Sonderarchiv: ‚Die Akte Springfield‘

In meiner „Archivarbeit“ schaue ich mich derzeit ja durch die ersten fünf Staffeln und den ersten Film der Serie ‚Akte X‘. Im „Sonderarchiv“ will ich dabei nun Dinge betrachten, die nicht direkt zur Serie gehören, aber vielleicht die kulturelle Bedeutung und Einfluss der Serie zeigen. Und dafür ist wohl wenig geeigneter als unser heutiges Beispiel, das „Crossover“ der FOX-Superhits der 90er, ‚Akte X‘ und ‚Die Simpsons‘.

Die Idee hat eine Weile bei den Simpsons Autoren herumgelegen. Das lag wohl vor allem daran, dass die meisten keine besonders großen Fans der X-Akten waren. Nachdem die Produzenten Al Jean und Mike Reiss, Showrunner der Staffeln drei und vier, inzwischen unter Vertrag bei Disney, für ein paar Folgen von Staffel acht an FOX ausgeliehen wurden, beschlossen sie das Crossover endlich umzusetzen. Herausgekommen ist eine vor kulturellen Anspielungen fast platzende, aber sehr unterhaltsame Folge der späten Hochphase der Simpsons.

Leonard Nimoy erscheint im Rahmenprogramm und moderiert eine Show über UFO Phänomene (eine Anspielung auf die Show ‚In Search Of…‘, die Nimoy von 1977 bis 82 moderierte, die es aber erst in späteren Versionen (ohne Nimoy) nach Deutschland geschafft hat). Homer, Lenny und Carl schleichen sich an einem Freitag früher von ihren Jobs im Kernkraftwerk Springfields davon. Homer schließt dazu einen Videorecorder mit alten Aufnahmen an das Überwachungskamerasystem an. Ein Trick, den er im Film „der Bus, der nicht langsamer werden durfte“ gesehen hat. Später (nach umfänglichem Genuss von Düff (aus Schweden!) und Red Tick Beer) macht sich Homer durch den Wald auf den Heimweg. Dort begegnet er gruseligen Plakaten, dem Springfield Philharmonic Orchestra, das im Bus die Psycho Melodie spielt und einem dürren, leuchtenden, fistelstimmigen Alien, dass Frieden und Liebe verspricht.
Doch weder seine Familie noch Chief Wiggum glauben Homer die Geschichte. Dennoch tauchen zwei uns bekannte FBI Agenten in Springfield auf. Mulder und Scully machen eine Reihe Test mit Homer, zeigen ihm ein Line-Up mit Marvin, dem Marsmenschen, Gort, Chewbacca, ALF und einem der Aliens aus den Halloween Folgen. Letztlich ist Homer aber derart unglaubwürdig, dass nicht einmal Mulder mit dem Fall zu tun haben will. Nur Bart stellt sich auf seine Seite und so lauern sie eine Woche später dem Alien erneut auf. Trotz Homers Ungeschick gelingt ihnen eine Videoaufnahme und alsbald ist ganz Springfield im Alien Fieber.
In der nächsten Woche wartet folglich die gesamte Bevölkerung auf das Alien. Kaum taucht es auf und verspricht Liebe, rottet sich, in typischer Springfield Manier, ein Mob zusammen, um es zu töten. Doch da stellt sich heraus, dass das „Alien“ Mr. Burns war. Nach seiner allwöchentlichen Verjüngungskur aus Drogen, Augentropen und Stimmbandreinigung, ist er desorientiert, glubschäugig und erstaunlich friedfertig. Das Leuchten hingegen entsteht aus seiner lebenslangen Karriere im Atomkraftwerk. Die Drogen lassen nach, Burns droht zu seinem bösartigen Selbst zu werden, da verpasst ihm Dr. Nick eine weitere Dröhnung und alle Anwesenden, inklusive der X-Aktler, Chewbacca und Leonard Nimoy singen „Good Morning Starshine“. Entsprechend muss Nimoys jugendlicher Praktikant die Abmoderation der Rahmenhandlung vornehmen. Ende.

Es fällt durchaus auf, dass die Autoren keine Riesenfans der ‚Akte X‘ sind. Alle Verweise auf die Serie bleiben reichlich oberflächlich. Die geschriebenen Orts- und Zeitangaben (die immerhin für einen ‚Shining‘ Gag genutzt werden) und der Cigarette Smoking Man im Hintergrund einiger Szenen. Die einzige etwas tiefere Anspielung ist das Foto von Mulder in Speedo-Badehose, das er hier neben seiner Marke vorzeigt. In einer Folge der zweiten Staffel ‚Akte X‘ sehen wir Mulder länger in Badehose. Und gerade in den 90er war es wohl noch auffällig genug, dass man den männlichen Hauptdarsteller spärlich bekleidet zeigt und nicht die Hauptdarstellerin, dass das eine Parodie wert war. Wobei die Idee, dass Mulder so ein Foto neben seiner Marke mit sich rumträgt sehr, sehr lustig ist! Nicht zuletzt, weil es wohl Duchovny war, der die Badehosen-Szene unbedingt wollte.

Aber fast alle anderen Gags beziehen sich auf ältere UFO Medien. Die Nimoy Moderation, deren Herkunft ich heute zum ersten Mal nachgeschaut habe, etwa. Ansonsten werden ‚E.T.‘‚Unheimliche Begegnung der dritten Art‘, ‚Der Tag an dem die Erde stillstand‘, ‚Plan 9 aus dem Weltall‘ oder die FOX Alien Autopsie erwähnt. Und Milhouse spielt an einem ‚Waterworld‘ Arcade Automaten, der sich als wahres Groschengrab erweist. Wobei das nix mit UFOs zu tun hat.

Aber die wirklich guten Gags liegen ohnehin zumeist abseits der Anspielungen. Wiggums „unsichtbare Schreibmaschine“ zum Beispiel. Oder Moes Killerwal Schmuggel. Oder die Geheimzutat von Red Tick Beer. Oder Homer, der so doof ist, dass er Scullys Lügendetektor mit nur einer Antwort in die Luft jagt.

Durch die reine ‚Akte X‘ Brille betrachtet ist die Folge ein wenig enttäuschend. Hinterlässt einem mit dem Gefühl, dass man aus dem Auftritt der Figuren mehr hätte machen können. Ich hätte gerne Burns mit dem Cigarette Smoking Man interagieren sehen, denn natürlich wäre der in die große Verschwörung verwickelt. Oder Anspielungen auf die Springfield-internen Verschwörungen (die genaue Lage der Stadt, trägt Krusty Makeup, oder nicht?, wo ist Herb Simpsons Baby Übersetzer?, wer hat Mr. Burns WIRKLICH angeschossen?, Hans Sprungfeld, Armin Tamzarian taucht ja erste ne Staffel später auf). Der Eindruck bleibt aber nicht lange bestehen, denn es ist einfach eine sehr gute Simpsons Folge. Damit steht sie, zugegeben, nicht allein da. Das gilt für quasi alle Folgen der Staffeln 3 bis 8. Und viele davor und einige danach.

Ich weiß übrigens noch nicht, ob dieses „Sonderarchiv“ einmalig bleibt. Sollte mir noch mehr berichtenswertes Akte X Material der Zeit über den Weg laufen, werde ich sicher weitere Einträge erwägen. Ich hätte z.B. durchaus Interesse an dem damaligen FMV Spiel. Weil ich für diese Art Spiel mehr Sympathie habe, als die meisten Leute. Aber das gibt es weder bei Steam noch gog.com. Und ich mag mir den Alptraum selbst zu versuchen das auf einem modernen System zum Laufen zu bringen gar nicht vorstellen. Falls Ihr Euch an das Auftauchen der X-Aktler an ungewöhnlicher (aber heute möglichst ohne die Spende einer Niere erschwinglicher) Stelle erinnert, schreibt es gern in die Kommentare.

Archivarbeit: ‚Akte X‘ Staffel 3 Rückblick

Nach diesmal etwas kürzerer, aber immer noch erstaunlich langer Zeit, geht es hier weiter mit meinem Projekt, das „Vancouver Material“ von ‚Akte X‘, also die ersten fünf Staffeln und den ersten Film zu schauen und hier kurz meine Erfahrungen zu berichten. Nun bin ich mit der dritten Staffel durch. Es folgt mein kurzer Überblick und meine 3 Top- und Flop-Folgen.

