Ich habe an dieser Stelle ja schon häufiger geschrieben, über meine absolute Unfähigkeit an billigen Sammlungen von Honkong Kung Fu Filmen der 70er und 80er Jahre vorbeizugehen. ‚Kuan – der unerbittliche Rächer‘ kam aber tatsächlich nicht als Teil einer solchen Collection zu mir, sondern ich habe ihn aus einer Grabbelkiste des örtlichen Technikmarktes gezogen. Meine Erwartungen an den Film waren entsprechend. Andererseits weiß man halt, was man bekommt, wenn man eine Shaw Brothers Produktion aus dieser Zeit schaut. Insbesondere wenn Chang Cheh, der „Godfather of Hong Kong Cinema“ Regie führt. Unterhaltsame Kung Fu Action mit charismatischen Hauptdarstellern und einem Drehbuch, das mehr oder weniger halt da ist, um die physischen Auseinandersetzungen zu rechtfertigen. Und ja, genau das bekommt man auch hier. Aber auch noch entschieden mehr, weswegen ich recht begeistert über den Film bin und mich wundere, warum man von dem nicht mehr hört und liest!
Die Geschichte ist eine simple Rachestory. Sie spielt im Beijing der 30er Jahre. Der aufschneiderische Kung Fu Meister Feng Kai-Shan (Feng Ku) begehrt die Ehefrau (Yen-Ching Ou) von Kuan You-Lu (Ti Lung), einem Star der chinesischen Oper. Als er sich ihr allzu sehr nähert, statuiert You-Lu ein Exempel. Er vermöbelt Feng Kai-Shan und ein gutes Dutzend seiner Schüler, mit dem Aushängeschild von dessen Kung Fu Schule. Daraufhin lässt Feng Kai-Shan ihn in einem Teehaus ermorden. Doch alsbald taucht You-Lus jüngerer Bruder Kuan Hsiao-Lu (David Chiang) in der Stadt auf, um, man ahnt es, unerbittliche Rache zu nehmen. Doch Feng steckt nicht allein hinter der Sache. Auch die Triaden und gar ein korrupter General sind in den Mord verwickelt. Viel zu tun für Hsiao-Lu, der bald zum Werkzeug im Machtgerangel der Verschwörer wird.
So weit, so erwartbar. Was macht den Film nun so besonders? Dafür müssen wir ein wenig in die Geschichte des Wuxia-Films eingehen. Wuxia beschreibt eine Jahrtausende alte chinesische Erzählform. Sie greift historische Szenen auf, reichert sie aber mit einem Heros, dem „xia“ an. Der Held im Wuxia ist ein grandioser Krieger mit fantastischen Fähigkeiten und Kampfkünsten. Er entstammt jedoch zumeist dem einfachen Volk und kämpft nicht nur etwa gegen Räuber, sondern auch korrupte Beamte oder Gewaltherrscher. Er stellt auf diese Weise Gerechtigkeit und ein Gleichgewicht im konfuzianischen Sinne wieder her. Ist aber, anders als etwa der japanische Samurai, dadurch ein subversiver, der Machtelite oft entgegenstehender Charakter. Die chinesische Oper, im Gegensatz zur europäischen Operntradition von Anfang an eine volksnahe Kunstform, griff diese Themen oft auf und so ist der Bühnenkampf ein wichtiger Bestandteil. Dieser zeigt allerdings weniger realistische Kämpfe, sondern setzt auf fließende Bewegungen, auf tänzerische Eleganz und komplexe Choreografie.
Und damit sind wir zurückbei unserem Film hier. Denn frühe Wuxia Filme übernahmen direkt die unrealistische, tänzerische Choreografie der Oper, die den Helden durch dutzende Widersacher wirbeln lässt. Chang Cheh nutzt hier nun einen interessanten Kunstgriff. Kuan You-Lus Können im Bühnen Kung Fu übersetzt sich 1:1 in „echtes“ Kung Fu, in der Realität des Films. Tatsächlich schneidet Chang Cheh in die Szenen, in der You-Lu es mit Dutzenden von Kung Fu Schülern aufnimmt, immer wieder Bühnenszenen hinein und betont die direkte Parallelität zwischen beidem. Und wir sind hier ganz beim klassischen Wuxia Helden, der es mit zahllosen Gegnern aufnehmen kann. Wenn er im Teehaus schließlich ermordet wird, fährt Feng fast eine Hundertschaft Mörder mit Messern und Äxten bewaffnet aus dem Hinterhalt gegen ihn auf. Und es wird trotzdem knapp. Selbst nachdem ihm die Augen ausgestochen werden (über die Gewalt des Films wird noch zu reden sein) macht You-Lu noch ein halbes Dutzend Gegner rund.
