‚Possession‘ (1981) – Kramer gegen Kra- OH MEIN GOTT, WAS IST DAS??!!

Bei Andrzej Zulawskis ‚Possession‘ kann man sicherlich lange über die Genre Einteilung diskutieren. Aber am Ende wird man immer beim Horror landen. Denn machte man den Fehler, ihn als „Scheidungsfilm“ zu kategorisieren, würde er sich vermutlich sofort selbst zum Spinnenkaiser des Universums ernennen, seine grausigen Extremitäten triefend von Schleim und dem Blut seiner Opfer, brüllt er sein irrsinniges Schnattern in eine endlose Nacht voll sterbender Sterne, seinem Klagen taub. Und uns hält er einen Spiegel vor, in dem wir all die kleinen und großen Grausamkeiten, die wir an unseren Mitmenschen im Laufe unseres Lebens begehen und die an uns begangen werden, vorgeführt bekommen. Die kleinen Verletzungen, die unbedeutend erscheinen, aber in Traumata metastasieren, die unsere Seele in ihren kalten, gnadenlosen Klauen umklammern. Also, seien wir lieber von Anfang an ehrlich und nennen ihn was er ist: Horror.

Der Spion Mark (Sam Neill) kehrt von einer nicht näher benannten Mission nach West-Berlin zurück. Hier teilt ihm seine Ehefrau Anna (Isabelle Adjani) in deutlichen Worten mit, dass sie die Scheidung will. Obwohl sie insistiert, dass es nichts damit zu tun habe, dass sie einen anderen Mann gefunden habe, bleibt Mark misstrauisch. Er flüchtet sich in ein wochenlanges Alkoholdelirium. Als er zur gemeinsamen Wohnung zurückkehrt ist Anna verschwunden und der kleine gemeinsame Sohn Bob (Michael Hogben) allein und verwahrlost. Daraufhin wirft Mark die zurückkehrende Anna aus der Wohnung und will sich fortan selbst um Bob kümmern. Alsbald meldet sich Annas neue Beziehung, der seltsame Esoteriker Heinrich (Hein Bennent), bei Mark, weil auch er nicht mehr weiß wo sie ist. Ein beauftragter Detektiv verfolgt sie bis zu einem heruntergekommenen Altbau, verschwindet dann jedoch selbst. Irgendetwas versteckt sich in der verdreckten Wohnung. Etwas, das vollständig Besitz von Anna ergriffen zu haben scheint.

Der Film transportiert auf unangenehm rohe Weise die Gefühle, die mit dem unglücklichen Ende einer Beziehung einhergehen. Den Schmerz, die Entfremdung, die Paranoia und das Trauma. Zulawski bildet die Räume um die Charaktere beinahe leer ab, sie sind gefüllt mit kalten Blautönen. Bruno Nuyttens unstete Kamera saust durch die Gegend, verfolgt Charaktere, kreist um sie herum, stellt sie immer wieder in den Mittelpunkt. Die erste Hälfte zeigt hierbei noch halbwegs realistisch den emotional aufgeladenen, drastischen Konflikt zwischen Kontrollfreak Mark und der nach einer eher undefinierten Freiheit, vor allem aber nach der Gesellschaft des oft abwesenden Mark, strebenden Anna. Wir als Zuschauer werden in die Rolle des passiven Beobachters geworfen. In die unangenehme Rolle des Besuchsgastes, wenn zwischen dem Gastgeber-Paar plötzlich ein heftiger Konflikt entbrennt. Die ersten Worte des Films sind die Fortsetzung eines Streits, der begann, lange bevor wir überhaupt da waren. Zulawski ist hier gnadenlos und deutlich in seiner Darstellung eines Konflikts, der auch vor häuslicher Gewalt und Selbstverletzung nicht haltmacht.

Doch bereits hier hält das Seltsame Einzug. NVA-Soldaten spähen über die Mauer in die Fenster der Wohnung von Anna und Mark. Paranoia eines Spions, oder steckt mehr dahinter? Plötzlich entpuppt sich Bobs Grundschullehrerin Helen (ebenfalls Adjani) als exakte Doppelgängerin von Anna. Etwas, das Mark nie hinterfragt, aber zum Anlass nimmt eine Beziehung mit ihr zu beginnen.

Doch in der zweiten Hälfte des Films bricht sich der Horror endgültig Bahn, wenn Anna selbst zur Agentin eines widerwärtigen Urbösen wird. Wenn sie einem grotesken Tentakelwesen auf der Toilette einer völlig verdreckten, vermüllten Wohnung (im direkten Kontrast zu Anna und Marks moderner, aber seltsam kahler Wohnung) nicht nur sich selbst, sondern auch Todesopfer zuführt. Darunter auch Carl Duering als vielleicht schlechtester Privatdetektiv der Filmgeschichte. Es entbrennt ein grotesker Akt der Ko-Selbstzerstörung im Laufe dessen auch Mark zum Mörder wird und an dessen Ende von beiden Partnern nichts mehr übrig ist, als seltsame Abbilder und allgegenwärtige Zerstörung.

Zulawski ging, für absolut niemanden überraschend, durch eine sehr hässliche Trennung, als er den Film schrieb. Doch war es für ihn nicht nur eine Zeit der persönlichen Trennung, sondern auch die Zeit, in der er sein Heimatland, das sozialistische Polen, endgültig verlassen hatte und nach Frankreich gegangen war. Und so spiegelt auch sein Film das Persönliche auf einer größeren Projektionsfläche wider. Anna und Marks grausige Trennung vollzieht sich im geteilten Berlin. Mit seiner Mauer sinnbildlich für ein getrenntes Deutschland. Eine Trennung, die nicht zuletzt Folge eines grausigen Traumas war, das Deutschland der Welt aufgezwungen hat. Beide Häuser, der elegante Neubau und der verfallene Altbau (Sebastianstr. 87, wo man heute die (hoffentlich sanierten) Wohnungen teuer mieten kann), liegen in direkter Nähe zur Mauer. Ein seltsamer Mann in rosa Socken (Maximilian Rüthlein) versucht Mark in seine alte Spionagearbeit zurückzuholen (oder doch ihn umzudrehen, man weiß es nie). Und der Film endet mit einer Andeutung von gigantischer Vernichtung, die hier in direkter Nähe des Eisernen Vorhangs wohl nie weit entfernt schien und die die Desintegration der zentralen Beziehung in ein größeres Ganzes einfügt.

