Ich ahne, was sich die eine oder der andere jetzt fragt: es ist Weihnachten, warum bespricht der Typ heute einen Slasher im 70er Jahre Pornofilm Milieu, dessen deutlich erkennbares Vorbild ‚Texas Chainsaw Massacre‘ ist? Die Antwort ist so einfach wie offensichtlich. Seid Ihr bereit? Ähem: Merry ‚X‘-mas!
So, jetzt liest hier wenigstens keiner mehr weiter und ich kann schreiben, was ich will.
Die Wahrheit ist, dass ich schlicht wirklich froh bin, dass Ti West zu seinen Horrorwurzeln zurückgekehrt ist. Und das mit einem wirklich gelungenen Film. Aber fangen wir am Anfang an.
1979. Eine Gruppe junger Leute aus Houston rund um den leicht schmierigen Produzenten Wayne (Martin Henderson) will in einem abgelegenen, texanischen Farmhaus einen Porno drehen. Waynes Freundin Maxine (Mia Goth) hofft auf Ruhm, Bobby-Lynne (Brittany Snow) und Jackson Hole (Scott Mescudi) haben einfach Spaß am Sex und Filmschulnerd RJ (Owen Campbell) plant als Regisseur einen experimentellen, anspruchsvollen Film abzuliefern. Dafür hat er sogar seine Freundin Lorraine (Jenna Ortega), die von der ganzen Porno-Sache wenig begeistert ist, als technische Unterstützung überredet. Vor Ort stellen sich die Bewohner der Farm Pearl (ebenfalls Goth) und Howard (Stephen Ure) als ebenso alte, wie merkwürdige Typen heraus. Und zumindest Howard ist von seinen Gästen alles andere als angetan. Der Film lässt von der ersten Minute an keinen Zweifel daran, dass die Situation in einem Blutbad enden wird.
Eine Sache, die zum Verständnis des Films vielleicht ganz wichtig ist, ist, dass wir uns Ende der 70er am Ende der Zeit des amerikanischen „Porno-Chic“ befinden. Beginnend 1969 mit Warhols ‚Blue Movie‘, genossen pornografische Filme wie ‚Debbie Does Dallas‘ oder ‚Deep Throat‘ in den 70ern erstaunlichen Mainstreamerfolg, in den ansonsten prüden USA und wurden neben Hollywoodfilmen in gewöhnlichen Kinos gezeigt. Gleichzeitig näherten sich die Pornos, wenn schon nicht vom Budget her, so doch handwerklich und erzählerisch, dem Mainstreamfilm an und nicht wenige Beobachter erwarteten, dass daraus ein weiteres Hollywoodgenre werden würde. All das endete mit der Wahl Reagans und dem extrem konservativen Schwenk des Landes. Was uns das verrät ist zum einen, dass Maxines amerikanischer Traum von Ruhm und Geld hier nicht so naiv ist, wie er bei einem heutigen Porno wäre, aber auch, dass es ein Traum ist, der sich 1979 sehr bald ausgeträumt haben wird.
Womit wir beim vielleicht zentralen erzählerischen Element des Films wären. Der Idee der verlorenen Jugend. In keiner Szene wird das deutlicher als in der, in der sich Maxine und Pearl das erste Mal sehen. Maxine im Sonnenschein, hinter einer geöffneten Seitenscheibe eines Autos und Pearl im finsteren Inneren des Farmhauses hinter einer verschlossenen, fast vergittert wirkenden Fensterscheibe. Die eine im Licht der Jugend, der alle Möglichkeiten offen stehen, die andere im Alter, der nun alle Möglichkeiten verschlossen sind. Die eine sexpositiv und offen, die andere mit einer, wie wir später lernen, gefährlich unterdrückten Sexualität.
