Ich gebe es gleich mal zu, ich kenne mich in Takashi Miikes Filmografie nicht sonderlich gut aus. Das ist aber auch schwierig, hat der Mann doch seit Beginn seiner Karriere 1991 weit über hundert Filme gedreht. Um die Jahrtausendwende herum drehte er durchaus um die sieben Filme im Jahr. Inzwischen „nur“ noch so 2-3. Wer ihn nicht direkt mit seinem bekanntesten Film, dem Horrorfilm ‚Audition‘, in Verbindung bringt, wird bei ihm vermutlich an comichaft überzogene Gewalt, oder annähernd absurdes Blutvergießen denken. Häufig im Samurai- oder Yakuzathema. Die gibt es zwar, allerdings dreht er durchaus auch auf Familien und Kinder zugeschnittene Filme. Was aber allen seinen Filmen gemein ist, ist eine fast schon manische Kreativität. Warum erzähle ich das alles? Weil es vermutlich hilfreich ist, für das Verständnis von ‚The Happiness of the Katakuris‘ (im Folgenden ‚THotK‘). Denn der Film fühlt sich gelegentlich an, als wären da drei bis sieben Filme in einen gestopft, der unter dem Druck an den Nähten aufzuplatzen beginnt.
Im Film ist Masao Katakuri (Kenji Sawada) kurz vor der Rente gekündigt worden. Da er einen geheimen Tipp erhält, dass bald eine neue Schnellstraße gebaut werden soll, eröffnet er mit seiner Familie ein Gasthaus in der abgelegenen, romantischen Bergregion, wo sie entstehen soll. Doch die Straße lässt auf sich warten und damit auch die Gäste. Masaos Frau Terue (Keiko Matsuzaka) steht in vollstem Vertrauen zu ihrem Mann, doch ihren Kindern, der alleinerziehenden Mutter Shizue (Naomie Nishida) mit ihrer kleinen Tochter Yurie (Tamaki Miyazaki) und dem ehemaligen Kleinganoven Masayuki (Shinji Takeda) geht die Geduld aus. Masaos rüstiger Vater Jinpei (Tetsurō Tamba) ist zu allem bereit, so lang es nur genug zu essen gibt. Doch als endlich der erste Gast auftaucht, geschieht die Katastrophe. Er begeht in der Nacht Selbstmord. Der Skandal könnte das Gasthaus ruinieren, bevor es je eine Chance hatte. Also beschließen die Katakuris, oder eher vor allem Masao, die Leiche im Wald zu vergraben. Leider soll der Mann bei weitem nicht der letze bleiben, der einen merkwürdigen Tod in dem Gasthaus stirbt.
Es dauert durchaus eine Weile, bis man merkt, was für eine Art Film ‚THotK‘ eigentlich sein will. Er beginnt mit einer Mischung aus Realfilm und Knet-Stop-Motion, die Jan Švankmajer vermutlich froh machen würde. Eine Frau entdeckt in ihrer Suppe ein merkwürdiges kleines, geflügeltes Wesen. Das verliebt sich in ihr Zäpfchen, reißt es ihr aus dem Rachen und fliegt damit davon. Dann wird es von einem Vogel gefressen, wiedergeboren und erneut von einem Vogel gefressen, den Opa Katakuri mit einem erstaunlichen Wurf eines Holzscheites aus der Luft holt. Der Film führt dann eine erwachsene Version der 5jährigen Yurie als Erzählerin ein, die er direkt, bis zum Ende wieder vergisst. All das passiert in den ersten 3 Minuten.
Neben der Handlung um das Verschwindenlassen von allerlei Gästeleichen, verliebt sich Shizue auch noch in den megacoolen Richard Sagawa (Kiyoshirō Imawano). Der ist nicht bloß Pilot für die britische Royal Navy und britischer Geheimagent, nein, er ist auch ein Neffe von Queen Elizabeth II.. Und spätestens hier wird es wohl Zeit zu erwähnen, dass der Film ein Musical ist.
Die Songs sind dabei häufig albern, gehen aber ins Ohr. Mögliche Choreographien sind nicht bis ins letzte einstudiert, sondern wirken durchaus gewollt etwas amateurhaft. Und oft genug schauen sich die Charaktere nach dem Song bedröppelt um, wie genau sie jetzt eigentlich da hingekommen sind, wo sie sich jetzt finden.
Insofern ja, der Film zerrt in allerlei verschiedene Richtungen und bedient sich dabei allerlei verschiedener Tonarten. Einerseits die absurden Tode der Gäste und ihr „Verschwinden“, andererseits die durchaus emotionale erzählte Handlung rund um den Zusammenhalt der Familie Katakuri. Die gut beobachteten inneren Konflikte und Misstrauensprobleme der Familie, die sich sämtlich an den verzweifelten Plan Masaos gehängt hat, ein Gasthaus zu eröffnen, das keine Gäste bekommt. Das funktioniert für mich für den Großteil des Films auch sehr gut, auf dem Weg zum Finale hin führt Miike dann aber noch einen Charakter ein, der der eine zu viel für mich ist. Hier schien die Überlegung, ob man denn nun wirklich jedes Genre bedient hat. Das Finale selbst ist dann wieder grandiose Knet-Animation und rundum gelungen.
Das ist aber kein großes Problem für mich und ich kehre dennoch gern immer wieder mal zu dem Film zurück. Ich kann mich kaum dem Charme von Miikes förmlich überkochender Kreativität entziehen. Auch wirkt es so, als hätten alle Beteiligten Spaß an dem Projekt gehabt. Wenn die Beleuchtung plötzlich ins Überdramatische wechselt und die Charaktere überzeichnete Anime-Posen einnehmen, bevor sie zu singen beginnen und in einer eher schlecht als recht eingeübten Choreografie tanzen, dann bin wenigstens ich zutiefst amüsiert und mindestens ebenso happy wie die Katakuris. Ich bin mir aber auch bewusst, dass das kaum für jeden sein wird. Wie Miike im Allgemeinen.
Mein Fazit würde also lauten, gebt ihm halt einfach mal eine Chance. Leider ist genau das aber gar nicht so einfach. Denn weder streamt der Film irgendwo bei den großen Anbietern, noch ist eine Heimmedienversion im deutschen Raum neu erhältlich. Immerhin kann man die alte DVD noch hier und da gebraucht für nen schmalen Taler erwerben. Und wenn Ihr die Gelegenheit habt, dann gebt ihm auf jeden Fall eine Chance.