Staffel 3 macht eines sehr deutlich. Die Serie hat sich eingegroovt. Die dritte Staffel ist von erstaunlich gleichbleibender und erfreulich hoher Qualität. Das hat mir anfangs etwas Sorge bereitet, waren es doch gerade die experimentelleren Folgen, die bei mir in den ersten Staffeln hoch im Kurs standen. Die gibt es aber zum Glück immer noch. Gerade Autor Darin Morgan bekommt hier viele Möglichkeiten und ich musste mich sehr bemühen nicht einfach seine drei Folgen in meine Top 3 aufzunehmen (2 sind es aber doch geworden).

Aber nicht nur wird die grundsätzliche Struktur hier zementiert, es gibt auch gewisse, vorsichtige Veränderungen. Nach allem was Scully erlebt hat, wird ihre Rolle als ewige Skeptikerin langsam aber sicher unglaubwürdig. Das löst die Serie auf eine erstaunlich clevere Weise, indem die im Hintergrund wirkenden Mächte eine andere Verschwörung als die Aliens vorschieben. Und dabei berührt die Serie auf intelligente Art und Weise eine realweltliche Verschwörung. Es gibt nämlich direkte Erwähnungen der „Operation Paper Clip“, mit der Nazi-Wissenschaftler (und hier auch Wissenschaftler der berüchtigten Einheit 731 der japanischen Armee) von der US Armee geschützt und schließlich in die USA verbracht wurden. In der Serie nun, so wird zumindest Scully vorgemacht, forschen die an biologischen Kampfstoffen und testen sie an unwilligen Opfern. Die Serie war vermutlich noch nie so finster, wie in der Folge ‚731‘/‚Der Zug‘, in der wir eine Massenhinrichtung der Opfer der Forscher (eigentlich wohl Mensch-Alien-Hybriden) durch eine Todesschwadron des US-Militärs sehen.

Gleichzeitig verschiebt die Serie den Fokus der Beziehung der beiden Hauptdarsteller weg von der Idee der Skeptikerin und des Allgläubigen, hin zur Idee der Pragmatikerin und des Besessenen. Mulder ist ebenso wenig bereit Dinge zu glauben, die außerhalb seines Weltbildes liegen, wie Scully. In einer Folge ‚Revelations‘/‚Offenbahrung‘ sehen wir sogar eine direkte Umkehr des üblichen Verhältnisses, wo die Katholikin Scully bereit ist zu glauben und Mulder annähernd zynisch. Ich weiß, während der ersten Ausstrahlung  waren viele tief interessiert an möglichen romantischen Beziehungen zwischen Scully und Mulder. Ich würde es mal so ausdrücken: Bei all dem, wo sie bereit ist ihm zu folgen, muss Scully schon verdammt viel für Mulder empfinden. Aber immer wenn die Serie versucht tiefer darauf einzugehen, wird Scully plötzlich zur eifersüchtigen Schreckschraube, was nie funktioniert und des Charakters ehrlich gesagt nicht würdig ist. Von daher hoffe ich fast, dass das weniger thematisiert wird…

Was mich zur Erzählweise der Serie bringt, die eindeutig nicht modern ist. Wenig überraschend bei einer 25 Jahre alten Serie. Was ich meine ist, dass heute natürlich nicht nur Scully und Mulder Hauptcharaktere wären, auch Walther Skinner, X, Krycek, der Cigarette Smoking Man und andere wiederkehrende Charaktere hätten vermutlich in jeder Folge ihre Momente. Die Alien-Verschwörung würde sich auch durch die „Monster oft he Week“ Folgen ziehen. Hier in Staffel 3 gibt es erstmals Anzeichen zumindest einer Erweiterung der „erzählwürdigen“ Charaktere, wenn Skinner eine „eigene“ Episode bekommt (Scully und Mulder sind natürlich immer noch die Stars). Aber in dieser einen Episode erfahren wir mehr über den Mann als das heute wohl in einer ganzen Staffel der Fall wäre. Serielle Erzählweise hat sich vollständig verändert, aber ob das immer zum besseren ist, da bin ich mir nicht mehr so sicher.

Skinner jedenfalls darf jetzt auch eine coole Sau sein, wird, zumindest teilweise, zum Verbündeten der der X-Aktler und muss dafür meterweise Dreck fressen. Wird im Lauf der Staffel in den Bauch geschossen, mehrfach vermöbelt und fälschlich des Mordes bezichtigt. Aber immerhin, seine Ehe kann er retten. Der Cigarette Smoking Man ist in der größeren Verschwörung bloß ein kleines Licht, den keiner wirklich leiden kann. X ist einerseits ein verzweifelter Feigling, anderseits ebenfalls eine ziemlich coole Socke. Ich würde aber darauf wetten, dass er es nicht mehr lang macht. Der kleine Mistkerl Krycek erfährt hier möglicherweise ein arg finsteres Schicksal, aufgrund des, reichlich plötzlich in die Mythologie eingeführten Öl-Virus(?). Überhaupt die Mythologie. Gegen Ende dieser Staffel kann man langsam ein Wanken ausmachen. Bemerkt, dass die Mythologiefolgen eher auf Überraschungen setzen, als auf durchdachte Narration. Der Cigarette Smoking Man kennt Mulders Mama! Und mir graut jetzt schon vor einem „I AM your father Fox!“ (paff paff) Moment. Doch für den Moment steht das alles erzählerisch noch auf recht sicheren Füßen. Und die Fähigkeit der Autoren megafiese Staffel-Cliffhanger zu schreiben, bleibt ungebrochen.

Kommen wir zu meinen Flop 3 der Staffel. Das war diesmal gar nicht so leicht. Denn es gab nur eine Folge, die ich richtig schlecht fand. Allen anderen konnte ich wenigstens positive Aspekte abgewinnen.

3. ‚Revelations‘/‚Offenbahrung‘

Das ist die Folge, die ich oben erwähnt habe, in der Scully glaubt und Mulder nicht. Diese ungewöhnliche Idee ist denn aber auch das Beste an der Folge, denn die Umsetzung hakt gewaltig. Ein Mörder geht um, der Leute erwürgt, die Stigmata, also die Wunden Jesu‘ aufweisen (oder das auch nur vorgeben). Der 12jährige Kevin zeigt diese Male auch, aber Scully und Mulder können ihn vor dem Mörder erreichen. Der erste Verdächtige (Michael Berryman – von Mulder als „Homer Simpsons böser Zwilling“ beschrieben…) stellt sich ebenfalls als Beschützer heraus. Dann taucht der echte Mörder (Kenneth Welsh) auf und Kevin erweist sich als christlicher Heiliger? Okay, ich frage jetzt gar nicht erst, wie sich der christliche Gott wohl in die Mythologie der Serie einfügt, Satan ist schließlich auch schon da. Aber wenn man schon einen Heiligen in der Serie hat, wär es nett gewesen, ihm irgendeine Persönlichkeit zu verleihen. Selbst auf den Tod seiner Mutter reagiert Kevin mit reichlich Desinteresse. Und so ähnlich reagiere ich auf diese Folge.

2. ‚Energie‘/‚Syzygy‘

Chris Carter hat gesehen, was Darin Morgan in der Serie mit Humor anstellen kann und wollte offenbar beweisen, dass er das auch kann. Kann er nicht, stellt sich raus. Jedenfalls hier nicht. Zwei Teenie-Mädels bekommen durch eine besondere Sternenkonstellation vage definierte, telekinetische Fähigkeiten und, weil sie eben Teenies sind, richten sie damit reichlich Schaden in ihrer Kleinstadt an. Die Bevölkerung, angeführt vom Schulrektor, glaubt hinter dem Chaos Satanisten ausgemacht zu haben. Scully schmollt, weil Mulder die örtliche Polizistin anschmachtet und sich ein Horoskop erstellen lässt. Die Folge deutet in jedem Moment an „hier darf jetzt gelacht werden“, während Morgans Humor immer organisch aus dem absurden Setting der Serie selbst entsteht. Auch schien Carter hier nicht wirklich bemüht was Neues zu schaffen. Teenager mit gefährlichen Superkräften hatten wir in dieser Staffel bereits in ‚Blitzschlag‘/‚D.P.O.‘ und humorige Kleinstadt-Satanisten-Panik in der grandiosen ‚Die Hand, die verletzt‘ Folge aus Staffel 2. Und überhaupt, hat Her Carter schon mal Teenager reden hören? Seine beiden Mädels hier wirken mehr wie Aliens als seine Aliens. Aber die finale Szene in der Polizeiwache, wo die Antagonistinnen sämtliche Waffen auslösen, zwischengeschnitten mit Szenen aus einem Stummfilm ist brillant!   

