This wilderness will not consume us! ‚The Witch‘ (2016)

Regisseur und Drehbuchautor Robert Eggers hat mit ‚The Witch‘ sein Spielfilmdebüt abgeliefert und nebenbei meinen liebsten Horrorfilm des Jahres (es sei denn, da kommt noch was sehr Beeindruckendes). Wie schon in den letzten Jahren (‚Der Babadook‘ und ‚It Follows‘) ist es ein Independent Horrorfilm. Und wahrscheinlich derjenige mit der geringsten Massenkompatibilität. Es ist verwunderlich, dass A24 der amerikanische Verleih, den Film zwanghaft als Blockbuster verkaufen wollte. Das (vor allem) englischsprachige Internet ist voll von enttäuschten und verärgerten Zuschauerrezensionen. Und das kann ich nachvollziehen. Wenn ich im Kino säße und einen Film der Machart eines ‚Conjuring‘ erwarten würde und dann liefe ‚The Witch‘ wäre ich auch sauer und enttäuscht. Seine Erzählweise ist langsam und bedächtig, er spielt im 17. Jahrhundert und nutzt eine Sprache, die der Zeit angemessen ist. Er nimmt sich keine Zeit für den Zuschauer vollkommen klar zu machen, was er eigentlich gerade schaut, erwartet zu jeder Zeit Mitarbeit. Es ist ein Film, der nur einem sehr eingeschränkten Publikum gefallen kann und gefallen will. Und das ist völlig in Ordnung. Wie schon bei ‚Der Babadook‘, den William Friedkin (‚Der Exorzist‘) als „den schaurigsten Film, den er je gesehen hat“ bezeichnete, wurden hier Erwartungen geweckt, die der Film nicht erfüllen konnte (oder wollte).

Im Neu-England des frühen 17. Jahrhunderts wird eine strenggläubige Familie aus der puritanischen Gemeinde und damit der Siedlung ausgeschlossen. Sie machen sich auf in die endlosen Wälder und gründen eine neue Farm. Im Herbst verschwindet der Neugeborene Samuel aus der Obhut von Teenager-Tochter Thomasin (Anya Taylor-Joy). Von diesem Moment an scheint ein Fluch auf der Familie zu liegen. Die Mutter (Kate Dickie) versinkt in Depression, die Ernte verdirbt, dem Vater (Ralph Ineson) misslingt die Jagd, Sohn Caleb (Harvey Scrimshaw) verschwindet und taucht komatös wieder auf, die Zwillings-Kinder Mercy und Jonas scheinen mit dem schwarzen Ziegenbock „Black Phillip“ zu kommunizieren und klagen Thomasin der Hexerei an. Und dann wird es schlimmer.

Keine 10 Minuten dauert es, bis Eggers eine mysteriöse Figur auftreten lässt, die nur die titelgebende Hexe sein kann. Doch der geschickte Kniff der Handlung ist, dass sie nicht auf übernatürliches angewiesen ist, sie funktioniert auch ganz ohne Hexe. Während die Charaktere des Films mit der Existenz Gottes ringen, bewegt sich im Hinterkopf des Zuschauers stetes die Frage, ob es die Hexe eigentlich gibt oder, ob sie nur die Manifestation einer überreizten Fantasie inmitten einer feindseligen Natur ist. ‚The Witch‘ ist ein ganz eigener Film und doch sind Berührungspunkte zu anderen Filmen auszumachen. Die distanzierte Erzählweise und objektive Kamera übernimmt der Film aus Kubricks ‚The Shining‘ und genau, wie der Film gibt er erst in seinem apokalyptischen Finale seine strenge, präzise und geduldige Erzählweise auf.  Die Arbeit nur mit natürlichem Licht übernimmt der Film von einem anderen Kubrick-Werk: ‚Barry Lyndon‘ und wie dort ist der Effekt spürbar. Der Zuschauer wird in die Zeit des Films versetzt. Die zeitliche Korrektheit der Sprache und (fraglos) der Ausstattung tragen dazu natürlich das ihre bei. Von Friedkins ‚Exorzist‘ nimmt der Film seine absolut realistische Erzählweise. Der Film beschäftigt sich mit der Frage „wie würden echte Menschen mit dieser außergewöhnlichen Situation umgehen?“ und vermeidet so die meisten typischen Horrorfilmklischees. Anders als beim ‚Exorzist‘ haben wir es natürlich mit Menschen zu tun, die vor fast 400 Jahren gelebt haben und ein fundamental anderes Wertesystem mitbringen als wir. Umso erstaunter war ich, wie viel Empathie ich für die Charaktere empfand. Da kann ein zusammenbrechender Holzstapel schon einmal zu einem emotionalen Moment werden.

Anders als beim Exorzisten ist die Religion hier aber nicht das scheinende licht in der Dunkelheit. Die Beziehung von ‚The Witch‘ zur Religion ist deutlich ambivalenter. Oftmals ist sie, was den Charakteren Halt und Sicherheit gibt aber noch öfter steht sie zwischen den Charakteren, gerade dann, wenn Nähe von größter Wichtigkeit wäre. Es ist allerdings beeindruckend, dass der Film die typischen, hysterischen Klischees eines Hexenfilms vermeidet. Ein weiterer notwendiger filmischer Ansatzpunkt ist Benjamin Christensens ‚Häxan‘. Der dänische Stummfilm von 1922 gibt sich als Dokumentation über die Hexerei durch die Jahrhunderte aus (mit Christensen selbst als grimassierendem Teufel). In seinem letzten Viertel lenkt er allerdings zu einem (damals gut gemeinten, heute arg veraltet wirkendem) Aufruf zu gutem Umgang mit „hysterischen“ Frauen um. Ich bin mir fast sicher, dass ‚The Witch‘ den Film in einigen Szenen direkt bildlich zitiert, worauf ich einen Teil meiner These, es gäbe keine Hexe stütze.

Die schauspielerischen Leistungen sind durch die Bank beachtlich. Wobei man oft genug vergisst, dass man einen Spielfilm schaut und keine Dokumentation, so stark ist der Realismus und die 100%ige Ernsthaftigkeit des Films. Wie ‚The Shining‘ legt der Film einen Spannungshebel um, in dem Moment, wenn der Wagen der Familie im Dunkel des Waldes aus der Sicht der Siedlung verschwindet, der Gesang der Mutter in der Kakophonie des Soundtracks untergeht und lässt ihn bis zum bitteren Ende nicht wieder los. Ein wenig verwundert bin ich, dass das Ende des Films selbst bei Leuten, die ihn ansonsten schätzen nicht gut wegkommt. Ich möchte hier gar nicht viel dazu sagen aber das war für mich einer der angespanntesten Momente in einem Film seit langem. Ich musste danach kurz frische Luft schnappen gehen. Will sagen: für mich hat es funktioniert.

Ich kann kaum erwarten den Film noch einmal zu sehen. Ohne Frage werden mir Dinge auffallen, die mir beim ersten Ansehen entgangen sind und ist es nicht genau das was einen guten Film ausmacht?

PS: Der heimliche Star von ‚The VVitch‘ ist natürlich „Black Phillip“. Wie kriegt man einen Ziegenbock dazu zu tun was man von ihm will? Meiner (geringen) Erfahrung nach ist das fast unmöglich. Oder war er CGI?