!!

Bei Andrzej Zulawskis ‚Possession‘ kann man sicherlich lange über die Genre Einteilung diskutieren. Aber am Ende wird man immer beim Horror landen. Denn machte man den Fehler, ihn als „Scheidungsfilm“ zu kategorisieren, würde er sich vermutlich sofort selbst zum Spinnenkaiser des Universums ernennen, seine grausigen Extremitäten triefend von Schleim und dem Blut seiner Opfer, brüllt er sein irrsinniges Schnattern in eine endlose Nacht voll sterbender Sterne, seinem Klagen taub. Und uns hält er einen Spiegel vor, in dem wir all die kleinen und großen Grausamkeiten, die wir an unseren Mitmenschen im Laufe unseres Lebens begehen und die an uns begangen werden, vorgeführt bekommen. Die kleinen Verletzungen, die unbedeutend erscheinen, aber in Traumata metastasieren, die unsere Seele in ihren kalten, gnadenlosen Klauen umklammern. Also, seien wir lieber von Anfang an ehrlich und nennen ihn was er ist: Horror.

Der Spion Mark (Sam Neill) kehrt von einer nicht näher benannten Mission nach West-Berlin zurück. Hier teilt ihm seine Ehefrau Anna (Isabelle Adjani) in deutlichen Worten mit, dass sie die Scheidung will. Obwohl sie insistiert, dass es nichts damit zu tun habe, dass sie einen anderen Mann gefunden habe, bleibt Mark misstrauisch. Er flüchtet sich in ein wochenlanges Alkoholdelirium. Als er zur gemeinsamen Wohnung zurückkehrt ist Anna verschwunden und der kleine gemeinsame Sohn Bob (Michael Hogben) allein und verwahrlost. Daraufhin wirft Mark die zurückkehrende Anna aus der Wohnung und will sich fortan selbst um Bob kümmern. Alsbald meldet sich Annas neue Beziehung, der seltsame Esoteriker Heinrich (Hein Bennent), bei Mark, weil auch er nicht mehr weiß wo sie ist. Ein beauftragter Detektiv verfolgt sie bis zu einem heruntergekommenen Altbau, verschwindet dann jedoch selbst. Irgendetwas versteckt sich in der verdreckten Wohnung. Etwas, das vollständig Besitz von Anna ergriffen zu haben scheint.

Der Film transportiert auf unangenehm rohe Weise die Gefühle, die mit dem unglücklichen Ende einer Beziehung einhergehen. Den Schmerz, die Entfremdung, die Paranoia und das Trauma. Zulawski bildet die Räume um die Charaktere beinahe leer ab, sie sind gefüllt mit kalten Blautönen. Bruno Nuyttens unstete Kamera saust durch die Gegend, verfolgt Charaktere, kreist um sie herum, stellt sie immer wieder in den Mittelpunkt. Die erste Hälfte zeigt hierbei noch halbwegs realistisch den emotional aufgeladenen, drastischen Konflikt zwischen Kontrollfreak Mark und der nach einer eher undefinierten Freiheit, vor allem aber nach der Gesellschaft des oft abwesenden Mark, strebenden Anna. Wir als Zuschauer werden in die Rolle des passiven Beobachters geworfen. In die unangenehme Rolle des Besuchsgastes, wenn zwischen dem Gastgeber-Paar plötzlich ein heftiger Konflikt entbrennt. Die ersten Worte des Films sind die Fortsetzung eines Streits, der begann, lange bevor wir überhaupt da waren. Zulawski ist hier gnadenlos und deutlich in seiner Darstellung eines Konflikts, der auch vor häuslicher Gewalt und Selbstverletzung nicht haltmacht.

Doch bereits hier hält das Seltsame Einzug. NVA-Soldaten spähen über die Mauer in die Fenster der Wohnung von Anna und Mark. Paranoia eines Spions, oder steckt mehr dahinter? Plötzlich entpuppt sich Bobs Grundschullehrerin Helen (ebenfalls Adjani) als exakte Doppelgängerin von Anna. Etwas, das Mark nie hinterfragt, aber zum Anlass nimmt eine Beziehung mit ihr zu beginnen.

Doch in der zweiten Hälfte des Films bricht sich der Horror endgültig Bahn, wenn Anna selbst zur Agentin eines widerwärtigen Urbösen wird. Wenn sie einem grotesken Tentakelwesen auf der Toilette einer völlig verdreckten, vermüllten Wohnung (im direkten Kontrast zu Anna und Marks moderner, aber seltsam kahler Wohnung) nicht nur sich selbst, sondern auch Todesopfer zuführt. Darunter auch Carl Duering als vielleicht schlechtester Privatdetektiv der Filmgeschichte. Es entbrennt ein grotesker Akt der Ko-Selbstzerstörung im Laufe dessen auch Mark zum Mörder wird und an dessen Ende von beiden Partnern nichts mehr übrig ist, als seltsame Abbilder und allgegenwärtige Zerstörung.

