‚Die Mächte des Wahnsinns‘ (1994) – „Lesen Sie Sutter Cane?“

John Carpenter hat, von seinem Überraschungserfolg ‚Halloween‘ 1978 angefangen, die gesamten 80er Jahre hindurch eine absolut beeindruckende Filmografie ohne echte Fehltritte aufzuweisen. Zumindest in der Rückschau. Bei ihrem Erscheinen wurde nicht jeder der Filme wohlwollend aufgenommen und manche wurden ordentliche finanzielle Flops (‚The Thing‘, ‚Big Trouble in Little China‘). Doch im Rückblick wird eine sehr klare Vision deutlich. Eine die nicht immer mit dem Geschmack der Zeit übereinstimmte. In den 90ern erhielt diese Erfolgssträhne allerdings deutliche Knicke. ‚Flucht aus L.A.‘ ist jedenfalls schwer zu übersehen. Sein Werk in den 2000ern ist dann kaum noch der Erwähnung wert. Mit ‚Ghosts of Mars‘ wartet definitiv kein falsch verstandener Schatz auf seine Neuevaluation. Schauen wir uns heute den Film an, den ich als den letzten wirklich großen des Meisters des Horrors betrachte: ‚Die Mächte des Wahnsinns‘ von 1994.

In der Rahmenhandlung des Films erzählt Versicherungsermittler John Trent (Sam Neill), in seiner Zelle einer Nervenheilanstalt, Dr. Wren (David Warner) welche Umstände ihn dorthin geführt haben.

Trent wird von einer Versicherung, bei der der Verlag Arcane unter Vertrag ist, beauftragt das angebliche Verschwinden des Starautors des Verlags, Horrorlegende Sutter Cane (Jürgen Prochnow), zu untersuchen. Der Zyniker Trent geht von einer umfangreichen Werbeaktion aufgrund des Erscheinens von Canes neuem Roman „In The Mouth of Madness“ aus, der bereits vor Veröffentlichung eine Art Massenhysterie auszulösen scheint. Selbst die Tatsache, dass er von Canes Literaturagenten mit einer Axt attackiert wird, bringt ihn von dieser These nicht ab. Die Lektüre von Canes bisherigen Büchern hat zwar eine gewisse suggestive Wirkung auf Trent, allerdings entdeckt er auch eine Karte zum angeblich von Cane erfundenen Ort Hobb’s End. Gemeinsam mit Canes Lektorin Linda Styles (Julie Carmen), macht sich Trent auf den Weg nach Hobb’s End. Sie mit dem Ziel Cane zu finden, er mit dem Ziel eine gigantische Inszenierung aufzudecken. Sie werden beide etwas anderes finden als sie erwarten.

Der Film bezieht sich direkt auf zwei wichtige Säulen der amerikanischen Horrorliteratur. Der megaerfolgreiche Autor Sutter Cane, der weltweit gelesen wird, steht natürlich stellvertretend für Stephen King. Fast hat man den Eindruck, der Name sei in Absprache mit Anwälten so gewählt, dass er gerade eben weit genug entfernt ist, um eine Unterlassungsklage zu vermeiden. Auch die wunderbar reißerisch-blutigen Cover seiner Bücher sind voll in der Zeit der Entstehung des Films verhaftet. Die Tatsache, dass jenseitige Mächte Canes Literatur als Vektor benutzen wollen, um die Realität umzuschreiben und sich so selbst in die Welt zu gebären, ist eine, die genauso von Howard Phillips Lovecraft stammen könnte. Auch sehen wir im Film immer wieder direkte Anspielungen auf das Werk Lovecrafts. Die Unterkunft von Styles und Trent in Hobb’s End, das Pickman Hotel etwa, ist dabei sowohl Anspielung auf das Gilman Hotel aus „Schatten über Innsmouth“, einer Geschichte über eine mysteriöse Kleinstadt und „Pickmans Model“, wo es um einen Künstler geht der von unirdischen Wesen inspiriert wird. Und selbstverständlich sind der Originaltitel des Films ‚In The Mouth of Madness‘, sowie fast alle Cane Romantitel, Anspielungen auf Geschichtentitel Lovecrafts.

