‚Aragami‘ (2003) – göttliche Herausforderung

Was ist das wesentliche Element einer jeden Geschichte? Diese Frage dürfte sich Regisseur Ryūhei Kitamura (‚Azumi‘) gestellt haben, als er 2003 die Herausforderung zu einem Duell akzeptiert hat. Auf einem Filmfestival traf er seinen Kollegen Yukihiko Tsutsumi. Die beiden kannten sich vorher nicht, schätzten aber die Arbeit des anderen. Abends ging man gemeinsam Saufen und zu fortgeschrittener Stunde und Promillezahl entstand die Idee zu einem filmischen Duell. Beide sollten einen Film nach bestimmten Regeln anfertigen. Die Regeln lauteten:

  1. nicht mehr als 2-3 Charaktere
  2. der Film muss in 7 Tagen abgedreht sein und darf ein geringes Budget nicht überschreiten*
  3. die Handlung spielt komplett an einem Ort
  4. ein Charakter muss sterben

Ob er nun das wesentliche Element jeder Geschichte ist, sei dahingestellt, doch schon die Regeln und die Art der Entstehung des Film leiten das Thema in eine ganz bestimmte Richtung: Konflikt! Und hier ist was Kitamura aus dem Thema gemacht hat.

Zwei schwerverletzte Samurai schleppen sich zu einem abgelegenen Tempel. Die Hüterin (Kanae Uotani ) öffnet ihnen und sie brechen zusammen. Als einer von ihnen (Takao Osawa) wieder erwacht, ist sein Gefährte tot, er selbst von allen Wunden geheilt. Ein mysteriöser aber freundlicher Fremder (Masayo Kato) lädt ihn ein mit ihm zu essen und die Nacht über Totenwache zu halten. Die anfangs freundlichen Gespräche werden schnell aggressiv und der Fremde gibt sich als der wahre Herr des Tempels zu erkennen: Aragami, der Gott des Kampfes. Der ist seiner Existenz müde und hat den Samurai auserwählt ihn im Kampf zu besiegen, doch gewinnen lassen würde er ihn nicht. Bevor es aber ans Morden ginge, sollte man doch erst noch einmal zusammen trinken.

Es ist leicht zu erkennen, wie die Entstehung des Film direkten Einfluss auf seine Handlung hatte. Die Regeln scheinen Kitamura allerdings weniger einzuschränken als zu beflügeln. Nicht nur spielt die Handlung komplett an einem Ort, abgesehen von kurzen Pro- und Epilogen spielt sie sich auch komplett in Echtzeit ab. Und was er aus diesem einen Ort herausholt ist beeindruckend, allerdings ist der auch wunderbar designt. Irgendwo zwischen japanischem Tempel und westlicher, gotischer Krypta kann man ihn verorten. Man wäre nicht völlig überrascht, sollte Dracula sich irgendwo im Hintergrund erheben. Auch wandelt sich der Ort beständig, spiegelt das Seelenleben Aragamis wieder. So bekommt etwa eine anfangs friedliche Statue im Laufe des Films immer aggressivere Züge. In ihren Kämpfen durchmessen die Kontrahenten den kleinen Tempel von allen Seiten bis zu den Deckenbalken. Oder kämpfen in völliger Finsternis, erhellt nur die blitzende Funken, wenn ihre Klingen aufeinandertreffen. Sprich Kitamura macht Handlung, Zeit und Ort in beeindruckender Weise zu einer Einheit.

Und mögen die gut choreografierten Kämpfe (die vermutlich den Hauptteil der 7 Tage Dreharbeiten einnahmen) auch noch so gut sein, die wirklich besten Momente finden sich in den Dialogen. Die psychologischen Tricks mit denen Aragami den Samurai, der anfangs keinen Grund sieht mit seinem vermeintlichen Retter zu kämpfen, gegen sich aufstachelt, reichen von komischer Ironie zu tatsächlich Erschreckendem. Und dann ist da noch die Hüterin des Tempels, die sich weitgehend wortlos unterwürfig gibt, doch sieht man in ihrem Gesicht immer mal wieder eine Art distanzierte Amüsiertheit. Auf eine der Fragen des Samurai, wer sie denn sei, antwortet Aragami nur, dass vor ihr selbst er das Haupt neige. Womöglich ist sie eine Figur der japanischen Mythologie, die Kenner sofort erkennen würden, für mich machten gerade die Fragen, die sei umgeben, ihre Faszination aus. Überhaupt gelingt es Kitamura sehr gut, den Tonfall einer Sage zu treffen. Soweit ich das recherchieren konnte, ist die Sage um Aragami von ihm erfunden, aber das Bild des Sterblichen, der an einem abgelegenen Ort nächtigt und dort mit Kami wettstreitet, findet sich in der japanischen Mythologie immer wieder, ebenso in der westlichen, wo Kobolde oder der Teufel selbst den Platz von Naturgeistern einnehmen.

