‚The Last Duel‘ (2021)

Dieser Film um das (reale) angeblich letzte gerichtlich angeordnete Duell zur Erlangung eines Gottesurteils im spätmittelalterlichen Frankreich war einer der seltenen wirtschaftlichen Fehlschläge in Ridley Scotts Karriere. Für Scott waren die Schuldigen, miese Millennials mit ihren Mobiltelefonen, die einfach nix lernen wollen, schnell gefunden. In der Realität hing es wohl eher mit der Pandemie und damit verbundener Unlust an einem derart düster-trostlosen Film, wie ihn die Trailer versprachen zusammen. Aber als ein, nach mancher Rechnung gerade eben noch, uralt-Millennial habe ich mich jetzt mal ganz ohne Handy hingesetzt und den Film geschaut.

Am Ende des Jahres 1386 fordert der Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon) in einem großen Volksspektakel Jacques Le Gris (Adam Driver) zu einem Duell heraus. Jacques soll Marguerite (Jodie Comer), die Ehefrau de Carrouges, vergewaltigt haben, streitet dies jedoch ab. Nun soll Gott ein Urteil fällen, indem er den Sieger des Turniers entscheidet. In drei Rückblenden sehen wir zunächst dreimal die Vorgeschichte des Turniers, jeweils aus der Sicht einer der beteiligten Personen. Den ungebildeten Jean, der aufgrund seines Familiennamens und seiner Tapferkeit und Kampfkunst hohe Ehren erwartet, jedoch immer wieder enttäuscht wird. Den hochintelligenten, aus einfacheren Verhältnissen stammenden Jacques, der sich bei seinem und Jeans Lehnsherren, dem Grafen Pierre d’Alencon (Ben Affleck) bald weit höherer Gunst erfreut als der „langweilige“ Jean. Und Marguerite selbst, die Jean nur aus zwei Gründen heiratet: um mit ihrer Mitgift Schulden zu tilgen und um einen Erben zu zeugen. Sie bemüht sich auf dem arg schmalen Pfad zu wandeln, den die Gesellschaft auch für eine adelige Frau des Spätmittelalters bereithält. Wenigstens so lange, bis ein grausiges Erlebnis dies nicht mehr zulässt.

Ridley Scott bedient sich hier des erzählerischen Elements aus Kurosawas ‚Rashomon‘, dieselben Geschehnisse aus mehreren verschiedenen Blickwinkeln zu schildern. Doch da er dabei einen längeren Zeitraum beschreibt als Kurosawa sind die Geschehnisse weniger widersprüchlich als dort (außer, offensichtlich, Kernelementen) und geben eher die Sicht der Protagonisten auf die Dinge wieder. Jeans Geschichte ist eine düstere, mittelalterliche Kriegersaga von großen persönlichen Niederlagen aber auch Siegen, die jedoch von einer korrupten, ehrlosen Obrigkeit untergraben werden. Für Jacques ist das Leben eher eine höfische Geschichte, voller Intrigen und jeder Menge Sex. Eine Geschichte, in der Marguerite vielleicht „nein“ gesagt hat, wie es sich für eine Dame gehört, aber das empfindet er als Teil des Spiels. Marguerites Wahrheit, von der Scott wenig subtil andeutet, dass sie „die“ Wahrheit ist, ist die einer unsäglich misogynen Gesellschaft. In der Frauen Handelsobjekt und Mittel zur Fortpflanzung sind. In der eine Vergewaltigung nicht etwa ein ungeheuerliches Verbrechen gegen die Frau, sondern ein Delikt gegen den Besitz des Mannes ist. Wo Staat und Kirche eine ganze erniedrigende Maschinerie auffahren, um derartige Vorwürfe zu unterdrücken. So muss sich Marguerite immer wieder öffentlichen Fragen stellen, ob sie „den kleinen Tod“, einen Orgasmus, während der Tat erfahren habe.

Hier ist es denn auch, wo Scott einen Bogen zur Moderne schlägt, uns vorführt, dass wir bei weitem noch nicht alle diese grausigen Vorurteile abgelegt haben. So rät Pierre etwa Jacques, dass der beste Umgang mit der Situation „abstreiten, abstreiten, abstreiten“ wäre. Und man versucht Marguerites Aussage unglaubwürdig zu machen, indem man belegt, dass sie vor Jahren einmal gesagt habe, Jacques sei „attraktiv“.