Carpenter vermeidet dabei einen Fehler, den viele direkte Adaptionen von Lovecraft begehen: er vermeidet zu viel von jenen unergründlichen Wesenheiten zu zeigen, hält sie damit geheimnisvoll und macht sie nicht zu billigen Schleimtentakeln. Vielmehr zeigt er ihre absolute Macht der Realitätsveränderung. Hierfür arbeitet er gerne mit Wiederholungen. Das beginnt schon bei Trents Lektüre der Cane Romane, wo eine Begegnung mit einem brutalen Polizisten, der einen Sprayer verprügelt, sich in immer schlimmerer und schließlich wortwörtlich alptraumhafter Weise wiederholt. Bei der Fahrt nach Hobb’s End überholt Styles wieder und wieder einen Radfahrer. Zunächst als Jungen, schließlich als uralten Mann (der immer noch die Stimme eines Kindes hat). Auch spielt der Film direkt mit der Idee der Wiederholung einer Geschichte, zunächst als Roman, dann als Film und schließlich als… Realität.

Carpenter zitiert sich filmisch hier durchaus gewollt auch selbst. Der Film beginnt mit dem Drucken eines Sutter Cane Romans, also der Herstellung des Werkzeugs des Bösen, was an den Anfang von ‚Christine‘ denken lässt, wenn der fiese Plymouth vom Band läuft. Das Erscheinen des axtschwingenden Literaturagenten im Hintergrund einer Szene, der sich dann langsam in den Vordergrund vorarbeitet, lässt an Michael Myers denken. Der Umgang mit dem Verlust von Identität und Realität gemahnt an ‚The Thing‘ nur auf einer größeren, globalen Ebene. Dabei erwecken diese Selbstreferenzen aber nicht ein Gefühl der Ideenlosigkeit, sondern es hat beinahe etwas von einer Ehrenrunde. Fast als hätte Carpenter geahnt, dass er hier zum letzten Mal eine wirklich große filmische Ambition angeht.

Und ein ambitionierter Film ist es ohne Frage. Der Film wird oft als der dritte Film von Carpenters „Apocalypse Trilogy“ geführt, zusammen mit ‚The Thing‘ und ‚Die Fürsten der Dunkelheit‘. Tatsächlich kommen wir dem Ende der Welt hier näher als in irgendeinem der anderen Filme und Carpenter inszeniert Canes gottgleiche Fähigkeiten, die ihm die „Mächte des Wahnsinns“ verliehen haben, mit erkennbarem, filmischen Vergnügen („meine liebste Farbe ist blau!“).

Ganz wichtig bei einem Carpenterfilm ist natürlich auch die Musik. Für den Titelsong wollte Carpenter eigentlich einen Metallica Song. Letztlich bekam er die Rechte nicht (ich vermute sie wollten mehr dafür haben, als er bereit war zu zahlen) und so bewies Carpenter selbst, dass er nicht nur Synthesizer beherrscht, sondern durchaus auch ordentliches Gitarrengeschraddel. Auch der Rest des Soundtracks (den Carpenter zusammen mit Jim Lang geschrieben hat) enthält Gitarren, wenn auch sanftere, aber auch menschliches Stöhnen oder tatsächlichen Gesang, aber natürlich auch finstere Synthie-Streicher und elektronische Töne. Von allen seinen Soundtracks dürfte dieser hier derjenige sein, der alleinstehend am unheimlichsten ist.

Schauspielerisch gehört der Film absolut Sam Neill. Sein Weg vom skeptischen Zyniker, der an seinem Weltbild und schließlich seiner Idee von sich selbst zweifeln muss, ist glaubhaft vollzogen. Außerdem beherrscht es kaum ein anderer wie Neill absolute Unsympathen zu verkörpern, denen man sich dennoch schwer entziehen kann. Julie Carmens Linda wird vom Film hingegen ein wenig stiefmütterlich behandelt. Sie hängt sich zwar sehr rein in die Rolle der, mehr oder weniger unauffällig, in Cane verknallten Lektorin, doch endet ihre Geschichte ein wenig früher als gut ist und bleibt ein wenig im Nichts hängen.