1. ‚Der Fluch‘/‚Teso dos Bichos‘

Hand hoch, wer ein ganz ähnliches Setup schon ein gutes Dutzend Mal gesehen hat: eine archäologische Ausgrabung in Ecuador bringt die Urne einer mächtigen Schamanin zum Vorschein. Die örtliche Bevölkerung bittet, deren Ruhe nicht zu stören, aber die arroganten Wissenschaftler hören natürlich nicht auf sie. Prompt wurde hier direkt ein mächtiger Jaguar-Geist freigesetzt und in Boston, wo die Urne im Museum landet, werden grausig zugerichtete Leichen gefunden. Wie geht er vor der Jaguar-Geist? Manifestiert er sich, als ein gruseliger, geisterhafter Jaguar? Haben wir es gar mit einem Werjaguar Fluch zu tun? Verdächtige dafür gäbe es. Irgendwas muss die Folge schließlich liefern, um aus der absoluten Klischee-Ausgangshandlung was Cooles zu machen. Und, immerhin, die Antwort überrascht tatsächlich. Wenn auch nicht im guten Sinne. Die Morde werden begangen von… Katzen. Jepp, kleinen Miau-Hauskatzen. Die sich in der Kanalisation verbergen, denn wenn Katzen eines lieben, dann ist es schließlich fließendes Abwasser. In 24 Folgen muss wohl immer mindestens ein echter Aussetzer dabei sein und dies war eine grausig langweilige Folge. Die Macher haben versucht die Ödnis mit einigen Gore-Effekten, etwa einem im Baum hängenden Stück Dickdarm, interessanter zu machen, aber spätestens wenn die felinen Verbrecher am Ende überführt werden, wirkt auch das nur noch albern. Es gibt eine coole Szene, in der auf einer öffentlichen Toilette aus allen Schüsseln hunderte von Ratten quellen (die vor den Katzen flüchten, nehm ich mal an). Das ist verstörend eklig und der einzig interessante Moment dieser Folge. Katzeklo, wenn man so will.

So, genug der Negativität, jetzt kommen wir zu meinen Top 3. Die waren auch nicht leicht, eben weil es so viele gute Folgen gibt.

3. ‚Andere Wahrheiten‘/‚Jose Chung’s „From Outer Space“‘

Die Wahrheit, aufmerksame Akte X Zuschauer wissen es längst, ist da draußen. Aber was ist das eigentlich, die Wahrheit? Und wie kann man sie „da draußen“, oder sonst irgendwo finden? Darin Morgan klebt hier humoristischen Plastiksprengstoff direkt an die Fundamente der Serie. Lässt unzuverlässige Erzähler die Geschichten anderer unzuverlässiger Erzähler unzuverlässig erzählen. Und so bekommen wir ein Cigarette Smoking Alien, Aliens, die von einem Harryhausen Stop-Motion Monster (namens Lord Kibote) verfolgt werden, eine Alien Autopsie, die ein Spinner auf Video veröffentlicht hat, und die auch noch echt ist! Zu Scullys Frustration aber nicht den entscheidenden Teil zeigt, als sich das Alien als Kostüm herausstellt, in dem ein Air Force Pilot steckte. Scully ist es auch, die von Autor Jose Chung (Charles Nelson Reilly) für ein Buch über UFO-Phänomene interviewt wird. Mulder weigert sich mit ihm zu sprechen, da er sich sicher ist, dass Chung ihn negativ darstellen würde. Chung beschreibt ihn später als „eine tickende Zeitbombe des Wahnsinns“, dessen einziges Vergnügen es sei Bigfoot Videos zu schauen. Ja, das hier ist eine ebenso wilde, wie teilweise bösartige Selbstparodie, ja, beinahe schon eine Sabotage des eigenen Konzepts. Das sollte nicht funktionieren, die eigene Absurdität mit breitem Grinsen schamlos vorzuführen. Ja, scheint die Folge zu rufen, wir wissen wie doof das hier eigentlich alles ist. Aber am Ende ist es doch ein irgendwo liebevoller Blick. Morgan reißt das Kartenhaus nicht ein, aber er simuliert heftige Windstöße. Das wird eine dieser Folgen, die mir immer im Gedächtnis bleiben wird.  

2. ‚Mein Wille sei Dein Wille‘/‚Pusher‘

Wer sehen möchte wie sehr Staffel 3 das Konzept des „Monster of the Week“ perfektioniert hat, der schaue sich Pusher an. Die Geschichte eines Mannes (Robert Wisden), der aufgrund eines Hirntumors anderen seinen Willen aufzwingen kann. Der mit einem Zettel mit dem Wort „Pass“ drauf am Revers ins Hauptquartier des FBI marschieren kann. Der seine Fähigkeiten nutzt, um als Auftragsmörder zu arbeiten. Es entspinnt sich ein absolut gelungenes Katz und Maus Spiel zwischen den Agenten und dem „Pusher“ (bei dem Skinner eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht bekommt, hab ich erwähnt, wie viel Dreck der diese Staffel frisst?), das in einem der spannendsten Finale der Serie endet. Und, zumindest nach Eigenauskunft der Serie, der ersten Darstellung eines „russisch Roulette“ Spiels im US Fernsehen. Das nämlich der sterbende Pusher dem hilflosen Mulder aufzwingt. Wenn mein Platz 3 eine der ungewöhnlichsten Folgen überhaupt war, ist dies das Beispiel einer der besten „gewöhnlichen“ Folgen.  

1. ‚Der Seher‘/‚Clyde Bruckmans Final Repose‘

Was würde die Fähigkeit Hellsehen zu können mit dem eigenen Leben machen. Würde sie die Idee des freien Willens endgültig zunichtemachen? Clyde Bruckman (Peter Boyle) kann Hellsehen. Aber er kann nur eines sehen: wie Menschen sterben werden. Man sollte meinen, das wäre nützlich in seinem Beruf als Verkäufer von Lebensversicherungen. Ist es aber nicht wirklich. Denn wer denkt schon gern über den eigenen Tod, erst recht erschreckend präzise vorausgesagt, nach? Und so ist Bruckman eher genervt von seiner eigenen Fähigkeit, wenn nicht sogar deprimiert. Und doch muss er sie anwenden, als ein Serienmörder umgeht und Bruckmans Weg den der Agenten Mulder und Scully kreuzt. Der in sich gekehrte wahre Hellseher Bruckman wird hier kontrastiert mit „the stupendous Yappi“, einem Uri Geller-esken überzogen chargierendem Aufschneider, mit einigem Gusto gespielt von David Duchovnys Stand-In (Jaap Broeker). Aber Herz, Seele und größte Stärke der Folge ist Peter Boyle als Bruckman. Frisch von einem Schlaganfall erholt, gibt Boyle hier eine meisterhafte Darstellung, die völlig verdient mit einem Emmy ausgezeichnet wurde. Er ist hier eine derart titanische Präsenz, dass er selbst Anderson und Duchovny blass wirken lässt. Aber Autor Morgan ist eh kein großer Fan des Charakters Mulder. Das wird in all seinen Folgen deutlich. Und so ist es zwischen Scully und Bruckman, Scully, die in ihm eben nicht nur einen Hellseher, ein Phänomen, sondern einen Menschen sieht, wo sich eine der interessanteren Beziehungen der Serie entspinnt. Es ist bittersüß, was Morgan hier auftischt, mit einigem Humor, aber auch der Finsternis des Todes. Oh, und Scully erbt einen Spitz namens „Queequeg“. Queequeg wird das Ende der Staffel nicht erleben… Armer Queequeg!

Und nun zu meiner neuen Kategorie „überraschende Gastauftritte“. Hier erwähne ich überraschende Gastauftritte (…ach?).

Giovanni Ribisi und Jack Black. Ribisi mordet mit der Macht vom Blitzschlag und Black ist sein todgeweihter Kumpel.

Ken Foree und Bokeem Woodbine als Insassen eines Todestraktes, in dem ein frisch Hingerichteter scheinbar rachsüchtig zurückgekehrt ist.

Jewel Staite in einer undankbaren Rolle als entführte Teenagerin.

Ryan Reynolds als Jock mit kurzer Lebenserwartung.

Kurtwood Smith als ehemaliger Mentor von Mulder.

Lucy Liu, B.D. Wong und – natürlich – James Hong in einer Folge, die in San Franciscos Chinatown spielt.