Am Ende aber ist die einzige Möglichkeit der Lösung dieser furchtbaren Situation Gewalt. Gewalt, die Jean eher aus eigener Kränkung als aus Fürsorge für seine Ehefrau anwenden will. Er klärt sie nicht einmal über die fatalen Folgen auf, die seine Niederlage für sie hätte.

Scott erzählt in eindrucksvollen Bildern, elegant fotografiert von Kameramann Dariusz Wolski. Er setzt dabei auf den aus seinen anderen historischen Filmen bekannten Kontrast aus schlammverkrusteter Pfeil-durchs-Auge-Brutalität und höfischer Opulenz. Obwohl Kämpfe hier vor allem Jeans Geschichte und das Finale des Films ausmachen bleibt doch zu jedem Zeitpunkt der elegant erzählerische Fluss eines erfahrenen Blockbuster-Machers erhalten. Gelegentlich kommt er allerdings verdächtig nahe an Monty Python-eskes Parodie-Material, vor allem, wenn König Charles VI. im Bild ist, den Alex Lawther aus irgendeinem Grund wie eine besessene Bauchrednerpuppe spielt.

Womit wir bei den weitgehend sehr guten Darstellerleistungen wären. Ganz vorne dabei ist hier fraglos Jodie Comer, die ihre Marguerite als eine Person darstellt, die so lange es ihr irgendwie möglich ist, aus einer schlechten Situation das Beste macht, doch wenn die Welt sie herausfordert unerwartete Stärke entwickelt. Die männliche Besetzung ist auch weitgehend gut, muss sich jedoch gegen einige… interessante Kostümentscheidungen durchsetzen.

Adam Driver hat Glück, der kommt mit seiner üblichen Rockstarmähne davon. Aber Matt Damon bekommt eine geradezu monströse Kombination aus Vokuhila und Bart verpasst. Ich weiß nicht, wie historisch korrekt für Frankreich 1386 die ist, aber in Deutschland so etwa 1990/91 hat jemand, der annähernd exakt so aussah, eine Bierflasche nach dem kleinen Filmlichter geworfen. Es spricht für Damons Spiel, dass er dieses Hindernis überwindet. Vielleicht hilft es auch, dass Affleck mit seiner blondierten Milhouse Van Houten Frisur und Kinnbart noch ein Stück blöder aussieht. Aber sein Charakter wird in sämtlichen Geschichten auch als etwas dümmlicher Geck gezeigt.

Was bleibt mir als Fazit? Der Text bis hierhin liest sich ja durchaus positiv. Der Film ist auch fraglos gut gespielt und gut inszeniert, daran gibt es nix zu rütteln. Es stört mich nur etwas, dass er zu seinem zentralen Thema, der Misogynie, am Ende reichlich wenig zu sagen hatte. Fast so wie Jean, der am Ende auch bloß mit dem Schwert draufhauen kann. Man fragt sich fast, ob eine intimere Inszenierung, ein kleinerer Film, hier nicht besser funktioniert hätte. Aber das ist vielleicht das Problem. Wenn man ein Schwert hat, sieht jedes Problem wie eine Schwachstelle in einer Rüstung aus. Und wenn man ein Blockbuster-Regisseur ist, sieht jedes Thema wie ein Stoff für einen Millionenfilm aus.

Wenn Ihr nur einen Film über spätmittelalterliche Misogynie von einem sehr alten Regisseur, bekannt für Spektakel, aus dem Jahr 2021 sehen wollt, dann rate ich Euch zu Verhoevens ‚Benedetta‘. Der ist für mich etwas besser gelungen. Aber ich vermute allein die Tatsache, dass wir aus zweien wählen können sagt was aus.