Zentral für das Gelingen eines solchen Films sind die Darsteller. Vor allem natürlich das zentrale Paar. Der damals noch recht unbekannte Sam Neill gibt seinen Mark als nach außen hin kühl-analytischen Charakter, eine Fassade, die allerdings schnell bröckelt. Im Streit mit Anna entpuppt er sich als kleinlicher Tyrann, der Besitztümer zurückfordert und seine moralische Überlegenheit feiert. Neill gibt das nuanciert zwischen erbostem Fordern und kindlichem Betteln, wenn er an Bobs Spieltisch sitzt und zu Anna aufblickt. Isabelle Adjani liefert hier die Art von Darstellung ab, die entweder sämtliche Schauspielpreise der Welt bekommen, oder dafür sorgen sollte, dass sie nie wieder eine Rolle bekommt. Die Tatsache, dass weder das eine noch das andere eingetreten ist, ist zumindest seltsam. Als Anna liefert sie auf einer Intensitätsskala von 1 bis 10 keine Szene unter einer 9,5 ab. Was natürlich dafür sorgt, dass sie gelegentlich auf 12 hochschalten muss. Da ist eine Szene in einem U-Bahnhof in diesem Film, in der sie die typischen Grenzen narrativen Schauspiels definitiv hinter sich lässt und in die Performance Art wechselt. Es ist eine Szene, von der ich Euch versprechen kann, dass Ihr sie nie vergessen werdet. Ob das gut oder schlecht ist, das müsst Ihr für Euch selbst entscheiden. Überhaupt hängt viel ob Ihr den Film mögt oder nicht davon ab, was Ihr vom Spiel, insbesondere von Adjanis Spiel, haltet. Funktioniert es für Euch nicht, bekommt Ihr hier vermutlich nur ein Fließband grotesker Grausamkeiten präsentiert und werdet den Film sicher lange vor seinem Ende abschalten.

Wenn es aber funktioniert, so wie für mich, dann bekommt Ihr hier ein absolut einmaliges Filmerlebnis geliefert. Ich tue mich schwer damit den Film als einen meiner Lieblingsfilme zu bezeichnen. Weil er sich einer solchen Kategorisierung nun endgültig entzieht. Und auch weil es ein Film ist, den ich nicht häufig sehen muss oder will oder kann. Und in der richtigen Stimmung sein muss wenn ich ihn schaue. Und selbst dann solltet Ihr gewarnt sein, dass der Film sich im Unterbewussten festsetzt. Ihr könnt mit großem Vergnügen ‚Jurassic Park‘ schauen und plötzlich bekommt Ihr beim Anblick Sam Neills die Vision eines elektrischen Fleischmessers…

‚Onibaba – Die Töterinnen‘ (1964) – Sünde, Sex und Schilf

Hier haben wir einen Film, bei dem man sich sicherlich um die Genre-Klassifizierung streiten könnte. Manche werden den Film als jidai-geki, einen japanischen Historienfilm, sehen. Oder als Drama. Auch eine Klassifizierung als Erotikfilm wäre nicht ganz falsch. Aber, wenigstens für mich, ist das zentrale Element der Horror. Nicht nur der übernatürliche Horror, der erst in den letzten Minuten des Films Einzug hält, sondern der zwischenmenschliche Horror und vor allem der merkwürdige Schrecken des ungewöhnlichen Settings. Ein gigantisches Feld aus übermannshohem Susuki-Schilf (oder Riesen-China-Schilf) in ständiger, unaufhörlicher Bewegung. Aber beginnen wir mit der Geschichte.

Im 14ten Jahrhundert befindet sich Japan im Bürgerkrieg. Die Männer sind in Armeen gepresst. Eine ältere (Nobuko Otowa) und eine jüngere Frau (Jitsuko Yoshimura), Schwiegermutter und Tochter, leben in einer kärglichen Hütte tief verborgen in einem riesigen Feld aus hohem Schilf. Hier überleben sie den Krieg, indem sie desertierte, verirrte oder schlicht reisende Samurai und Krieger aus dem Verborgenen ermorden, ihre Rüstungen, Waffen und Wertsachen plündern und an den örtlichen Hehler gegen Reis verkaufen. Die Leichen entsorgen sie in einem engen, finsteren Loch, mitten im Schilf. Da kehrt überraschend Nachbar Hachi (Kei Sato) aus dem Krieg zurück. Allerdings ohne den Ehemann/Sohn der beiden, der getötet wurde. Auch Hachi hat kein Problem damit Reisende zu töten und durchschaut schnell das Tun der beiden Frauen. Er macht sich an die jüngere Frau heran, die ihn alsbald jede Nacht in seiner Hütte besucht. Die ältere Frau (Otowa, Ehefrau des Regisseurs Kaneto Shindo, war während des Drehs 39 Jahre alt, ich werde sie also nicht als „alte Frau“ bezeichnen) fürchtet schnell, dass sie die jüngere an Hachi verlieren wird und dann allein verhungern muss oder direkt getötet wird. Da taucht ein seltsamer Samurai mit einer Teufelsmaske in ihrer Hütte auf und verlangt, sie solle ihn aus dem Schilf führen. Stattdessen lässt sie ihn in das Mordloch stürzen. Doch seine Maske bringt sie auf eine Idee. Die jüngere Frau hat ohnehin nachts Angst das Schilf zu durchqueren, und nun will die Ältere ihr mit der Maske als Dämon erscheinen.