Es ist eine elegante Aufnahme, eine von vielen die West und seinem Kamermann Elliot Rocket (mit dem er schon Filme wie ‚House of the Devil‘ oder ‚The Innkeepers‚ gedreht hat) gelingen. Der Film hat eine poetisch, träumerisch anmutende Atmosphäre. So wird eine Szene, in der ein Charakter unbemerkt beim Schwimmen von einem Alligator verfolgt wird, aus einer totalen Draufsicht gefilmt, die einerseits große Ruhe ausstrahlt, gleichzeitig aber die Spannung des Moments sehr gut transportiert. Die Traumhaftigkeit der texanischen Umgebung (gefilmt in Neuseeland…) erinnerte mich hierbei sehr an Philip Ridleys ‚Schrei in der Stille‘, wobei andere visuelle Anspielungen weitaus deutlicher und ausdrücklicher sind. Vor allem natürlich ‚Texas Chainsaw Massacre‘. Die Aufnahme aus dem dunklen Haus heraus durch die Vordertür in die gleißende Sonne kommt sogar wiederholt vor. Aber auch auf andere Filme wird angespielt. ‚Psycho‘ etwa. Auf den aber nicht bloß visuell, sondern der wird direkt angesprochen. Regisseur RJ ärgert sich in einer Szene (aus privaten Gründen) man könne die Handlung eines Films doch nicht mittendrin verändern. Als Gegenbeispiel wird ihm eben ‚Psycho‘ angeführt. Und natürlich erlebt auch ‚X‘ selbst einen solchen Genreshift, wenn aus der „Pornocrew im Bible Country“ Handlung, ein reichlich brutaler Slasher wird.
Bis dahin hat sich West aber sehr viel Zeit genommen, seine Charaktere zu etablieren. Sie sind zumindest mir allesamt ans Herz gewachsen, was es ernsthaft unangenehm macht, ihre Tode zu sehen, so over the top und grotesk die auch teilweise sein mögen. Sogar Pearl und Howard werden von West ein Stück weit humanisiert, was sie umso gruseliger macht. Vor allem wird deutlich, dass sie nicht von allein so geworden sind, wie sie sind, was man nicht zuletzt am, auf jedem Fernseher des Films erscheinenden, fundamentalistisch eifernden Televangelisten erkennen kann.
Was mich allerdings selbst ein wenig erstaunt ist, dass mir der Film vor dem Shift zum Slasher fast besser gefallen hat. Das ist weniger Kritik an der zweiten Hälfte, die durchaus gelungen ist, aber ich fand die Beziehungen der Charaktere fast zu interessant, um sie durch Hauen, Stechen und Schrotgeflinte zu beenden.
Womit wir bei den Darstellern wären, die ihre Sache durch die Bank sehr gut machen, aber es ist unmöglich über den Film zu sprechen und nicht Mia Goth hervorzustellen. Ihre Doppelrolle ist wesentlich für das Gelingen des Films. An ihren Figuren untersucht der Film die Zusammenhänge zwischen Schönheit, Erfolg und Altern und zieht dabei seine Inspiration aus schundigsten Abgründen, um etwas annähernd Profundes daraus zu machen. Und Goth trägt das in beiden Rollen scheinbar mühelos mit. Maxines Verträumtheit aber auch exakte Professionalität und Pearls Enttäuschung und daraus erwachsender Hass gelingen ihr, trotz fraglos kiloweise Maske als Pearl, absolut glaubwürdig.
Ti West ist zurück im Horror und so sehr mir seine Ausflüge weg vom Genre (etwa der Western ‚In A Valley of Violence‘) gefallen haben, so liefert er hier doch seine beste Arbeit seit Jahren ab. Man kann deutlich seine Liebe zu seinen Vorbildern hier erkennen, aber auch seinen Wunsch etwas Eigenes zu schaffen, eben nicht alle typischen Tropen des Slashers unhinterfragt zu übernehmen. Ich bin gespannt auf das Prequel ‚Pearl‘ und hoffe Goth und West können ihren gewünschten dritten Teil verwirklichen. Sollte dies Euer erster Film von Ti West sein und er gefällt Euch, tut Euch selbst einen Gefallen und schaut ‚The House oft he Devil‘.