Was bleibt ist ein hochambitionierter Film über die Wirkmacht von medialen Ereignissen, der seinen apokalyptischen Ansatz mit recht bescheidenen Mitteln eindrucksvoll herüberbringt. Nicht ohne Fehler, vielleicht mit ein paar erzählerischen Ansätzen die in einer Sackgasse enden, aber im Großen und Ganzen wunderbar gelungen.

 

Fun Fact: wer genau hinschaut, kann ein paar ehemalige und zukünftige Filmschurken ausmachen. Einer der Bewohner von Hobb’s End wird unverkennbar vom deutschen Boxer Wilhelm von Homburg gespielt, besser bekannt als „Vigo von Homburg Deutschendorf, die Geißel der Karpaten, das Leiden von Moldawien“ aus ‚Ghostbusters II‘. Und nach seiner Rückkehr aus Hobb’s End trifft Trent auf einen Zeitungsjungen. Dargestellt von einem jungen Hayden Christensen, Anakin „Ani“ Skywalker aus den ‚Star Wars‘ Episoden II und III.

 

Gestern Gesehen: ‚Wo die wilden Menschen jagen‘ (OT: ‚Hunt for the Wilderpeople‘) (2016)

Nachdem er vor 2 Jahren gemeinsam mit Jermaine Clement, einer Hälfte des Comedy-Duos „Flight of the Conchords“, die gelungene Vampir-Improvisations-Komödien-Pseudo-Dokumentation ‚5 Zimmer Küche Sarg‘ abgeliefert hat, meldet sich Taika Waititi nun mit dem erfolgreichsten, neuseeländischen Film aller Zeiten zurück. Nein, die späteren Peter Jackson Projekte zählen anscheinend nicht als neuseeländische Filme. Ja, ich habe mich das auch gefragt.

Der 12jährige Ricky Baker (Julian Dennison) ist ein mehrfach straffällig gewordener Fall für die Kinderfürsorge. Aus allen bisherigen Pflegefamilien ist er abgehauen, zumeist nach Sachbeschädigung, üblicherweise gegen Briefkästen. Am Anfang des Films nimmt ihn Bella (Rima Te Wiata) auf ihrer abgelegenen Farm als Pflegesohn auf. Sehr zum Unmut ihres mürrischen Ehemannes Hec (Sam Neill), einem introvertierten, schweigsamen Mann, der sich im Busch wohler als in der Zivilisation fühlt. Nach anfänglichen Problemen gelingt es Bella zu Ricky durchzudringen. Doch, in Folge eines katastrophalen Ereignisses soll Ricky wieder in die Obhut der Kinderfürsorge gegeben werden. Der täuscht daraufhin seinen Selbstmord vor und flieht in den Busch. Hec folgt ihm gezwungener Maßen. Durch einen Unfall müssen die beiden allerdings für mehrere Wochen im Urwald bleiben und finden sich daraufhin als Ziel einer nationalen Jagd wieder.

