‚Onibaba – Die Töterinnen‘ (1964) – Sünde, Sex und Schilf

Hier haben wir einen Film, bei dem man sich sicherlich um die Genre-Klassifizierung streiten könnte. Manche werden den Film als jidai-geki, einen japanischen Historienfilm, sehen. Oder als Drama. Auch eine Klassifizierung als Erotikfilm wäre nicht ganz falsch. Aber, wenigstens für mich, ist das zentrale Element der Horror. Nicht nur der übernatürliche Horror, der erst in den letzten Minuten des Films Einzug hält, sondern der zwischenmenschliche Horror und vor allem der merkwürdige Schrecken des ungewöhnlichen Settings. Ein gigantisches Feld aus übermannshohem Susuki-Schilf (oder Riesen-China-Schilf) in ständiger, unaufhörlicher Bewegung. Aber beginnen wir mit der Geschichte.

Im 14ten Jahrhundert befindet sich Japan im Bürgerkrieg. Die Männer sind in Armeen gepresst. Eine ältere (Nobuko Otowa) und eine jüngere Frau (Jitsuko Yoshimura), Schwiegermutter und Tochter, leben in einer kärglichen Hütte tief verborgen in einem riesigen Feld aus hohem Schilf. Hier überleben sie den Krieg, indem sie desertierte, verirrte oder schlicht reisende Samurai und Krieger aus dem Verborgenen ermorden, ihre Rüstungen, Waffen und Wertsachen plündern und an den örtlichen Hehler gegen Reis verkaufen. Die Leichen entsorgen sie in einem engen, finsteren Loch, mitten im Schilf. Da kehrt überraschend Nachbar Hachi (Kei Sato) aus dem Krieg zurück. Allerdings ohne den Ehemann/Sohn der beiden, der getötet wurde. Auch Hachi hat kein Problem damit Reisende zu töten und durchschaut schnell das Tun der beiden Frauen. Er macht sich an die jüngere Frau heran, die ihn alsbald jede Nacht in seiner Hütte besucht. Die ältere Frau (Otowa, Ehefrau des Regisseurs Kaneto Shindo, war während des Drehs 39 Jahre alt, ich werde sie also nicht als „alte Frau“ bezeichnen) fürchtet schnell, dass sie die jüngere an Hachi verlieren wird und dann allein verhungern muss oder direkt getötet wird. Da taucht ein seltsamer Samurai mit einer Teufelsmaske in ihrer Hütte auf und verlangt, sie solle ihn aus dem Schilf führen. Stattdessen lässt sie ihn in das Mordloch stürzen. Doch seine Maske bringt sie auf eine Idee. Die jüngere Frau hat ohnehin nachts Angst das Schilf zu durchqueren, und nun will die Ältere ihr mit der Maske als Dämon erscheinen.

Kaneto Shindo sagt seinem Film liegt eine buddhistische Sage zugrunde, die er als Kind gehört habe: Eine alte Frau ist wütend, weil ihre Schwiegertochter die häuslichen Pflichten vernachlässigt, um in den Tempel zum Beten zu gehen. Um ihr das auszutreiben lauert sie ihr im Gebüsch am Wegesrand mit der Maske eines Onis, eines Dämons, auf. Buddha bestraft die lästerliche Alte, sie kann die Maske plötzlich nicht mehr abnehmen. Als sie um Vergebung fleht, gelingt es ihr endlich doch. Aber anders als erwartet, zusammen mit der Maske reißt sie auch die Haut ihres Gesichtes herunter. Das war jetzt nicht nur ein ziemlicher Spoiler für einen vierzig Jahre alten Film, das war auch ein, in meinen Augen, ungewöhnlich blutrünstiger Buddha.

Doch im Film des Atheisten Shindo gibt es ohnehin keinen Gott oder Buddha. Und doch gibt es eine Kraft, die die ältere Frau bestraft. Sie reißt sich allerdings nicht die Haut herunter, sondern unter der Maske kommen die typischen Symptome einer Überlebenden der Atombomben von Hiroshima, einer „Hibakusha“ zum Vorschein. Eine Gruppe die in Japan lange Jahre, definitiv zu Zeit des Films, heftige Diskrimination erlebte. Womit ihre Rufe „Ich bin kein Dämon, ich bin ein Mensch!“ eine ganz andere Qualität erhalten.

