‚Moderne Zeiten‘ (1936)

Charlie Chaplin hat mit seinem „Tramp“ eine der ersten, wirklich ikonischen Hollywoodfiguren geschaffen. Irgendwo zwischen Landstreicher und Gelegenheitsarbeiter, ein moderner, gutherziger Narr, der sich außerhalb der üblichen gesellschaftlichen Vorschriften bewegte und sie oft genug vorführte. 1914 erschien der Tramp zum ersten Mal in Filmen der Produktionsfirma Keystone. Und nicht zuletzt aufgrund seiner perfekt wiedererkennbaren „Uniform“ aus Melone, Baggy Pants, übergroßen Schuhen und einem hochflexiblen Gehstock erfreute er sich bald weltweiter, universeller Beliebtheit. Der Tramp war eine pantomimische Figur, eine, die man überall nachvollziehen konnte.

Doch die Zeiten änderten sich schnell. Die Industrialisierung der USA schritt zügig voran und in den 20er Jahren brach eine erhebliche Depression über die Weltwirtschaft herein. Der Tramp wandelte sich vom Landstreicher zu einem der zahlreichen, urbanen Arbeitslosen, die das Bild der Innenstädte prägten. Chaplins Sicht auf moderne Technologie begann sich in zweierlei Hinsicht zu verdüstern. Einmal im Allgemeinen. Maschinen sollen dem Menschen helfen, ihn nicht „überflüssig“ machen. Arbeitslos und zum sozialen Abstieg verdammt. Zum anderen aber auch direkt auf seine Branche bezogen. Chaplin mochte den Tonfilm nicht. Equipment und Anforderungen der Tonaufnahme empfand er als künstlerisch einschränkend, aber wichtiger noch, er war überzeugt, der Tramp würde seine universelle Anziehungskraft verlieren, wenn er sprechen würde. Der „Talkie“ wäre sein Ende.

So drehte er mit ‚Lichter der Großstadt‘ 1931 einen Stummfilm (allerdings mit von Chaplin selbst komponierter Musikspur), der zu dieser Zeit bereits als Anachronismus wahrgenommen wurde. So blieb die Werbung für den Film größtenteils an Chaplin selbst hängen. Unter anderem mit eine großen Tour durch Europa, wo er einen durch die Depression schwer gezeichneten Kontinent vorfand, auf dem allerlei nationalistische Strömungen großen Zulauf fanden. In Deutschland waren die ihn niederschreienden Nazis zwar noch in der Minderheit, doch die Zeiten änderten sich.

Unter diesen Eindrücken entstand ‚Moderne Zeiten‘ (und später ‚Der große Diktator‘). Und obwohl Chaplin sich selbst stets als unpolitischen Unterhalter bezeichnet hat, ist seine Aussage hier doch eine schwer misszuverstehende.

Wir sehen den Tramp zu Anfang als einen Fließbandarbeiter, der an der Monotonie seiner Handgriffe verrückt zu werden droht. Es ist ‚Metropolis‘ aus der Sicht  eines einfachen Arbeiters, der – wortwörtlich – in das Rädersystem der industriellen Maschinerie hineingezogen und wieder ausgespien wird. Es ist Chaplin auf dem Höhepunkt seines Könnens, visuell einfallsreich und mit perfekt sitzenden Gags. Kurz darauf scheint der Film selbst der Idee, er würde sich politisch positionieren, direkt den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen. Nach seinem Nervenzusammenbruch aus dem Krankenhaus entlassen, sieht der Tramp, wie ein Langholzlaster seine (vermutlich rote) Signalfahne verliert. Er hebt sie auf ruft dem Wagen nach und schwenkt die Fahne über dem Kopf, um sie zurückzugeben. Ungesehen von ihm marschiert hinter ihm eine große Demonstration auf, die er nun unwissend, eine rote Fahne schwenkend anzuführen scheint. So wird er von der eintreffenden Polizei direkt als kommunistischer Rädelsführer verhaftet.