Kaneto Shindo sagt seinem Film liegt eine buddhistische Sage zugrunde, die er als Kind gehört habe: Eine alte Frau ist wütend, weil ihre Schwiegertochter die häuslichen Pflichten vernachlässigt, um in den Tempel zum Beten zu gehen. Um ihr das auszutreiben lauert sie ihr im Gebüsch am Wegesrand mit der Maske eines Onis, eines Dämons, auf. Buddha bestraft die lästerliche Alte, sie kann die Maske plötzlich nicht mehr abnehmen. Als sie um Vergebung fleht, gelingt es ihr endlich doch. Aber anders als erwartet, zusammen mit der Maske reißt sie auch die Haut ihres Gesichtes herunter. Das war jetzt nicht nur ein ziemlicher Spoiler für einen vierzig Jahre alten Film, das war auch ein, in meinen Augen, ungewöhnlich blutrünstiger Buddha.

Doch im Film des Atheisten Shindo gibt es ohnehin keinen Gott oder Buddha. Und doch gibt es eine Kraft, die die ältere Frau bestraft. Sie reißt sich allerdings nicht die Haut herunter, sondern unter der Maske kommen die typischen Symptome einer Überlebenden der Atombomben von Hiroshima, einer „Hibakusha“ zum Vorschein. Eine Gruppe die in Japan lange Jahre, definitiv zu Zeit des Films, heftige Diskrimination erlebte. Womit ihre Rufe „Ich bin kein Dämon, ich bin ein Mensch!“ eine ganz andere Qualität erhalten.

Und damit sind wir tief im Thema des Films: der jegliche Moral und Menschlichkeit zerstörenden Kraft des Krieges. Gelenkt von Mächten, die, gerade hier im Schilf, entsetzlich weit fort scheinen, haben sie die drei zentralen Charaktere jeder Moral, ja jeden Lebensinhalts außer Überleben beraubt. So beobachten sie, wie ein fliehender Soldat den Fluss durchschwimmt und die am Rand stehenden um Hilfe bittet, nur um erstochen zu werden. Hachi erzählt eine schwarzhumorige Geschichte, wie er auf der Flucht einen Mönch getötet hat und in dessen Kleidung weitergereist ist. Das sei sicherer, denn „was für ein Monster vergreift sich an einem Mönch?“.

Doch mit Hachis Rückkehr gibt es für die jüngere Frau und für ihn selbst wieder einen weiteren Inhalt im Leben. Sexualität und verschwitzte Sinnlichkeit. Und die ältere Frau wird nicht nur von Überlebensängsten, sondern auch von doppelter Eifersucht getrieben. Einmal auf die körperlichen Freuden der beiden. Als sie selbst versucht Hachi zu verführen reagiert der mit grausamer Ablehnung. Und zum anderen fürchtet sie, die jüngere Frau als einzige Gefährtin zu verlieren. Der Weg, den sie anfangs wählt um sie aufzuhalten ist erstaunlich. Sie pocht auf die moralischen Verpflichtungen der jungen Frau gegenüber ihrem toten Mann und droht mit Sünde und Hölle. Wobei ja beide Frauen dutzendfache Mörderinnen sind. Kein Wunder, dass die Jüngere dies als reine Schikane empfindet.

Ein anderes großes Thema des Films ergibt sich aus seinem Setting: das Verbergen. Die Frauen verbergen sich im Schilf, die Ältere verbirgt ihre Motive hinter Moral und ihr Gesicht später hinter einer Maske. Wir sehen wie den toten Samurai Rüstung und Kleidung, ihre Äußerlichkeiten genommen werden, ihre Gesichter verbirgt die Kamera vor uns.

Überhaupt ist die schwarz-weiß Kameraarbeit von Kiyomi Kuroda mehr als erwähnenswert. Lange Aufnahmen vom seltsam bedrohlich wallenden Schilf, durchsetzt von Nahaufnahmen einzelner Blätter, die wie die Schwerter ungesehener Krieger übereinander scharren. Gesichter in hartem Kontrastlicht, das fast an alte Stummfilme erinnert, verschwitzte Körper, die sich ohne jeden Weichzeichner oder sonstige Schönungen auf dem schmutzigen Hüttenboden wälzen. Und Aufnahmen zwischen kompletter Dunkelheit und strahlend hellem Licht, in denen sich die Darsteller verbergen können, oder brutal ins Helle gezogen werden.

Unterlegt werden diese ziemlich unvergesslichen Bilder mit dem sparsamen aber effektiven Soundtrack von Hikaru Hayashi, der klassische, japanische Taikotrommeln mit Jazz-Rythmen vermischt. Dabei integriert sich der Soundtrack auf faszinierende Weise mit dem Sounddesign des Films, harten Geräuschen vor dem ewigen Rascheln des Schilfs, und setzt gerne so plötzlich ein, dass er fast den Effekt eines Jumpscares hat.

‚Onibaba‘ ist kein Film, den man häufig erwähnt sieht. Doch er ist ein faszinierendes Werk, wie ich hoffentlich deutlich machen konnte. Gerade aus heutiger Sicht entdeckt mal hier als Horrorfan Ungewöhnliches. So scheint Shindo die nächsten Jahrzehnte der Entwicklung des westlichen Mainstreamhorrors vorwegzunehmen und direkt auf den Kopf zu drehen. Wir sehen hier einen Film aus der Warte der „Hinterwäldler“-Mörder der 70er. Und wer hier eine schreckliche Maske, die eines Slashers würdig wäre, trägt, der wird nicht etwa zum Täter, sondern zum Opfer. Das mag purer Zufall sein und doch kommt Shindo der Wurzel von Horror recht nahe, indem er ihn auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgelöst durch eine unerträgliche Umgebung herunterbricht.

In der nächsten Woche beschäftigen wir uns mit einem Film, in dem die Umgebung, statt ihn direkt zu beeinflussen, den zwischenmenschlichen Horror auf größerer Ebene widerspiegelt.

‚Das Böse‘/‚Phantasm‘ (1979)

Einen Film, gerade einen Horrorfilm, als „wie ein Alptraum“ zu beschreiben ist, nicht ganz zu Unrecht, als müdes Klischee belächelt. Bei Don Coscarellis, in Deutschland lange beschlagnahmten (idiotisch, doch dazu am Ende mehr), Debütfilm drängt sie sich aber geradezu auf. Nicht nur weil der Film häufiger direkt Traumlogik folgt (und eine pure Zusammenfassung der Geschehnisse damit ähnlich unsinnig wirken kann wie der Bericht eines tatsächlichen Alptraums, sondern weil Träume ein zentrales Element des Geschehens sind. Ich werde daher meine Zusammenfassung der Handlung recht kurz halten und später genauer auf die „Traumlogik“ eingehen.