Das war’s. Wir sehen uns, nach bisherigen Erfahrungen, in etwa sechs Monaten wieder.

Archivarbeit: ‚Akte X‘ Staffel 2 Rückblick

Nach gut sieben Monaten geht es weiter mit meinem Projekt, das Vancouver Material von ‚Akte X‘, also die ersten fünf Staffeln und den ersten Film, zu schauen und hier kurz zu besprechen. Aber ich habe das Projekt in weiser Voraussicht ja als „unregelmäßig“ angekündigt. Erneut gebe ich meinen Eindruck von der Staffel als Ganzem und stelle meine drei liebsten und drei schlechtesten Folgen vor.

Obwohl am Ende von Staffel 1 nicht nur Mulders Informant „Deep Throat“ ermordet wurde, sondern auch die X-Akten als solche geschlossen und unsere zwei Lieblingsagenten versetzt wurden, geht es dort weiter wo wir aufgehört haben. Mulder folgt Hinweisen auf Aliens nach Puerto Rico. Hier können wir endlich erkennen, wo die Grenzen von Vancouver als Stand-In für andere Settings liegen, ein paar Palmen vor dem Nadelwald machen gewiss kein Puerto Rico. Ein seltsamer Mutant entkommt einem russischen Frachter, in einer Kleinstadt fordern elektronische Geräte ihre Benutzer zum Mord auf. Ja, Mulder bekommt sogar einen neuen Informanten, in Gestalt von ‚X‘ (Steven Williams), der allerdings kaum ein Geheimnis daraus macht, dass er Mulder nicht ausstehen kann und ihm sicher nicht aus uneigennützigen Gründen hilft.

Doch etwas ist seltsam. Wir sehen früh in der Staffel nur sehr selten Scully und wenn, dann in Nahaufnahmen, oder seltsam geblockten Szenen, oder von hinten. Gillian Anderson war schwanger. FOX wollte die Rolle neu besetzen, doch Serienschöpfer Chris Carter lehnte das strikt ab und arbeitete drumherum. Dennoch musste sie natürlich irgendwann ihr Kind gebären und kurzzeitig in Mutterschaftsurlaub gehen. Und so wurde Scully von Ex-FBI Mann Duane Barry (Steve Railsback) entführt, der überzeugt ist, bereits einmal von Aliens entführt worden zu sein und ihnen diesmal Scully als Ersatz anzubieten. Scheinbar hat er Erfolg damit. Denn Scully ist weg. Die Serie führt gar Agent Krycek (Nicholas Lea) als neuen Partner für Mulder ein, der dessen Theorien deutlich offener gegenüber steht. Doch dann taucht Scully plötzlich wieder auf, wenn auch komatös. Und die Serie löst direkt eines meiner Probleme mit Staffel 1, dass alles allzu seriell und am Ende einer Folge wieder vergessen ist. Dies sind traumatische  Erlebnisse, die Scully durch den Rest der Staffel (und vermutlich darüber hinaus) verfolgen. Und einfach ziemlich gutes Fernsehen. Auch wenn Krycek für mich allzu schnell als Handlanger des finsteren Cigarette Smoking Man entlarvt wird. Diese Getriebenheit durch äußere Umstände jedenfalls, scheint etwas, das in der Produktion von ‚Akte X‘ immer wieder auftaucht und was wohl später dafür sorgt, dass die „Mythologie“ der Serie ein verwaschenes, widersprüchliches Geflecht wird. Im Moment aber muss ich sagen, in Staffel 2, ist die Mythologie noch ganz großartig.

Wir haben Aliens, die in der (häufig kopierten) Gestalt von Entführungsopfern, darunter Mulders Schwester, irgendwelche Versuche oder Vorbereitungen vornehmen. Wir haben Kopfgeldjäger, die sie verfolgen. Wir haben eine schattenhafte Abmachung, nicht nur der US Regierung, sondern anscheinend weltweit, dass man die Handlungen der Aliens geheim hält und schützt. All das führt zu meiner absoluten Lieblingsszene. FBI Mann und Chef von Scully und Mulder, Skinner (Mitch Pileggi) und Informant X prügeln sich im Fahrstuhl. Zwei mittvierziger Büromenschen geben sich gegenseitig kräftig auf die Mütze, das ist eine ebenso komische wie dramatische Szene.

Apropos ebenso komisch wie dramatisch. In dieser Staffel merkt ‚Akte X‘, dass man in ihrem Format so ziemlich jede Geschichte erzählen kann, solange es nur gut gemacht ist. Und obwohl ich die Mythologie Folgen mag, sind es doch die „Monster Of The Week“, die die Serie ausmachen. ‚Der Parasit‘ ist eine wunderbar groteske Folge, um einen riesigen, mutierten Saugwurm, ‚Der Zirkus‘ eine wilde Mischung aus Todd Brownings ‚Freaks‘ und Hennenlotters ‚Basket Case‘, die letztlich einen erklärend-wohlwollenden Blick auf „Freaks“ wirft und im zweitwitzigsten Moment der Staffel endet. In ‚F. emasculata‘/‚Verseucht‘ sehen wir den möglichen Ausbruch einer Pandemie, der sich natürlich aktueller denn je anfühlt. Vor allem aber lernen wir, oder vor allem Mulder, dass es keine Aliens braucht, damit das FBI finsterste Dinge vertuscht. Ein einflussreicher Pharmakonzern reicht da völlig aus.

Aber bevor ich jetzt allzu genau in einzelne Folgen einsteige, kommen wir direkt zu den Flop 3 der Staffel.

3. ‚Firewalker‘/‘Der Vulkan‘

Hey Du! Ja, Du! Erinnerst Du Dich noch an ‚Eis‘, eine der besten Folgen der ersten Staffel? In der Scully Mulder und einige Forscher abgeschnitten in einer eisigen Forschungsstation eine zutiefst paranoide Zeit durchleben? Hier ist das Ganze noch einmal, aber jetzt in einem Vulkan! Ja, man hat offensichtlich gemerkt, wie gut ‚Eis‘ ankam und sich bemüht, den Effekt zu wiederholen. Ich könnte fast dasselbe über die Folge ‚Totenstille‘ schreiben, wo Scully und Mulder mit ein paar anderen auf einem Schiffswrack festsitzen und alle plötzlich rapide zu altern beginnen. Beide funktionieren nicht. Nicht zuletzt, weil das Vorbild so klar zu erkennen und noch so gut im Gedächtnis ist. Ich hoffe die beiden bleiben unrühmliche Ausnahmen.

2. ‚Excelsis Dei‘

Wenn wir in der Serie etwas über Mulder lernen, dann, dass der Mann erst einmal alles glaubt. Mutierter Saugwurm? Klar glaubt er das. Aliens? Er ist felsenfest überzeugt! Der Präsident der USA ist in Wahrheit drei 7Jährige, die auf ihren Schultern übereinander stehen? Ich bin sicher, er würd’s glauben. Also, was nimmt die Serie, um ihn zum ersten Mal skeptisch werden zu lassen? Was löst verdächtige Nachfragen aus? Eine Altenpflegerin, die von einer unsichtbaren Entität vergewaltigt wurde. Hier ist Mulder sicher, dass sie nur ihren Job hasst und alles täte, um da rauszukommen. Und das ist… ein wenig eklig. Und nicht damit wegzudiskutieren, dass es halt die 90er waren. Es ist eine Entscheidung der Autoren ausgerechnet eine Vergewaltigung zum Objekt des Zweifelns für Mulder zu machen. Ein fieser Fehltritt, der den Charakter ein wenig beschädigt. Und dann dreht sich der Rest der Folge nicht mal um dieses Erlebnis. Und ist nicht spannend genug, um von dieser unangenehmen Eröffnung abzulenken.

1. ‚3‘/‚Drei‘

Wie oben beschrieben, dienten die Folgen nach Scullys Verschwinden dazu, zu zeigen, wie sehr sich beide Protagonisten brauchen. ‚Drei‘ hingegen zeigt, dass Mulder allein völlig verloren ist. Er ermittelt in der „Vampirszene“ von L.A.. Leute, die den Lifestyle von fiktionalen Vampiren imitieren. Irgendwo zwischen Fetischklub und „Vampire: The Masquerade“ LARP. Dabei verliebt er sich in eine Frau namens Kristen (Perrey Reeves). Das behauptet jedenfalls das Skript. Chemie zwischen den beiden sucht man absolut vergebens. Das mag auch damit zu tun haben, dass sie und alle anderen Darsteller hier Dialoge aufsagen müssen, die 14Jährigen in ihrer Anne Rice Fan Fiction allzu peinlich gewesen wäre. Was ein aufregender Erotikthriller sein will (im US-amerikanischen Primetime Fernsehen eh recht schwierig), verkommt so zur unfreiwilligen und auch noch völlig humorfreien Parodie auf die Serie selbst. Hier ist Duchovny tatsächlich mal so hölzern, dass er einem Vampir wohl nur seinen Kopf in die Brust rammen müsste.

