‚Auslöschung‘ (2018)

‚Auslöschung‘ ist einer dieser Filme, die bereits Schlagzeilen machten, bevor sie überhaupt von einer Mehrheit gesehen wurden. Paramount war das produzierende Studio, gemeinsam mir Scott Rudin, der bereits mit Regisseur Alex Garland an dessen Vorgängerfilm ‚Ex Machina‘ gearbeitet hat. Nach einer Testvorführung, die beim Publikum nicht gut ankam bestand einer der Geldgeber, David Ellison, auf umfangreichen Änderungen. Der Film sei „zu intellektuell und kompliziert“, die Hauptfigur „nicht sympathisch genug“. Garland und Rudin verweigerten Änderungen und da sich Produzent Rudin den Final Cut hatte vertraglich zusichern lassen blieb es dabei. Allerdings bekam nun Paramount kalte Füße und verkaufte den Film an Netflix. Das war es dann mit einem umfangreichen Kinostart. Hier nun also meine Antwort auf die Frage, ob Garland und Rudin mit ihrem Beharren Recht hatten.

Der Ehemann von Biologieprofessorin Lena (Natalie Portman), der Soldat Kane (Oscar Isaac), ist seit mehr als einem Jahr auf einer geheimen Mission verschollen. Als Lena sich gerade mit seinem Tod abgefunden hat, steht er auf einmal wieder im Haus. Ohne Erinnerungen, aber mit schweren, inneren Verletzungen. Auf dem Weg ins Krankenhaus wird der Krankenwagen von einer Spezialeinheit gestoppt, die nicht nur Kane, sondern auch Lena mitnimmt. Sie wird in eine Regierungsanstalt der geheimen Behörde „Southern Reach“ in Florida gebracht. Nahe beim „Schimmer“. Einer merkwürdigen Zone, deren Grenzen durch ein waberndes Regenbogenflimmern gekennzeichnet werden und sich langsam aber stetig ausbreiten. In dieser Zone hat, der inzwischen komatöse, Kane das letzte Jahr verbracht und ist der Erste, der daraus zurückgekehrt ist. Nach zahlreichen Soldatenteams will nun die Leiterin der Anstalt, die Psychologin Dr. Ventress (Jennifer Jason Lee) eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen zum Zentrum des Schimmers führen und dabei möglichst viele Daten sammeln. Lena schließt sich der Gruppe aus Physikerin Josie (Tessa Thompson), Geomorphologin Cassie (Tuva Novotny) und Paramedic Anya (Gina Rodriguez) an.

Ich gestehe, ich kenne die literarische Vorlage von Jeff VanderMeer nicht. Aber gewisse Elemente lassen sich auch aus anderen Werken wiedererkennen. Die außerirdische Substanz, die die Beschaffenheit der Welt in einem bestimmten Bereich verändert erinnert etwa an H.P. Lovecrafts beste Geschichte „Die Farbe aus dem All“. Die Idee einer Zone, in der gewisse physikalische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft sind, erinnert an „Picknick am Wegesrand“ der Strugatski Brüder (und natürlich ‚Stalker‘, die Verfilmung durch Andrei Tarkowski). Aber weit mehr als diese Werke hat Garland (und soweit ich das nachvollziehen konnte, unterscheidet sich der Film insofern von der Vorlage) seine Zone, seinen Schimmer, zu seiner direkten Metapher gemacht. Einer Metapher die so deutlich ist, auf die Charaktere in Dialogen hinweisen, ja auf die sogar die Musik teilweise eingeht, dass sie vom Subtext quasi zum Text wird. Daher entzieht sich mir ehrlich gesagt auch der Vorwurf der „intellektuellen Kompliziertheit“. Der Film will unbedingt „verstanden“ werden, weist auf seine Allegorie auf Depression und (Selbst-)Auslöschung/Vernichtung bei jeder Gelegenheit hin. Das kann man eigentlich nur übersehen, wenn man sich der metaphorischen Lesart eines Films willentlich widersetzt.

Was man auf jeden Fall sagen kann, ist das Garland hier eine faszinierende Welt schafft. Es gelingt ihm seine Zone zu gleichen Teilen schön, bedrohlich und im besten lovecraftschen Sinne „weird“ zu machen. Der Veränderung durch den Schimmer entgeht nichts und niemand und Garlands Welt hier sieht vollkommen anders aus als alles, was man derzeit im typischen „Mainstream“ SciFi Bereich finden kann. Neben Science Fiction spielen hier auch Elemente des Horrors mit hinein. Zum größten Teil ist das existenzialistischer Horror, der direkt mit der Metapher zusammenhängt. Doch gibt es auch einige Sequenzen, die an „klassischen“ Horror erinnern. Etwa wenn die Wissenschaftlerinnen Videoaufzeichnungen der letzten Gruppe entdecken. Oder eine wahrhaft schaurige Sequenz mit einem mutierten Bären (Fun Fact: VFX Supervisor bei diesem Film war Andrew Whitehurst. Der hat vorher an ‚Paddington‘ mitgearbeitet. Daher heißt dieser Bär hier inoffiziell „Homerton“, passender Weise nach einem weit weniger schönen Londoner Bahnhof als Paddington).

