‚The Happiness Of The Katakuris‘ (2002)

Ich gebe es gleich mal zu, ich kenne mich in Takashi Miikes Filmografie nicht sonderlich gut aus. Das ist aber auch schwierig, hat der Mann doch seit Beginn seiner Karriere 1991 weit über hundert Filme gedreht. Um die Jahrtausendwende herum drehte er durchaus um die sieben Filme im Jahr. Inzwischen „nur“ noch so 2-3. Wer ihn nicht direkt mit seinem bekanntesten Film, dem Horrorfilm ‚Audition‘, in Verbindung bringt, wird bei ihm vermutlich an comichaft überzogene Gewalt, oder annähernd absurdes Blutvergießen denken. Häufig im Samurai- oder Yakuzathema. Die gibt es zwar, allerdings dreht er durchaus auch auf Familien und Kinder zugeschnittene Filme. Was aber allen seinen Filmen gemein ist, ist eine fast schon manische Kreativität. Warum erzähle ich das alles? Weil es vermutlich hilfreich ist, für das Verständnis von ‚The Happiness of the Katakuris‘ (im Folgenden ‚THotK‘). Denn der Film fühlt sich gelegentlich an, als wären da drei bis sieben Filme in einen gestopft, der unter dem Druck an den Nähten aufzuplatzen beginnt.

Im Film ist Masao Katakuri (Kenji Sawada) kurz vor der Rente gekündigt worden. Da er einen geheimen Tipp erhält, dass bald eine neue Schnellstraße gebaut werden soll, eröffnet er mit seiner Familie ein Gasthaus in der abgelegenen, romantischen Bergregion, wo sie entstehen soll. Doch die Straße lässt auf sich warten und damit auch die Gäste. Masaos Frau Terue (Keiko Matsuzaka) steht in vollstem Vertrauen zu ihrem Mann, doch ihren Kindern, der alleinerziehenden Mutter Shizue (Naomie Nishida) mit ihrer kleinen Tochter Yurie (Tamaki Miyazaki) und dem ehemaligen Kleinganoven Masayuki (Shinji Takeda) geht die Geduld aus. Masaos rüstiger Vater Jinpei (Tetsurō Tamba) ist zu allem bereit, so lang es nur genug zu essen gibt. Doch als endlich der erste Gast auftaucht, geschieht die Katastrophe. Er begeht in der Nacht Selbstmord. Der Skandal könnte das Gasthaus ruinieren, bevor es je eine Chance hatte. Also beschließen die Katakuris, oder eher vor allem Masao, die Leiche im Wald zu vergraben. Leider soll der Mann bei weitem nicht der letze bleiben, der einen merkwürdigen Tod in dem Gasthaus stirbt.

Es dauert durchaus eine Weile, bis man merkt, was für eine Art Film ‚THotK‘ eigentlich sein will. Er beginnt mit einer Mischung aus Realfilm und Knet-Stop-Motion, die Jan Švankmajer vermutlich froh machen würde. Eine Frau entdeckt in ihrer Suppe ein merkwürdiges kleines, geflügeltes Wesen. Das verliebt sich in ihr Zäpfchen, reißt es ihr aus dem Rachen und fliegt damit davon. Dann wird es von einem Vogel gefressen, wiedergeboren und erneut von einem Vogel gefressen, den Opa Katakuri mit einem erstaunlichen Wurf eines Holzscheites aus der Luft holt. Der Film führt dann eine erwachsene Version der 5jährigen Yurie als Erzählerin ein, die er direkt, bis zum Ende wieder vergisst. All das passiert in den ersten 3 Minuten.

Neben der Handlung um das Verschwindenlassen von allerlei Gästeleichen, verliebt sich Shizue auch noch in den megacoolen Richard Sagawa (Kiyoshirō Imawano). Der ist nicht bloß Pilot für die britische Royal Navy und britischer Geheimagent, nein, er ist auch ein Neffe von Queen Elizabeth II.. Und spätestens hier wird es wohl Zeit zu erwähnen, dass der Film ein Musical ist.

Die Songs sind dabei häufig albern, gehen aber ins Ohr. Mögliche Choreographien sind nicht bis ins letzte einstudiert, sondern wirken durchaus gewollt etwas amateurhaft. Und oft genug schauen sich die Charaktere nach dem Song bedröppelt um, wie genau sie jetzt eigentlich da hingekommen sind, wo sie sich jetzt finden.

