Einen Film, gerade einen Horrorfilm, als „wie ein Alptraum“ zu beschreiben ist, nicht ganz zu Unrecht, als müdes Klischee belächelt. Bei Don Coscarellis, in Deutschland lange beschlagnahmten (idiotisch, doch dazu am Ende mehr), Debütfilm drängt sie sich aber geradezu auf. Nicht nur weil der Film häufiger direkt Traumlogik folgt (und eine pure Zusammenfassung der Geschehnisse damit ähnlich unsinnig wirken kann wie der Bericht eines tatsächlichen Alptraums, sondern weil Träume ein zentrales Element des Geschehens sind. Ich werde daher meine Zusammenfassung der Handlung recht kurz halten und später genauer auf die „Traumlogik“ eingehen.
Tommy (Bill Cone), ein Mann mit einem wahrhaft grausigen 70er Schnauzbart hat auf einem Friedhof Sex mit einer Frau in einem lavendelfarbigen Kleid. Nun ist Sex auf dem Friedhof eigentlich immer eine schlechte Idee, im Horrorfilm aber natürlich besonders, und so endet es für Tommy mit einem, durch die Unbekannte applizierten, Dolch in der Brust. Auf Tommys Beerdigung erfahren wir nicht nur, dass das von den Behörden als Selbstmord gewertet wird, es kommen auch seine besten Freunde Jody (Bill Thornbury) und Eismann Reggie (Reggie Bannister). Nachdem sie ihre Eltern erst ein Jahr zuvor verloren haben, verbietet Jody seinem 12jährigen Bruder Mike (A. Michael Baldwin) den Besuch der Beerdigung. Doch der beobachtet das Geschehen mit dem Fernglas. Vor allem sieht er, wie der seltsame Bestattungsunternehmer (Angus Scrimm) den schweren Sarg mit Tommys Leiche mühelos aufhebt, als er sich unbeobachtet fühlt. Mike kommt immer mehr zu der Überzeugung, dass im Morningside Bestattungsinstitut seltsames vor sich geht. Insbesondere fürchtet der von Verlustängsten geplagte Junge um seinen großen Bruder.
Und natürlich geht da Seltsames vor im Bestattungsinstitut. Und anders als Jody zweifeln wir als Zuschauer nicht eine Sekunde daran, kaum dass wir Scrimm das erste Mal gesehen haben. Der legt seine Rolle derart merkwürdig andersweltlich an, wandert etwa eine Straße derart merkwürdig herunter, dass ein Zwölfjähriger und wir, die hier die Welt durch seine Augen sehen, gar nicht anders können als überzeugt zu sein, dass hier etwas furchtbar falsch ist.
Und dieser empathische Blick durch die Augen eines Zwölfjährigen ist hier entscheidend für den gesamten Film. So wird etwa Jody zum platonischen Ideal eines coolen, älteren Bruders – aus Sicht eines Zwölfjährigen. Er hat ein cooles Auto, hat Waffen daheim, scheint seine gesamte Zeit damit zu verbringen Musik zu machen, Bier zu trinken und gelegentlich in der örtlichen Kneipe One Night Stands klarzumachen. Und sein bester Freund ist der verdammte Eisverkäufer des Ortes! Sicher, als Erwachsener blicken wir gelegentlich zweifelnd auf Jody, vor allem etwa wenn er laut darüber nachdenkt wegzugehen und Mike zurückzulassen, aber aus der Sicht des Jungen, der gerade seine Eltern verloren hat ist das natürlich Mikes eigene Schuld. Es ist deutlich, dass er seinen großen Bruder am liebsten umarmen und nie wieder loslassen würde, aber allzu große Angst hat, ihn genau damit wegzustoßen. Oder aber eben ihn an die Merkwürdigkeiten von Morningside zu verlieren.
Das Morningside Bestattungsinstitut ist eine gigantische, viktorianische Monstrosität von einem Gebäude, umgeben von einem Friedhof. Neben dem eigentlichen Institut beherbergt es auch noch ein gigantisches Labyrinth an marmornen Gängen mit zahllosen Grabnischen, ein gigantisches Mausoleum. Das vielleicht zentrale Element der Alptraumhaftigkeit des Films.
Lasst mich Euch ein Beispiel für Traumlogik geben. Mike dringt in jenes Labyrinth ein und wird vom Bestatter durch die Gänge gejagt, letztlich entkommt er in einen Kellerraum, knallt dessen schwere Eisentür zu und trennt dem Bestatter dabei einige Finger ab. Diese bluten gelb und bewegen sich noch unabhängig vom Körper. Mike nimmt einen davon mit, um seinen skeptischen Bruder zu überzeugen und flieht durch ein Kellerfenster. Zurück zuhause steckt er den Finger in eine Schachtel (die fortan auf- und abhoppst). Später zeigt er ihn Jody, der Finger windet sich wie eine riesige, groteske Made in der Schachtel. Jody ist endlich überzeugt und will den Sheriff informieren. Doch als Mike die Schachtel holen will hat sich der Madenfinger in eine riesige Fliege verwandelt, die ihn angreift. Schnell wickelt Jody die in ein Hemd, welches die Brüder, effektiv aber sehr effektsparsam, mühsam gegen die darin wirbelnde Fliege kämpfend zum Müllschlucker schleppen.