Man kauft ihm diesen Verweis auf eine rein zufällig politisch wirkende Haltung natürlich nicht ab. Doch wäre es falsch, von dem Film ein pures, politisches Manifest zu erwarten (ich halte Chaplin auch keineswegs für einen Kommunisten, eher einen Idealisten). Viele Szenen sind einfach ein liebevoller, komischer Abschied vom Tramp, der hier seinen letzten Auftritt haben sollte. Mit Paulette Goddard als obdachlosem Mädchen, das ein Brot stiehlt, was der Tramp aber auf seine Kappe nimmt, bekommt er eine wunderbare Filmpartnerin an seine Seite. Nicht nur inszeniert er hier eine ebenso komische wie haarsträubende Szene, in der der Tramp mit verbundenen Augen am Abgrund rollschuhläuft, wir bekommen auch zwei Szenen, die sich über die typische, amerikanische, häusliche Idylle lustig machen. Einmal als Traum, in dem Orangen durch die Fenster wachsen und Kühe auf Nachfrage eine Glas Milch füllen und einmal als Realität in einer zerfallenden Bruchbude, in der dem Tramp alles auf den Kopf fällt, was nicht festgenagelt ist. Und einiges, das festgenagelt ist. Hoppla, da sind wir schon wieder politisch…

Beide können der Spirale aus Armut und daraus erwachsenden Konflikten mit der Polizei nicht entgehen. Das Ende ist dementsprechend auch ein düsteres, aber sicher nicht ohne Hoffnung. Denn der Tramp watschelt diesmal nicht allein in den Sonnenuntergang, sondern mit einer Frau an seiner Seite.

Doch wie ging Chaplin nun mit dem Tonfilm um? Der Tonfilm wäre das Ende des Tramps, hat er gesagt, und hier ist das Ende des Tramps. Und doch ist es zum größten Teil ein Stummfilm. Wir hören Geräusche von Maschinen, oder wenn der Tramp in Folge unfreiwilligen Kokainkonsums eine Gruppe Ausbrecher vermöbelt. Wir hören Magenknurren und andere unwillkürliche, menschliche Laute. Wir hören auch Stimmen, aber eben nicht alle. Wir hören Stimmen, die technisch wiedergeben werden. Spricht der Fabrikbesitzer über das Interkom, so ist seine Stimme als Ton zu hören. Ein Erfinder hat den Werbepitch für seine „Arbeiterfütterungsmaschine“ auf Schallplatte aufgenommen, auch das ist als Ton zu hören. Kurz, wer die Technologie kontrolliert, der wird gehört. Alle anderen bleiben stumm.

Doch auch das stimmt nicht. Nicht ganz. Gegen Ende des Films hat Paulette Goddards Charakter dem Tramp einen Job als singender Kellner verschafft. Den Kellner-Teil vertrottelt er weitgehend und erwartet, doch den Liedtext hat ihm seine Freundin ja aufgeschrieben. Und er verliert ihn sofort. So muss der Tramp improvisieren. Und Chaplin singt ein Nonsens-Lied in pseudoitalienischem Kauderwelsch unterstützt von allerlei erklärenden Gesten. Und so wird aus Chaplins Kapitulation vor dem Tonfilm ein letzter Triumph des Stummen. Ein letzter Beweis, dass es keiner (verständlichen) Worte bedarf, um eine lustige Geschichte zu erzählen. „Sing“, ruft seine Partnerin ihm zu „scher dich nicht um die Worte!“ Der Leitspruch der stummen Kunstfigur.