Tommy (Bill Cone), ein Mann mit einem wahrhaft grausigen 70er Schnauzbart hat auf einem Friedhof Sex mit einer Frau in einem lavendelfarbigen Kleid. Nun ist Sex auf dem Friedhof eigentlich immer eine schlechte Idee, im Horrorfilm aber natürlich besonders, und so endet es für Tommy mit einem, durch die Unbekannte applizierten, Dolch in der Brust. Auf Tommys Beerdigung erfahren wir nicht nur, dass das von den Behörden als Selbstmord gewertet wird, es kommen auch seine besten Freunde Jody (Bill Thornbury) und Eismann Reggie (Reggie Bannister). Nachdem sie ihre Eltern erst ein Jahr zuvor verloren haben, verbietet Jody seinem 12jährigen Bruder Mike (A. Michael Baldwin) den Besuch der Beerdigung. Doch der beobachtet das Geschehen mit dem Fernglas. Vor allem sieht er, wie der seltsame Bestattungsunternehmer (Angus Scrimm) den schweren Sarg mit Tommys Leiche mühelos aufhebt, als er sich unbeobachtet fühlt. Mike kommt immer mehr zu der Überzeugung, dass im Morningside Bestattungsinstitut seltsames vor sich geht. Insbesondere fürchtet der von Verlustängsten geplagte Junge um seinen großen Bruder.

Und natürlich geht da Seltsames vor im Bestattungsinstitut. Und anders als Jody zweifeln wir als Zuschauer nicht eine Sekunde daran, kaum dass wir Scrimm das erste Mal gesehen haben. Der legt seine Rolle derart merkwürdig andersweltlich an, wandert etwa eine Straße derart merkwürdig herunter, dass ein Zwölfjähriger und wir, die hier die Welt durch seine Augen sehen, gar nicht anders können als überzeugt zu sein, dass hier etwas furchtbar falsch ist.

Und dieser empathische Blick durch die Augen eines Zwölfjährigen ist hier entscheidend für den gesamten Film. So wird etwa Jody zum platonischen Ideal eines coolen, älteren Bruders – aus Sicht eines Zwölfjährigen. Er hat ein cooles Auto, hat Waffen daheim, scheint seine gesamte Zeit damit zu verbringen Musik zu machen, Bier zu trinken und gelegentlich in der örtlichen Kneipe One Night Stands klarzumachen. Und sein bester Freund ist der verdammte Eisverkäufer des Ortes! Sicher, als Erwachsener blicken wir gelegentlich zweifelnd auf Jody, vor allem etwa wenn er laut darüber nachdenkt wegzugehen und Mike zurückzulassen, aber aus der Sicht des Jungen, der gerade seine Eltern verloren hat ist das natürlich Mikes eigene Schuld. Es ist deutlich, dass er seinen großen Bruder am liebsten umarmen und nie wieder loslassen würde, aber allzu große Angst hat, ihn genau damit wegzustoßen. Oder aber eben ihn an die Merkwürdigkeiten von Morningside zu verlieren.

Das Morningside Bestattungsinstitut ist eine gigantische, viktorianische Monstrosität von einem Gebäude, umgeben von einem Friedhof. Neben dem eigentlichen Institut beherbergt es auch noch ein gigantisches Labyrinth an marmornen Gängen mit zahllosen Grabnischen, ein gigantisches Mausoleum. Das vielleicht zentrale Element der Alptraumhaftigkeit des Films.

Lasst mich Euch ein Beispiel für Traumlogik geben. Mike dringt in jenes Labyrinth ein und wird vom Bestatter durch die Gänge gejagt, letztlich entkommt er in einen Kellerraum, knallt dessen schwere Eisentür zu und trennt dem Bestatter dabei einige Finger ab. Diese bluten gelb und bewegen sich noch unabhängig vom Körper. Mike nimmt einen davon mit, um seinen skeptischen Bruder zu überzeugen und flieht durch ein Kellerfenster. Zurück zuhause steckt er den Finger in eine Schachtel (die fortan auf- und abhoppst). Später zeigt er ihn Jody, der Finger windet sich wie eine riesige, groteske Made in der Schachtel. Jody ist endlich überzeugt und will den Sheriff informieren. Doch als Mike die Schachtel holen will hat sich der Madenfinger in eine riesige Fliege verwandelt, die ihn angreift. Schnell wickelt Jody die in ein Hemd, welches die Brüder, effektiv aber sehr effektsparsam, mühsam gegen die darin wirbelnde Fliege kämpfend zum Müllschlucker schleppen.

Der Film schafft es, dass man als Zuschauer derartige Szenen gar nicht hinterfragt. Coscarellis atmosphärische Bilder und die seltsam sphärische Musik schaffen eine Stimmung, in der diese Logik völlig folgerichtig wirkt. Diese Traumlogik hilft auch dabei gewisse Amateurhaftigkeiten, oder sagen wir eher Dreistigkeiten, des damals 24jährigen Coscarelli zu entschuldigen. So geht in Morningside nicht nur der Bestatter um, sondern auch seltsame Zwerge in braune Kapuzenkutten gehüllt, die vermutlich nur ein „utini!“ von einer Klage durch George Lucas entfernt sind. Anders als die Javas sind die aber echt gruselig, weil sie entweder am Rand des Sichtfelds herumflittern oder aber geradewegs brüllend auf unsere Helden einstürmen. Und ist es nicht nur nachvollziehbar, dass im Jahr 1978 (als der Film entstand) Elemente aus Star Wars durch den Geist eines SciFi begeisterten Zwölfjährigen geistern?

(Kurzer Einschub: J.J. Abrams ist großer Fan dieses Films und verantwortlich für das optische Remaster, das wir derzeit erwerben können. Nicht nur das auch Cpt. Phasmas (aus ‚Erwachen der Macht‘) Name ist eine Anspielung an den Namen dieses Films und ihr Design beruht auf den berühmt-berüchtigten silbernen Kugeln (siehe unten). Die Verwandtschaft zwischen beiden Werken ist also nur enger geworden!)