Der Film schafft es, dass man als Zuschauer derartige Szenen gar nicht hinterfragt. Coscarellis atmosphärische Bilder und die seltsam sphärische Musik schaffen eine Stimmung, in der diese Logik völlig folgerichtig wirkt. Diese Traumlogik hilft auch dabei gewisse Amateurhaftigkeiten, oder sagen wir eher Dreistigkeiten, des damals 24jährigen Coscarelli zu entschuldigen. So geht in Morningside nicht nur der Bestatter um, sondern auch seltsame Zwerge in braune Kapuzenkutten gehüllt, die vermutlich nur ein „utini!“ von einer Klage durch George Lucas entfernt sind. Anders als die Javas sind die aber echt gruselig, weil sie entweder am Rand des Sichtfelds herumflittern oder aber geradewegs brüllend auf unsere Helden einstürmen. Und ist es nicht nur nachvollziehbar, dass im Jahr 1978 (als der Film entstand) Elemente aus Star Wars durch den Geist eines SciFi begeisterten Zwölfjährigen geistern?
(Kurzer Einschub: J.J. Abrams ist großer Fan dieses Films und verantwortlich für das optische Remaster, das wir derzeit erwerben können. Nicht nur das auch Cpt. Phasmas (aus ‚Erwachen der Macht‘) Name ist eine Anspielung an den Namen dieses Films und ihr Design beruht auf den berühmt-berüchtigten silbernen Kugeln (siehe unten). Die Verwandtschaft zwischen beiden Werken ist also nur enger geworden!)
So erklärt sich auch eine Szene rund um eine Schachtel, die Schmerz enthält und eine Lektion über Angst lehrt und von einer alten Frau gelehrt wird, die 1:1 aus ‚Dune‘ übernommen wurde. Aber hey, das Buch hab ich auch mit 12 zum ersten Mal gelesen…
Was den Film heute vielleicht sogar wirkungsvoller macht als damals, sind die 70er Jahre Designs. Mikes Kinderzimmer mit seinen zahllosen Brauntönen, seinem Flokatiteppich und Fototapete wirkt derart bedrückend, dass es einem bald mehr die Luft nimmt, als der eigentliche Horror des Bestattungsinstituts.
Aber gut, nehmen wir nun einmal das Stichwort „Horror“ für einen kurzen Exkurs zum deutschen Umgang mit dem Film. ‚Das Böse‘ ist kein sonderlich grafisch brutaler Film. Die abgetrennten Finger des offensichtlich nichtmenschlichen Bestatters habe ich erwähnt. Die einzige wirklich grafische Szene ist eine, in der Mike von einer seltsamen kleinen Silberkugel durch das Mausoleumslabyrinth gejagt wird. Er weicht dieser aus und sie findet in einem, völlig unerklärten, anderen Eindringling ein Opfer. Sie stößt einen Bohrer in dessen Stirn und entlässt eine gigantische Blutfontäne. Eine groteske, von jeder Realität weit entfernte Szene. Natürlich wurde der hier Film dennoch ab 18 freigegeben und alsbald indiziert. Das war halt so mit Horrorfilmen von den späten 70ern bis in die späten 90er. Eine Art Panikreaktion auf die gestiegene Gewaltdarstellung. Kann man in diesem Fall albern finden, tue ich auch. Aber damit nicht genug! Der Film wurde auch noch beschlagnahmt, sprich, seine Gewaltdarstellung sei derart heftig, dass sie strafrechtlich relevant wird. Weitere überzogene Panikreaktion? Nicht wirklich, denn die Beschlagnahme erfolgte 1991. Zu einer Zeit als monatlich weit Heftigeres in die Videotheken trudelte. Nachdem die Beschlagnahme 2017 angefochten wurde, wurde sie direkt zurückgenommen und der Film ab 16 freigegeben.
Die FSK wird gerne kritisiert, aber, als jemand der die Zeit davor mitgemacht hat, möchte ich darauf hinweisen, wie gut es ist, dass ihre Freigaben heute bindend sind und damit BPJM und übereifrigen Staatsanwälten die Zähne gezogen sind! ‚Das Böse‘ ist ein faszinierender kleiner Alptraumfilm, der dem Slasher-Trend seiner Zeit entschieden entgegensteht (Jahre bevor Freddy beide Elemente zusammenführte). Er steht in der Tradition von Alejandro Jodorowskys Filmen oder Jean Rollins ‚Die eiserne Rose‘. Sein nächster Verwandter zum Erscheinungszeitpunkt ist vermutlich David Lynchs ‚Eraserhead‘. Wobei ‚Das Böse‘ eine durchaus breitere Gruppe an Zuschauern ansprechen dürfte als die genannten Werke. Es ist, in meinen Augen, Coscarellis bester Film (gefolgt von ‚Bubba Ho-Tep‘) und ein faszinierender Erstling, von einem Regisseur, dem es danach nie wirklich gelingen sollte den, hier perfekt passenden, juvenilen Blickwinkel abzulegen. Und Angus Scrimms „Tall Man“ ist eine dieser unsterblichen Horror-Performances.