‚Der Löwe im Winter‘ (1968) – Weihnachten bei Plantagenets

1183 lädt der alternde englische König Henry II (Peter O’Toole) zu Weihnachten auf die Burg Chinon. Hier will er nicht nur Weihnachten im Kreis seiner „Lieben“ verbringen, er will auch endlich verkünden welcher seiner drei Söhne sein Nachfolger werden soll. Denn das angevinische Imperium aus England, Teilen Irlands und riesigen Ländereien im Westen Frankreichs aufzuteilen kommt nicht in Frage. Seit dem Tod seines Ältesten, Henry dem Jüngeren, stehen alle drei lebenden Söhne in dessen Schatten. Da ist der nun Älteste, der ritterliche Richard (Anthony Hopkins), der kühl distanzierte Geoffrey (John Castle) und der Jüngste, der von Henry geliebte, von allen anderen als verwöhnter Stinker wahrgenommene John (Nigel Terry). Doch entscheidende Besucherin des Weihnachtsfests dürfte Henrys Ehefrau Eleanore von Aquitanien (Katharine Hepburn) sein. Da sie mehrfach gegen Henry konspirierte sitzt sie seit 10 Jahren auf einer Burg in Hausarrest, den sie nur für die Feiertage verlässt. Friedlich gestimmt hat sie die Gefangenschaft keinesfalls. Und dann ist da noch Philipp II von Frankreich (Timothy Dalton) als Gast. Der möchte endlich seine Schwester Alais (Jane Merrow) mit Richard vermählt sehen, wofür sein Vater sie vor Jahren an Henry, samt reichhaltiger Aussteuer, übergeben hat. Doch Henry hat lieber selbst eine Affäre mit der jungen Frau. Weit mehr als genug Sprengstoff also, um das Weihnachtsfest nicht allzu gemütlich zu gestalten.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von James Goldman, der es auch für den Film adaptiert und dafür den Oscar gewonnen hat. Bei Theaterstück und mittelalterlichen englischen Monarchen denkt man natürlich zwangsläufig an Shakespeare. Doch wo der Große Barde fest an die Monarchie glaubte, schlechte Könige waren bei ihm meist illegitime Usurpatoren, hat der amerikanische Dramatiker in der Mitte des 20ten Jahrhunderts einen anderen Blick darauf. Er präsentiert die Plantagenets als dysfunktionale Familie in stressiger Vorweihnachtszeit. Dafür bedient sich das Stück und damit der Film eines interessanten Spagats. Vom Vokabular her mögen die Dialoge der Zeit angemessen sein, sprachlich jedoch sind sie zweifelsfrei in der Mitte des 20ten Jahrhunderts zu verorten („Hush, dear! Mother is fighting!“). Genauso sind die Kulissen sehr realistisch mittelalterlich, gedreht an mehreren realen Burgen und Abteien, während die Innenaufnahmen im Studio entstanden. Auch der König muss sich am kalten Wintermorgen durch eine Eisschicht auf der Waschschüssel boxen, Hunde streunen herum und der einzige Luxus der Festhalle ist ausgelegtes Stroh. Gleichzeitig darf man die Historizität eines Weihnachtsbaumes und Geschenkpakten mit Namensschildchen wohl bezweifeln. Auch hier setzt der Film die Klammer zwischen Geschichte und Moderne.

Aber auch wenn die Konflikte der Plantagenets teilweise modern wirken, kommt ein absurdes Element hinzu dadurch, dass alles was sie tun und sagen politisch motiviert ist. Die Verleihung der Königswürde ist sowohl ein Akt elterlicher Liebe als auch ein hochwichtiger politischer Akt. Wenn Henry seine Affäre mit Alais nicht aufgibt und sie vermählt, droht er eine Provinz zu verlieren, die nur einen Tagesmarsch von Paris entfernt und somit ein Dolch auf Frankreichs Herz gerichtet ist.

Henry präsentiert sich als aufbrausender Polterer, was mehr als nur ein wenig Fassade ist. Eleanore tritt als giftige Zynikerin in Erscheinung, der alles Recht ist, solange es nur Henry schadet. Auch das ist Fassade. Die Söhne sind ein wenig ehrlicher. Richard macht keinen Hehl daraus jeden umbringen zu wollen, der zwischen ihm und dem Thron steht. Geoffrey ist ein schmieriger Verrätertyp, der nicht versteht, warum ihn niemand mag. Und John ist ein schwacher Feigling, der erwartet von seinem Vater alles zu bekommen, was er braucht. Offen und ehrlich tritt eigentlich nur Alais auf, was schnell dazu führt, dass sie zu einem Spielball in den Ränken der Königsfamilie wird.