Doch nach seinem Tod geschieht etwas Erstaunliches. Sein ganz in schwarz gekleideter Bruder stakst aus der Finsternis, wie der Hauptdarsteller eines Italowesterns. Sein erster Akt ist einen schlafenden Mann im Bett zu erstechen. Er wälzt sich mit seinen Gegnern im Dreck einer öffentlichen Toilette, er würgt, mordet hinterrücks und ist mit zwei Gegnern gleichzeitig fast überfordert. Er wird mit einer allzu mondänen Fahrradkette attackiert. Er nutzt gar eine Pistole!
Wir haben den Wuxia Film verlassen und sind im „realistischen“ Kung Fu Film der 70er Jahre angekommen, den Bruce Lee wie kein zweiter verkörpern würde. In die ersten Actionszenen schneidet Chang Cheh hier erneut Szenen der chinesischen Oper, doch schnell erkennen wir, dass diese Gewalt kaum noch etwas Tänzerisches hat. Sie ist unromantisiert und blutig. Auch die Gegner tragen zu einem guten Teil keine klassisch chinesische Kleidung mehr, sondern westliche Anzüge oder Uniformen der Volksbefreiungsarmee.
Chang Cheh liefert hier einen klarsichtigen Meta-Kommentar auf den Status Quo des Hongkong Actionfilms Anfang der 70er Jahre ab. Der Wuxia Film würde selbstverständlich nicht verschwinden (und 30 Jahre später mit ‚Hidden Tiger, Crouching Dragon‘ ganz neue Höhen erreichen), aber der Geschmack neigte sich dem harten, kontemporären Kung Fu Film zu. Aber damit nicht genug! Mit dem absoluten Brecher eines Finales, das dieser Film auffährt nimmt er auch noch das Genre des „heroic bloodshed“ fast 20 Jahre vorweg. Wenn Hsiao-Lu, nun ganz in weiß, in seinen letzten Kampf zieht, dann erwarten ihn Zeitlupen und Blutfontänen und Tod. Das Tänzerische, das Elegante kommen auf eine pervertierte, zerstörerische Weise zurück.
Das ist nun natürlich kein bewusster Metakommentar mehr, Chang Cheh war, soweit mir bekannt, kein Hellseher. Aber ein Zufall ist es auch nicht wirklich. John Woo, wichtigster Regisseur des heroic bloodshed, mit Filmen wie ‚Hard Boiled‘ oder ‚Bullet in the Head‘, nennt Chang Cheh seinen wichtigsten cinematischen Einfluss. Er hat auch am Anfang seiner Karriere häufig als dessen Assistent gearbeitet (allerdings nicht hier).
Es ist diese Metaebene, die den Film für mich insbesondere interessant macht. Aber auch auf der rein erzählerischen Ebene ist es ein unterhaltsamer Film. Gerade wenn man sich darauf eingestellt hat, dass er nun in der Mitte etwas durchhängen wird, mordet sich Hsiao-Lu mit einem Messer durch ein Hotel der Triaden, mit einer Brutalität und Effizienz, die Michael Myers wohl ein beeindrucktes Kopf-zur-Seite-legen abringen würden.
Produktionstechnisch bekommt man exakt was man erwartet. Kostüme und Aufbauten sind durchaus liebevoll, die meisten „Außenaufnahmen“ sind im Studio bei künstlichem Licht entstanden und wenn man zu genau hinschaut sieht man halt die vier bis sechs Schatten, die jeder Passant zu jeder Zeit wirft. Wird man aber vermutlich nicht, denn Chang Chehs Framing ist meist interessant genug, dass man genau dahin schaut, wo er will. Das knallrote Kunstblut fließt hier, wie angedeutet, gleich eimerweise. Es unterstreicht allerdings den Tod des Wuxia Helden und unterstreicht die Andersartigkeit der Gewalt seines Rächers. Es wird also keinesfalls sinnlos eingesetzt.
Bei der DVD bekomme ich die Qualität, die der Grabbelkistenpreis erwarten lässt. Das Bild ist, gerade beim Alter des Films, zumeist eigentlich durchaus gut, aber in manchen Szenen pumpt und ruckt es aber, dass es kein Vergnügen ist. Der Originalton liegt vor, allerdings gibt es nur reichlich miserable, englische Untertitel. Die deutsche Synchro kann sich aber hören lassen.
Empfehle ich den Film also? Ja, absolut! Wenn man irgendwas mit dem Hongkong Kino der 70er anfangen kann. Allerdings ist der Film auch sehr gut geeignet, um herauszufinden, ob das zutrifft. Und ob man eher dem Wuxia oder dem Kung Fu Film zugeneigt ist.