Aber diese schlechten Folgen sind zum Glück sehr wenige. Ich hatte hingegen weit größere Schwierigkeiten, mich auf drei beste Folgen zu beschränken.

3. ‚One Breath‘/‚An der Grenze‘

Die nach ihrer Entführung durch Duane Barry verschwundene Dana Scully, taucht komatös in einem Krankenhaus auf, in ihren Zellen nun offenbar funktionslose Reste unbekannt komplexer DNA. Ihre Blutproben verschwinden, X fordert Mulder auf sich rauszuhalten und Dana sterben zu lassen und natürlich hat auch der „Cigarette Smoking Man“ seine Nikotin-befleckten Finger im Spiel. All das immer wieder unterbrochen von Scullys komatösen Visionen. Vermutlich die entscheidende Folge, was die Charakterentwicklung der Hauptfiguren in dieser Staffel betrifft. Sogar der olle Cigarette Smoking Man bekommt einen Hauch von Kontur, wenn Mulder in dessen wahrlich traurige Wohnung eindringt. Eine der besten Folgen der Serie und ein klarer Beleg dafür, dass die Mythologie Folgen hier absolut noch das Skelett sind, welches das Fleisch der Monster of the Week Folgen trägt. Als eigenstehende Folge allerdings quasi unverständlich, womit ‚Akte X‘ doch deutlich serieller ist, als ich der Reihe normalerweise zuschreibe.

2. ‚Die Hand, die verletzt‘/‚Satan‘

Die Lehrerschaft einer scheinbar erzkonservativen Privatschule ist in Wahrheit ein satanischer Kult. Blöd für sie, dass Scully und Mulder in Folge eines Ritualmordes in der Gegend auftauchen und anfangen unangenehme Fragen zu stellen. Wobei sich alsbald herausstellt, dass die FBI Agenten womöglich ihr geringstes Problem sind, denn sie nehmen die Lehren ihres höllischen Herrn nicht mehr so richtig ernst, verstehen sie eher als Vorschläge, denn als Regeln. Das mag der gar nicht und so taucht eine unscheinbare Aushilfslehrerin auf und hilft den FBI Agenten unauffällig bei der Zerschlagung des Kults. Eine Zerschlagung, die nicht viele überleben, natürlich. War jene Lehrerin etwa der Höllenfürst höchstpersönlich? Nun, wer auch immer es war, bedankt sich artig schriftlich bei den beiden Agenten und freut sich auf zukünftige Zusammenarbeit. Diese Folge ist der Moment, wo die Serie sich für ihre Monster of the Week Folgen endgültig „anything goes“ auf die Fahnen schreibt. Und das ist ganz prima so, denn das Format der Serie unterstützt auch solch wilde Erzählungen problemlos.

1. ‚Anasazi‘/‚Anasazi Teil 1‘

Mulder erhält von einem Hacker codierte Informationen bezüglich extraterrestrischen Lebens, die der dem FBI gestohlen hat. Mulder zeigt eine plötzliche aggressive Neigung, attackiert gar seinen Chef Skinner physisch (und anders als bei X haut der nicht zurück) und fliegt so nicht nur in hohem Bogen raus, sondern wird zur gesuchten Person. Als dann auch noch sein Vater ermordet wird, als der gerade über sein Wissen bezüglich der FBI/Alien Verwicklungen auspacken will (von niemand anderem als Krycek!) verliert Mulder vollends die Kontrolle. Und so fällt die eigentliche Recherche mal wieder Scully zu, die die Kodierung als Navajo Sprache erkennt und Kontakte zum Reservat herstellt. Dort finden beide nicht nur „Code Talker“, sondern Mulder auch einen vergrabenen Eisenbahnwagen voll mit Mumien Alien-artiger Wesen. Das ist genug, dass es dem Cigarette Smoking Man offenbar endgültig reicht und er Mulder mittels schwerbewaffneter Handlanger den garausmachen will, vor allem jetzt, wo der keine Deckung mehr durch das FBI mehr hat. So geht ein Cliffhanger! Hätte ich nach dieser Folge monatelang auf eine Fortsetzung warten müssen… ich mag es mir gar nicht vorstellen. Die Mythologie zeigt sich in absoluter Hochform und man bekommt eine Ahnung, warum Chris Carter plante, die Serie nach Staffel 5 nur noch in Filmen weiterzuführen. Die Story scheint so groß, dass sie an allen Rändern am absolut Äußersten dessen ist, was Fernsehen Mitte der 90er leisten konnte. Mann, freu ich mich jetzt auf Staffel 3! Und in vermutlich ca. einem halben Jahr teile ich hier mit Euch, ob sich die Vorfreude als richtig herausgestellt hat.

‚Ghostbusters‘-Geschichte Teil 4: „Anybody seen a ghost?“

Fortsetzung zu Teil 3

„Actionfigur“. Ein Begriff, den die Spielzeugfirma Hasbro Mitte 60er erfand, als der Absatz ihrer „G.I. Joe“ Figuren eher schleppend lief. Diese erinnerten von der Größe und den austauschbaren Klamotten her frappierend an „Barbie“-artige Puppen. Und da Jungen natürlich niemals nicht mit Puppen spielen würden (bzw. ihre Eltern Probleme damit hätten), musste ein neuer Marketingbegriff her. Tatsächlich bleiben Actionfiguren für die nächsten 10 Jahre auch genau in diesem Schema. Groß, mit austauschbaren Kleidern. Meist waren die Reihen eigene Erfindungen der Hersteller, gelegentlich gab es Lizenzen. ‚Star Trek‘ etwa, oder den einen oder anderen Marvel Helden. Das änderte sich grundlegend, als 1977 ein junger Regisseur mit der Spielfigurenlizenz für seinen neuen SciFi Film hausieren ging. Bei den Industriegrößen Hasbro und Barbie-Hersteller Mattel wies man ihm freundlich aber bestimmt die Tür. Letztendlich stieg ihr deutlich kleinerer Konkurrent Kenner ins Geschäft ein und erwarb quasi eine Lizenz zum Gelddrucken. Denn der Regisseur war, natürlich, George Lucas und der Film ‚Star Wars‘. Kenner schrumpfte die Figuren deutlich ein und modellierte die Kleidung direkt aus Plastik. Damit schufen sie die neue typische Form der Actionfigur. Auch war hiermit die perfekte neue Absatzform für Actionfiguren gefunden: als Merchandise zum neuesten Blockbuster.

Daher fiel schon auf, dass es zu einem so Actionfigur-tauglichen Film wie ‚Ghostbusters‘ (gebt es zu, Ihr hattet kurz Sorge, ich hätte den falschen Text hier reinkopiert) eben keine Actionfiguren gab. Es gab typisches Merchandise, T-Shirts, Schulhefte mit dem Logo drauf usw.. Videospiele, die größtenteils Winston mal wieder außen vorließen. Aber wo waren die coolen Figuren? Nun, man wollte es bei Columbia eben ganz richtig machen. Und im Actionfigurenmarkt hatte es Anfang der 80er gleich noch eine Revolution gegeben. Mattel wollte die Blamage ‚Star Wars‘ abgelehnt zu haben nicht auf sich sitzen lassen und man sagte sich, warum nicht versuchen ein eigenes Franchise zu etablieren? Mit ihren „Masters of the Universe“ traten sich auch vom Namen her in direkte Konkurrenz zum Sternenkrieg. Jeder muskelbepackten Figur lag hier ein Comic bei, in dessen Geschichte das Kind weitere Figuren entdecken konnte, um die es Mutti und Vati dringend anhauen musste. Dazu gab es auch eine Fernsehzeichentrickserie, die ebenfalls quasi als halbstündige Werbesendung für die Figuren verstanden werden konnte. Und der Erfolg war immens.