‚Moderne Zeiten‘ fühlt sich auch fast 95 Jahre später erstaunlich aktuell an. Der bedrückende Effekt der Entfremdung von der Arbeit ist durch den Wandel der westlichen Welt von der fertigenden Industrie zur Dienstleistung nicht eben kleiner geworden. Vielleicht im Gegenteil. Chaplins Voraussage, wer durch Technologie gehört wird und wer eben nicht fühlt sich heute erschreckend hellsichtiger denn je an. Doch vor allem ist ‚Moderne Zeiten‘ ein wahnsinnig komischer Film, dessen Humor kaum gealtert ist. Vor allem eben, weil sich Chaplin nicht um die Worte scheren musste. Gut gemachter Slapstick altert nicht (schlechter Slapstick ist hingegen Folter!) und der visuelle Stil des Films, sicherlich ein Stück weit Kommentar auf ‚Metropolis‘ oder das damals beliebte Genre der „Großstadtsymphonie“, ist auch heute noch von sehr hoher Treffsicherheit. Es ist ein würdiger Abschied für die vielleicht größte kleine Figur des Stummfilms.

Einige verschollene Filme, die ich gern sehen würde

Nimmt man einen ungefähren Mittelwert der Schätzungen von Organisationen, die sich damit beschäftigen, dann muss man davon ausgehen, dass ungefähr 80% aller Stummfilme verloren sind. Das lag vor allem daran, dass Studios Filme weitgehend als „Wegwerfartikel“ sahen. Wozu ein Archiv bewahren, wenn man jedes Jahr neue Filme dreht, die gesehen werden wollen? Und Fernsehen gab es noch nicht. Dazu kommt noch, dass Stummfilme auf, im wahrsten Sinne des Wortes, brandgefährlichem Nitratfilm gedreht und gelagert wurden. MGM war eines der wenigen Positivbeispiele für ihren Erhalt ihres Stummfilmkatalogs. Aber dann brach in ihrem Lager 1965 ein verheerendes Feuer aus. Daneben ist der Film für Langzeitlagerung nicht geeignet, da er sich irgendwann selbst zersetzt.

Und so spricht der Titel zwar von „verschollenen“ und nicht „verlorenen“ Filmen, da eine geringe Chance besteht, dass sie irgendwo noch in einem restaurationsfähigen Zustand gefunden werden, doch mache ich mir keine großen Hoffnungen irgendeinen der folgenden Filme je wirklich zu sehen.

Nun ist das was man nicht haben kann ja grundsätzlich spannender als das einfach verfügbare und so bekommen verschollene Filme oftmals diese Aura eines tragischen Meisterwerks. Die mag nicht immer verdient sein (wir werden‘s aber nicht erfahren), doch denke ich, dass die folgenden Filme zumindest eine gewisse Neugier rechtfertigen.

Beginnen wir mit einem Beispiel dafür, wie neue Medien direkten Einfluss auf den Lauf der Geschichte haben können. Pancho Villa war einer der wichtigsten Akteure der mexikanischen Revolution. Von Zeitgenossen und Historikern wurden ihm viele Titel zugedacht: Freiheitskämpfer, Warlord, Volksheld, Terrorist, General, Verbrecher und einer über den sich alle einig sind, Revolutionär. „Hollywood-Star“ hingegen ist ein Titel der selten Erwähnung findet. In Villas Leben war fast alles tumultartig. Nicht zuletzt seine Beziehung zu den USA. 1914 war die jedoch gut und Villa brauchte dringend Geld. Also unterschrieb er einen Filmvertrag bei der Mutual Film Corporation. Christy Cabanne würde einen Film über sein Leben drehen, mit Raoul Walsh als jugendlichem Pancho und Villa selbst würde sich als zeitgenössischer Erwachsener spielen. Die Filmcrew drehte reale Schlachten mit, die Villa austrug. Ob er dabei seine Taktik danach richtete, was Christy als cinematisch betrachtete, darf zumindest bezweifelt werden. Sicher ist, dass er während gedreht wurde eine Fantasie-Generalsuniform tragen musste. Nach Drehschluss musste er sie zurückgeben, schließlich gehörte sie dem Studio. Zurück in Hollywood erschien vieles, vor allem die Schlachtszenen als zu unglaubwürdig(!) und ganze Szenen wurden an Sets nachgedreht.