So erklärt sich auch eine Szene rund um eine Schachtel, die Schmerz enthält und eine Lektion über Angst lehrt und von einer alten Frau gelehrt wird, die 1:1 aus ‚Dune‘ übernommen wurde. Aber hey, das Buch hab ich auch mit 12 zum ersten Mal gelesen…

Was den Film heute vielleicht sogar wirkungsvoller macht als damals, sind die 70er Jahre Designs. Mikes Kinderzimmer mit seinen zahllosen Brauntönen, seinem Flokatiteppich und Fototapete wirkt derart bedrückend, dass es einem bald mehr die Luft nimmt, als der eigentliche Horror des Bestattungsinstituts.

Aber gut, nehmen wir nun einmal das Stichwort „Horror“ für einen kurzen Exkurs zum deutschen Umgang mit dem Film. ‚Das Böse‘ ist kein sonderlich grafisch brutaler Film. Die abgetrennten Finger des offensichtlich nichtmenschlichen Bestatters habe ich erwähnt. Die einzige wirklich grafische Szene ist eine, in der Mike von einer seltsamen kleinen Silberkugel durch das Mausoleumslabyrinth gejagt wird. Er weicht dieser aus und sie findet in einem, völlig unerklärten, anderen Eindringling ein Opfer. Sie stößt einen Bohrer in dessen Stirn und entlässt eine gigantische Blutfontäne. Eine groteske, von jeder Realität weit entfernte Szene. Natürlich wurde der hier Film dennoch ab 18 freigegeben und alsbald indiziert. Das war halt so mit Horrorfilmen von den späten 70ern bis in die späten 90er. Eine Art Panikreaktion auf die gestiegene Gewaltdarstellung. Kann man in diesem Fall albern finden, tue ich auch. Aber damit nicht genug! Der Film wurde auch noch beschlagnahmt, sprich, seine Gewaltdarstellung sei derart heftig, dass sie strafrechtlich relevant wird. Weitere überzogene Panikreaktion? Nicht wirklich, denn die Beschlagnahme erfolgte 1991. Zu einer Zeit als monatlich weit Heftigeres in die Videotheken trudelte. Nachdem die Beschlagnahme 2017 angefochten wurde, wurde sie direkt zurückgenommen und der Film ab 16 freigegeben.

Die FSK wird gerne kritisiert, aber, als jemand der die Zeit davor mitgemacht hat, möchte ich darauf hinweisen, wie gut es ist, dass ihre Freigaben heute bindend sind und damit BPJM und übereifrigen Staatsanwälten die Zähne gezogen sind! ‚Das Böse‘ ist ein faszinierender kleiner Alptraumfilm, der dem Slasher-Trend seiner Zeit entschieden entgegensteht (Jahre bevor Freddy beide Elemente zusammenführte). Er steht in der Tradition von Alejandro Jodorowskys Filmen oder Jean Rollins ‚Die eiserne Rose‘. Sein nächster Verwandter zum Erscheinungszeitpunkt ist vermutlich David Lynchs ‚Eraserhead‘. Wobei ‚Das Böse‘ eine durchaus breitere Gruppe an Zuschauern ansprechen dürfte als die genannten Werke. Es ist, in meinen Augen, Coscarellis bester Film (gefolgt von ‚Bubba Ho-Tep‘) und ein faszinierender Erstling, von einem Regisseur, dem es danach nie wirklich gelingen sollte den, hier perfekt passenden, juvenilen Blickwinkel abzulegen. Und Angus Scrimms „Tall Man“ ist eine dieser unsterblichen Horror-Performances.

Der Horror-Oktober ist da! HUUUUUuuuuhUUUUUuuuhh

It’s the most wonderful time of the year! Die Blätter werden gelb (okay, das waren dieses Jahr viele schon im Sommer, aber hier soll’s um fiktionalen Horror gehen!), die Luft wird kühler (und Heizen wird dieses Jahr… nein, hier geht’s um fiktionalen Horror, verdammt noch eins!!), das Wetter regnerischer (oh, kein realer Horror, verbunden mit Niesel? Na, immerhin etwas). Der Oktober und damit die beste Zeit für Horrorfilme ist da!

Dieses Jahr bespreche ich ein paar ungewöhnlichere Filme, die ich zum Teil schon länger auf der Liste hatte. Es wird um Tod und Krieg und Scheidung und Tanzen gehen! Schwerer Stoff. Aber pünktlich zu Halloween folgt dann eine Besprechung von einem besonders schleimigen Monster-Horrorklassiker.

Ich schlage also vor, Ihr brecht Eure Pläne ab, den nächsten Monat in einer einsamen Hütte im Wald zu verbringen und dort gemütlich „Drei Fragezeichen“ und zwischendurch die Tonbänder des seltsamen Wissenschaftlers, der dort zuvor gelebt hat, zu hören. Lest stattdessen lieber die Filmlichtung, hier ist auch die Gefahr deutlich geringer sich plötzlich irgendwelchen arkanen Sprüchen ausgesetzt zu sehen.

Ade due damballa. Valinchella santeria. Oya shungo yenya macumba. Give me the power, I beg of you. Leveau mercier du bois chio. Secoise entienne mais pois de morte. Morteisme lieu de vocuier de mieu vochette. Endelieu pour de boisette damballa!!!

Huch, wo kam denn dieses seltsame, direkt über mir lokalisierte Gewitter her? Hm, wichtigere Frage, warum kann ich nicht mehr über den Schreibtischrand schauen? Und warum bin ich plötzlich aus Plastik? Aus LEGO-Steinen, um es genau zu nehmen. Och nö, der olle Herr Legosi hat schon wieder mit seiner doofen Chuckie-Magie unsere Körper getauscht. Ich hasse es, wenn das passiert.

Naja, darum muss ich mich allein kümmern. Nach ein oder zwei Gläschen Blut sieht alles bestimmt auch schon ganz anders aus. Ich jedenfalls freue mich auf den Horror-Oktober, das war alles, was ich kommunizieren wollte.