Und damit sind wir tief im Thema des Films: der jegliche Moral und Menschlichkeit zerstörenden Kraft des Krieges. Gelenkt von Mächten, die, gerade hier im Schilf, entsetzlich weit fort scheinen, haben sie die drei zentralen Charaktere jeder Moral, ja jeden Lebensinhalts außer Überleben beraubt. So beobachten sie, wie ein fliehender Soldat den Fluss durchschwimmt und die am Rand stehenden um Hilfe bittet, nur um erstochen zu werden. Hachi erzählt eine schwarzhumorige Geschichte, wie er auf der Flucht einen Mönch getötet hat und in dessen Kleidung weitergereist ist. Das sei sicherer, denn „was für ein Monster vergreift sich an einem Mönch?“.

Doch mit Hachis Rückkehr gibt es für die jüngere Frau und für ihn selbst wieder einen weiteren Inhalt im Leben. Sexualität und verschwitzte Sinnlichkeit. Und die ältere Frau wird nicht nur von Überlebensängsten, sondern auch von doppelter Eifersucht getrieben. Einmal auf die körperlichen Freuden der beiden. Als sie selbst versucht Hachi zu verführen reagiert der mit grausamer Ablehnung. Und zum anderen fürchtet sie, die jüngere Frau als einzige Gefährtin zu verlieren. Der Weg, den sie anfangs wählt um sie aufzuhalten ist erstaunlich. Sie pocht auf die moralischen Verpflichtungen der jungen Frau gegenüber ihrem toten Mann und droht mit Sünde und Hölle. Wobei ja beide Frauen dutzendfache Mörderinnen sind. Kein Wunder, dass die Jüngere dies als reine Schikane empfindet.

Ein anderes großes Thema des Films ergibt sich aus seinem Setting: das Verbergen. Die Frauen verbergen sich im Schilf, die Ältere verbirgt ihre Motive hinter Moral und ihr Gesicht später hinter einer Maske. Wir sehen wie den toten Samurai Rüstung und Kleidung, ihre Äußerlichkeiten genommen werden, ihre Gesichter verbirgt die Kamera vor uns.

Überhaupt ist die schwarz-weiß Kameraarbeit von Kiyomi Kuroda mehr als erwähnenswert. Lange Aufnahmen vom seltsam bedrohlich wallenden Schilf, durchsetzt von Nahaufnahmen einzelner Blätter, die wie die Schwerter ungesehener Krieger übereinander scharren. Gesichter in hartem Kontrastlicht, das fast an alte Stummfilme erinnert, verschwitzte Körper, die sich ohne jeden Weichzeichner oder sonstige Schönungen auf dem schmutzigen Hüttenboden wälzen. Und Aufnahmen zwischen kompletter Dunkelheit und strahlend hellem Licht, in denen sich die Darsteller verbergen können, oder brutal ins Helle gezogen werden.

Unterlegt werden diese ziemlich unvergesslichen Bilder mit dem sparsamen aber effektiven Soundtrack von Hikaru Hayashi, der klassische, japanische Taikotrommeln mit Jazz-Rythmen vermischt. Dabei integriert sich der Soundtrack auf faszinierende Weise mit dem Sounddesign des Films, harten Geräuschen vor dem ewigen Rascheln des Schilfs, und setzt gerne so plötzlich ein, dass er fast den Effekt eines Jumpscares hat.

‚Onibaba‘ ist kein Film, den man häufig erwähnt sieht. Doch er ist ein faszinierendes Werk, wie ich hoffentlich deutlich machen konnte. Gerade aus heutiger Sicht entdeckt mal hier als Horrorfan Ungewöhnliches. So scheint Shindo die nächsten Jahrzehnte der Entwicklung des westlichen Mainstreamhorrors vorwegzunehmen und direkt auf den Kopf zu drehen. Wir sehen hier einen Film aus der Warte der „Hinterwäldler“-Mörder der 70er. Und wer hier eine schreckliche Maske, die eines Slashers würdig wäre, trägt, der wird nicht etwa zum Täter, sondern zum Opfer. Das mag purer Zufall sein und doch kommt Shindo der Wurzel von Horror recht nahe, indem er ihn auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgelöst durch eine unerträgliche Umgebung herunterbricht.

In der nächsten Woche beschäftigen wir uns mit einem Film, in dem die Umgebung, statt ihn direkt zu beeinflussen, den zwischenmenschlichen Horror auf größerer Ebene widerspiegelt.