Wenn ich überhaupt etwas an dem Film zu bemängeln habe, dann wäre es vermutlich die Musik. Die wird in der zweiten Hälfte, wenn die Kämpfe wirklich beginnen, immer mehr zu hartem E-Gitarren-Genudel, das zumindest mich gelegentlich mehr abgelenkt hat, als die Bilder unterstützt. Auch bemerkt man an machen Effekten oder extrem choreografierten Sequenzen das geringe Budget und die eine Woche Produktionszeit durchaus. Dennoch bietet der Film mit 75 Minuten ein sehr gelungenes Filmerlebnis, das nicht länger dauert als es sollte.

Jetzt muss ich wohl fairerweise bei Gelegenheit auch Tsutsumis Duell-Beitrag ‚2LDK‘ schauen, in dem sich zwei junge Frauen mit allerlei Haushaltsgerätschaften beharken. Der wird sich aber sehr anstrengen müssen, um das Duell zu gewinnen…

*die Höhe des Budgets konnte ich leider nicht ermitteln

‚Rivalen unter roter Sonne‘ (1971) – ‚Avengers‘ im Wilden Westen?

Disney haben ihren ‚Infinity War‘ ja vor kurzem als das „größte Crossover aller Zeiten“ angekündigt. Daran möchte ich auch gar nicht zweifeln, richte an Filmfreunde aber die Frage, wie dieses Crossover für Euch klingt: einer der ‚Sieben Samurai‘, einer der ‚Glorreichen Sieben‘, ‚Le Samourai‘ und das erste „Bondgirl“ in einem Film des Regisseurs der ersten paar Bond-Filme, geschrieben unter anderem vom Drehbuchautoren der ‚Glorreichen Sieben‘ mit der Musik des ‚Lawrence Von Arabien‘ Komponisten. Bei einem solchen Personal war zumindest meine erste Reaktion, als ich von dem Film hörte die Frage, warum den nicht jeder kennt. Ist er so gut, wie die Beteiligten vermuten lassen oder letztlich nur ein merkwürdiges, zu Recht halb vergessenes Kuriosum?

1870 bringt der frisch ernannte japanische Botschafter in den USA ein wertvolles Schwert nach Washington zum Präsidenten. Dafür muss natürlich auch der noch reichlich gesetzlose Westen per Zug durchquert werden. Prompt wird der schwerbewachte Zug von einer Gangsterbande unter Pistolenheld Link (Charles Bronson) und dem Franzosen Gauche (Alain Delon) überfallen. Gauche nutzt die Gelegenheit, um nicht nur das wertvolle Schwert zu stehlen, sondern auch seinen Konkurrenten Link zu ermorden. Letzteres schlägt allerdings fehl. Der zurückgelassene Link wird von den Japanern zwangsrekrutiert den überlebenden Samurai-Wächter Kuroda (Toshiro Mifune) zu Gauche zu führen. Link ist davon nicht eben begeistert, ist sich aber sicher, dass sich Gauche auf direktem Weg zu seiner Freundin Christina (Ursula Andress) machen wird. Die beiden ungleichen Männer werden sich zusammentun müssen, wenn sie den Schurken erreichen wollen.

Ich war gespannt, wie unterschiedlich die Charaktere wirklich wären. Schließlich haben Westernheld und Samurai einige Klischees voneinander abgeschaut. Beide sind üblicherweise schweigsame Stoiker, die kein Problem mit Gewalt haben. Drehbuchautor William Roberts gelingt es aber beiden hier interessante Seiten abzugewinnen. Bronsons Link ist, wenn er denn spricht, ein unzuverlässiges Großmaul, den kaum jemand wirklich zu mögen scheint. Mifunes Kuroda hingegen, erhält, neben seiner „Fish-Out-Of-Water-Position“, ein wenig Pathos aus der Tatsache, dass er sich bewusst ist, dass die Zeit der Samurai vorüber ist. Das dies vermutlich der letzte und einzige Moment sein wird indem er eine Chance bekommt sich zu beweisen. Bronson ist willens seine Rolle deutlich augenzwinkernder anzulegen, als ich das von ihm erwartet hätte. Einer der lustigsten Momente (von denen der Film tatsächlich einige hat) ist wenn er Kuroda zu einer Schlägerei herausfordert und Mifune ihn minutenlang mit Judowürfen wie einen Mehlsack durch die Gegend schleudert, bevor Bronson einlenkt mit „fein, einigen wir uns auf unentschieden“. Von Delons Bösewicht Gauche (den der Trailer zu „Gotch“ macht, warum auch immer) hätte ich sehr gern mehr gesehen. Delon ist immer gut aber hier, als ebenso schmieriger wie eleganter Gangster merkt man ihm richtig an, wie viel Spaß er am Cowboy und Samurai-Spiel hatte. Ursula Andress Christina bekommt vom Drehbuch nicht eben viel geliefert und Andress war eher als Model, denn als Schauspielerin bekannt, was man, diplomatisch ausgedrückt, auch merkt. Letztlich bleibt sie ohnehin eine Nebenrolle.