So dysfunktional ist aber diese Königsfamilie, dass diese Ränke und Allianzen oft genug kaum lange genug halten, bis alle Beteiligten den Raum verlassen haben. Am deutlichsten wird das in einer der zentralen Szenen des Films, in der beinahe die gesamten Plantagenets nach und nach spätabends im Schlafzimmer von Phillip auftauchen. Immer wenn es klopft versteckt sich der Anwesende hinter einem Wandteppich. Diese Kungelei spielt dem französischen König natürlich voll in die Hände, der nichts lieber tut, als die Söhne gegen den Vater auszuspielen, mit dem Ziel Frankreich die Überreste des Streits auflesen zu lassen.

Regisseur Anthony Harvey versucht gar nicht zu verbergen, dass dem Film ein Theaterstück zugrundeliegt. Sehen wir am Anfang noch kurz ein Turnier und eine Schlacht, bleiben wir für den Rest des Films an den Orten innerhalb der Burg Chinon. Dennoch gelingt es ihm und Kameramann Douglas Slocombe, der Jahre später mit Spielberg die ‚Indiana Jones‘ Filme drehen würde, den Aufnahmen Dynamik zu verpassen. Die bekannten Orte aus neuen Perspektiven zu zeigen, wie neue Situationen es verlangen. Und doch sind der entscheidende Faktor für das Gelingend es Films, neben dem Drehbuch, hier selbstverständlich die Darsteller. Und die sind mehr als hervorragend aufgelegt.

Peter O’Toole spielt Henry II hier zum zweiten mal nach ‚Becket‘. Eigentlich ist er für diesen Henry deutlich zu jung, doch gibt er hier das laute, alte Schlachtross absolut überzeugend. Gefangen zwischen der Egomanie eines Königs und trotz allem Liebe für seine Familie, endet der Film gar mit einem leisen Moment der Hoffnung für Henry. Katherine Hepburn ist hier nichts weniger als großartig. Sie hat hier vermutlich das größte emotionale Spektrum, vom feuerspeienden Drachen bis hin zur Mutterliebe für die Geliebte ihres Mannes abzubilden und leistet das, im wahrsten Sinne des Wortes, spielerisch. Auch bekommt sie die größten Lacher des Films. Ein verdienter dritter Oscar für ihre, zu diesem Zeitpunkt schon lange, Karriere. Anthony Hopkins in seinem zweiten Film (nicht dem ersten, wie ich mal behauptet habe, danke an Manfred Polak) gibt den Richard als Ebenbild streitbarer Ritterlichkeit. Der einzige Mensch vor dem er wirklich Angst zu haben scheint, ist sein Vater. Geoffrey wird von John Castle als der verlorene Sohn der Familie gegeben. Der sich womöglich schon mit dem Amt des Statthalters statt Königs zufrieden gibt, aber wenig Geheimnis daraus macht, den jeweiligen König eilig zu verraten. Nigel Terrys John ist ein feiger Nichtsnutz, der sich eher zufällig in starker Position findet. Ironisch, dass Terry später für Boormans ‚Excalibur‘ den idealen König Artus geben würde. Jane Merrows Alais ist, wie erwähnt, die einzig wirklich ehrliche Person des ganzen Films. Sie spielt sie dementsprechend mit großer emotionaler Offenheit. Und Neuling Timothy Dalton ist wunderbar ölig und gleichzeitig streitbar als junger König, der es satt hat von den Plantagenets gedemütigt zu werden.

Aus der Geschichte wissen wir, dass es nicht wirklich ein Happy End nahm für diese Familie. Geoffrey starb bei einem Turnier, Richard unterwarf den Vater militärisch und erzwang sich das alleinige Erbe. Von seinen zehn Jahren Regierungszeit verbrachte er aber nur sechs Monate daheim, ansonsten führte er Krieg. Und wie wir alle aus Robin Hood wissen, setzte er John als verräterischen Statthalter ein. Der beerbte ihn später auch, verlor große Teile der französischen Besitzungen und ließ sich von den englischen Baronen die Magna Carta aufzwingen.

Und doch lässt dieser weihnachtliche Einblick in eine dysfunktionale Familie den Zuschauer, nicht nur der grandios formulierten und vorgetragenen Dialoge wegen, auf gewisse Weise beschwingt zurück. Ein sicherlich untypischer Weihnachtsfilm, doch einer, der durchaus als solcher funktioniert!

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