Dass der Film auch und gerade abseits seiner lauten und beeindruckenden Sequenzen funktioniert ist natürlich nicht zuletzt den Schauspielern (oder hier vornehmlich Schauspielerinnen) zu verdanken. Allen voran Natalie Portman als Lena, die sie ähnlich komplex anlegt wie ihre Jackie Kennedy in ‚Jackie‘. Von der Grenze der Selbstzerstörung bis zum schieren Überlebenswillen scheint sie ihre Lena mühelos durch allerlei Extreme zu führen. Demgegenüber steht die Reserviertheit von Jennifer Jason Leighs Dr. Ventress. Leigh erinnert nach überzogenen Rollen in ‚Hateful Eight‘ oder dem neuen ‚Twin Peaks‘ daran, dass sie auch die leisen Nuancen hervorragend beherrscht. Ein ganz ähnliches Lob haben sich alle Beteiligten verdient, denn Ausreißer gibt es hier keine.

Ebenso wichtig für die Atmosphäre ist die Musik des Komponisten-Duos Ben Salisbury und Geoff Barrow. Die beiden haben schon mit Garland an seinem letzten Film ‚Ex Machina‘ gearbeitet, aber auch mit Regisseuren wie Ben Wheatley (‚Free Fire‘). Im Gegensatz zum Synthesizer-Minimalismus von ‚Ex Machina‘ greifen die beiden hier aber auf eine weit umfangreichere Trickkiste zurück. Die Synthies sind natürlich wieder da, aber oftmals eingehüllt in ein orchestrales Gewand. Auch arbeiten sie teils mit verfremdeten Stimmen/Chören. All das nutzen sie um effektiv eine unheilsschwere Stimmung zu schaffen und den Suspense zu halten. Nur selten entlädt sich die Musik in donnernden Crescendos. Großartig!

Ich hoffe es ist deutlich geworden: Alex Garland und Scott Rudin haben exakt richtig gehandelt, als sie sich Nachdrehs und Änderungen verweigert haben. Es steht zu vermuten, dass die den Film nur schlechter gemacht hätten. Es braucht Mut zu den eigenen Überzeugungen zu stehen und manchmal kommt am Ende dann vielleicht „nur“ eine Netflix-Veröffentlichung dabei raus. Aber was für eine! Nicht nur für Science Fiction Fans eine absolute Empfehlung!

‚Jackie‘ (2016) – „Don’t let it be forgot, that for one brief, shining moment there was a Camelot“

Beinahe jeder von uns dürfte irgendwann schon einmal den Zapruder-Film gesehen haben. Jene unschuldige, private Aufnahme, die Abraham Zapruder im November 1963 in Dallas vom vorbeifahrenden Wagen Präsident Kennedys machen wollte, die aber unversehens zu einem merkwürdig gesellschaftlich akzeptierten Snuff-Film werden sollte. In ruckeligen, verwaschenen Aufnahmen sehen wir, wie der Kopf des Präsidenten nach hinten zuckt, seine Frau, Jacqueline „Jackie“ Kennedy, in einer nervösen Übersprungshandlung, an die sie sich später nie erinnern kann, auf den Kofferraum des Kabrios klettert und Hirnmasse und Schädelsplitter zusammensammelt, bevor sie von einem Secret Service Agenten zurück in das Innere des Wagens gestoßen wird, der sich dann mit großer Geschwindigkeit entfernt. Vorgeschichte und Nachwirkung dieser Geschehnisse wurden in Literatur und Film bereits dutzendfach verarbeitet und dokumentiert. Autor Noah Oppenheim und Regisseur Pablo Larrain erlangen dennoch eine völlig neue Perspektive auf die Geschehnisse, indem sie den Blick nur ein wenig zur Seite wenden. Auf Jackie Kennedy, anstatt auf JFK.

Die Rahmenhandlung spielt auf dem Sommersitz der Kennedys, wo Jackie (Natalie Portman), nur eine Woche nach der Ermordung ihres Mannes, einem Journalisten (Billy Crudup) ein ausführliches Interview „zu ihren Bedingungen“ gibt. Sprich, sie wird den Inhalt redaktionell abnehmen, bevor der Artikel veröffentlicht werden kann. In Rückblenden erleben wir dann die Minuten vor und nach dem tödlichen Anschlag und die darauffolgenden Tage aus Jackies Perspektive. Der einzige Ausbruch aus diesem Rahmen sind Rückblenden zu den Aufnahmen einer Fernsehsendung 2 Jahre früher, bei der Jackie Kennedy die interessierte Öffentlichkeit durch das Weiße Haus führte. Hier lässt sie sowohl eine gewisse Unnahbarkeit gegenüber der Kamera erkennen, als auch ein tiefes Interesse am Vermächtnis ehemaliger Präsidenten. Dieses Interesse steigert sich nach dem Mord an Kennedy zu einer Besessenheit, die sie funktionieren lässt, wenn die eigenen Kinder, Alkohol und Tabletten nicht mehr ausreichen. Bereits am Tag nach dem Anschlag studiert sie den Aufbau und Ablauf von Abraham Lincolns Leichenzug, dem sie gleichziehen oder ihn gar übertreffen möchte. Sicherheitsbedenken und Widerworte akzeptiert sie nicht, weder wohlwollende von Schwager Bobby Kennedy (Peter Sarsgaard) oder weniger wohlwollende vom frisch eingeschworenen Lyndon B. Johnson.