Vermutlich jeder, der mehr als 5 Filme in seinem Leben gesehen hat wird zumindest einen Teil der Handlung erahnen können. Zwei absolut unterschiedliche Menschen, beide mit ihren eigenen tiefliegenden Problemen sind gezwungen viel Zeit miteinander zu verbringen. Sicherlich kommen sie sich im Laufe der Ereignisse näher, doch Waititi umschifft geschickt einige der üblichen großen Tücken dieser Art von Geschichte. Er schafft es hier eine Geschichte zu erzählen, die zu gleichen Teilen lustig, dramatisch und traurig ist, ohne dass sich die Charaktere dafür verbiegen müssten. Sam Neill ist in Hochform und sein Hec ist ein kantiger, grantiger alter Mann, der trotz Settings und Hintergrunds, niemals an ‚Crocodile Dundee‘-Klischees erinnert. Deutlich bemerkenswerter noch ist aber Julian Dennison, dessen übergewichtiger, jugendlicher Möchtegerngangster, der irgendwo auf seinem Weg von einem Psychologen gelernt hat seine Gefühle in Haikus auszudrücken, trotz gelegentlicher Übertreibungen durchaus glaubwürdig daherkommt. Und ja, obwohl man sie sicher schon gesehen hat, ist die Annäherung zwischen diesem mürrischen, alten Mann und diesem „mir ist alles egal“ Problemkind sehenswert und anrührend. Selbst ein erstaunlich ausuferndes Action-Finale fühlt sich absolut verdient an.

Die Nebenfiguren hingegen sind oftmals völlig überzeichnet und damit ein steter Lieferant für den Humor des Films. Sei es die Beauftragte der Kinderfürsorge, die Ricky mit der Hartnäckigkeit eines Terminators verfolgt, ein Trio reichlich nutzloser Jäger, ein tief im Urwald lebender Verschwörungstheoretiker oder der Regisseur selbst als ausufernd salbadernder Priester.

Filmisch könnte man den Film als beinahe das genaue Gegenteil von ‚5 Zimmer Küche Sarg‘ beschreiben. Während der Film seine Handheld Aufnahmen völlig auf das Haus mit gelegentlichen, nächtlichen Ausflügen in enge Straßen beschränkt hat, ist hier die beeindruckende, neuseeländische Landschaft vom ersten Moment an ein zentrales Element. Die Verlorenheit des Menschen in dieser gigantischen Wildnis, insbesondere von jemandem, der so wenig darauf vorbereitet ist wie Ricky Baker, ist grundlegender Teil der Handlung, den Waititi hier in beeindruckende Landschaftsaufnahmen fasst.

Ich bin sicher man merkt es, aber es fällt mir bei diesem Film noch schwerer als sonst schon meine Begeisterung in Worte zu fassen. Wie es Waititi hier gelingt eine altbekannte Geschichte mit absurdistischen Elementen zusammenzubringen, die man wirklich nur noch als Farce bezeichnen kann, es ihm andererseits aber gelingt eine glaubwürdige Geschichte um zwei rund gezeichnete Charaktere zu erzählen ist ebenso beeindruckend, wie schwierig zu beschreiben. Nur ein Beispiel: klingt irgendetwas in meiner bisherigen Beschreibung danach, dass der Film eine verschneite Montage, zu Musik von Leonard Cohen enthält, die eindeutig eine Hommage an Robert Altmans revisionistischen Western ‚McCabe und Mrs. Miller‘ darstellt? Vermutlich nicht und dennoch ist sie da und fühlt sich nicht im geringsten deplaciert an. Das nebenbei die berühmt-berüchtigte „Chemie“ zwischen Dennison und Neill stimmt rundet den Film dann schließlich ab.

Ich mochte ‚5 Zimmer Küche Sarg‘ sehr, sehr gern. Und ich mag normalerweise keine Improvisations-Komödien. Ich fand diesen Film trotz oder gerade wegen seiner merkwürdigen, widerborstigen Zusammenstellung bekannter aber eigentlich inkompatibler Elemente ganz hervorragend. An diesem Punkt kann ich mich wohl als Fan von Taika Waititi bezeichnen, werde mich bemühen seine älteren Filme zu sehen und bin gespannt, ob ihm das scheinbar Unmögliche gelingt: einen Marvel-Thor-Film zu drehen, der auf mich nicht die Wirkung eines starken Schlafmittels hat. Das ist nämlich sein überraschendes nächstes Projekt: ‚Thor: Ragnarök‘. Ich frage mich, ob der dann auch einen dämlichen, deutschen Titel bekommt, wie es allen Waititi Filmen zu passieren scheint… ‚Thor: Riesenkloppe am Ende der Zeit‘ oder so.