Die beiden gelungenen Charaktere im Zentrum sind denn auch eine der beiden Stärken des Films. Terence Youngs Regie ist kompetent aber nicht unbedingt aufregend. Die typischen Italo-Western Regionen Spaniens kauft man ihm allerdings problemlos für den Wilden Westen ab. Man hat aber das Gefühl, der Bond-Regisseur ist nicht wahnsinnig daran interessiert dreckige Cowboys zu inszenieren und lebt immer richtig auf, wenn er mal wieder die Maßanzüge von Gauche zeigen darf. Wo er ebenfalls positiv auffällt sind die zahlreichen Actionszenen. Die reichen von großen Gefechten, in denen kiloweise Dynamit hochgeht, zu persönlichen Duellen. Insbesondere einige Szenen in übermannshohem Präriegras sind spannend inszeniert und helfen Mifune zum Einsatz zu bringen, der sonst mit seinem Katana gegen Schießeisen immer ein bisschen den Kürzeren zieht (und Kugeln auszuweichen würden in der Filmgeschichte ja erst 10 Jahre später die Ninja lernen). Auch hat mich überrascht wie blutig es teilweise wurde. hier war definitiv mehr der Samurai-Film als der Western Vorbild. Nicht zuletzt dank einer etwas unmotiviert wirkenden Nebenhandlung um eine Gruppe Commanche, wird der Film fast zwei Stunden lang und damit ein wenig länger als ihm gut täte.

Obwohl ein europäischer Western (der manchmal sogar fälschlicherweise in Italo-Western-Listen auftaucht) sind Youngs Vorbild offensichtlich klassische, amerikanische Western, in die er dann das ungewöhnliche Element des Samurai einfügt. Sergio Corbucci würde allerdings, für seine letzte Westernarbeit ‚Stetson – Drei Halunken erster Klasse‘ (1975) eine ganz ähnliche Idee umsetzen. Auch Maurice Jarres Musik schaut weniger zu Morricone, denn zu klassischen Hollywood-Themen, mit gelegentlich eingestreuten, klischeehaft fernöstlich klingenden Melodien. Eine wirklich erinnerungswürdige Melodie konnte ich aber nicht ausmachen. Da beeindrucken seine Soundtracks zu David Lean Filmen weit mehr.

Eine wirklich neue Geschichte erzählte der Film, um zwei Männer, die sich nicht mögen, Respekt füreinander entdecken und schließlich Freunde werden wohl auch vor 45 Jahren nicht wirklich, doch macht es einiges an Spaß Mifune und Bronson (den ich aufgrund seiner arg hölzernen, späten Rollen gern unterschätze aber letztlich scheint er geboren Cowboys zu spielen) in lustigen und ernsten Szenen zuzusehen. Die Chemie zwischen beiden und Delon sorgen dafür, dass der Film immer einen leicht ironischen Unterton behält, ohne dabei je zur Parodie zu werden. Den Actionszenen merkt man ihr Alter sicherlich an, allerdings sind sie gut genug inszeniert, um auch heute noch zu wirken. So ganz der Überflieger, den die Beteiligten erwarten lassen ist ‚Rivalen unter Roter Sonne‘ nicht geworden aber immerhin ein sehr gelungener Western. Nun muss sich zeigen, ob ‚Infinity War‘ das auch wird. Also gelungen meine ich. Nicht ein Western. Wenn ‚Infinity War‘ ein Western wird, fresse ich einen Cowboyhut. Den ich extra dafür anschaffen müsste.

