Verfügbarkeit von Filmen, „Content“ und Martin Scorsese

Ende 2019 kritisierte Regisseur Martin Scorsese die aktuell so höchst erfolgreichen Superheldenfilme. Weniger Kino seien sie, als Achterbahnfahrten in einem Themenpark. Keine Sorge, ich rolle das hier nicht wieder auf, nur so viel, in der verkürzten Form ist es eine schwierige Aussage, aber später hat Scorsese sie in einem Essay unterlegt und ganz falsch lag und liegt er meiner Meinung nach nicht. Leider hat sich das Superheldenfandom, allen voran das Marvelfandom, daraufhin Scorsese als Superschurken auserkoren. Und das stößt mir ernsthaft sauer auf. Scorsese hat als einzelne Person mehr für die Verbreitung, Produktion und Erhaltung von ungewöhnlicherem Kino getan als der gesamte, verdammte Disney-Konzern. Ihn jetzt als puren Regisseur von Gangsterfilmen dargestellt zu sehen, ist derart verkürzend und, Verzeihung, dämlich, dass es mir wirklich wehtut. Aber, wie gesagt, das ist heute gar nicht unser Thema. Denn Scorsese hat erneut mit einer Aussage Schlagzeilen gemacht und diesmal muss ich ihm, wenigstens ein wenig, widersprechen.

Im Magazin Harper‘s Weekly hat Scorsese ein lesenswertes Essay über Federico Fellini geschrieben. Dort beklagt er sich über die Idee von Film als „Content“. „The art of cinema is being systematically devalued, sidelined, demeaned, and reduced to its lowest common denominator, ‚content.‚“ Die Schuld daran sieht er bei den Streamingdiensten und insbesondere bei der Verwendung algorithmischer Empfehlungen, die Kunden immer nur das zeigten, was sie bereits kennen, oder was finanziell erfolgreich sei. Die den Zuschauer auf den reinen Konsumenten reduzieren würden. Lobend hob er Plattformen wie den Criterion Channel oder MUBI hervor, wo tatsächliche, menschliche Kuratierung des Angebots vorgenommen würde.

Als erstes: die Reduzierung von Film oder irgendeiner anderen Kunst oder redaktioneller Texte auf „Content“ ist grundsätzlich eklig. Und wer das tut, offenbart als was er diesen „Content“ betrachtet. Als nerviges Pflichtprogramm, das man, leider, zwischen die Werbung packen muss. Da bin ich vollkommen bei Scorsese. Aber. Ist das neu? Haben Studios nicht schon immer den Film, wenigstens den „Blockbuster“ auf den kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergebrochen? Sicherlich, die Geschichte des Films ist ein Ringen zwischen den kreativen, die ihre Vision erfüllen wollen und den Produzenten, die gerne Geld verdienen würden, anstatt es zu verlieren. Das weiß Herr Scorsesee aber durchaus besser als ich und ich vermute er meint, dass diese Idee des Films als „Content“ mit den Streamingdiensten eine neue Qualität erreicht hat. Das ist möglich und für mich schwer zu beurteilen. Auffällig ist dabei aber natürlich, dass es gerade Netflix waren, die ihm seinen ‚The Irishman‘ produziert haben, nachdem alle klassischen Filmstudios abgelehnt hatten.

Der Algorithmus hingegen ist tatsächlich ein Problem. Nicht nur im Bereich des Films auch im Bereich der Nachrichten und quasi überall wo er eine Rolle spielt. Der Algorithmus ist ganz wunderbar darin, eine Blase für seinen Nutzer zu erschaffen, aus der man niemals herausblicken muss. Sprich, nie etwas anderes als den neuesten Superheldenblockbuster und vielleicht mal die eine oder andere Netflix-Eigenproduktion empfohlen zu bekommen. Das ist in der Tat ein Problem und ich weiß nicht, ob Scorsese hier die Neugier von Zuschauern unterschätzt oder ich sie überschätze, wenn ich sage, kaum jemand wird sich doch nur auf den Algorithmus verlassen.