Zwei Jahre später attackierte Villa eine Stadt im amerikanischen New Mexico und führte die US-Armee auf der anschließenden, erfolglosen Strafexpedition vor. Das Verhältnis USA-Villa als „abgekühlt“ zu bezeichnen wäre eine fantastische Untertreibung. Daher war wohl niemand wirklich traurig, dass der Film in Vergessenheit geriet und verschwand. Doch aus heutiger Sicht ist es natürlich ein faszinierendes Artefakt.

‚Um Mitternacht‘ von 1927 gilt als so etwas wie der Heilige Gral unter Filmsammlern. Hier sammelte Tod Browning, vier Jahre bevor er ‚Dracula‘ für Universal drehen sollte, erste Erfahrungen mit dem Thema „Vampire“. Dabei arbeitete er als Hauptdarsteller mit Lon Chaney zusammen, dem „Mann der 1000 Gesichter“, bekannt für seine Arbeit mit Masken und seiner Fähigkeit grotesken Figuren eine erstaunliche Tiefe zu verleihen. In ‚Um Mitternacht‘ gibt Chaney den Detektiv Burke, der den Mord an Sir Roger Balfour aufklären soll. Aufgrund eines Abschiedsbriefes nimmt Burke scheinbar Suizid an. Doch fünf Jahre später zieht ein mysteriöser Fremder in das Herrenhaus Balfours. Schnell verbreiten sich Gerüchte, dass es sich um Balfour selbst handelt, der als Vampir wieder auferstanden ist. Tatsächlich inszeniert Burke jedoch den Vampirspuk, um den vermeintlichen Mörder endlich aus der Reserve zu locken.

Dies ist einer der Filme, die bei dem Feuer im MGM Archiv 1965 zerstört wurden. Daraus erklärt sich vielleicht, warum er bei Sammlern immer noch begehrt ist, anstatt abgeschrieben. Von allen Filmen in diesem Artikel, halte ich es bei diesem für am wahrscheinlichsten, dass es noch eine Kopie geben könnte. Einfach weil der Film fast 40 Jahre „existiert“ hat und in 11 Ländern aufgeführt wurde. Da muss es doch Kopien in irgendwelchen staubigen Archiven geben!

Thematisch finde ich ihn ohnehin interessant, habe ich doch erst letztens in einem Artikel darüber gesprochen, dass ich die Idee inszenierten Spuks im aktuellen Horror vermisse.

Das auch große Namen vor dem Verschwinden ihrer Filme nicht unbedingt sicher sind zeigt der Fall von Alfred Hitchcocks zweitem Film, ‚Der Bergadler‘ von 1926. Allerdings war Hitchcock über dessen Verschwinden nicht allzu traurig. Im Film stellt Pettigrew, ein Ladenbesitzer, der Dorfschullehrerin Beatrice (Nita Naldi) nach. Als die seine Liebe aber so gar nicht erwidert, behauptet Pettigrew sie habe seinen behinderten Sohn Edward belästigt. Beatrice flüchtet zu einem Eremiten in die Berge, in den sie sich verliebt und den sie heiratet. Der rachlüstige Pettigrew versteckt daraufhin seinen Sohn (oder er ist ohnehin verschwunden, Beschreibungen sind hier widersprüchlich) und beschuldigt den Eremiten Fuller ihn ermordet zu haben.

Trotz des Settings in Kentucky wurde der Film im tirolischen Obergurgl gedreht, mit den öztaler Alpen als Hintergrund. Das Wetter war furchtbar, was zu langen Drehpausen führte und die Beziehungen zu den Anwohnern wurden immer schlechter, weil die Filmcrew Häuser beschädigte und ein übellauniger Hitchcock seine durch Höhenkrankheit bedingte Übelkeit auf die „gutturalen Töne“ des örtlichen Tiroler Dialektes schob.