‚Malignant‘ (2021)

Vorbemerkung: manchmal ist es eindeutig, wenn ein Film um ein zentrales Bild herum konstruiert wurde. Bespricht man den Film, kommt man kaum umhin dieses Bild zu erwähnen. Blöderweise wäre genau das in diesem Fall ein ziemlicher Spoiler und der Film ist dafür noch etwas zu neu. Also werde ich jenes zentrale Bild nur in einem extra als SPOILER markiertem Absatz ansprechen und ansonsten drumherumreden.

James Wan ist ein Regisseur, den ich nach meiner eigenen Einschätzung eigentlich lieben müsste. Der Mann hat den Studio-Horror mit Budget wiederbelebt. Alles was er anfasst wird zu Gold, sei es ‚Saw‘, ‚Conjuring‘ oder ‚Insidious‘. Aber ich muss gestehen, ich mochte noch nie einen Film von ihm wirklich gern. Der erste ‚Saw‘ ist gelungen für das, was er ist. Aber die anschließende „torture porn“-Welle hat jegliches Wohlwollen für den Film bei mir ausgelöscht. ‚Conjuring‘ ist eine ziemlich widerliche Hagiografie auf zwei reichlich miese Betrüger. ‚Insidious‘ war nahe dran mir zu gefallen, allerdings knirschte der Film unter den Widersprüchen eines atmosphärischen Spukhaus-Films und dem Irrsinn einer Parallelwelt, bevölkert von Darth Mauls, die als Freddy Krüger verkleidet sind. Wenn Wan doch nur diesem Irrsinn einfach mal freien Lauf lassen könnte… Gute Nachricht, er tut genau das in ‚Malignant‘. Und wie!

Die schwangere Madison Lake-Mitchell (Annabelle Wallis) lebt mit ihrem gewalttätigen Ehemann Derek (Jake Abel) in Seattle. Derek wirft Madison vor, für mehrere vorhergegangene Fehlgeburten verantwortlich zu sein und attackiert sie körperlich. In der darauffolgenden Nacht wird er von einem unbekannten Eindringling ermordet, laut Ermittlern mit einer Gewalteinwirkung, wie man sie sonst nur bei Verkehrsunfällen erlebt. Madison ist schockiert, erhält aber Unterstützung von ihrer Schwester Sydney (Maddy Hasson). Doch bald mordet der Unbekannte weiter, eine Reihe Ärzte fallen ihm zum Opfer. Doch damit nicht genug, Madison empfängt Visionen der Gewalttaten. Eine Tatsache, die sie für die ermittelnden Polizisten Regina Moss (Michole Briana White) und Kekoa Shaw (Goerge Young), beide eher Rationalisten als Fox Mulder,  zur Verdächtigen macht. Tatsächlich beginnt sich Madison an Dinge aus einer längst vergangenen Zeit zu erinnern. Dinge, die sie bald an sich selbst zweifeln lassen.

Meine obige Zusammenfassung gibt in keiner Weise die vollständig überdrehte Atmosphäre des Films wieder. Wan erzählt hier mit der Subtilität eines Vorschlaghammers auf den kleinen Zeh. Wir brauchen fünf Sekunden, um zu erkennen, dass Derek ein Dreckskerl ist. 20 weitere Sekunden später stufen wir ihn auf der Drecksack-Skala deutlich weiter nach oben. Zwei Minuten später ist er tot. Das ist ein Erzähltempo, das der Film natürlich nicht über seine ganze Laufzeit halten kann, aber er bleibt über lange Zeit erstaunlich atemlos für einen Horrorfilm.

Was natürlich bedeutet, dass Atmosphäre möglichst  unmittelbar aufgebaut werden muss. Und so dräuen unvermittelt gothische Gebäude im modernen Seattle, ist jede Nacht entweder von Nebel verhangen oder von Gewitter erhellt. Und wenn wir einen chirurgischen Preis in Form einer langen goldenen Klinge(!) auf einem Kaminsims sehen, nun, sagen wir Anton Tschechow wär vermutlich glücklich, wie schnell der seiner allzu offensichtlichen Bestimmung zugeführt wird.

Das klingt jetzt vermutlich wie ein Film, der überhaupt nicht funktioniert und das wird vermutlich für manche auch der Fall sein, doch für mich funktioniert es ganz wunderbar. Denn Wan erschafft hier eine Welt, die seltsam ihre eigene Künstlichkeit unterstreicht. Da sind Häuser, deren Äußeres offensichtlich nicht mit ihrem Innenleben übereinstimmt, wenn man ein Auto parkt, dann selbstverständlich am äußersten Rand einer Klippe, einfach weil sie da ist. Und wenn Madison festgenommen wird, dann ist die Wartezelle randvoll gefüllt mit Frauen, die wie Klischees aus 70er und 80er Jahren Exploitation Filmen aussehen, angeführt von Zoe Bell mit dem alpha und omega aller Vokuhilas.

Der Film fühlt sich an wie das gewollte Gegenteil von Horror eines großen Studios. Dort weiß man zumeist in welche Richtung es gehen wird und weiß, dass man in sicheren Händen ist. Wie bei einer Achterbahn in einem großen Freizeitpark. Dieser Film fühlt sich an, als wäre er von einem Frank Henenlotter erdacht, man weiß nie was als nächstes geschehen wird, eine Stunde in den Film hinein, weiß man immer noch nicht in welche Richtung es gehen wird. Das wirkt wie eine Achterbahn, die über Nacht von drei zumindest leicht angetrunkenen Handwerkern nach Augenmaß zusammengezimmert wurde. Daher ist nun Zeit für den oben erwähnten

