James Cameron, soviel ist inzwischen definitiv mehr als deutlich, hat den Code für einen immensen Kassenerfolg geknackt. Zumindest solange er selbst im Regiestuhl sitzt. Als Produzent und Autor ist sein Händchen nicht gar so golden, wie sich bei ‚Alita: Battle Angel‘ gezeigt hat. Der war zwar alles andere als ein Flop und für den seit den 2000ern recht glücklosen Robert Rodriguez, gar der größte finanzielle Erfolg seiner Karriere. Aber für ein schnelles Sequel reichte es dann eben doch nicht. Aber Cameron und Rodriguez wollen dennoch eines machen. So sehr, dass sie Ende letzten Jahre einen „Blutpakt“ geschlossen haben. Wie das genau funktioniert und ob man dafür nicht eigentlich einen Dämon braucht, sind Fragen, die weit außerhalb meines Erfahrungshorizontes liegen. Beschäftigen wir uns also lieber mit dem Film.
Wir schreiben das Jahr 2563. 300 Jahre nach einem verheerenden Krieg. Die ärmliche Stadt Iron Town versorgt die letzte verbliebende schwebende Stadt Zalem. Der Traum aller ihrer Bewohner ist es, die stets sichtbare aber unerreichbare Utopie betreten zu dürfen. Der Cyborg Doktor Dyson Ido (Christoph Waltz) findet eines Tages den intakten Kern eines fortschrittlichen weiblichen Cyborg im von Zalem herabgeworfenen Müll. Er baut ihr einen neuen Körper und gibt der an Amnesie leidenden jungen Frau (Rosa Salazar) den Namen Alita, nach seiner verstorbenen Tochter. Es stellt sich bald heraus, dass Alitas, trotz aller wohlmeinenden Verbote ihres Ziehvaters, vor allem den Kampf sucht. Etwas wonach sie in Iron Town nicht lange suchen muss. Doch weckt sie so schnell das Interesse von Motorball Manager Vektor (Mahershala Ali) und damit von Zalem.
Originelle IPs haben es in der derzeitigen Blockbuster-Filmwelt nicht einfach. Sicherlich, ‚Alita‘ ist keine ganz originelle IP, der Film basiert auf dem 90er Jahre Manga von Yukito Kishiro, allerdings hat der vorher nie die Bekanntheit erreicht, die dieser Film ihm gebracht hat. Cameron war an der Thematik schon lange interessiert. Wollte selbst lange eine Verfilmung drehen, bevor er sich ganz auf seine Avatare verlegt hat. Seine Serie um die Jahrtausendwende ‚Dark Angel‘ war ebenfalls fraglos stark von dem Manga inspiriert. Auch sind nicht eben sämtliche Ideen in dem Manga/Film selbst wahnsinnig originell. Von der Protagonistin mit Amnesie will ich gar nicht erst anfangen. Aber die Cyborg Söldner, die als Polizei fungieren, fühlen sich wie eine Mischung aus Robocop und Blade Runner an. Motorball ist so eindeutig Rollerball, dass tatsächlich nur der Name den Unterschied macht und so weiter.
Da überrascht es wohl nicht nur mich, dass es gerade die größte Stärke des Films ist, dass er sich so frisch anfühlt. Und er tut dies, indem er bekannte Ideen einfach ein klein wenig justiert. Iron Town ist ein futuristischer Slum, keine Frage, aber ist eben nicht der seit Blade Runner allgegenwärtige verregnete Moloch mit Leuchtreklamen, sondern ein sonnendurchfluteter, bunter Neubau in den Ruinen der alten Welt. Allein der südamerikanische Einfluss auf sämtliche Designs (Vorlage für Iron Town war Panama City) macht hier wahnsinnig viel Frische aus.
Das Charakterdesign ist wild! Auf die beste Weise wild. Bei den Cyborgs ist man nicht an realistische Vorlagen gebunden und so kommen irre Designs mit zahllosen Klingen und Sägeblättern heraus, die sich in tatsächlich gewichtig anfühlenden Kämpfen effektreich gegenseitig zerlegen. Und da es sich meist um Maschinenteile handelt, werden hier ständig Arme und Beine abgeschnitten und ganze Körper zerrissen, ohne das die Altersfreigabe merklisch steigt. Gerade beim Design der Protagonistin hat man sich, äußerst ungewöhnliche Entscheidung, entschlossen sich voll und absichtlich ins „Uncanny Valley“ zu lehnen. Man hat ihr übergroße Augen verpasst, fraglos in Anlehnung an die Manga-Vorlage, aber eben auch um Alita ein unschuldig-naives Kindchenschema-Gesicht zu verpassen. Ich sage mal, man hat mit Rosa Salazar hier einen extremen Glücksgriff gelandet, der es gut gelingt darüber hinwegzuspielen. Mit einer auch nur etwas schwächeren Darstellerin hätte das ganz schnell zur Katastrophe werden können. Salazar hingegen bringt die freundliche Aufgeschlossenheit der Figur, ihre programmierte Konfliktbereitschaft und die Neugier nach ihrer eigenen Herkunft hingegen wunderbar unter einen CGI-Haarschopf. Es hilft sicherlich auch, dass die Antwort auf die Frage nach Alitas Herkunft tatsächlich interessant ist.
Camerons übliche Stärken und Schwächen als Autor sind hier voll erkennbar. Seit ‚Terminator 2‘ ist deutlich geworden, dass es ihm vor allem darum geht starke und mitreißende Setpieces zu schreiben, auf Kosten der großen Geschichte und vor allem der Charaktere. Daneben hat ‚Alita‘ noch das Problem, dass er allzu viel sein will. Zukunftsvision, Mysterium, Actionkracher und Teenie Romanze. Dabei ist es vor allem letzterer Aspekt der unter die metallenen Räder gerät. Alitas Love Interest Hugo (Keean Johnson) ist zum einen nicht sonderlich interessant und hat dazu einen der schwächeren Darsteller. Und so kommt dann im dritten Akt mein Problem mit dem Film deutlich zum Vorschein: ich bin nicht im Geringsten emotional involviert.
Ich kann bei Vielem anerkennen, dass es cool aussieht, kann mich an grandiosen Actionsequenzen erfreuen, aber am Ende sind mir die Charaktere reichlich wurscht. Da hilft es nicht, dass der dritte Akt gleich zweimal mit derselben hoch melodramatischen Szene aufwartet, die sich beide Male vollkommen unverdient anfühlt. Es hilft auch wenig Leute wie Jennifer Connelly oder Mahershala Ali zu reinen Expositions-Stichwortgebern zu degradieren. Christoph Waltz wirkt hier eher routiniert als sonderlich interessiert, aber wer kann es ihm verübeln, wenn er von „the Panzer-Kunst“ fabulieren muss? Das alles läuft dann auf ein Ende zu, dass mir allzu sehr Cliffhanger für ein ‚Alita 2: Electric Boogaloo‘ sein will. Das soll nicht heißen, dass ich keinen Spaß an ‚Alita‘ hatte, den hatte ich nämlich durchaus. Aber es ist erkennbar einer dieser Filme, von dem nichts bei mir hängenbleiben wird. In einem Monat werde ich Schwierigkeiten haben zusammenzufassen, worum es überhaupt ging. Eben weil der Film mich stets auf Armeslänge gehalten hat, während er zu erwarten schien, dass ich ihn eng umschlinge.