Gestern Gesehen: ‚Wo die wilden Menschen jagen‘ (OT: ‚Hunt for the Wilderpeople‘) (2016)

Nachdem er vor 2 Jahren gemeinsam mit Jermaine Clement, einer Hälfte des Comedy-Duos „Flight of the Conchords“, die gelungene Vampir-Improvisations-Komödien-Pseudo-Dokumentation ‚5 Zimmer Küche Sarg‘ abgeliefert hat, meldet sich Taika Waititi nun mit dem erfolgreichsten, neuseeländischen Film aller Zeiten zurück. Nein, die späteren Peter Jackson Projekte zählen anscheinend nicht als neuseeländische Filme. Ja, ich habe mich das auch gefragt.

Der 12jährige Ricky Baker (Julian Dennison) ist ein mehrfach straffällig gewordener Fall für die Kinderfürsorge. Aus allen bisherigen Pflegefamilien ist er abgehauen, zumeist nach Sachbeschädigung, üblicherweise gegen Briefkästen. Am Anfang des Films nimmt ihn Bella (Rima Te Wiata) auf ihrer abgelegenen Farm als Pflegesohn auf. Sehr zum Unmut ihres mürrischen Ehemannes Hec (Sam Neill), einem introvertierten, schweigsamen Mann, der sich im Busch wohler als in der Zivilisation fühlt. Nach anfänglichen Problemen gelingt es Bella zu Ricky durchzudringen. Doch, in Folge eines katastrophalen Ereignisses soll Ricky wieder in die Obhut der Kinderfürsorge gegeben werden. Der täuscht daraufhin seinen Selbstmord vor und flieht in den Busch. Hec folgt ihm gezwungener Maßen. Durch einen Unfall müssen die beiden allerdings für mehrere Wochen im Urwald bleiben und finden sich daraufhin als Ziel einer nationalen Jagd wieder.

Vermutlich jeder, der mehr als 5 Filme in seinem Leben gesehen hat wird zumindest einen Teil der Handlung erahnen können. Zwei absolut unterschiedliche Menschen, beide mit ihren eigenen tiefliegenden Problemen sind gezwungen viel Zeit miteinander zu verbringen. Sicherlich kommen sie sich im Laufe der Ereignisse näher, doch Waititi umschifft geschickt einige der üblichen großen Tücken dieser Art von Geschichte. Er schafft es hier eine Geschichte zu erzählen, die zu gleichen Teilen lustig, dramatisch und traurig ist, ohne dass sich die Charaktere dafür verbiegen müssten. Sam Neill ist in Hochform und sein Hec ist ein kantiger, grantiger alter Mann, der trotz Settings und Hintergrunds, niemals an ‚Crocodile Dundee‘-Klischees erinnert. Deutlich bemerkenswerter noch ist aber Julian Dennison, dessen übergewichtiger, jugendlicher Möchtegerngangster, der irgendwo auf seinem Weg von einem Psychologen gelernt hat seine Gefühle in Haikus auszudrücken, trotz gelegentlicher Übertreibungen durchaus glaubwürdig daherkommt. Und ja, obwohl man sie sicher schon gesehen hat, ist die Annäherung zwischen diesem mürrischen, alten Mann und diesem „mir ist alles egal“ Problemkind sehenswert und anrührend. Selbst ein erstaunlich ausuferndes Action-Finale fühlt sich absolut verdient an.

Die Nebenfiguren hingegen sind oftmals völlig überzeichnet und damit ein steter Lieferant für den Humor des Films. Sei es die Beauftragte der Kinderfürsorge, die Ricky mit der Hartnäckigkeit eines Terminators verfolgt, ein Trio reichlich nutzloser Jäger, ein tief im Urwald lebender Verschwörungstheoretiker oder der Regisseur selbst als ausufernd salbadernder Priester.

Filmisch könnte man den Film als beinahe das genaue Gegenteil von ‚5 Zimmer Küche Sarg‘ beschreiben. Während der Film seine Handheld Aufnahmen völlig auf das Haus mit gelegentlichen, nächtlichen Ausflügen in enge Straßen beschränkt hat, ist hier die beeindruckende, neuseeländische Landschaft vom ersten Moment an ein zentrales Element. Die Verlorenheit des Menschen in dieser gigantischen Wildnis, insbesondere von jemandem, der so wenig darauf vorbereitet ist wie Ricky Baker, ist grundlegender Teil der Handlung, den Waititi hier in beeindruckende Landschaftsaufnahmen fasst.

Ich bin sicher man merkt es, aber es fällt mir bei diesem Film noch schwerer als sonst schon meine Begeisterung in Worte zu fassen. Wie es Waititi hier gelingt eine altbekannte Geschichte mit absurdistischen Elementen zusammenzubringen, die man wirklich nur noch als Farce bezeichnen kann, es ihm andererseits aber gelingt eine glaubwürdige Geschichte um zwei rund gezeichnete Charaktere zu erzählen ist ebenso beeindruckend, wie schwierig zu beschreiben. Nur ein Beispiel: klingt irgendetwas in meiner bisherigen Beschreibung danach, dass der Film eine verschneite Montage, zu Musik von Leonard Cohen enthält, die eindeutig eine Hommage an Robert Altmans revisionistischen Western ‚McCabe und Mrs. Miller‘ darstellt? Vermutlich nicht und dennoch ist sie da und fühlt sich nicht im geringsten deplaciert an. Das nebenbei die berühmt-berüchtigte „Chemie“ zwischen Dennison und Neill stimmt rundet den Film dann schließlich ab.

Ich mochte ‚5 Zimmer Küche Sarg‘ sehr, sehr gern. Und ich mag normalerweise keine Improvisations-Komödien. Ich fand diesen Film trotz oder gerade wegen seiner merkwürdigen, widerborstigen Zusammenstellung bekannter aber eigentlich inkompatibler Elemente ganz hervorragend. An diesem Punkt kann ich mich wohl als Fan von Taika Waititi bezeichnen, werde mich bemühen seine älteren Filme zu sehen und bin gespannt, ob ihm das scheinbar Unmögliche gelingt: einen Marvel-Thor-Film zu drehen, der auf mich nicht die Wirkung eines starken Schlafmittels hat. Das ist nämlich sein überraschendes nächstes Projekt: ‚Thor: Ragnarök‘. Ich frage mich, ob der dann auch einen dämlichen, deutschen Titel bekommt, wie es allen Waititi Filmen zu passieren scheint… ‚Thor: Riesenkloppe am Ende der Zeit‘ oder so.