SPOILER SPOILER SPOILER

Also, Gabriel ist Madisons craniopager, parasitischer Zwilling und ein zutiefst bösartiger Mörder. Und er kann, nachdem er ihre Föten getötet und deren Stärke übernommen hat(!), gelegentlich die Kontrolle über Madisons Körper übernehmen, allerdings ist sein Gesicht auf ihrem Hinterkopf, weswegen sie sich „rückwärts“ bewegt, wenn er sich vorwärts bewegt. Und für Madison wirkt das Geschehen später wie Visionen. Diese Idee, des sich rückwärts bewegenden Mörders im Frauenkörper, mit dem monströsen Gesicht hinter ihrer Frisur, war sicherlich das Urbild des Films, um das herum alles konstruiert wurde. Und wenn sich „Gabriel“ zum Ende hin durch eine Polizeistation mordet, wie vor ihm wohl zuletzt höchstens der Terminator, dann ist das nicht nur eine durch und durch irrsinnige Szene (mit dem besten filmischen Stuhlwurf seit der Fraser Mumie!!!), sondern vor allem auch, dank der Rückwärtsbewegung, eine beeindruckende Stuntleistung von Tänzerin Marina Mazepa, die die Rolle der „besessenen“ Madison übernimmt. Tatsächlich wird der Film so fast zu einer Variation auf Frank Henenlotters ‚Basket Case‘, denn wie Belial dort, will sich Gabriel vor allem den an Ärzten rächen, die eher nicht ganz ethisch gehandelt haben, als sie ihn „ausgeschaltet“ haben. Hier kommen wir denn auch zu meinem Problem mit dem Film, aber das kann und sollte man spoilerfrei besprechen, also

SPOILER ENDE SPOILER ENDE SPOILER ENDE

Ich habe oben den Vergleich zu Henenlotter gezogen, doch wo der billigste B-Movies produzierte, hat Wan New Line hierfür 40 Millionen Dollar aus dem Kreuz gelabert. Für einen absolut irrsinnigen Film, was die ganze Sache noch einmal ein ganzes Stück lustiger macht. Der Mann für absolut Sicherheit, der einst das ‚Conjuring‘ Fließband gestartet hat, von dem nun Gruselpuppen, Gruselnonnen oder Grusel-wasauchimmers laufen, hat einen komplett eigenwilligen Film gemacht. Einen, der, man glaubt es kaum, gar Verlust eingefahren hat. All das macht mir den Film hochsympathisch. Ein Problem habe ich allerdings dennoch.

Bei Henenlotter konnte man stets die Sympathie für das Groteske fühlen. Henenlotter war auf der Seite der Außenseiter, nicht zuletzt, weil er selbst ein Außenseiter war. Wans Sympathien liegen allzu eindeutig beim „Normalen“. Und dadurch geht er für mich ein Stück zu weit jenen Weg, den Horrorfilme nur allzu gern gehen. Im psychisch und physisch Kranken, im „Hässlichen“ das Böse entdecken zu wollen. Das betrifft nicht nur den zentralen Killer des Films, sondern auch die oben erwähnten grotesken Frauen in der Gefängniszelle, die sich sofort böswillig gegen die „normale“ Madison zusammenrotten.

Herr Wan und ich sind uns philosophisch also vermutlich immer noch nicht sonderlich nah. Allerdings ist das hier weniger zentral als etwa bei einem ‚Conjuring‘. Und vor allem ist sein Film derart unterhaltsam und derart wild, dass ich absolut bereit bin, darüber hinwegzusehen.

Ich empfehle den Film auf jeden Fall. Er wird nicht jedem gefallen, aber auf jeden Fall ist er ein Film, den man gesehen haben muss, um zu glauben, dass hierfür ein Studio 40 Millionen gezahlt hat, wohl mit der Hoffnung, das Geld wieder reinzukriegen. Ich habe oft Henenlotter erwähnt, aber die Inspiration hier waren nicht nur amerikanische B-Movies der 70er und 80er, sondern sicherlich auch italienischer Giallo. Man könnte sogar eine gewisse (gewollte) Selbstparodie Wans vermuten.

‚In den Krallen des Satans‘ (1971)

Anmerkung: so wie in der Überschrift steht der Titel auf meiner BluRay und scheint damit den früher geläufigen Titel ‚In den Krallen des Hexenjägers‘ zu ersetzen. Damit ist er näher am originalen ‚The Blood On Satans Claw‘ (oder ‚Satans Skin‘ oder ‚Blood In Satans Claw‘…) und auch näher an der Handlung des Films. Aber die wandelbaren Titel von 70er Jahre Horrorfilmen sind ja eh so ein Thema für sich…

Die 70er Jahre sahen einen ziemlichen Umbruch im Horror. Die Alien Invasionen und Riesenmonster der 50er waren lange durch. Die alten gothic Monster hatten sich, auch in ihrem zweiten Wind durch die britischen Hammer Studios, ziemlich totgelaufen. In den USA hatte George Romero mit ‚Night of the Living Dead‘ eine unaufhaltsame Lawine der Zombiefilme losgetreten, die 1971 aber noch nicht absehbar war. Den Serienmörder gab es schon, aber er war noch nicht zum Slasher codifiziert. Tatsächlich würde man sich im englischsprachigen Raum auf beiden Seiten des Atlantiks in eine ganz ähnliche Richtung bewegen. Der Horror wäre auf dem Land, oder gar im Land, also der Erde selbst, zu finden. 1974 würde Tobe Hooper mit ‚Texas Chainsaw Massacre‘ den Horror der USA revolutionieren. Den „backwoods horror“ etablieren. In Großbritannien ging dieser Schritt aufs Land hingegen mit einer Rückbesinnung auf die eigene, heidnische Geschichte zurück. Berühmtestes Beispiel für diesen „folk horror“ ist sicherlich ‚The Wicker Man‘ von 1973. Doch bereits zuvor gab es Beispiele dafür. Wie eben Piers Haggards ‚The Blood On Satans Claw‘.