Womit wir bei der Kuratierung wären. Ja es ist schön, wenn Plattformen wie MUBI eine Auswahl treffen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann bin ich sehr froh quasi absoluten Zugriff auf die Gesamtheit des Films zu haben. Natürlich ist nicht jeder Film bei Streamingdiensten verfügbar oder auf andere Weise zu kaufen. Aber mit etwas Entschlossenheit findet man früher oder später eben doch alles. Und da freut es mich, nicht mehr vom Geschmack von Fernsehintendanten abhängig zu sein und was sie ins Programm aufnehmen wollen. Oder davon, was der Betreiber der Videothek um die Ecke bestellt oder eben nicht. Ja, die wirkliche Überraschung ist oftmals weg. Den Moment, wenn man im Spätprogramm einen wirklich seltsamen Film findet, oder sich vom coolen Cover einer VHS hat überzeugen lassen. Heute sind in Sekundenschnelle Zusammenfassung und Trailer eines jeden Films gefunden. Ja, damit ist das Potential für Enttäuschung aber eben auch für Überraschung genommen.

Aber andererseits gibt es heute doch mehr Kuratoren als jemals zuvor. Viel wurde darüber geschrieben, dass der Prozess des Filmemachens demokratisiert wurde. Nie war es einfacher und günstiger als heute einen okay aussehenden Film zu drehen. Nie war es einfacher und für die Allgemeinheit möglicher einen Film vor Publikum zu bekommen. Und ganz genau dasselbe gilt doch auch für kuratierende Kritik. Podcasts, Videoreviews und -Essays und, ja, auch Filmblogs übernehmen diese Aufgabe. Heute muss man nicht mehr Kritiker der örtlichen Tageszeitung sein, oder selbst ein Zine zusammmenkopieren, wenn man seiner Meinung zu Filmen Gehör verschaffen will. Das geht ganz bequem vom eigenen Wohn- oder Arbeitszimmer aus. Sogar vom Klo aus… also Video vielleicht lieber nicht. Und es ist ganz häufig die ehrliche Begeisterung in der Stimme oder der Schreibe eines Amateur-Rezensenten, die mich dazu bringt einen Film zu sehen, den ich ansonsten nie gesehen hätte. Und dank der oben erwähnten Verfügbarkeit kann ich den meistens auch tatsächlich sehen. Und so gehört es auch für mich zu den schönsten Kommentaren hier, wenn mir jemand unter eine Rezension schreibt, dass sie aufgrund dessen den Film schaut. Weniger schön (und zum Glück selten) sind dann spätere Kommentare, dass der Film nun gesehen und als ganz furchtbar empfunden wurde. Aber das gehört eben auch dazu. Neugier führt zu Überraschungen im besten Sinne und zu Enttäuschungen. Zugegeben, es braucht eben diesen einen Funken Neugier, um die Empfehlungen zu finden. Aber ist das denn neu? Standen nicht schon seit Erfindung des Kinos am Samstagabend Leute im Foyer und entschieden sich dann für den Film, für den sie am Bahnhof Plakate gesehen haben?

Aber die hatten dann eben auch nur die Auswahl aus der oder vier Filmen. Heute ist das Einzige was unsere Möglichkeiten des Filmgenusses behindert unsere eigene Neugier. Will sagen, ich sehe das alles deutlich positiver als Martin Scorsese. Gut möglich, dass er weit mehr weiß als ich und vollkommen recht hat. Ich für meinen Teil blicke der Zukunft des Films mit Hoffnung entgegen. Die Zukunft des Kinos andererseits… aber das ist ein anderes Thema.

Newslichter Ausgabe 61: Marvel, Scorsese und Autoren-Rechte

Willkommen zu Ausgabe 61 des Newslichters. Natürlich reden wir heute über Martin Scorsese. Der hat nämlich was über Marvel gesagt. Und die Filmnews-Welt ist gleichzeitig implodiert und explodiert. Irgendwie wird vieles wohl doch heißer gegessen, als es gekocht wird. Dazu noch ein frisch entdeckter Gesetzeszusatz in den USA, der Autoren mehr Rechte an ihren Werken erlaubt. Und das soll schlecht sein? Legen wir los!