So was gibt es heute gar nicht mehr: Shogun Assassin (1980)

 

‚Shogun Assassin‘ ist ein Film, wie er heute in Zeiten des Internets nicht mehr gemacht werden könnte, ohne eine Reihe Twitter-Shitstorms und mindestens eine Unterschriftenaktion auf den Plan zu rufen. Was war passiert? Zwei amerikanische Produzenten, Robert Houston und David Weisman kauften 1980 die Rechte an der 6teiligen Samurai-Film Serie ‚Lone Wolf & Cub‘ vom japanischen Studio Toho für 50.000 Dollar. Die originale Serie entstand zwischen 1972 und 1974 und basierte auf einer Manga Reihe von Kazuo Koike und Goseki Kojima. Doch anstatt die Filme zu veröffentlichen, wie sie waren, nahmen Houston und Weisman eine Viertelstunde des ersten Films und verwoben sie mit dem Großteil des zweiten Films und pressten dieses frankensteinsche Monster in ein Exploitation Korsett. Die, trotz radikaler Vereinfachung der Handlung,  unweigerlich entstehenden Handlungslücken wurden durch eine Voice-Over Erzählung des kleinen Sohns der Hauptfigur (gesprochen vom siebenjährigen Sohn des Postermalers) übertüncht.  Dazu noch eine englische Synchronisation, irgendwo zwischen amateurhaft und furchtbar und ein neuer electrosynth Soundtrack, fertig! Veröffentlicht wurde ‚Shogun Assassin‘ von Roger Cormans ‚New World Pictures‘, kam in die amerikanischen Autokinos und Grindhouses und wichtiger noch später auf Video, wo ein beinahe Verbot als Werbemittel eingesetzt wurde. Kurz darauf kam er als ‚Der Henker des Shogun‘ auch in deutsche Kinos und VHS-Spieler.  Doch jetzt erst mal das Wichtigste: worum geht es eigentlich?

Herr Itto Ogami (obwohl ich nicht sicher bin, dass wir in dieser Version überhaupt seinen Namen erfahren) ist der Scharfrichter des Shogun im 17. Jahrhundert. Der Herrscher selbst fürchtet ihn, daher wird eines Nachts seine Frau von Ninja ermordet und er selbst vor eine Wahl gestellt: er und sein kleiner Sohn Daigoro müssen dem Shogun ewige Treue schwören oder rituellen Selbstmord begehen. Ogami wählt Möglichkeit C und tötet die Männer des Shogun, einschließlich dessen Thronfolgers. Von nun an folgen Ogami und Daigoro dem „Pfad der Hölle“. Sie ziehen durch Japan und Ogami lässt sich als Auftragsmörder anheuern, wobei sie ständigen Angriffen der Ninja des Shogun ausgesetzt sind, quasi ein ‚A-Team‘ in der japanischen Edo-Epoche, nur mit einem Kinderwagen statt eines Van und das tatsächlich Leute sterben. Also nicht im geringsten, wie das ‚A-Team‘.

Das grobe Gerüst der originalen Handlung (oder Handlungen) der beiden Filme, die Verschwörung gegen Ogami und sein Umherziehen als mietbarer Ronin bleiben erhalten, allerdings in stark simplifizierter Form. Die Synchronisation tut dem Film keinen Gefallen und lädt eher zum Schmunzeln ein, als irgendetwas anderes. Wobei das warbelnde Auf und Ab der kindlichen Erzählers im Laufe des Films für mich eine fast hypnotische Wirkung entfaltete. Aber auch aus den Originalen stammt die ein oder andere bizarre Szene. So versucht eine Gruppe Ninja Vater und Sohn zu töten, indem sie sie mit Gemüse, mit Klingen darin, bewerfen. Danach steckt für einige Szenen ein Rettich im vorderen Ende des Kinderwagens. Eines Kinderwagens übrigens, der seinerseits voller versteckter Klingen steckt und gerne, mitsamt Daigoro darin, als Waffe eingesetzt wird. Schön auch, wenn Ogami eine weibliche Ninja besiegt und diese aus ihrem Kimono springt und rückwärts laufend vor ihm flieht. Oh, und Daigoro verhindert einen Mord, indem er an einen Nippel schnippst.

Okay und warum schreibe ich jetzt hier über diesen merkwürdig klingenden Film? Weil er mir ehrlich gesagt gefallen hat. Wollt ihr eine Reihe interessanter Samurai-Filme aus den 70er Jahren sehen? Dann schaut unbedingt die, inzwischen problemlos erhältlichen, Originalfilme. Und legt am besten noch ‚Lady Snowblood‘ oben drauf! Wollt ihr stattdessen, vielleicht bei ein paar Bier, 80 Minuten entspannen und einem Mann dabei zusehen, wie er seine Gegner in Sekundenschnelle in rotsprühende Gartensprinkler verwandelt, ohne euch über Handlung und Logik Sorgen machen zu müssen? Sätze hören, wie: „Even your mystic blade is no match for the masters of death!“ Dann ist ‚Shogun Assassin‘ die richtige Wahl! Und Auswahl ist immer gut. ‚Shogun Assassin‘ war zu kritisieren, als er die einzig erhältliche Version der Filme hier im Westen war, doch jetzt kann er als das betrachtet werden was er ist: ein äußerst unterhaltsames Kuriosum, das in dieser Form heute nicht mehr gemacht werden könnte.