Insofern ja, der Film zerrt in allerlei verschiedene Richtungen und bedient sich dabei allerlei verschiedener Tonarten. Einerseits die absurden Tode der Gäste und ihr „Verschwinden“, andererseits die durchaus emotionale erzählte Handlung rund um den Zusammenhalt der Familie Katakuri. Die gut beobachteten inneren Konflikte und Misstrauensprobleme der Familie, die sich sämtlich an den verzweifelten Plan Masaos gehängt hat, ein Gasthaus zu eröffnen, das keine Gäste bekommt. Das funktioniert für mich für den Großteil des Films auch sehr gut, auf dem Weg zum Finale hin führt Miike dann aber noch einen Charakter ein, der der eine zu viel für mich ist. Hier schien die Überlegung, ob man denn nun wirklich jedes Genre bedient hat. Das Finale selbst ist dann wieder grandiose Knet-Animation und rundum gelungen.

Das ist aber kein großes Problem für mich und ich kehre dennoch gern immer wieder mal zu dem Film zurück. Ich kann mich kaum dem Charme von Miikes förmlich überkochender Kreativität entziehen. Auch wirkt es so, als hätten alle Beteiligten Spaß an dem Projekt gehabt. Wenn die Beleuchtung plötzlich ins Überdramatische wechselt und die Charaktere überzeichnete Anime-Posen einnehmen, bevor sie zu singen beginnen und in einer eher schlecht als recht eingeübten Choreografie tanzen, dann bin wenigstens ich zutiefst amüsiert und mindestens ebenso happy wie die Katakuris. Ich bin mir aber auch bewusst, dass das kaum für jeden sein wird. Wie Miike im Allgemeinen.

Mein Fazit würde also lauten, gebt ihm halt einfach mal eine Chance. Leider ist genau das aber gar nicht so einfach. Denn weder streamt der Film irgendwo bei den großen Anbietern, noch ist eine Heimmedienversion im deutschen Raum neu erhältlich. Immerhin kann man die alte DVD noch hier und da gebraucht für nen schmalen Taler erwerben. Und wenn Ihr die Gelegenheit habt, dann gebt ihm auf jeden Fall eine Chance.

‚One Cut of the Dead‘ (2018) – „POM!“

Warnung: die folgende Besprechung enthält notwendigerweise Informationen, die über den Inhalt des ersten Aktes des Films hinausgehen. ‚One Cut oft he Dead‘ ist ein Film, der ein Ansehen ohne jedes Vorwissen sicherlich belohnt (oder für einige auch erschwert…), allerdings bin ich der Meinung, dass „Spoiler“ darüber was später im Film passiert das Vergnügen nicht wirklich arg schmälern… und viel mehr als der Trailer verrate ich auch nicht. Aber jetzt könnt Ihr selbst entscheiden, ob Ihr erst schauen, oder erst lesen wollt. Weiterlesen

Reisetagebuch: ‚Shoplifters‘ (2018)

Filmreisechallenge #05: schaue einen Film aus einem asiatischen Land

Auf der ganzen Welt hatte Regisseur Hirokazu Koreedas ‚Shoplifters‘ großen Erfolg mit seinem intensiven, gefühlvollen Blick darauf, was eine Familie eigentlich ausmacht. In seiner Heimat Japan sah er sich allerdings auch scharfer Kritik ausgesetzt. Dass er Gelder der japanischen Filmförderung verwende um „die Schande Japans zu zeigen“ und gar „kriminelle Handlungen zu glorifizieren“. Dem würde ich entgegenhalten, dass eine Filmförderung, die nur erlaubt das eigene Land im besten Licht zu zeigen, keine gute wäre. Und glorifiziert er wirklich Kriminalität? Schauen wir mal.