Zulawski ging, für absolut niemanden überraschend, durch eine sehr hässliche Trennung, als er den Film schrieb. Doch war es für ihn nicht nur eine Zeit der persönlichen Trennung, sondern auch die Zeit, in der er sein Heimatland, das sozialistische Polen, endgültig verlassen hatte und nach Frankreich gegangen war. Und so spiegelt auch sein Film das Persönliche auf einer größeren Projektionsfläche wider. Anna und Marks grausige Trennung vollzieht sich im geteilten Berlin. Mit seiner Mauer sinnbildlich für ein getrenntes Deutschland. Eine Trennung, die nicht zuletzt Folge eines grausigen Traumas war, das Deutschland der Welt aufgezwungen hat. Beide Häuser, der elegante Neubau und der verfallene Altbau (Sebastianstr. 87, wo man heute die (hoffentlich sanierten) Wohnungen teuer mieten kann), liegen in direkter Nähe zur Mauer. Ein seltsamer Mann in rosa Socken (Maximilian Rüthlein) versucht Mark in seine alte Spionagearbeit zurückzuholen (oder doch ihn umzudrehen, man weiß es nie). Und der Film endet mit einer Andeutung von gigantischer Vernichtung, die hier in direkter Nähe des Eisernen Vorhangs wohl nie weit entfernt schien und die die Desintegration der zentralen Beziehung in ein größeres Ganzes einfügt.

Zentral für das Gelingen eines solchen Films sind die Darsteller. Vor allem natürlich das zentrale Paar. Der damals noch recht unbekannte Sam Neill gibt seinen Mark als nach außen hin kühl-analytischen Charakter, eine Fassade, die allerdings schnell bröckelt. Im Streit mit Anna entpuppt er sich als kleinlicher Tyrann, der Besitztümer zurückfordert und seine moralische Überlegenheit feiert. Neill gibt das nuanciert zwischen erbostem Fordern und kindlichem Betteln, wenn er an Bobs Spieltisch sitzt und zu Anna aufblickt. Isabelle Adjani liefert hier die Art von Darstellung ab, die entweder sämtliche Schauspielpreise der Welt bekommen, oder dafür sorgen sollte, dass sie nie wieder eine Rolle bekommt. Die Tatsache, dass weder das eine noch das andere eingetreten ist, ist zumindest seltsam. Als Anna liefert sie auf einer Intensitätsskala von 1 bis 10 keine Szene unter einer 9,5 ab. Was natürlich dafür sorgt, dass sie gelegentlich auf 12 hochschalten muss. Da ist eine Szene in einem U-Bahnhof in diesem Film, in der sie die typischen Grenzen narrativen Schauspiels definitiv hinter sich lässt und in die Performance Art wechselt. Es ist eine Szene, von der ich Euch versprechen kann, dass Ihr sie nie vergessen werdet. Ob das gut oder schlecht ist, das müsst Ihr für Euch selbst entscheiden. Überhaupt hängt viel ob Ihr den Film mögt oder nicht davon ab, was Ihr vom Spiel, insbesondere von Adjanis Spiel, haltet. Funktioniert es für Euch nicht, bekommt Ihr hier vermutlich nur ein Fließband grotesker Grausamkeiten präsentiert und werdet den Film sicher lange vor seinem Ende abschalten.

Wenn es aber funktioniert, so wie für mich, dann bekommt Ihr hier ein absolut einmaliges Filmerlebnis geliefert. Ich tue mich schwer damit den Film als einen meiner Lieblingsfilme zu bezeichnen. Weil er sich einer solchen Kategorisierung nun endgültig entzieht. Und auch weil es ein Film ist, den ich nicht häufig sehen muss oder will oder kann. Und in der richtigen Stimmung sein muss wenn ich ihn schaue. Und selbst dann solltet Ihr gewarnt sein, dass der Film sich im Unterbewussten festsetzt. Ihr könnt mit großem Vergnügen ‚Jurassic Park‘ schauen und plötzlich bekommt Ihr beim Anblick Sam Neills die Vision eines elektrischen Fleischmessers…

Mehr Point & Click Grusel und andere Games

Letztes Jahr habe ich Euch an dieser Stelle einige meiner liebsten Point & Click Gruseladventures (falls Ihr nicht wisst, was das ist, findet Ihr eine sehr kurze Erklärung dort) empfohlen. Und dieses Jahr mache ich genau da weiter, wo ich aufgehört habe, verlasse das Genre aber auch, um ein paar andere nicht ganz mainstreamige Games aus dem Grusel-Bereich vorzustellen. Fangen wir mal mit einem ganz aktuellen Spiel an.