Auch später mochte Hitch den Film nicht. Er bezeichnet ihn als verzweifelten Versuch seiner britischen und deutschen Produzenten auf dem amerikanischen Markt zu landen und Naldi in einer völlig unpassenden Rolle zur neuen Theda Bara zu machen. Im Interviewbuch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ sagt er eindeutig „Ein schlechter Film.“ Eine weitere Nachfrage Truffauts beantwortet er einsilbig.

Tatsächlich wird sein dritter Film ‚Der Mieter‘ von 1927 oft als erster „richtiger“ Hitchcockfilm geführt. Dennoch macht dieses Frühwerk schon neugierig. Der negative Ruf, Hitchcocks Unzufriedenheit, die Schwierigkeiten beim Dreh und Obergurgl-als-Kentucky machen mich alle eher noch neugieriger auf den Film, als dass sie mich abschreckten.

Auch eine Oscar-Nominierung schützt nicht vor dem Verschwinden. Das zeigt Ernst Lubitschs ‚Der Patriot‘ von 1928. Autor Hanns Kräly zog für diesen semi-biografischen Film über das späte Leben des russischen Zaren Paul I. Motive mehrerer Bühnenstücke zusammen. Der paranoide Zar Paul (Emil Jannings) traut nur noch seinem engsten Berater Graf von der Prahlen. Doch eben der wird, aufgrund des immer grausamer werdenden Verhaltens des Monarchen, in eine Verschwörung gedrängt. Kronprinz Alexander bekommt Wind davon und warnt seinen Vater, der ihm jedoch aufgrund seiner Paranoia nicht glaubt, da ihm von der Prahlen seine Treue versichert. Der Film endet Shakespeare-esk mit einem Gutteil der Dramatis personae tot auf dem Fußboden.

Der Film klingt ungewöhnlich für Lubitsch. Nicht so sehr wegen des Settings, er war bekannt für seine „Salonkomödien“, die an allerlei Fürstenhäusern spielten, sondern vor allem deswegen, weil es so klingt als käme der Film gänzlich ohne Humor aus. Dass er auch finstere Töne durchaus beherrschte, bewies Lubitsch später ja mit seiner rabenschwarzen Anti-Nazi-Komödie ‚Sein oder nicht Sein‘. Doch das hier klingt nach einer unausweichlichen Tragödie. Insbesondere Jannings in der Rolle des wahnsinnigen Monarchen wirkt faszinierend. Nur ca. 6 Minuten des Films existieren noch.

‚Der Patriot‘ war 1928 der einzige Stummfilm (mit einigen nachträglichen Soundeffekten), der 1928 noch für einen Oscar nominiert wurde. Und er würde der Letzte bleiben bis 2012 ‚The Artist‘ nicht nur nominiert wurde, sondern sogar gewann.

 

Werden wir diese Filme jemals zu Gesicht bekommen? Vermutlich nicht. Noch weit tragischer ist die Frage, wie viele verschwundene Filme wir gar nicht kennen, weil eben nicht Hitchcock, Lubitsch oder Pancho Villa draufsteht? Filme die in ihrer Zeit vielleicht verkannt wurden, heute aber als ihrer Zeit voraus oder Meisterwerke erkannt werden könnten? Dank Streaming scheint uns die gesamte Welt des Films offenzustehen, wenn auch derzeit künstliche Grenzen eingefügt werden. Doch sollte uns das Beispiel des Stummfilms immer daran erinnern, dass die Erhaltung von Kunst sicherlich nicht von alleine geschieht. Und ob die Studios einen Bruchteil ihrer Milliardengewinne dahinein investieren wollen, hängt leider immer noch davon ab, ob sich mit dem alten Material noch Geld verdienen lässt.