 

Marty vs. Marvel

https://variety.com/2019/film/news/martin-scorsese-marvel-theme-parks-1203360075/

Als ich zum ersten Mal gelesen habe, dass sich Martin Scorsese nicht für das Marvel Cinematic Universe interessiert, war mein erster Gedanke „Natürlich tut er das nicht“. Scorsese ist 76 Jahre alt, Marvel Filme richten sich vornehmlich an Teenager und Früh-Zwanziger. Das soll nicht heißen, dass sie nicht auch von zahlreichen älteren Menschen gemocht werden, aber ich würde nie bei einer 70+ Person davon ausgehen, dass sie das geringste Interesse mitbringt. Insofern schien mir die ganze Aufregung über irgendeine Interviewaussage von ihm mal wieder wahnsinnig übertrieben.  Dann habe ich mir doch einmal genauer angesehen, was er gesagt hat.

Oder sagen wir, ich bin so nahe herangekommen, wie ich konnte. Denn das gesamte Interview mit dem Magazin Empire, in dem die umstrittene Aussage fiel konnte ich nicht finden (wenn einer von Euch mehr Erfolg hat, bitte Link in die Kommentare!). Hier nun meine Übersetzung des Zitats: [Scorsese, angesprochen auf MCU-Filme] „Ich schaue die nicht. Ich hab’s versucht, wissen Sie? Aber das ist kein Kino („not cinema“). Ehrlich gesagt, woran sie mich am ehesten erinnern, so gut sie gemacht sind, mit Schauspielern, die unter den gegeben Umständen ihr Bestes tun, sind Themenparks. Das ist nicht das Kino von Menschen, die anderen Menschen ihre emotionalen, psychologischen Erfahrungen zu vermitteln versuchen.“

„Das ist kein Kino“ ist so eine elitistische Aussage, bei der ich sofort Zahnschmerzen bekomme. Ich denke Herr Scorsese würde zu keinem Moment bestreiten, dass Marvel Filme dem Medium des Films und damit dem Kino zuzurechnen sind. Nein, sein Begriff „Kino“ beschreibt etwas anderes. Er definiert das später ja ein wenig aus. Kino muss emotionale und psychologische Erfahrungen vermitteln. Tut es das nicht, ist es „kein Kino“. Das Problem an dieser Aussage ist: für Millionen von Menschen tun die Marvel Filme genau das. Das mag Herr Scorsese nicht nachvollziehen können, ich kann es selbst auch nicht vollständig, aber das ändert wenig an den Tatsachen. Leute werden doch nicht wütend bis hin zur körperlichen Gewalt über „Spoiler“ für etwas, in dem sie nicht tief emotional involviert sind. Natürlich sind die Marvel Filme „sicher“. Disney* achtet darauf, dass sie niemandem besonders wehtun, keinen Status Quo herausfordern, sondern genau das liefern, was man von einem Superheldenfilm erwartet. Ein bisschen Soap Opera und CGI Gekloppe, wenn man es mal ganz grob runterbrechen will. Sobald der erste Marvel Film einmal richtig floppt, kann es gut sein, dass, nicht zuletzt aufgrund zahlloser „Ist Marvel am Ende?“-Artikel, das ganze Universum endet. Und kein Regisseur möchte dafür verantwortlich sein, diese Cash Cow zu schlachten. Und so bedienen ‚Spider-Man: Homecoming‘ und ‚Die Letzte Versuchung Christi‘ natürlich gänzlich andere filmische Bedürfnisse. Ändert aber mal gar nix dran, dass beide Kino (und auch „Kino“) sind. Alle Kunst ist Kunst, was nicht bedeutet, dass alle Kunst gleich gut ist. Und schon gar nicht, dass Martin Scorcese oder sonst jemand sie mögen muss. Sich von Jahre- bis Jahrzehntelangen Veröffentlichungsplänen abgestoßen zu fühlen ist völlig in Ordnung.