Columbia wollte nun das Beste beider Welten. Sie hatten einen Hitfilm, dessen Titel einem auch noch quasi täglich aus den Musikcharts im Radio zugerufen wurde, doch sie wollten auch eine Zeichentrickserie, die ein anhaltendes Interesse an Figuren und dem Franchise an sich bedeuten würde. Da wurde man natürlich bei Filmation hellhörig. Ihr erinnert Euch an Filmation? Die hatten den Namen ‚Ghostbusters‘ an Columbia lizensiert und sollten noch 1% Gewinnbeteiligung dafür bekommen. Und sie waren diejenigen, die den ‚Masters of the Universe‘ Cartoon produzierten. Naja und wo man doch schon eine Geschäftsbeziehung zu Columbia hatte, war doch klar dass sie auch deren Zeichentrick produzieren würden. Nun, hier erlebten Filmation schmerzhaft wie es ist, ein kleiner Fisch in Hollywood zu sein. Sie erfuhren nicht nur, dass man für die Serie mit ihren argen Konkurrenten, der Animationsfirma DiC, arbeiten würde, nein, Columbias Buchhalter hatten auch mal ordentlich nachgerechnet und – leider – feststellen müssen, dass die erfolgreichste Komödie der 80er keinen Cent Gewinn gemacht hat. Daher konnte Filmation die 1% Gewinnbeteiligung natürlich auch vergessen. Keine Fragen bitte, vielen Dank, da ist die Tür!

In der Unterhaltungsbranche kann man immer wieder einmal sehen, dass Rache einer der besten Motivatoren ist. So entstand etwa die Playstation, weil Nintendo Sony in einer geplanten Zusammenarbeit übergangen und öffentlich erniedrigt hatte. Und auch bei Filmation wandelte man den fraglos vorhandenen Zorn in zügige Arbeit um. Schnell wurde die alte Real-Serie ‚The Ghost Busters‘ aus den 70ern, um zwei Menschen und einen Gorilla, die Geister jagen, zur Zeichentrickserie gemacht. Die erhielt nun den Titel ‚Ghostbusters‘, ohne „The“ und das frühere Leerzeichen… ohne besonderen Grund, natürlich. Und tatsächlich, man schaffte es am 6. September 1986 ins Programm von CBS. Columbia und DiC stellten ihre Serie erst eine Woche später, am 13. September ins Programm von ABC. Sie waren gezwungen ihrer Serie den spürbar genervten Titel ‚The Real Ghostbusters‘ zu geben. Der wenden wir jetzt auch wieder unsere Aufmerksamkeit zu, aber ich liebe einfach diesen animierten Mittelfinger zur absoluten Schweinerei, die sich Columbia hier geleistet hat (also, die Idee dahinter. Die Serie selbst fand ich nicht sonderlich gut).

Wenn man den Film gesehen hat und dann die Serie schaut, fällt als erstes auf, dass die Serien-Charaktere ihren Filmpendants überhaupt nicht ähnlich sehen. Das hat zwei Gründe. Zum einen müsste man die Darsteller bezahlen, wenn man die Figuren ihnen nachempfindet. Das wollte Columbia natürlich vermeiden. Zum anderen sind drei Viertel der Geisterjäger weiße Männer, Mitte 30, mit braunen Haaren. Als Darsteller leicht auseinanderzuhalten, für Animation aber nicht ideal. So bekam Egon seine große blonde Haartolle und Ray rote Haare und ein Bäuchlein. Dazu bekamen sie Overalls in unterschiedlichen Farben. Auf die Besetzung der Sprecher will ich nicht groß eingehen, es sei nur eine Anekdote wiedergegeben, die Lorenzo Music, der originale Sprecher von Peter Venkman, erzählt. Beim Casting saß er mit Arsenio Hall, der für Winston vorsprechen wollte, im Warteraum. Da sahen sie Ernie Hudson aus dem Vorsprech-Zimmer kommen. Hall war überrascht und ein wenig sauer, warum man ihn überhaupt eingeladen habe, wenn der Mann selbst hier sei. Nun, kurz gesagt, Hudson bekam die Rolle nicht, sondern Hall. Warum? Das ist keinem so recht klar. Irgendwer bei Columbia mochte Hudson anscheinend wirklich nicht.

Als „story editor“ wurde Joe Michael Straczynski angeheuert. Straczynski startete seine Fernsehkarriere, ausgerechnet, bei Filmation. Er hatte ungefragt ein Skript für die Masters eingesandt, das Filmation sofort kaufte und ihn um weitere bat. Später wurde er als „story editor“ bei der Schwesterserie ‚She-Ra‘ angestellt. Bei den ‚Real Ghostbusters erwies sich Straczynski als Glücksgriff. Er war ein großer Fan des Films und betrachtete die Serie nicht als zynische Werbesendung, sondern wollte sie nutzen um die Charaktere und ihr Umfeld auszubauen. So erweiterten er und die anderen Autoren das Universum der ‚Ghostbusters‘, führten Familienmitglieder ein, im Film nicht erwähnte Ängste und Wünsche. Erklärten Kleinigkeiten, etwa warum die Geisterjäger neue Uniformen brauchten (Gozer-Marshmallow-Rückstände sind gefährlich!). Oder sie erzählten metatextuell, wie ein Film über die Arbeit der Ghostbusters gedreht wurde („Murray, Aykroyd, and Ramis? Is that a law firm?“). Slimer wurde zum Mitbewohner der Geisterjäger, denn jede Zeichentrickserie in den 80ern brauchte ihren nervigen Comic Relief Charakter. Straczynski mochte ihn nicht und erzählt gern scherzhaft, dass er alles getan hat, um ihn in seinen Geschichten zu quälen. Janine bekam auch mehr zu tun, durfte die Jungs mehr als einmal aus der Patsche hauen und gelegentlich selbst als Ghostbuster auftreten. Selbst gegen Cthulhu (siehe ‚Ghostbusters‘ als kosmischer Horror) traten die Geisterjäger an. Allerdings, erzählt Straczynski, hat ein übereifriger Titelkartenschreiber „Cthulhu“ als Nonsenswort identifiziert und korrigiert. So heißt die Folge ‚The Collect Call of Cathulhu‘. Miau-fhtagn.

Nach der zweiten Staffel tauchten leider ABCs Marketingexperten in Straczynskis Büro auf. Sie hätten Umfragen angestellt, die sie Straczynski allerdings nie zeigten. Aber die Ergebnisse seien klar. Viel mehr Slimer! Die ‚Ghostbusters‘ sind den Kindern wurscht! Janine ist zu zynisch und vorlaut, sie sollte mütterlicher sein! Und Winston sollte das Ecto-1 fahren und ansonsten am besten nicht auffallen… Joe Michael Straczynski verließ auf der Stelle seinen Posten. Er lieferte noch einige Skripte als freier Mitarbeiter, die sich um die Vorgaben nicht scherten. Er arbeitete danach für ‚Mord ist ihr Hobby‘ und begann mit den Plänen für sein opus magnum, ‚Babylon 5‘.

‚The Real Ghostbusters‘ wurde mit der vierten Staffel in ‚Slimer! and The Real Ghostbusters‘ umbenannt. Der grüne Geist erhielt zusätzlich zu seinen Auftritten in der Story noch eigene Comedy-Segmente. Die Qualität ließ stetig nach und 1991 war es vorbei mit der Serie.

Aber während ihrer Zeit brachte die Serie ein geradezu unüberschaubares Portfolio an Merchandise-Produkten hervor. Von Brettspielen und Comics über Frühstücksbrettchen bis zu Bettwäsche. Vor allem aber natürlich die Actionfiguren. Produziert, wieder einmal, von Kenner. Zentral waren natürlich die Geisterjäger, die schön modelliert waren, allerdings das Problem hatten, dass die Strahlen direkt an den Neutrinowerfern befestigt waren, sich nicht abnehmen ließen und recht fragil waren. Im üblichen Kinderzimmer hielten sie vermutlich etwa 3 ½ Minuten. Doch es war bei den Geistern, wo sich die Spielzeugmacher wirklich austobten. Der viel zu kleine Marshmallow Man war etwas enttäuschend, doch die meisten selbstentwickelten Geister waren mit wunderbar grotesken Funktionen ausgestattet. Mein Favorit war ein einäugiger Geist, der auf Druck sein großes Auge verschießen konnte. Und nie gehabt, aber stets gewollt, habe ich die Geistertoilette. Ich meine schaut Euch das Ding an!

Sagt mir, das sei nicht großartig und ich nenne Euch Lügner! Dazu gab es das Ecto-1 und ein Feuerwehrhaus-Spielset. Über die Jahre wurde die Serie die Serie um klassische Monster erweitert, sowie um transformierbare Geister. Genannt sei hier die wunderbare Granny Gross.