‚The Excavation of Hob’s Barrow‘

Dieser Titel ist erst vor ein paar Wochen erschienen, entwickelt von Cloak and Dagger Games und verlegt von Dave Gilberts Wadjet Eye Games, was bereits eine gewisse Qualitätsgarantie für Retro Adventures bedeutet. Und wir haben hier einen ganz typischen Vertreter dieser Art von Spiel. In eleganter Pixelgrafik, wie sie für Adventures der frühen 90er State-of-the-Art war und die heute immer noch verdammt gut aussieht. Das Spiel ist weit weniger ambitioniert als das im letzten Jahr hier vorgestellte, von Wadjet Eye selbst entwickelte ‚Unavowed‘ mit seinen wählbaren Partymitgliedern, Wiederspielbarkeit und mehreren Enden. Es ist einfach ein klassisches Adventure, das durchaus elegant seine Story erzählt. Und es ist genau diese Story und das Flair, das sie einfängt, das dieses Spiel auszeichnet. Das Flair des typisch britischen Folk-Horrors. Der Spieler übernimmt die Rolle von Thomasina Bateman, einer jungen Frau aus gutem Hause im spätviktorianischen England. Sie erforscht Hügelgräber, ein Interesse, das sie von ihrem Vater geerbt hat, der seit 25 Jahren in einem Wachkoma liegt. Nun führt sie die Einladung eines gewissen Mr. Shoulder in das einsame Kaff Bewlay, das umgeben von kilometerweitem Heideland liegt. Hier soll es mit „Hob’s Barrow“ ein besonders interessantes Hügelgrab geben, um das sich viele lokale Legenden drehen. Doch in Bewlay angekommen, ist nicht nur Mr. Shoulder unauffindbar und die abweisende Bevölkerung will nie von einem Hob’s Barrow gehört haben, auch Thomasinas Gehilfe, der eigentlich nachkommen sollte bleibt verschwunden. All das hält sie aber nicht davon ab, sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Grabhügel zu machen.
‚The Excavation of Hob’s Barrow‘ ist kein ausdrückliches „Herbstspiel“, tatsächlich erfahren wir nie genau, wann das Spiel spielt, aber die raue Heidelandschaft, der Nebel, der Regen, all das erweckt alsbald ein wohlig-gruseliges Herbstgefühl. Die wunderbare Pixelgrafik wird immer mal wieder von ungewöhnlich realistischen Animationen unterbrochen, die auf die bestmögliche Weise unharmonisch hervorstechen und einen als Spielenden aus dem Trott holen. Die Rätsel sind in Ordnung, wenn auch insgesamt etwas leicht. Dank Questlog und Schnellreisesystem kommt man eh komfortabel durch. Aber Rätsel stehen, zumindest bis zum letzten Viertel des Spiels, gar nicht unbedingt im Vordergrund, sondern die Erzählung und Atmosphäre. Und die Charaktere. Man fühlt sich zutiefst unwohl und verwundbar in Bewlay. Nicht nur, weil man es mit Einwohnern zu tun hat, die immer noch nicht verwunden haben, dass man nun, aufgrund der Bahnlinie, mit Fremden im Dorf rechnen muss. Tatsächlich gibt einem das Spiel in Dialogen häufig die Option seine Gesprächspartner gezielt anzulügen, oder erwartet eine Entscheidung vom Spieler, eine Einladung auf einen Drink etwa anzunehmen oder eben nicht. Auf diese Weise wird das Misstrauen gegen die anderen Charaktere geschürt. Viel wichtiger aber ist, dass das Spiel diese seltsame Idee des Folk-Horrors, des Bösen in der Erde selbst, geschickt einfängt. Wenn ich was kritisieren muss, dann, dass es zum Ende hin allzu „rätselig“ wird. Da war es für mich dann zu VIEL Spiel, um seine Atmosphäre noch voll zu entfalten. Trotzdem aber bekommt man hier etwa sechs Stunden bester Unterhaltung. Erhältlich auf Steam und GOG.