Aber letztlich entwertet Scorsese seine Kritik doch direkt selbst mit dem ersten Satz „Ich schaue die nicht“. Damit ist es doch ganz egal, ob hier der Mann spricht, der ‚Raging Bull‘ gedreht hat, oder irgendein Filmblogger. Niemand kann mit irgendeiner Autorität über Filme sprechen, die man nicht schaut. Die Angriffe auf Scorsese sind dennoch albern. Der hat mehr für den Film getan als die meisten anderen, nicht nur großartige Filme gedreht, sondern auch Großes im Bereich der Erhaltung alter Filme geleistet. Und die Darstellung, hier sei nun der große Filmmann Scorsese, der die kleinen, wehrlosen Marvel Filme angreift, ist schon lächerlich. Möglicherweise schwang in seiner Aussage gerechtfertigte Sorge aufgrund der Monokultur im Blockbusterbereich mit**. Möglicherweise auch ein gewisser Groll, weil keines der klassischen Filmstudios bereit war seinen ‚The Irishman‘ zu finanzieren und er dafür zu Netflix musste. Denn das ist die Situation. Drehst Du keinen Crash Boom Bang!- Blockbuster, musst Du in Hollywood mit dem Hut in der Hand um Finanzierung betteln, auch wenn Dein Name Scorsese ist. Vielleicht würde auch das ganze Interview noch mehr Kontext liefern. Vermutlich hätte er wohl lieber über irgendwas anderes als Marvel Filme gesprochen…

 

*Dass ich hier Disney „verteidigen“ muss, nehme ich Scorsese übrigens persönlich übel!!!

** Ha, Seitenhieb im letzten Absatz! Damit haste nicht gerechnet, wa Micky?!

 

Möglicherweise ein Ende für ‚Terminator‘ und ‚Stirb Langsam‘ in Sicht?

https://www.hollywoodreporter.com/thr-esq/real-life-terminator-major-studios-face-sweeping-loss-iconic-80s-film-franchise-rights-1244737?utm_source=Sailthru&utm_medium=email&utm_campaign=THR%20Breaking%20News_now_2019-10-02%2011:40:30_ehayden&utm_term=hollywoodreporter_breakingnews

In den 1970er Jahren veröffentlichte der US-Kongress einen Gesetzeszusatz, der Autoren erlaubt die Rechte an ihren Werken nach mehreren Jahrzehnten vom jeweiligen Rechteinhaber zurückzufordern. Dies geschah bislang vor allem im Musikbereich. Doch nachdem Victor Miller, der Autor von ‚Freitag der 13te‘ im letzten Jahr davon Gebrauch gemacht hat, ist eine kleine Welle im Filmbereich ins Laufen gekommen. Unter anderen fordert ‚Terminator‘ Koautorin Gale Ann Hurd ihre Rechte ein. Ebenso die Nachfahren vom Autoren der ‚Stirb Langsam‘ Vorlage Roderick Thorp. Ernsthaft merkwürdig finde ich allerdings, dass ein Großteil der Berichterstattung über diese Tatsachen negativ ist. Es ist viel eher erfreulich, dass es wenigstens noch einen kleinen Bereich des „Copyright“ Rechts gibt, der sich nicht vollständig den großen Konzernen ergeben hat (schaut Euch mal an, warum Disney immer noch die Rechte an Micky Maus hält…). Es ist gut und richtig, dass Autoren das Recht haben, über ihre Geschichten bestimmen zu können. Und wie viele Leute wären wirklich traurig wenn „Kultserien“ wie ‚Terminator‘ oder ‚Stirb Langsam‘ enden? Begeistern die Abenteuer eines gelangweilten, geriatrischen Glatzkopfs wirklich noch so viele Leute? Bin ich der Einzige, der sich wünscht, ein Blechmann aus der Zukunft würde den unendlichen Kreislauf an Terminatoren beenden? Davon abgesehen wird das eh nicht passieren. Seien wir ehrlich: für die meisten, die ihre Rechte hier einfordern, ist das vor allem ein Weg noch einmal (und vielleicht zum ersten Mal fair) für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Aber trotzdem, Hollywood: lasst Dinge enden! Manchmal ist das besser! Das wusste schon der alte Kerl in ‚Friedhof der Kuscheltiere‘ (von dem ein Remake gedreht wurde, 5 Minuten bevor die Rechte zurück an Stephen King fielen).

 

Das war es für diese Woche. Zu monothematisch? Nächste Woche gibt’s bestimmt wieder mehr Abwechslung!