Irgendwo in der Millionenmetropole Tokio lebt die Patchwork-Familie Shibata. „Vater“ Osamu (Lily Franky) ist Tagelöhner auf einer Baustelle. „Mutter“ Nobuyo (Sakura Ando) arbeitet in einer industriellen Reinigung. Die 18jährige Aki (Mayu Matsuoka) ist Animierdame in Schulmädchenuniform. „Großmutter“ Hatsue (Kirin Kiki), in deren winzigem Haus voller Trödel die Gruppe lebt, bestreitet einen Großteil des Unterhalts mit ihrer Witwenrente. Auch der 10jährige Shota (Kairi Jo) trägt seinen Teil bei, wenn er mit Osamu auf Ladendiebstahltour geht. Als sie in einer kalten Winternacht von einer solchen zurückkommen, entdecken sie die 5jährige Yuri (Miyu Sasaki) ausgesperrt auf einem Balkon. Sie nehmen sie mit, geben ihr zu essen und als sie sie zurückbringen wollen, halten sie ein lautstarker Streit von Yuris Eltern und Spuren von Misshandlungen an dem Kind davon ab. Bald werden Yuri die Haare geschnitten und als „Lin“ ist sie nun Teil der Shibatas.

Mir fällt erst jetzt, beim Schreiben auf, wie schwer es mir eigentlich fällt, den Film sauber in ein Genre einzuordnen. Eingangs habe ich ihn „Koreedas Blick darauf, was eine Familie ausmacht“ genannt und das trifft es auch sehr gut. Das lässt den Film nun aber nach einem reinen Essay-Film klingen, in dem die Figuren reine Chiffren sind, die die unterschiedlichen Ansätze vortragen. Nichts könnte aber weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Figuren sind absolut glaubwürdig und aufrichtig geschrieben und gespielt. Koreeda erzählt ruhig und einfühlsam eine Geschichte, die sicher auch als Thriller funktioniert hätte. Schließlich geht es zentral ja um Kindesentführung und, wie man im Film aus dem Fernsehen erfährt, werden Yuris Eltern auch noch verdächtigt sie umgebracht zu haben. Diese Aspekte unterschlägt Koreeda zwar keineswegs, doch er begegnet ihnen, wie allem anderen, als wohlwollend-unaufgeregter Erzähler.

Seine Antwort auf die Frage, was denn nun eine Familie ausmache ist denn auch eine durchaus komplexe. Blut, sprich Biologie allein reicht ihm als Antwort ganz offensichtlich nicht aus. Viele der Shibatas würden wohl antworten: Geld. Hatsue etwa bezeichnet ihre Witwenrente als „Schmerzensgeld“, was einen Hinweis auf das Leben mit ihrem Mann geben dürfte. Doch setzt der Film die liebevollen Beziehungen der Shibatas untereinander doch in strikten Gegensatz zur rein finanziellen, von digitalem Piepsen begrenzten Intimität etwa von Akis Job. Familie, das ist einerseits etwas, das man sich jeden Tag erarbeitet, in diesem Zusammenhang ist Osamus späte Erklärung, warum er den Kindern das Stehlen beibringt ebenso logisch wie tragisch, andererseits ist sie etwas, das man unerwartet geschenkt bekommt. Und, auch das verschweigt der Film nicht: Familie bedeutet auch Lügen oder zumindest unausgesprochene Wahrheiten.

Japan, so scheint es zumindest mir als weit entferntem Kommentator, scheint eine Gesellschaft, die sehr auf das Funktionieren des Individuums im großen Ganzen ausgelegt ist. Die Familie als Einheit scheint darunter besonders zu leiden und so ist das Thema der dysfunktionalen Familie und daraus erwachsend einer neu gewählten familiären Einheit kein ganz seltenes in der Kunst. Satoshi Kons großartiger Weihnachts-Anime ‚Tokyo Godfathers‘ sei in dem Zusammenhang erwähnt, oder auch Takeshi Kitanos Sommermärchen ‚Kikujiros Sommer‘. Koreedas Ansatz ist sicher analytischer und bodenständiger aber von ähnlich wohlwollender Fröhlichkeit geprägt, ohne die zu Grunde liegende Finsternis auszublenden.

Bevor wir zum Herz des Films, den Darstellern, kommen, sei noch Kondo Ryutas virtuose Kameraarbeit erwähnt. Sie macht Oma Hatsues Haus von einem anfänglich winzigen, geradezu klaustrophobisch vollgestellten Raum, der mehr Menschen zu enthalten scheint als eigentlich möglich sein sollte, zu einem heimeligen Ort. Zu einem brüchigen Rückzugsort, der zwischen gleichförmigen Apartmenthäusern zu verschwinden droht. Auch schafft er es ohne jeglichen Sensationalismus Momente zu schaffen, die in Erinnerung bleiben werden. Sei es die ganze Familie, die während eines Feuerwerks auf den schmalen Streifen Himmel, der vom Haus aus zu sehen ist schaut, obwohl Osamu schon ganz zu Anfang feststellt man könne nichts sehen, nur hören. Oder wenn er ein schweres Unglück in ein paar davon rollenden Orangen einfängt.

