Regisseurin Patty Jenkins hat sich mit einer Aussage in einer Panel Diskussion bei der CinemaCon dieses Jahr recht unbeliebt gemacht. Es geht, wieder einmal, um die Rivalität zwischen Streaming und Kino. Jenkins war zutiefst unglücklich, dass ihr ‚Wonder Woman 1984‘ letztes Jahr gleichzeitig in Kino und Streaming veröffentlicht wurde. Hierin sieht sie den Grund, warum der Film nicht einmal sein Budget wieder eingespielt habe. Das ist sicherlich mehr als diskutabel. Eher mäßige Kritiken und, ach ja, eine globale Pandemie könnten dabei durchaus auch ihren Anteil gehabt haben.
Jedenfalls ist Frau Jenkins noch nicht fertig mit ihrem Unmut über Streaming. Bei der CinemaCon sagte sie: „Sehen Sie das denn nicht? All diese Filme, die Streaming Dienste veröffentlichen, tut mir leid, die sehen für mich nicht wie echte Filme aus („look like fake movies to me“). Ich höre nichts über die, ich lese nichts über die. Das funktioniert doch nicht als Modell, um legendäre Großartigkeit zu schaffen.“*
Natürlich erntet sie für diese Aussage in Folge von ‚WW84‘ vor allem Häme. Ich habe ‚WW84‘ nicht gesehen und damit keine Grundlage für Häme, also warum schauen wir uns ihre Aussage nicht einmal genauer an. Hat sie womöglich doch ein bisschen Recht?
Mein Bauchgefühl sagt erst einmal, nein. Wenn Du Deinen Film auf Netflix oder Amazon Prime kriegst, dann hast Du doch quasi schon ein eingebautes Publikum. Ein Publikum, das Du nicht mehr überzeugen musst überhaupt eine Karte zu kaufen. Ein Publikum, das nicht einmal vom Sofa aufstehen muss! Ein Publikum, das nur noch auf Deinen Film klicken muss, um Deine „legendäre Großartigkeit“ zu entdecken. Oder wenigstens Dein gesundes Selbstbewusstsein.
Aber genau das ist wohl gar nicht so leicht, oder? Jemanden dazu zu bekommen auf Deinen Film zu klicken. Dafür muss diejenige ihn ja erst einmal finden können. Oder wissen, dass er existiert. Und ich bin mir als langjähriger Prime Abonnent sicher, dass mir in der Zeit dutzende Filme entgangen sind, die mich interessiert hätten, von denen ich aber schlicht nichts wusste. Streaming Dienste, so scheint es mir wenigstens, machen nicht häufig Werbung für ihre Filme. Und wenn dann nicht sonderlich effektive. Die einzigen Filme, die „echte“ Promo-Kampagnen bekommen, scheinen die von im Kino etablierten Regisseuren zu sein. Finchers ‚Mank‘, Scorseses ‚The Irishman‘ oder Snyders ‚Army of the Dead‘ etwa. Sollte man etwa annehmen, dass die Streaming Anbieter einen Gutteil ihrer Filme selbst für „fake movies“ halten? Oder ist es in der Content-Schwemme schlicht nicht möglich oder sinnvoll jeden Film großartig zu bewerben? Was natürlich die Frage nach sich zieht, ob das im Kino immer grundsätzlich anders ist. Auch hier hört man ohne eigenes Zutun nicht zwangsläufig von jedem Film. Oft genug vielleicht gerade von den besonders interessanten nicht.
Eine andere Sache ist, dass Film quasi grundsätzlich eine Mischung aus Kunst und Kommerz ist. Teil der „legendären Großartigkeit“ von Filmen ist, zum Guten wie zum Schlechten, immer auch ihr finanzieller Erfolg. ‚Der Weiße Hai‘ ist nicht einfach nur ein grandioser Film, er ist auch der „Erfinder“ des Sommer-Blockbusters. Der finanzielle Erfolg, die Nummer 1 in den Charts zu sein ist dann natürlich noch einmal eigene, kostenfreie Werbung. Im Kino ist diese Erfolgsmessung relativ simpel. Wie viel der Film eingespielt (abzüglich versch. Kostenfaktoren) hat, aufgerechnet gegen sein Budget.
Netflix hat zwei ‚Knives Out‘ Sequels für über 400 Millionen Dollar gekauft. Wie viele neue Kunden müssen die anlocken, wie viele Kunden für ein weiteres Jahresabo halten, damit sich das rechnet? Und wie misst Netflix das überhaupt? Derartige Interna erfahren wir natürlich nicht. Die Kinos hingegen haben großes Interesse daran, dass öffentlich wird, welcher Film wie gut läuft, damit sie ihren begrenzten Raum möglichst ökonomisch nutzen können.
Jetzt kann man sagen, pah, wen interessieren denn heute noch klassische Werbekampagnen? Werbemails liest außerdem eh keiner. Wer guckt denn noch auf Charts, außer Langweiler mit Statistik-Fetisch? Steht ja eh ein Disneyfilm auf Platz 1. Wir leben im Zeitalter der sozialen Medien. Hier musst Du die Durchdringung schaffen. Hier kann es Dir gelingen „viral“ zu werden. Und weil es dafür kein Patentrezept gibt, demokratisiert das den Werbeprozess sogar. Eine etablierte Marketingfirma kann hier problemlos gegen ein glücklich platziertes Meme verlieren. Das kann alles sein. Allerdings ist das große Problem der sozialen Medien ihre Fragmentierung und ihre Volatilität. Nicht nur das man hier die scharf voneinander abgegrenzten Meinungsblasen hat, die sich oft genug nur begegnen um einander zu „flamen“, ein erfolgreiches Meme aus einem Film hat keineswegs die logische Folge, dass dadurch mehr Leute in den Film strömen. Beides ist ebenfalls scharf voneinander abgegrenzt. Und mit etwas Pech morgen ohnehin vergessen, wenn ein Video von einem Molinasittich auftaucht, der zum „Wellerman“ tanzt.
Was bleibt? Frau Jenkins Aussage zu „fake movies“ ist sicher eine reichlich dreiste und bewusst provozierende. Aber Tatsache bleibt auch, dass in der Content-Schwemme sicherlich eine ganze Menge hinten runter fällt. Unser kulturelles Gedächtnis scheint sich, nicht zuletzt aufgrund des Überangebots, immer mehr zu verkürzen. Der Entdeckerdrang die wirklich interessanten Dinge zu finden ist nicht mehr gegeben, einfach weil uns bereits so viel Adäquates automatisch vorgesetzt wird. Ich weiß nicht wie die Zukunft des Kinos aussieht. Ich weiß aber genauso wenig wie die Zukunft des Streamings aussieht. Wenn ich mir ansehe, wie Netflix mit Geld umgeht, frage ich mich manchmal, ob es überhaupt eine Zukunft hat. Oder ob die Zukunft von beidem nicht einfach Disney heißt.
* „Aren’t you seeing it? All of the films that streaming services are putting out, I’m sorry, they look like fake movies to me. I don’t hear about them, I don’t read about them. It’s not working as a model for establishing legendary greatness.“