Der Oktober ist vorüber und damit die Zeit für Horror eigentlich auch, zumindest zeitweise. Aber die gelungene Besprechung von „Jane Doe“ auf The Good The Bad and Indies hat dafür gesorgt, dass ich mir den trotz Post-Halloween-Zeit zu Gemüte führe. Für seine erste Regiearbeit seit dem gelungenen Found Footage Film ‚Trollhunter‘ von 2010 begibt sich der norwegische Regisseur André Øvredal über den großen Teich, zumindest was die Handlung angeht, gedreht wurde der Film in England. Ob mich sein Film um eine mysteriöse Leiche ebenso überzeugen konnte wie der um die großen, nordischen Ziegenhasser lest Ihr hier.
„Jane Doe“, wie wohl jeder weiß, der schon mal einen amerikanischen Krimi gesehen hat, beschreibt eine unidentifizierte, weibliche Leiche. Eine solche ohne erkennbare Wunden findet die Polizei einer Kleinstadt in Virginia im Keller eines Hauses voller sowohl identifizierter, als auch übel zugerichteter Leichen. In der Hoffnung das Schicksal der Unbekannten möge Licht auf die Vorgänge im Haus liefern, wird sie noch am späten Abend zu Bestattungsunternehmer und Rechtsmediziner Tommy Tilden (Brian Cox) gebracht, der, zusammen mit seinem Sohn Austin (Emile Hirsch) bis zum nächsten Morgen eine Todesursache feststellen soll. Schnell ergeben sich bei der Untersuchung der perfekt erhaltenen Leiche (Olwen Kelly) allerlei unerklärliche Widersprüche. Dann geschehen seltsame Dinge im Sektionsaal und draußen zieht ein gewaltiger Sturm auf…
Etwa die erste Hälfte des Films ist hervorragend. Øvredal inszeniert seine Autopsie nicht mit dem Ziel beim Zuschauer insbesondere Ekel zu erregen. Einerseits ist er brutal existenzialistisch, der Mensch auf dem Seziertisch ist nicht mehr als eine Haufen Fleisch und Knochen, andererseits faszinieren anfangs die zahlreichen Geheimnisse, die die Leiche birgt. Diese Geheimnisse lassen zwar ziemlich bald nur einen Schluss zu, der sich dann auch als richtig erweist aber der Weg dorthin ist durchaus faszinierend. Allerdings verliert der Film im zweiten Akt ein wenig, wenn er zu einem „gewöhnlichen“ Spukhaus-Film wird. Dabei hat Øvredal durchaus gute Vorarbeit geleistet. Er macht uns mit dem Kellergeschoss des Bestattungsunternehmens wo der Großteil des Films spielt sorgfältig bekannt, bevor er die Regeln komplett ändert und wir ebenso wie die Charaktere mit einer völlig neuen, weitaus klaustrophobischeren Situation umgehen müssen. Das größte Problem ist, dass der Film nie wirklich auf einen Klimax hinausläuft. An der Stelle, wo man einen solchen vermuten würde findet sich stattdessen ein etwas ungeschickter, expositorischer, geschichtlicher Abriss über Neu-England. Auch hat die Bedrohung nie wirklich etwas mit der Beziehung Vater-Sohn zu tun, bleibt somit immer etwas außerhalb der Figuren. Das soll nicht heißen, der Film würde nicht funktionieren, das tut er durchaus. Er kann nur die am Anfang gegebenen „Versprechen“ nicht ganz einlösen und wird zum Ende hin immer schwächer, was allerdings rein am Drehbuch liegt.
Vater und Sohn Tilden sind zwar nur grob umrissene Charaktere, allerdings gelingt es Brian Cox und Emile Hirsch diese Umrisse mit allerlei Leben zu füllen. Die scheinbare Gefühlskälte von Tilden sr., die er nicht nur den Leichen auf seinem Tisch, sondern auch seiner verstorbenen Frau entgegenbringt bleibt ein lange unausgesprochenes Hindernis zwischen Vater und Sohn. Überhaupt sind sie am besten, wenn sie wenig sprechen. Die Momente in denen sie wortlos kommunizieren, wie das ein Team, das seit Jahren zusammenarbeitet tun würde, gehören zu den effektivsten im Film. Wenn Cox dann später eine unerwartete Reueszene spielen muss und den rein aus Exposition bestehenden Klimax quasi allein bestreitet, dann kann der Film sich glücklich schätzen keinen schwächeren Schauspieler besetzt zu haben, dann wären diese Momente wohl komplett schiefgegangen. Zu erwähnen ist definitiv noch Olwen Kelly, als für einen Großteil des Films die titelgebende Jane Doe gibt. Sie konnte aus ihrer Erfahrung mit Yoga schöpfen, um Atmung und Körper zu kontrollieren, während sie bis zu 10 Stunden am Stück reglos auf dem Tisch liegen musste. Nicht zuletzt deshalb aber auch weil sie mit Ihrer Persönlichkeit dazu beitrug, dass sich niemand bei der ungewöhnlichen Situation am Set, zwei Schauspieler hantieren an einer nackten Frau herum, unwohl fühlte, nennt Øvredal ihre Rolle die schwerste und wichtigste des Films.
Auffällig ist, dass sich der Film in den ersten Minuten gegen die derzeit im Horrorgenre so beliebten „Jumpscares“ positioniert. Austins Freundin Emma (Ophelia Lovibond, das ist mal ein Name!) erschreckt ihn während der ersten Minuten des Films mit einem solchen „Buh“-Moment und bemerkt lachend „das ist soooo einfach“. Tatsächlich macht es der Film nicht so einfach. Er setzt zwar hin und wieder auch Jumpscares ein, allerdings sind die zumeist „verdient“ und mit entsprechender Atmosphäre untermauert.
Was als Fazit bleibt ist ein Film mit einer großartigen Ausgangssituation, die er allerdings nicht voll zu nutzen weiß. Der Rest hat immer noch eine Menge gelungener Momente zu bieten, allerdings weist das Drehbuch hier große Schwächen auf, die von den Darstellern aber zu einem guten Teil wieder aufgefangen werden können. Durchaus sehenswert.