Bei den Darstellern ist es nicht einfach jemanden herauszustellen. Lily Franky als ewiger Verlierer und dennoch liebevoller Vater Osamu ist sicherlich so etwas wie der Hauptcharakter und seine Beziehung zu den Kindern, insbesondere Shota ist faszinierend. Sie scheint wunderbar zu funktionieren, nur jedes Mal, wenn Shota Osamu „Papa“ nennen soll wird es schwierig… Die Kinderdarsteller für ihren Teil sind sehr gut, insbesondere Miyu Sasakis quasi wortlose Lin. Das führt mich dann doch zu einer Darstellung die ich herausheben möchte. Sakura Ando als Nobuyo ist großartig in einer recht komplexen Rolle. Ihre Erklärung an Yuri/Lin, dass jemand der sie liebt sie nicht schlägt und jemand der sie schlägt das nicht aus Liebe tut, hat mich mehr umgehauen, als beinahe jede andere Szene, die ich in letzter Zeit gesehen habe.

Oh, nun habe ich vor lauter Begeisterung über den Film glatt vergessen die eingängliche Frage, ob der Film nun kriminelles Verhalten verherrliche, zu beantworten. Möglicherweise konntet Ihr die Antwort zwischen den Zeilen entdecken, ansonsten müsst Ihr den Film eben selbst schauen und Eure eigene Antwort finden. Vermutlich wäre das ohnehin eine gute Idee, denn, zumindest das ist hoffentlich deutlich geworden, mich hat der Film zutiefst begeistert.

‚Aragami‘ (2003) – göttliche Herausforderung

Was ist das wesentliche Element einer jeden Geschichte? Diese Frage dürfte sich Regisseur Ryūhei Kitamura (‚Azumi‘) gestellt haben, als er 2003 die Herausforderung zu einem Duell akzeptiert hat. Auf einem Filmfestival traf er seinen Kollegen Yukihiko Tsutsumi. Die beiden kannten sich vorher nicht, schätzten aber die Arbeit des anderen. Abends ging man gemeinsam Saufen und zu fortgeschrittener Stunde und Promillezahl entstand die Idee zu einem filmischen Duell. Beide sollten einen Film nach bestimmten Regeln anfertigen. Die Regeln lauteten:

  1. nicht mehr als 2-3 Charaktere
  2. der Film muss in 7 Tagen abgedreht sein und darf ein geringes Budget nicht überschreiten*
  3. die Handlung spielt komplett an einem Ort
  4. ein Charakter muss sterben

Ob er nun das wesentliche Element jeder Geschichte ist, sei dahingestellt, doch schon die Regeln und die Art der Entstehung des Film leiten das Thema in eine ganz bestimmte Richtung: Konflikt! Und hier ist was Kitamura aus dem Thema gemacht hat.

Zwei schwerverletzte Samurai schleppen sich zu einem abgelegenen Tempel. Die Hüterin (Kanae Uotani ) öffnet ihnen und sie brechen zusammen. Als einer von ihnen (Takao Osawa) wieder erwacht, ist sein Gefährte tot, er selbst von allen Wunden geheilt. Ein mysteriöser aber freundlicher Fremder (Masayo Kato) lädt ihn ein mit ihm zu essen und die Nacht über Totenwache zu halten. Die anfangs freundlichen Gespräche werden schnell aggressiv und der Fremde gibt sich als der wahre Herr des Tempels zu erkennen: Aragami, der Gott des Kampfes. Der ist seiner Existenz müde und hat den Samurai auserwählt ihn im Kampf zu besiegen, doch gewinnen lassen würde er ihn nicht. Bevor es aber ans Morden ginge, sollte man doch erst noch einmal zusammen trinken.

