In diesem Sommer, am 21. Juli, jährte sich die Mondlandung der Apollo 11 Mission zum fünfzigsten Mal. Neben einigen Dokumentarfilmen widmete sich auch Damien Chazelles ‚Aufbruch zum Mond‘ diesem Thema. Nachdem ich mit der letzten Zusammenarbeit zwischen Darsteller Ryan Gosling und Chazelle, ‚La La Land‘, im Gegensatz zu vielen anderen nicht so viel anfangen konnte, war ich dennoch gespannt auf diesen Film. Umso überraschter war ich festzustellen, dass es in dem Film nicht wirklich um die Weltraummission ging…
1961 ist Neil Armstrong (Gosling) Testpilot, der Flüge aus der Atmosphäre der Erde heraus unternimmt. Als seine und Ehefrau Janets (Claire Foy) gemeinsame Tochter Karen noch vor ihrem dritten Geburtstag an einem Hirntumor stirbt, bewirbt sich der trauernde Armstrong erfolgreich bei der NASA, die für ihr Gemini Projekt Piloten mit Ingenieursausbildung sucht. Die Familie zieht mit ihren beiden Söhnen in ein „Astronauten-Wohngebiet“ bei Houston. Mit der Gemini 8 Mission erhält Armstrong 1966 sein erstes Kommando und nimmt ein Koppelungsmanöver mit einer unbemannten Agena Rakete vor. Das erste solche Manöver im Weltraum. Um ihn herum sterben immer mehr Astronauten bei Unfällen der, aufgrund der Konkurrenz zu den Sowjets, nicht immer ideal vorbereiteten Flüge. Trotz eines für ihn fast tödlich endenden, irdischen Testflugs mit der Mondlandefähre, bereiten sich Armstrong, Buzz Aldrin (Corey Stoll) und Mike Collins (Lukas Haas) 1969 auf die Apollo 11 Mission vor. Den großen Sprung für die Menschheit. Der bemannten Landung auf dem Mond.
Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass sich der letzte Satz meiner Einleitung und die Inhaltsangabe des Films deutlich widersprechen. Natürlich geht es um die Weltraummission. Aber es geht auch und vor allem um Trauer und ihre Verarbeitung. Gosling gibt seinen Armstrong als geradezu schmerzhaft introvertierten Menschen. Der Tod seiner kleinen Tochter führt ihn an den Abgrund und es scheint ihm beinahe unmöglich zu werden noch jemanden an sich heranzulassen. Nachdem er mehrere Kollegen schroff abgewiesen hat, fällt es immer wieder Claire Foys Janet zu auch dem Zuschauer Zugang zu diesem schwierigen Menschen zu geben. Insbesondere in einer Szene vor dem Mondflug, wo sie Neil geradezu zwingen muss, mit seinen beiden Söhnen zu sprechen, da er vielleicht nicht zurückkommen wird. Ein Gespräch, das er dann ausführt wie eine Pressekonferenz. Für diesen introvertierten Menschen wird die ultimative Abwendung von der Menschheit zur Chance seinen Schmerz zu überwinden und neue Bande zu knüpfen. Es wird von einem PR Erfolg im Kalten Krieg, von einem wissenschaftlichen Durchbruch zu einer hochpersönlichen Queste und dabei fast universell.
Deshalb fehlt dem Film auch beinahe jeglicher Hurra-Patriotismus, der normalerweise mit dem Thema verbunden ist (man erinnere sich an den Twitter-Trotzanfall des Boss Babies-in-Chief, weil das Setzen der US Flagge auf dem Mond nicht inszeniert wird). Wenn im Film Stimmen von außerhalb des Projektes zu hören sind, dann sind das durchaus auch einmal kritische. Ein Fernsehinterview mit Autor Kurt Vonnegut etwa, der fragt ob die Millionen für das Raumprogramm nicht in sozialen Projekten besser investiert wären. Oder Gil Scott-Herons Jazz Poem „Whitey On The Moon“, das auf soziale und rassistische Ungerechtigkeit der „fortschrittlichen“ USA hinweist.