Während der zweiten Hälfte der 80er bis in die frühen 90er waren die ‚Ghostbusters‘ Franchise-technisch auf dem Höhepunkt. Warum also hat es 5 Jahre, bis 1989 gedauert bis ein zweiter Film in die Kinos kam? Versuchen wir beim nächsten Mal eine Antwort darauf zu finden.

In Teil 5 lautet die Antwort Coca-Cola!

Newslichter Extra: Sumpfdinger und Rechenfehler – wie eine Serie endet bevor sie beginnt

UPDATE 09.06.2019: die unten stehenden Informationen sind veraltet. Ein Sprecher des Staates North Carolina hat erklärt, das es keinen Rechenfehler gab, ‚Swamp Thing‘ war für 12 Millionen Dollar Zuschüsse qualifiziert (den Höchstwert) und die hat es bekommen. Staat und Produktion hätten sich im Guten getrennt. Damit ist der Grund für die plötzliche Absetzung der Serie wieder völlig offen. Mehr dazu am Mittwoch im Newslichter.

 

https://modernhorrors.com/swamp-thing-canceled-likely-due-to-failed-tax-rebate/

In diesem Newslichter Extra geht es einmal nicht um einen Film, sondern um eine Serie. Eine Serie, die quasi zu Ende war bevor sie jemals angefangen hat. Und das ohne jegliches eigenes Verschulden. Wie konnte es dazu kommen? Dafür muss ich etwas weiter ausholen.

Warner bietet seit letztem September einen eigenen Streamingdienst in den USA mit dem Namen „DC Universe“ an. Das gibt bereits einen ganz guten Eindruck davon, was man auf dem Dienst finden kann. Filme und Serien aus dem sehr umfangreichen Archiv an Fernsehserien, animiert und real und vor allem natürlich die aktuellen Filme des DC Universums. Dazu kommen exklusiv produzierte Serien, wie ‚Titans‘ oder ‚Doom Patrol‘, die außerhalb der USA bei Netflix zu sehen sind. Sicherlich ein Nischenangebot, für Superheldenfans allerdings ein attraktives.

Vermutlich wollte man diese Nische ein wenig vergrößern, als man die Serie ‚Swamp Thing‘ in Auftrag gab. Hier bewegt man sich abseits der typischen Superheldengeschichte mehr Richtung Horror. Es geht um den Biologen Alec Holland, der an einer biorestaurativen Formel gearbeitet hat, ermordet wird und mitsamt seiner Erfindung in einen Sumpf in Louisiana geworfen wird. Hier verwandelt er sich in das ‚Swamp Thing‘, einen monströsen Avatar der Natur. ‚Swamp Thing‘ war bereits 1982 in einem Film von Wes Craven zu sehen, funktioniert folglich auch ohne jede Verbindung zu Superhelden. Dazu soll die Serie auf den Geschichten von Alan Moore zu dem Charakter aus den 80er Jahren basieren, die oftmals als einige der besten Comics überhaupt bezeichnet werden. Erfolgversprechendes Material also.

Das sah man bei DC Universe offenbar ähnlich und setzte unter anderem Erfolgsregisseur James Wan (‚Aqua Man‘, ‚Conjuring‘) als Produzent auf das Projekt. Für die Pilotfolge holte man sich Len Wiseman (‚Underworld‘-Reihe) als Regisseur an Bord. Virginia Madsen (‚Candyman‘) sollte eine größere Rolle übernehmen und das Swamp Thing selbst sollte größtenteils mittels praktischer Anzugseffekte umgesetzt werden. Ein ambitioniertes Projekt also. Was konnte schon schiefgehen?

Einiges natürlich, sonst würde ich hier nicht schreiben. Dass die Produktion nicht unproblematisch ist, konnte man schon recht früh erkennen, als die erste Staffel, während laufender Produktion, von 13 plötzlich auf 10 Folgen reduziert wurde. Es herrschten Unstimmigkeiten, zwischen den Machern der Serie und den Geldgebern von Warner, die plötzlich mit der Ausrichtung auf Horror gar nicht mehr so glücklich gewesen sein sollen. Wirklich merkwürdig wurde es aber erst vor ein paar Tagen. Am 31. Mai war die erste Folge der Serie bei DC Universe zu sehen. Sie erhielt wohlwollende bis begeisterte Kritiken und schien schnell ein Publikum zu finden. Doch nur einige Tage nach der Ausstrahlung verkündete Warner die Serie sei gecancelt. Alle 10 Folgen werden zwar wohl noch veröffentlicht, aber eine zweite Staffel wird es nicht geben. Eine merkwürdige Reaktion, die mit reinen kreativen Differenzen vermutlich nur schwer zu erklären ist.

Tatsächlich scheint der Grund für das Aus in einem üblen Rechenfehler zu liegen. Die Serie wurde in North Carolina gedreht. Der Staat tut einiges für die Förderung von Film. Unter anderem bietet er dort produzierenden Studios wohl äußerst großzügige Steuernachlässe an. Verschiedene Quellen im Internet behaupten Verschiedenes, aber für ‚Swamp Thing‘ sollen es zwischen 30 und 40 Millionen Dollar gewesen sein, was fast der Hälfte des Produktionbudgets der ersten Staffel von 85 Millionen Dollar entspricht. Das Problem war offenbar, dass man sich in North Carolina verrechnet hatte und als man Warner die korrigierte Zahl von nur ca. 13 Millionen Nachlass mitteilte hat man dort wohl 1. sofort die Staffel verkürzt und 2. die Reißleine für jegliche Fortsetzung gezogen. 85 Millionen sind eine ordentliche Investition für ein ziemliches Nischenprodukt. Eine Investition, die Warner nicht allein tragen wollte.

Schade um eine ambitioniert wirkende Serie, die zumindest für ihren Anfang hervorragende Kritiken erhielt und ohne jegliches Verschulden in den Sumpf geworfen wurde. Denn wer will eine verkürzte Staffel mit vermutlich offenem Ende sehen, wenn man weiß, dass es nie eine Fortsetzung geben wird? In Zukunft werden Studios Angebote aus North Carolina wohl mit einem scharfen „seid ihr wirklich sicher?“ beantworten.

‚The Secret History of Twin Peaks‘ und ‚The Final Dossier‘ von Mark Frost – Rezension

Es folgen zwei Buchbesprechungen zu Werken, die im Zuge der dritten Staffel von ‚Twin Peaks‘ erschienen sind. Meine Besprechung der Serie findet Ihr hier, einige spoilerbelastete Gedanken zum Finale findet Ihr hier.

Sekundäre Literatur zu Filmen und Serien ist an sich nichts Besonderes. Meist werden weitere Erlebnisse der Figuren geschildert, oder die Welt erweitert. ‚Twin Peaks‘ hat den Vorteil, dass es direkte Ansätze für literarische Werke, die auch als Werke innerhalb der Serie selbst funktionieren bietet. Das beste Beispiel hierfür ist sicherlich das Tagebuch von Laura Palmer, von dem es zu Zeiten der Originalserie eine von Jennifer Lynch geschriebene Version gab. Die beiden Bücher zur neuen Serie ergeben sich nicht ganz so organisch aus dem Material, versuchen aber dennoch als „In-Universe“ Werke zu fungieren.

‚The Secret History of Twin Peaks‘

‚The Secret History of Twin Peaks‘ wurde im Keller eines Apartmenthauses in Buck Horn, South Dakota entdeckt, in dem eine bizarre Leichenteilzusammenstellung entdeckt wurde. Es handelt sich um ein Umfangreiches Archiv von Dokumenten, die merkwürdige Vorkommnisse im Städtchen Twin Peaks, aber auch in den gesamten Vereinigten Staaten katalogisieren. Zwischen den Dokumenten äußert sich immer wieder ein anonymer Archivar in teils umfangreichen Kommentaren, die die Dokumente in einen Zusammenhang setzen. FBI Director Gordon Cole beauftragt nun einen Agenten, der nur mit den Initialen TP identifiziert wird, damit dieses Archiv durchzuarbeiten und herauszufinden, wer der mysteriöse Archivar ist. Dafür versieht TP das Archiv immer wieder mit Randnotizen.