Vergessene Stars: Theda Bara

Gibt es einen besseren Weg zur Unsterblichkeit, als ein Filmstar zu sein? Ein Griff ins Regal, ‚Singin‘ in the Rain‘ in den Player gelegt und Debbie Reynolds, Gene Kelly und Donald O’Connor schwingen so fröhlich die Tanzbeine wie eh und je, selbst wenn der Film bald 70 Jahre alt wird und die Darsteller seit Jahren tot sind. Und doch weiß man wer sie sind, denn eine Filmvorführung ist so etwas wie eine Geisterbeschwörung ohne jeden okkulten Hokus-Pokus. Möglich in jedem Wohnzimmer, oder im Kino vor hunderten von Zeugen. Und kein Skeptiker käme je auf die Idee daran zu zweifeln. Auch in hundert Jahren wird man noch wissen wer Meryl Streep ist. Wer Robert DeNiro. Oder auch Cate Blanchet oder Leonardo DiCaprio. Oder Jackie Chan. Ihre (inzwischen längst digitalisierten) Zelluloidgeister werden beschworen werden und dem zukünftigen Publikum dieselben Gefühle entlocken wie heute. Und vielleicht Fragen über die Vergangenheit. Ein Filmstar ist wahrlich unsterblich. Oder? Weiterlesen

Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) Teil 2: Die Rache der Florence Stoker

Gehen wir kurz noch einmal durch, was wir in Teil 1 erfahren haben: Februar 1922. Albin Grau hat seinen Traum verwirklicht. Die „Prana-Film“ hat seinen Vampirfilm produziert. Henrik Galeen hat seinen Traum in Worte gefasst und Friedrich Wilhelm Murnau hat ihn auf Film gebannt. Nun blieb nur noch ihn der Welt zu zeigen. Grau und Enrico Dieckmann griffen tief in die Werbekiste, um das verwöhnte Kinopublikum der frühen Weimarer Republik auf ihre Schöpfung aufmerksam zu machen. Natürlich war der Traum nicht gänzlich dem Geiste Graus entstiegen, ein Großteil der Handlung des Films war Bram Stokers Roman ‚Dracula‘ entnommen, ohne dass Grau die Rechte dafür besessen hätte. Doch er war überzeugt durch die Veränderung der Namen der Charaktere und das Verlegen der Handlung nach Deutschland auf der sicheren Seite zu sein. Und so stand einer beeindruckenden Prämierenfeier nichts mehr im Wege. Weiterlesen

Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) Teil 1: Albin Grau und der Pestbringer

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Graf Orlok

Vielleicht haben nicht allzu viele Menschen den originalen Film gesehen, doch das Bild des Grafen Orlok besitzt doch eine gewissen ikonischen Wert. Bleich, kahl, in einen abgerissenen schwarzen Gehrock gehüllt, die Arme mit den klauenhaften Fingern eng an den dürren Körper gelegt starrt er dem Betrachter aus zu großen Augen entgegen. Mit seinen rattenartigen Beißzähnen kann er im ersten Moment durchaus komisch wirken, doch irgendetwas an seinem Blick, seiner unnatürlichen Haltung beunruhigt uns doch. Er hat nichts von der kühlen Eleganz, die die berühmtesten Dracula-Darsteller Bela Lugosi und Christopher Lee in ihrer perfekt geschneiderten Abendgarderobe ausstrahlen, nichts von der gequälten Erotik jener Vampire, die in den 90ern Interviews gegeben haben und ganz sicher würde kein Mädchen ihn den Eltern als neuen Freund vorstellen wollen, im Gegensatz zum modernen Glitzervampir. Nein, dieser Vampir, dieser Nosferatu ist durch und durch monströs. Hier will ich zeigen, wie er in die Welt kam. Weiterlesen

Das ist auf Youtube!: Sherlock Jr. (1924)

Joseph ‚Buster‘ Keaton wurde 1895 in eine Vaudeville-Künstlerfamilie geboren und trat seit frühester Kindheit mit ihnen auf. Schnell stellte sich heraus, dass Busters Talent darin lag zu stürzen oder Schläge einzustecken, ohne sich dabei zu verletzen. Kurz, er war ein Stuntman (ein Begriff, der tatsächlich im Vaudeville zum ersten Mal benutzt wurde). Er merkte bald, dass das Publikum besonders lachte, wenn er im Gesicht keinerlei Regung zeigte, egal was passierte. Das brachte ihm den Spitznamen ‚Old Stoneface‘ ein.