Im frühen 18ten Jahrhundert entdeckt Ralph Gower (Barry Andrews), Knecht der wohlhabenden Witwe Isobel Banham (Avice Landone), einen seltsamen, weder menschlichen noch tierischen, haarigen Schädel mit intakten Augen beim Pflügen des Feldes. Als er diese Scheußlichkeit einem Richter (Patrick Wymark) zeigen will, der bei Witwe Banham zu Besuch ist, ist sie jedoch vom Feld verschwunden. Alsbald geschehen seltsame Dinge. Banhams Neffe Peter (Simon Williams) stellt seiner missbilligenden Tante seine zukünftige Braut Rosalind (Tamara Ustinov) vor. Doch in der Nacht wird diese wahnsinnig und verletzt Banham mit einer seltsamen Klaue. Die alte, verletzte Frau verschwindet am nächsten Tag unauffindbar im Wald. Peter sieht sich derweil selbst von einer haarigen Klaue attackiert, die er mit einem Dolch erfolgreich abschlägt, nur um festzustellen, dass er sich selbst verstümmelt hat. Und die Jugendlichen des Dorfes um Angel Blake (Linda Hayden) bleiben plötzlich nicht nur dem Pfarrunterricht fern, sie führen auch seltsame Kulthandlungen im Wald aus. Fast wirkt es, als müsste der Richter auf jenen alten Aberglauben zurückgreifen, den er so verachtet, um die Situation zu retten.

Der Film macht sehr schnell deutlich, dass wir es hier nicht mit der bekannten Welt des Hammer Horrors zu tun haben. Dort herrscht die starre Ständeordnung des viktorianischen Zeitalters und okkulte Vorkommnisse waren durchaus nicht unvorstellbar. Hier sind wir im Zeitalter kurz nach der Glorreichen Revolution, als in England der Absolutismus abgeschafft wurde. Der Monarch erhielt seine Souveränität vom Parlament, nicht mehr von Gott. Ewig wirkende Vorstellung galten nicht mehr, die Aufklärung setzte sich durch.

Daher haben wir es hier auch nicht mit dem für folk horror oft typischen Thema von Christentum gegen Heidentum zu tun. Der Der Dorpfarrer des Films (Anthony Ainley) ist ein dröger Intelektueller, der bei einem Begräbnis kaum seine Langeweile verbergen kann, aber begeistert auf die Suche nach biologischen Fundstücken geht. Der „Held“ des Films, der Richter, kann seine Verachtung für den Aberglauben der Landbevölkerung kaum verbergen. Letztlich ist es ausgerechnet ein dämonologisches Buch des Dorfarztes (Howard Goorney), ein Mann der seine Patienten nur bluten lassen kann und ihren Schnaps wegtrinkt, das ihn auf die richtige Fährte bringt. Nein, die Aufklärung, so sagt der Film, hilft nicht gegen diesen Schrecken. Aber der alte Aberglaube ist ähnlich sinnlos und gefährlich. Wenn eine Gruppe Bauern aus dem Nachbardorf ein junges Mädchen (Michele Dotrice) als Hexenprobe ins Wasser werfen und sie tatsächlich untergeht, folglich unschuldig ist, macht keiner von ihnen Anstalten ihr zu helfen. Und wenn der Richter im Finale mit einem grotesk antik wirkenden Breitschwert agiert ist es zutiefst fraglich, ob gerade das zu einem wirklichen Ende führen kann.

Überhaupt ist der Film sehr gut darin, uns im Unklaren zu lassen, was der Schrecken überhaupt ist, der hier bekämpft wird. Geht der Teufel um? Herrscht eine Massenhysterie? Oder ist es doch ein unerklärlicher, womöglich zyklischer Schrecken, der aus der Erde selbst ersteht?

Hier müssen wir nun über den Mann sprechen, den Piers Haggard als für den Film bedeutsamer als sich selbst bezeichnet. Kameramann Dick Bush. Der hatte soeben bei der BBC gekündigt und wollte raus aus dem damals extrem engen Korsett, das englischer Kameraarbeit aufgezwängt wurde. Und rannte damit bei Haggard offene Türen ein. So ist ‚Blood On Satans Claw‘ ein Film, bei dem fast jede Kameraeinstellung visuell interessant ist. Anfangs dreht er fast sämtliche Szenen aus Kniehöhe nach oben schauend, als wäre da etwas im Boden, was die Menschen belauert. In zwischenmenschlichen Szenen dreht er mit einer hochmobilen Handkamera, bringt quasi „nouvelle vague“-ische Unruhe in die Interaktionen. Während die Natur die handelnden Personen immer enger einzukreisen scheint. Zweige, Äste, Grashalme oder Blumen sind fast immer am Bildrand zu sehen, scheinen die Menschen zur Bildmitte zu drängen. Später nimmt dies die Geschichte direkt auf, wenn die Kultisten geflochtene Zweige um ihre Köpfe als Kronen tragen. Und in der Szene mit Peter und seiner Hand ist die Kamera derart aktiv, dass ich mich fast frage, ob Sam Raimi die Szene im Kopf hatte, wenn er Ash seine eigene Hand absägen lässt.

Das Studio Tigon plante den Film ursprünglich als Anthologie. Es sollte mehrere Geschichten geben, die lose durch den Fund Gowers verbunden waren. Aber Haggard überzeugte Autor Robert Wynne-Simmons eine einzige, durchgehende Geschichte daraus zu machen. Allerdings sind im Drehbuch fraglos Spuren der alten Struktur übrig geblieben. So verschwindet der Richter für lange Zeit nach London, Peter kommt kaum mehr vor, nachdem er sich selbst verstümmelt hat. Es ist schwer, wirkliche Protagonisten auszumachen. Am ehesten noch Gower und seine Frau Ellen, die ihre Kinder an den Kult verlieren und das als Hexe misshandelte Mädchen aufnehmen und so wesentliche Verbindungen zu fast allen Storyelementen haben. Nur sind sie sehr selten aktiv handelnde Figuren. Das trägt zum seltsamen Gefühl der Unkontrollierbarkeit des Films bei. Die Menschen des Dorfes entwickeln plötzlich schrundige Hautstellen von einem dichten, schwarzen Fell behaart und werden alsbald vom Kult entführt, der diese Stellen brutal herausschneidet. Was all dies bedeutet, deutet der Film nur an und die Figuren an sich wissen eher noch weniger darüber als wir als Zuschauer. Es ist ein Gefühl nicht nur der Hilflosigkeit sondern des Unverständnisses, das den Schrecken erhöht.

‚In den Krallen des Satans‘ ist ein faszinierendes, frühes Beispiel für folk horror, das einen langen Schatten bis in die heutige Zeit mit Filmen wie ‚The Witch‘ oder ‚Midsommar‘ wirft.