Das soll aber nicht heißen, dass der Film in irgendeiner Weise die persönlichen Leistungen der Astronauten anzweifeln würde. Im Gegenteil ich glaube, ich habe den an Irrsinn grenzenden Mut, der notwendig ist, um in eine Blechdose mit weniger Rechenkapazität als ein Game Boy, die an das obere Ende einer gigantischen Explosion gedübelt ist zu steigen noch nie so intensiv inszeniert erlebt wie hier. Die Kapseln scheinen sich fast selbst auseinanderrütteln zu wollen. Chazelle hält uns dabei stets auf Augenhöhe mit den Insassen. Die Majestät des Weltalls erleben wir wie sie fast nur durch die kleinen Sichtfenster. Und sie wirkt dennoch. Ausnahmen gibt es, etwa das Dockmanöver zwischen Agena und Gemini 8, das aus einer Außenansicht inszeniert ist und das Komponist Justin Hurwitz mit einem, an Kubricks ‚2001‘ gemahnenden Walzer unterlegt. Allerdings wird das schnell ironisch gebrochen, wenn sich das Docking-Konstrukt durch eine defekte Düse in eine lebensbedrohliche Drehbewegung versetzt. Einen Todeswalzer sozusagen. Spätestens sämtliche Szenen des Mondfluges sind dann aber absolut packende Science Fiction. Nur dass sie eben keine Science Fiction sind!
Justin Hurwitz unterlegt diese Bilder mit einer Vermischung aus orchestraler Musik und elektronischen Tönen von Theremin und Moog Synthesizer. Aufgrund der Letztgenannten sollte man nun aber nicht erwarten, dass er sich dabei an den typischen Soundtracks von SciFi der 50er und 60er Jahre orientiert. Die Sounduntermalung ist zumeist sehr zurückhaltend und atmosphärisch. So sehr, dass der oben erwähnte Walzermoment klar hervorsticht.
Die darstellerischen Leistungen von Ryan Gosling und Claire Foy sind sicherlich ebenfalls viel zu zurückhaltend, um je bei irgendwelchen Preisverleihungen ernsthaft in Betracht gezogen zu werden. Für diesen Film sind sie jedoch perfekt. Gosling transportiert den Schmerz über den Tod seiner Tochter beinahe physisch an den Zuschauer, ohne dass der Film dafür auf dramatische Nahaufnahmen zurückgreifen müsste. Foy hingegen vermittelt die stille Verzweiflung der Frau, die einerseits ihren Mann, der sich ihr immer mehr zu entfremden scheint, unterstützen will, andererseits sieht, wie immer mehr ihrer Nachbarinnen zu jungen Witwen werden. Wenn man dem Film etwas vorwerfen könnte, dann vielleicht, dass alle anderen Charaktere neben dem Ehepaar Armstrong etwas blass bleiben. Buzz Aldrin kommt vielleicht für 5 Minuten in dem Film vor und sagt ebenso viele Sätze. Das reicht, um ihn als jemanden zu zeichnen, der in kleiner Runde gern Dinge ausspricht, die niemand hören will, in der Öffentlichkeit aber weit gewandter ist als der introvertierte Armstrong. Beinahe alle Charaktere sind solche, durchaus funktionierenden aber notwendigerweise groben Skizzen. Der Originaltitel ‚First Man‘ ist da präziser, worum es in dem Film geht.
Ich denke, es ist deutlich geworden, dass ich den Film sehr, sehr mochte. Manchem wird er zu langsam sein, viele Szenen zu voll von technischem Jargon und insgesamt zu unspektakulär für sein Thema. Mir hat genau das gefallen. Die Gegenüberstellung der absoluten Ruhe und Professionalität der Astronauten in außergewöhnlichen Stressmomenten und der Betonung der Tatsache, dass natürlich auch sie nur Menschen sind, die nicht von rein rationalen Anforderungen getrieben sind. Wenn ich ehrlich bin, dann hat mir der Film so gut gefallen, dass ich mich fast frage, ob ich ‚La La Land‘ falsch eingeschätzt habe…