Mit Anfang 20 wurde er Nebendarsteller in den Filmen von Roscoe ‚Fatty‘ Arbuckle. Er fiel hierbei so positiv auf, dass er ab 1920 seine eigenen Filme drehen durfte.

Die originalen Dick und Doof? Keaton und Arbuckle (Arbuckles Karriere endete 1921 äußerst unlustig unter Vergewaltigungs- und Mordvorwürfen)

Die originalen Dick und Doof? Keaton und Arbuckle (Arbuckles Karriere endete 1921 äußerst unlustig unter Vergewaltigungs- und Mordvorwürfen)

So entstand 1924 der hier zu sehende ‚Sherlock Jr.‘ , welcher allgemein als sein erstes Meisterwerk gilt. Er spielt einen Filmvorführer und Möchtegerndetektiv, der sich in die Handlung eines Filmes hineinträumt. Er zeigt, dass er zum einen seine Lehren aus dem Vaudeville gelernt hat: der Film ist 45 Minuten lang, keine davon ist verschwendet, der Zuschauer hat gar keine Chance sich zu langweilen. Zum anderen hat er aber auch sein neues Medium absolut verstanden: er wechselt zwischen Film und Film-im-Film hin und her, arbeitet mit Kameratricks, die seinen Zeitgenossen Rätsel aufgaben und nutzte ein halbes Jahrzehnt bevor Salvador Dali und Luis Bunuel sie salonfähig machten, surreale Elemente, wenn sein Charakter zwischen den Szenenschnitten hin und her geschleudert wird. Der Film war ein kommerzieller Misserfolg.

Für die nächsten Jahre war Keaton bei ‚United Artists‘ unter Vertrag, wo er weiterhin kreative Freiheit genoss und 1926 sein größtes Meisterwerk schuf: ‚The General‘ in dem es um die Abenteuer eines Mannes und seiner Lokomotive während des Amerikanischen Bürgerkrieges geht (und der immer mal wieder mit Livemusik im Kino zu sehen ist – wenn man die Chance hat: unbedingt ansehen!).

Nachdem kaum einer von Keatons Filme Geld eingespielt hatte wurde ihm vom UA Management 1928 nahegelegt einen Vertrag bei MGM, die händeringend einen Komiker suchten, zu unterschreiben. Freunde und Kollegen warnten ihn, dass er alle Freiheiten verlieren würde. Charlie Chaplin sagte ihm: „Sie machen Dich kaputt, indem sie versuchen Dir zu helfen.“ Er sollte Recht behalten. An seinem ersten Film für MGM (quasi ein Werbefilm für William Randolph Hearst) arbeiteten (laut Keaton) 22 Autoren. Bald drehte er Filme, die er hasste. Doch und das war das Schlimmste für ihn, sie machten eine Menge Geld. Er begann an sich selbst zu zweifeln, litt an Depression und flüchtete sich in Alkohol und Affären bis er für MGM untragbar wurde.

Andere Zeiten, anderer Umgang mit Alkoholismus: Keaton in einer Werbeaufnahme für Smirnov Wodka

Andere Zeiten, anderer Umgang mit Alkoholismus: Keaton in einer Werbeaufnahme für Smirnoff Wodka 1957

Den Wechsel zu MGM bezeichnete er später in seiner Autobiographie als den größten Fehler seines Lebens.