Es ist leicht zu erkennen, wie die Entstehung des Film direkten Einfluss auf seine Handlung hatte. Die Regeln scheinen Kitamura allerdings weniger einzuschränken als zu beflügeln. Nicht nur spielt die Handlung komplett an einem Ort, abgesehen von kurzen Pro- und Epilogen spielt sie sich auch komplett in Echtzeit ab. Und was er aus diesem einen Ort herausholt ist beeindruckend, allerdings ist der auch wunderbar designt. Irgendwo zwischen japanischem Tempel und westlicher, gotischer Krypta kann man ihn verorten. Man wäre nicht völlig überrascht, sollte Dracula sich irgendwo im Hintergrund erheben. Auch wandelt sich der Ort beständig, spiegelt das Seelenleben Aragamis wieder. So bekommt etwa eine anfangs friedliche Statue im Laufe des Films immer aggressivere Züge. In ihren Kämpfen durchmessen die Kontrahenten den kleinen Tempel von allen Seiten bis zu den Deckenbalken. Oder kämpfen in völliger Finsternis, erhellt nur die blitzende Funken, wenn ihre Klingen aufeinandertreffen. Sprich Kitamura macht Handlung, Zeit und Ort in beeindruckender Weise zu einer Einheit.

Und mögen die gut choreografierten Kämpfe (die vermutlich den Hauptteil der 7 Tage Dreharbeiten einnahmen) auch noch so gut sein, die wirklich besten Momente finden sich in den Dialogen. Die psychologischen Tricks mit denen Aragami den Samurai, der anfangs keinen Grund sieht mit seinem vermeintlichen Retter zu kämpfen, gegen sich aufstachelt, reichen von komischer Ironie zu tatsächlich Erschreckendem. Und dann ist da noch die Hüterin des Tempels, die sich weitgehend wortlos unterwürfig gibt, doch sieht man in ihrem Gesicht immer mal wieder eine Art distanzierte Amüsiertheit. Auf eine der Fragen des Samurai, wer sie denn sei, antwortet Aragami nur, dass vor ihr selbst er das Haupt neige. Womöglich ist sie eine Figur der japanischen Mythologie, die Kenner sofort erkennen würden, für mich machten gerade die Fragen, die sei umgeben, ihre Faszination aus. Überhaupt gelingt es Kitamura sehr gut, den Tonfall einer Sage zu treffen. Soweit ich das recherchieren konnte, ist die Sage um Aragami von ihm erfunden, aber das Bild des Sterblichen, der an einem abgelegenen Ort nächtigt und dort mit Kami wettstreitet, findet sich in der japanischen Mythologie immer wieder, ebenso in der westlichen, wo Kobolde oder der Teufel selbst den Platz von Naturgeistern einnehmen.

Wenn ich überhaupt etwas an dem Film zu bemängeln habe, dann wäre es vermutlich die Musik. Die wird in der zweiten Hälfte, wenn die Kämpfe wirklich beginnen, immer mehr zu hartem E-Gitarren-Genudel, das zumindest mich gelegentlich mehr abgelenkt hat, als die Bilder unterstützt. Auch bemerkt man an machen Effekten oder extrem choreografierten Sequenzen das geringe Budget und die eine Woche Produktionszeit durchaus. Dennoch bietet der Film mit 75 Minuten ein sehr gelungenes Filmerlebnis, das nicht länger dauert als es sollte.

Jetzt muss ich wohl fairerweise bei Gelegenheit auch Tsutsumis Duell-Beitrag ‚2LDK‘ schauen, in dem sich zwei junge Frauen mit allerlei Haushaltsgerätschaften beharken. Der wird sich aber sehr anstrengen müssen, um das Duell zu gewinnen…

*die Höhe des Budgets konnte ich leider nicht ermitteln

‚Kikujiros Sommer‘ (1999) – der Junge und der Kleinganove

Takeshi Kitanos Werke verbinden fast immer einen poetischen Grundton mit explosiver Gewalt. Für ‚Kikujiros Sommer‘, seinem Versuch an einem Familienfilm (ob das gelungen ist, darüber kann man streiten, siehe unten) verzichtet er auf die Gewalteinlagen und ersetzt sie stattdessen durch Slapstick-Momente. Herausgekommen ist ein gleichzeitig typsich, wie untypischer Film von Beat Takeshi und vielleicht der mit dem besten Soundtrack.