Natalie Portman zeigt Jackie Kennedy als eine First Lady, die ihre Haltung, ihr Bild und das ihres Mannes bis zum Letzten in Perfektion halten möchte. Durch die kaleidoskopische Form des Films wissen wir nie genau in was für einer Rückblende wir als nächstes landen, welche Jackie wir als nächstes erleben. Darf sie ihre Trauer für einen Moment leben? Oder muss sie für ihre Kinder da sein? Sich den Offiziellen Washingtons stellen oder gar der ganzen Welt zeigen? Sehen wir die schmerzhaft isolierte Frau, die direkt nach dem Mord der Amtseinschwörung Johnsons beiwohnen muss, sogar von ihrem Schwager durch den schwankenden, türmenden Sarg ihres Mannes, seines Bruders bildlich getrennt wird. Oder die entschlossene Mythologin, die Tage nach seinem Tod an der Hagiografie ihres Mannes arbeitet. Oder die vielleicht aufrichtigste Jackie, die im Gespräch mit einem Priester (John Hurt) darlegt, dass ihre Beziehung zu Kennedy von allerlei Schmerz geprägt war. In der Rahmenhandlung sehen wir sie schließlich als jemanden, der an einer Zigarette zieht und dem Journalisten gleichzeitig ins Gesicht sagt, sie rauche nicht, bevor sie die Regierung Kennedys mehrfach mit Camelot, dem Sitz des idealen König Artus, vergleicht. Hat sie das selbst geglaubt? Wer weiß. Ist das wichtig? Sie hat geschafft, dass die ganze Welt es glaubte, es bis heute glaubt, sie hat ein Bild des idealen Präsidenten und der idealen First Lady geschaffen. Außer Lincoln und Washington kommt kein anderer amerikanischer Präsident dieser Verehrung gleich.

Natalie Portman liefert hier eine unglaubliche Darstellung ab. Oder eigentlich eine Reihe perfekter Darstellungen, je nachdem welche Maske Jackie spielen will oder muss. Sie spielt Jackie mit einem auffälligen Akzent, der ein wenig aufgesetzt wirkte und den ich nicht zuordnen konnte. Eine kurze Recherche verriet, dass das der „Kennedy Akzent“ ist, eine Art zu sprechen, die allen Kennedys gemein ist. Jackie emulierte diesen Akzent offensichtlich, also ist es nur passend, dass er ein wenig aufgesetzt wirkt, war er doch genau das. Jede zukünftige Darstellung Jacqueline Kennedys wird sich fraglos an ihr messen lassen müssen. Auch der Rest der Besetzung spielt hervorragend, am Ende des Tages ist dies aber Portmans Film und jeder scheint das zu respektieren. Hervorheben möchte ich nur Greta Gerwig als Jackies Sekretärin, die in ihrer recht kleinen Rolle deswegen auffällt, weil sie die Einzige ist, die Jackie von Herzen kommende Wärme entgegenzubringen scheint.

Pablo Larrain fasst seine eigentlich sehr emotionale Handlung in unterkühlte Bilder, die teilweise beinahe an Kubrick erinnern und gelegentlich 60er Jahre Fernsehbildern nachempfunden sind. Das funktioniert allerdings sehr gut für die verletzte, trauernde aber stets Haltung bewahrende Frau, die sich nicht in die Karten schauen lassen möchte und lässt jene Momente, wenn wir Jackie doch einmal näher kommen und auch Portman im Spiel alle Masken fallen lässt, umso kraftvoller. Unterstützt werden diese Bilder durch den hypnotisch-verzerrten Soundtrack Mica Levis, in dem sie mit denselben Glissandos arbeitet, die sie schon in ‚Under the Skin‘ so effektiv eingesetzt hat.

Gegen Ende des Films kann sich auch Larrain dann der morbiden Faszination des Zapruder-Films nicht mehr entziehen, zeigt den Mord in kurzen, furchtbaren Bildern. Aber hier ist das wohl auch nötig, ist er doch ein zentrales Element, sowohl im emotionalen Zustand Jackies, als auch der Legende an der sie arbeitet.

Der Film ist soweit es nur geht von typischen „und dann, und dann, und dann“ Biopics entfernt. Im Verlauf einiger weniger Tage vermittelt er uns alles, was wir über Jackie wissen müssen, lotet eine unheimliche Gefühlstiefe aus. Ob Ihr Euch nun für Jackie Kennedy interessiert oder nicht ist denke ich ganz egal, Larrains Regie und vor allem Portmans Spiel werden Euch auf jeden Fall abholen und für 100 Minuten und darüber hinaus nicht loslassen. Und zumindest ich habe mit Pablo Larrain einen weiteren Regisseur, dessen Werk ich mir genauer ansehen möchte.