‚FAITH‘

Verlassen wir mal die typischen Point & Click Gefilde und blicken auf ‚FAITH‘ von 2017, vom Entwickler Airdorf Games. Wenn ‚The Excavation of Hob’s Barrow‘ den typischen Look der Spiele der frühen 90er präsentiert, dann geht ‚Faith‘ noch gute 10 Jahre weiter zurück, in die Zeit des Atari 2600. Natürlich tut es grafisch, spielerisch und akustisch Dinge, die damals nie möglich gewesen wären, behält aber den Geist der Spiele stets im Blick. Der Spieler übernimmt die Rolle des katholischen Priesters John Ward, der ein Jahr zuvor mit einem Kollegen einen Exorzismus an einem jungen Mädchen unternehmen wollte. Das ging schief und nun will er allein die Sache zu Ende bringen. Man bewegt seinen Charakter direkt durch das abgelegene Haus der Familie Martin und die waldige Umgebung. Interaktion findet vor allem durch das Hochhalten eines Kreuzes statt. Etwas, das man dringend braucht, denn von Anfang wird man von einem seltsamen, bleichen Dämonenwesen im Wald bedroht, dass einem seltsame Verwünschungen entgegenbrüllt. Hier sind wir denn auch bei der Besonderheit des Spiels, einer merkwürdigen, aber sehr distinkten Text-To-Speech Sprachausgabe, die seltsam passend zum technischen Rest des Spiels ist und gleichzeitig ziemlich einzigartig. „WHAT I AM ABOUT TO DO HAS NOT BEEN APPROVED BY THE VATICAN!“ hat sich jedenfalls in meinen Geist gebrannt. Auch dieses Spiel wird immer wieder von sehr flüssigen Animationssequenzen unterbrochen, die gemeinsam mit der extrem groben Grafik ein durchaus verstörendes Gefühl auslösen. Das Spiel ist relativ klein und relativ kurz, will aber ob seiner multiplen Enden mehrfach gespielt werden. Und kostenlos ist es noch dazu. Tatsächlich sehe ich die Kompaktheit hier als Vorteil. Es gibt einen zweiten Teil von 2019, der deutlich größer und umfangreicher ist und nicht kostenlos ist, und den habe ich nie durchgespielt. Ansonsten ist der aber mehr vom gleichen und sicherlich nicht schlechter. Ein dritter Teil ist immer noch in Entwicklung und soll diesen Monat erscheinen. Also könnt Ihr vielleicht gleich die ganze Trilogie spielen. Das erste Spiel ist es jedenfalls allemal wert. Erhältlich auf itch.io und in den nächsten Tagen als Trilogie wohl auch auf Steam.

‚Oxenfree‘

Eine interessante und weitgehend gelungene Mischung aus Grusel und Coming-of-Age. Teenagerin Alex bringt ihren neuen Stiefbruder Jonas auf der letzten Fähre nach Edwards Island für eine Wochenendparty mit allerlei Freunden. Edwards Island hat eine bewegte Geschichte, vor allem als Militärbasis ist nun aber ein Tagesausflugsziel, mit nur einer dauerhaften Einwohnerin, der mysteriösen Maggie Adler. Neben allerlei Drama zwischen den Teenagern, müssen diese bald erfahren, dass hinter den Gerüchten, dass man auf Edwards Island seltsame Funkfrequenzen auffangen kann, deutlich mehr als erwartet steckt. Zeitschleifen, Geistererscheinungen und merkwürdige Portale werden zu wiederkehrenden Begegnungen. Die Atmosphäre würde ich hier als beinahe „Spielbergisch“ beschreiben. Es ist nicht reiner Grusel, da ist auch ein echter „Sense of wonder“ gegenüber den offenbar übernatürlichen Geschehnissen. Spielerisch ist es irgendwo zwischen einem Adventure und einem „walking simulator“. Es sind vor allem Dialogentscheidungen, die über den Fortlauf der Geschichte entscheiden. Diese wollen aber in Echtzeit gewählt werden und machen absichtlich nicht unbedingt klar, welches die guten oder schlechten sind. Dafür muss man über den Verlauf der Handlung die Charaktere verstehen lernen. Das Ende ist vielleicht ein wenig enttäuschend aber nicht annähernd genug, um das Spiel für mich zu verderben. Im Gegensatz zu den anderen Spielen versucht sich ‚Oxenfree‘ nicht in einem Retro-Stil, sondern überzeugt mit ebenso schicker wie ungewöhnlicher Aquarelloptik, die die Unsicherheit zwischen Grusel und Faszination noch unterstreicht. Offenbar wurde letztes Jahr bekannt, dass das Spiel als Fernsehserie adaptiert werden soll. Außerdem soll nächstes Jahr die Fortsetzung ‚Oxenfree II: Lost Signals‘ erscheinen. Wäre also ein guter Moment das Spiel nachzuholen. Erhältlich ist es für so ziemlich alles da draußen. Playstaion, X-Box, Switch, Android und natürlich den üblichen Verdächtigen Steam und GOG.

So, rein Point & Click technisch steht für mich nun eine neue Reise in die Karibik an, die vermutlich trotz untoter Piraten nicht allzu gruselig werden dürfte. Ich spreche natürlich von ‚Return to Monkey Island‘. Und sollte es wider erwarten doch gruselig werden, dann lest Ihr nächstes Jahr hier darüber.