Es sind Sommerferien. Der bei seiner Großmutter lebende Masao (Yusuke Sekiguchi) ist einsam. Seine Freunde sind alle im Urlaub und das Fußballtraining fällt aus. Da findet er ein Foto und die Adresse seiner Mutter, die, laut Aussagen der Großmutter, weit weg lebt und hart für ihn arbeitet. Er schleicht sich davon, um seine Mutter zu besuchen, doch wird ihm gleich an der nächsten Straßenecke das Taschengeld von ein paar Bullies abgenommen. Eine Nachbarin beauftragt ihren Mann Kikujiro (Kitano) den Jungen zu seiner Mutter zu begleiten, während sie der Großmutter erzählt, die beiden führen zum Strand. Kikujiro ist die denkbar schlechteste Wahl für einen Begleiter. Der Kleinganove macht zunächst an einer Radrennbahn halt, wo er den Großteil ihres gemeinsamen Reisegeldes verjubelt. Erst als Masao, aufgrund Kikujiros Unachtsamkeit,  von einem Kinderschänder im Park bedrängt wird und Kikujiro im letzten Moment eingreift (und dem Kerl die Brieftasche klaut), machen sie sich ernsthaft auf den Weg. Es folgen gestohlene Taxis, ein Aufenthalt in einem Luxushotel, Streit mit Truckern  und zahlreiche, teilweise erzwungene, Mitnahmen per Anhalter. Doch verläuft der Besuch bei der Mutter nicht wie erwartet, was aber dafür sorgt, dass Masao und Kikujiro ein wenig näher zueinander finden.

Geschichten um Außenseiter, die aufgrund der Geschehnisse zueinander finden ist kein untypisches Motiv für einen Film und das Road Movie sogar ein recht typisches Setting dafür. Doch umschifft Kitano die typischen, sentimentalen Momente, die für gewöhnlich eine solche brüchige Vater-Sohn Beziehung ausmachen würden. Masao ist ein untypischer Film-Achtjähriger, insofern das er nicht eben tonnenweise Persönlichkeit mitbringt. Er ist sehr introvertiert und sehr still und bleibt es fast den ganzen Film. Und doch merkt man, wie aus dem anfänglichen stoischen Ertragen Kikujiros Eigenarten langsam eine Art Vertrauen wird. Wirkliche Einblicke in Masao bekommen wir mehr über das Rahmenelement eines Bilderbuches, dass er darüber führt, was er im Sommer erlebt hat, sowie seine (Alp-)Träume. In denen kann sich Kitanos Regie voll ausleben und es wimmelt von überzogenen Schurken und finsteren Dämonen.

Kikujiro hingegen bringt schon fast zu viel Persönlichkeit mit. Kitano spielt ihn wie eine Karikatur seiner üblichen Gangsterrollen. Laut und aufbrausend begegnet er jedem anderen Charakter im Film, anscheinend stets auf der Suche nach Streit, wichtiger aber noch, nach Gelegenheiten einfach Geld zu machen. Letztlich wirkt er aber immer nur wie ein polternder Clown, seine Drohungen und Posen sind leer, sein Zorn eine ähnliche Flucht nach innen, wie Masaos stille Traurigkeit. Kikujiro war der Name von Kitanos Vater, zu dem er kein gutes Verhältnis gehabt hat, was die Vermutung nahe legt, der Film präsentiere den Wunsch nach einer, zwar unwesentlichen aber entscheidenden Veränderung im Wesen der Vaterfigur. Kitano hat zwar anfangs bestritten die Figur habe irgendetwas mit seinem Vater zu tun, sagte später jedoch, womöglich sei es seine Art ihm Respekt zu zollen, statt sein Grab zu besuchen.

Viele der Charaktere, denen sie unterwegs begegnen sind ähnlich exzentrisch, doch da vor allem die zentralen Charaktere hervorragend geschrieben sind, fühlen sich die Begegnungen nie forciert an. Sei es der in seinem Auto lebende Mais stehlende Obdachlose/Autor, die vielleicht friedfertigsten Biker, die je im Film zu sehen waren oder der hilfreiche aber auf Regeln bestehende Hotelangestellte. Insbesondere in der zweiten Hälfte, wenn eine ganze Gruppe von Charakteren zusammenkommt (teilweise von Kikujiro gezwungen) um Masao ein unvergessliches Sommererlebnis zu bescheren, können auch diese Randfiguren glänzen.