Hier lohnt es sich direkt einzuhaken und zu fragen, was das Buch ist, sein will und vor allem nicht ist. Auf dem Cover bezeichnet es sich als „a novel“. Das halte ich für einen Fehler, denn als Mystery-Roman funktioniert es nicht wirklich. Nehmen wir einmal an, Ihr wärt ein Ermittler, der ein solches Archiv in die Finger bekommt, mit dem Auftrag, den Archivar zu ermitteln. Was würdet Ihr zuerst tun? Ich zumindest würde als erstes die Kommentare des Archivars querlesen, in der Hoffnung er verrät etwas über seine Identität. Und das tut er. Gegen Ende des Buches nennt er selbst seinen Namen. Unspektakulär. Aber die Randbemerkungen TPs lassen es aussehen, als würde auch TP das Buch, wie wir als Freizeitleser, Seite für Seite durchgehen und daher auch nicht wissen, wer der Archivar ist. Und das andere, indirekte Mysterium, nämlich wer TP ist? Klärt sich auf der letzten Seite, denn den Abschlussbericht unterschreibt TP mit vollem Namen. Wenn man das Buch parallel zur neuen Serie schaut gibt es ohnehin exakt einen Charakter, der sich hinter dem Ermittler verbergen kann.

Aber das macht nicht viel. Denn die Frage „wer hat Laura Palmer ermordet?“ war in der Serie ja auch nie mehr als ein Aufhänger. Ein Köder für Neugierige. Und als ein unterhaltsamer Streifzug durch die Geschichte von Twin Peaks funktioniert das Buch durchaus und wird noch angereichert durch die zunächst bissig-skeptischen Randbemerkungen TPs, die in Sorge um die eigene Jobsicherheit umschlagen, wenn der Name Gordon Cole immer wieder im Archiv aufzutauchen beginnt. Das Archiv beginnt im 18. Jhdt. mit einem Briefwechsel zwischen der Expedition von Lewis & Clark und Präsident Jefferson über ein Treffen mit den Nez Perce Indianern, auf dem Gebiet wo heute Twin Peaks steht. Dann springen wir weiter zur versuchten Flucht der Nez Perce vor der Zwangsumsiedlung durch die USA und der nach Akquirierung des Landes sofort beginnenden Ausbeute der Ressource Holz. Mit einem Kleinkrieg zwischen den Holzmühlen der Martell und Packard Familien. Und da sind wir auch schon bei bekannten Twin Peaks Namen angekommen. So zieht sich die Historie vor allem durchs letzte Jahrhundert mit Zeitungsausschnitten, Tagebucheinträgen, aber auch Texten von Agent Cooper oder Deputy Hawk. Auch findet sich hier für Fans interessantes Material wie eine Menükarte des Double R Diner. Hinter fast allem lassen sich natürlich immer merkwürdige Vorkommnisse erkennen. Das beginnt schon bei Lewis und Clark, denen die Nez Perce von einer Gruppe weißer Männer berichten, die in der Nähe eines Wasserfalls leben sollen. Und Jefferson wundert sich, warum ihm Lewis irgendetwas von roten Vorhängen schreibt.

Immer wenn es um Twin Peaks geht hat mich das Buch gefangengenommen. Leider sind, trotz des Namens auf dem Cover, nur etwa 50% in Twin Peaks angesiedelt. Der Rest beschäftigt sich mit offensichtlichen Interessen von Mark Frost. Merkwürdige historische Momente, Verschwörungstheorien und vor allem UFOs. Mann, der Herr Frost mag seine UFOs. Als Bindeglied nach Twin Peaks fungiert hier meist Douglas Milford, ein recht vergessenswerter Winz-Charakter aus Staffel 2. Der arbeitet für die Airforce und seine Hauptaufgabe liegt darin UFO-Gerüchte unter den Teppich zu kehren.

Ich interessiere mich nicht sonderlich für UFOs. Ich verstehe natürlich, was sie hier sollen. Sie sind eine zeitgemäße Erklärung für das mittlere 20te Jhdt. für die Wesen aus der Lodge. Eine Erklärung, die sie ähnlich wenig in ihrer Gänze ergreift wie die indianische Idee der Geister. Aber dennoch, wenn ich seitenlange Gesprächsprotokolle zwischen Milford und Tricky-Dick Nixon über Area 52 lesen muss, dann ist mir das zu viel des Guten. Das soll aber nicht heißen, das alles was außerhalb von Twin Peaks geschieht langweilig wäre. Am besten ist Frost hier, wenn er einfach reale Geschichte mit Twin Peaks in Verbindung setzt. Etwa die Geschichte um den Gründer der kalifornischen Jet Propulsion Labs, Jack Parsons. Der war nicht nur genialer Ingenieur, er betrieb in seinem Haus auch eine Thelema Loge, nach Vorgaben Alistair Crowleys und hielt in der Wüste Sexrituale ab, mit dem Ziel die „Mutter der Abscheulichkeiten“ zu beschwören. Dabei nahm er auch kurzzeitig einen erfolg- wie mittellosen Science Fiction Autoren auf, der ihm nicht nur die Freundin ausspannte, ihn bei den Behörden verpfiff und ihn um 20.000 Dollar betrog, sondern auch noch einige Ideen für seine eigene, spätere Sektengründung mitnahm. Auch das sich im „Bohemian Grove“, diesem Campingplatz der Superreichen und Ground Zero für 90% der amerikanischen Verschwörungstheorien, eine riesige Eulenstatue befindet, passt natürlich toll in die bestehende Twin Peaks Mythologie.

Am Ende ist ‚The Secret History of Twin Peaks‘ ein Buch für Fans. Einen besonderen Wert hat es als pures Artefakt. Die „Dokumente“ sind wunderbar wiedergegeben und liebevoll designt. Es macht schon allein spaß darin zu blättern. Auch gelingt es Frost sich gut in die verschiedenen Sprachstile, sei es der Reporter einer Kleinstadtzeitung oder einHippie-Psychologe, der im südamerikanischen Urwald Psychedelika einpfeift, einzufühlen. Wer hier hingegen so etwas wie eine „Erklärung“ der Serie erwartet, wird hingegen enttäuscht sein. Das einzige Problem sind halt die vielen UFOs. Wer die spannender findet als ich, wird noch zufriedener sein.

 

‚The Final Dossier‘

‚The Final Dossier‘ scheint mir ein wenig aus der Kritik entstanden, dass sich die ‚History‘ zu wenig mit den Einwohnern von Twin Peaks beschäftigt hat. Denn das Dossier tut durchgehend genau das. In Universe ist dieses Dossier eine Reihe von kurzen Berichten an Gordon Cole, die von TP geschrieben worden sind und sich mit einzelnen Bewohnern von Twin Peaks beschäftigen. Einzige Ausnahme ist der Obduktionsbericht für Leo Johnson, der von Albert Rosenfield (und aus 1989) stammt und sich in dessen bitterem Stil über einige Aspekte der 2ten Staffel lustig macht. Ansonsten erfahren wir, was die Bewohner in den 25 Jahren seit der ursprünglichen Serie getrieben haben. Oder bei einigen erfahren wir überhaupt etwas über ihr Schicksal, wie etwa bei Annie Blackburn oder Donna Hayward. Dazu kommen noch einige Anspielungen, die über das Ende der Serie hinausgehen, sowie für mich ein echter Aha-Moment in Bezug auf die Identität eines Charakters aus Teil 8 der Serie. Inwieweit dieses Buch nun als „kanonisch“ für die Serie betrachtet werden darf, weiß ich nicht. Ist mir auch nicht so wichtig.

Frost lässt TP hier in knappem, klaren Berichtsstil schreiben, ohne dabei staubtrocken zu werden. Das würde Cole vermutlich auch nicht gefallen. Die opulente Aufmachung der ‚History‘ fehlt hier leider völlig. Ein paar schwarz-weiße Szenenfotos sind eingefügt aber tragen nicht eben viel bei. Besonders lang ist das Ganze auch nicht. Ein zügiger Leser dürfte an einem Abend durch sein.

Im Fazit mochte ich aber auch dieses Buch durchaus und als Begleiter zur Serie ist es vermutlich sogar „nützlicher“ als die ‚History‘. Ein Traum wäre natürlich eine Mischung aus beidem. Der UFO-Kram der ‚History‘ raus, dafür diese Inhalte dort hinein. Das wäre ein hervorragendes Buch, so bleibt es aber immer noch bei zwei sehr schönen.

Ich habe beide Bücher auf Englisch gelesen, zumindest die ‚History‘ ist aber auch auf Deutsch als ‚Die geheime Geschichte von Twin Peaks‘ in limitierter Auflage bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.