‚The Place Beyond The Pines‘ (2013) – epische Intimität

Kann der Spagat eines hochpersönlichen Epos gelingen? Diese Frage scheint Regisseur Derek Cianfrance mit seinem weitreichenden Drama beantworten zu wollen. Meine Antwort wäre, beinahe, aber die Gründe warum es am Ende nicht ganz funktioniert sind andere als ich erwartet hätte. Aber vielleicht sollte ich nicht direkt mit meinem Fazit anfangen, denn dann liest ja Niemand weiter. Fangen wir stattdessen klassisch mit einem Blick auf die Handlung an.

Luke Glanton (Ryan Gosling) ist Stuntmotorradfahrer auf einem Jahrmarkt. Als er herausfindet, dass aus seiner früheren Beziehung mit Romina (Eva Mendes) ein Sohn hervorgegangen ist, verläßt er den Jahrmarkt und besteht darauf sich um den Sohn zu kümmern, obwohl Romina eine neue, glückliche Beziehung hat. Dafür braucht er Geld. Daher überfällt er mit Hilfe seines nicht immer willigen Komplizen Robin (Ben Mendelsohn) eine Reihe von Banken. Avery Cross (Bradley Cooper) steht nominell auf der anderen Seite des Gesetzes. Der Polizist mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und Streben nach Höherem gerät dennoch in die korrupten Machenschaften seines Dezernates hinein.  Der Film beschreibt die Leben und Zusammentreffen der beiden Männer und ihrer Söhne Jason (Dane DeHaan) und AJ (Emory Cohen) in drei distinkten Segmenten über einen Zeitraum von gut 16 Jahren.

Mehr über die Handlung zu verraten wäre dem Film gegenüber unfair, denn Cianfrance weiß durchaus in einigen Momenten zu überraschen. Die Geschichte, die er erzählt ist letztlich eine mythologische. Die Sünden der Väter sind es, die hier eine Generation später zurückkehren und ihre Auswirkung zeigen. Die Inszenierung hingegen ist das Gegenteil von mythologisch. Das hier ist nicht ‚Der Pate‘, der in jedem Moment größer als das Leben selbst sein will, Cianfrance arbeitet mit einer sehr intimen, manchmal schon klaustrophobischen Kamera. Der Film beginnt mit einem langen Trackingshot, der Luke von seinem Trailer über den Jahrmarkt bis in das Zelt, wo er seine Motorradtricks zeigt, begleitet. Wir sollen direkt in den Film hineingezogen werden. Auch bei späteren Verfolgungsjagden etwa, filmt die Kamera aus der Perspektive der Dashboardcams von Polizeiwagen, um den realistischen Effekt zu erhöhen. Zu meinem Erstaunen biss sich dieser „realistische“ Ansatz an den jeweiligen Moment nicht besonders mit dem mythologischen Ansatz der Geschichte, der Begebenheiten und Verwicklungen beinhaltet, die einer rein realistischen Betrachtung vermutlich nicht standhalten würden.

Cianfrance wiederholt häufig  Szenen in neuem Kontext, mit neuen Teilnehmern und damit neuer Bedeutung, zeigt damit das Zyklische der Handlung. Er zeigt aber auch welche Auswirkung Herkunft und Klasse auf die Konsequenzen haben, die dumme, undurchdachte Handlungen haben können, die alle Charaktere in diesem Film treffen. Ich weiß nicht genau wie es ihm gelungen ist, aber sein mythisches Bildnis von Amerika, als Ort hinter dem Pinienwald (die Bedeutung des Mohawk Wortes Schenectady, wo die Handlung spielt), der von Wirtschaftskrise und Ungleichheit gezeichnet ist und der Menschen darin, wirkt vollständig aus einem Guss.

Das Problem liegt an anderer Stelle. Das mittlere Segment des filmischen Triptychons, das Polizist Avery begleitet fühlt sich unglaublich formelhaft an. Die Korruptionsgeschichte hat man genau so schon dutzende Male gesehen. Und wenn dann noch Ray Liotta als korrupter Oberbulle auftaucht und seine drohenden Echsenblicke mit der Routine eines Schauspielers um sich wirft, der genau diese Rolle, dank Jahrzehnte-langer Übung,  aus dem Effeff beherrscht, dann fühlt es sich nur noch bekannter an. Aber auch Avery selbst ist der wohl am widersprüchlichsten gezeichnete Charakter. Er hat einen starken Gerechtigkeitssinn, außer wenn es um sein eigenes Vorankommen geht, dann ist er rücksichtsloser als er sich selbst gegenüber zuzugeben bereit ist. Hier treibt der Film seinen Spagat vielleicht etwas weit.

Es kann aber durchaus auch ein persönliches Problem von mir sein, bin ich doch so ziemlich das Gegenteil eines Fans von Bradley Cooper. Ihm bei irgendetwas zuzusehen hat für mich die gleiche Spannung, wie Farbe beim trocknen. Und genau ihm nehme ich diese komplexe Rolle nicht wirklich ab. Seine blasse Darstellung fällt hier um so mehr auf, da er Gosling gegenübersteht, der seinen tätowierten, blondierten Schausteller/Gangster mit der coolen Verletzlichkeit eines James Dean versieht und einmal mehr wie ein Star aus einer längst vergangenen Hollywood-Ära wirkt. Er trifft exakt den Ton zwischen Mythos und Bodenständigkeit, den der Filmbraucht, ohne dabei, trotz der Ähnlichkeit der Rollen, den Luke zu einer Zweiradversion seines Charakters aus ‚Drive‘ zu machen. Die Söhne, Dane DeHaan als abweisender aber einsamer Außenseiter und Emory Cohen als umherstolzierendes Großmaul sind ebenfalls sehr gut. Auch die Nebendarsteller holen aus ihren Rollen heraus, was geht. Allen voran Ben Mendelsohn, der schäbige Charaktere derzeit wohl besser verkörpern kann, als irgendwer sonst in Hollywood. Aber auch Eva Mendes macht das Beste aus ihrer leidgeprüften Mutterrolle und gibt ihr eine tiefe Stärke, ebenso Mahershala Ali, als ihr neuer Partner, der den in arg wenigen Szenen sehr sympathisch zu machen weiß.

‚The Place Beyond The Pines‘ ist ein unglaublich ambitionierter, erstaunlich weitreichender Film, der dafür letztlich ziemlich gut funktioniert. Ein faszinierender Anfang und ein interessantes Ende umfassen einen vielleicht zu routinierten Mittelteil, wobei auch der das ein oder andere Interessante über den typischen „All-American Hero“ zu sagen hat. Der Film läuft beinahe 150 Minuten und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass man gegen Ende nicht jede einzelne davon auch spürt. Doch würde er vermutlich nicht mehr funktionieren, wenn man anfinge ihn zu beschneiden. Somit erhält er von mir eine eingeschränkte Empfehlung, man darf nur nicht herangehen und ein zweites ‚Drive‘ erwarten, was die Werbung gelegentlich suggerierte. Das hier ist mehr griechische Tragödie, ‚Der Pate‘ oder vielleicht am ehestens ‚Les Miserables‘ aber erzählt mit der Bodenständigkeit eines ‚The Wire‘.