Erzählerisch gibt es überdeutliche und unauffälligere Anspielungen auf das alte Hollywood. Eine längere Sequenz an einer Bushaltestelle ist nicht nur sehr komisch, sie könnte auch eins zu eins genauso in einem Charlie Chaplin Film vorkommen. Die Grundstruktur des Films hingegen folgt ein wenig dem ‚Zauberer von Oz‘. Kikujiro ist für Masao anfangs sicherlich ein herz-, hirn- und mutloser Begleiter, doch nachdem der Besuch beim Zauberer (der Mutter) sich als enttäuschend herausstellt, merken sie, dass sie alles was sie brauchen bereits in sich tragen. Gleichzeitig ist der Film mit seinem ironisch-distanzierten Tonfall, seiner Unsentimentalität und der Tatsache, dass Kikujiro anfangs ein wirklich unangenehmer Charakter ist weit von Hollywood entfernt. Die Tatsache, dass einer der handlungsauslösenden Momente sich um einen, völlig unsubtil gespielten Kinderschänder dreht, dürfte ihn als Familienfilm wohl ohnehin für die meisten disqualifizieren. Die Tatsache, dass ein anderer Charakter dazu neigt vollkommen nackt herumzulaufen (sehr lustig „zensiert“ im Film) dürfte ein Übriges tun.

Filmisch allerdings ist das durch und durch Kitano, was vermutlich dazu beiträgt, dass nicht die übliche Sentimentalität einsetzt. Seine Kamera ist oft genug distanziert und ironisiert dadurch Momente noch weiter, als der Ton des Films es ohnehin schon tut. Er erzählt seine Geschichte in statischen Szenen und mit bewussten Auslassungen, lässt aber gelegentlich die Kamera etwas länger als nötig auf einer Szene verweilen, um bizarre Momente herbeizuführen. Ein Moment mit einem Nagel und einem Auto auf einem Deich würde ich gar in die Riege der großen visuellen Komik aufnehmen wollen. Auch Kitano-typische Elemente wie Engel oder natürlich der Strand finden ihren Platz.

Und dann ist da noch Joe Hisaishis Musik. Den Hauskomponisten des Studio Ghibli und langjährigen Mitarbeiter Kitanos muss ich wohl nicht großartig vorstellen, jeder, der sich ein wenig mit japanischem Film beschäftigt wird früher oder später aufhorchen, wenn er seinen typischen Stil hört. Und doch hat er mit „Summer“ in ‚Kikujiros Sommer‘ vielleicht meinen persönlichen liebsten Track geschaffen. Seine Musik beschwört sofort die unbeschwerlichen Tage der scheinbar endlosen Sommerferien der Kindheit herauf, doch bevor ich versuche Musik zu beschreiben, hört einfach selbst rein:

Das Bild hat übrigens nix mit dem Film zu tun…

Masaos und Kikujiros Reise wird die Welt nicht grundlegend verändern und genau dasselbe könnte man wohl auch über den Film sagen, der bei der Kritik denn auch nur mittelmäßig ankam. Dennoch finde ich diesen, für den Beat Takeshi der 90er, sehr milden, sehr liebevollen Film absolut sehenswert und es ist einer, der das Gefühl des kindlichen Sommers  und seiner unbegrenzten Möglichkeiten besser trifft als viele andere.

‚Kong: Skull Island‘ Best Movie Poster Ever?! (in Japan)

Ich habe ‚Kong: Skull Island‘ noch nicht gesehen. Ich kann Euch aber versprechen ich hätte ihn gesehen, wenn wir dieses Poster hier an den Bushaltestellen hängen hätten:

kong-skull-island-japanese-poster

Ich hätte ihn vermutlich schon drei mal gesehen. Warum haben wir urlangweilige Standardposter, wenn eine solche Arschtreter-Version existiert? Spinnen, Affen, Tentakel, Mutationen, Feuer, Explosionen … und ein Wasserbüffel? Ja, bitte!

Hinweis an mich selbst: korrekte Punktuation ist wichtig! ‚Kong: Skull Island‘ ist ein ganz anderer Film als ‚Kong Skull: Island‘

Zweiter Hinweis an mich: das Wort, das Du meinst heisst „Interpunktion“