Ist der wirklich sooo schlecht? ‚Jupiter Ascending‘ (2015)

Mit ‚Jupiter Ascending‘ tauchen die Wachowskis nun ein zweites Mal in der „Ist der wirklich sooo schlecht?“-Reihe auf. Aber seien wir ehrlich, ‚Speed Racer‘ hatte dort nicht wirklich etwas zu suchen und war dort nur, weil er ein finanzieller Flop war. Ich habe eine Menge guten Willens für die Wachowskis. Nicht nur weil sie mit ‚Matrix‘ und eben ‚Speed Racer‘ zwei großartige Werke und mit ‚Cloud Atlas‘ eine erstaunlich gelungene Verfilmung eines quasi unverfilmbaren Buchs abgeliefert haben, sondern auch weil sie selbst in ihren Fehlschlägen, wie etwa den Matrix Sequels, immer originell waren. Nie genau das abgeliefert haben, was man erwarten würde. Und Originalität ist dieser Tage im Film, gerade im millionenschweren Blockbuster-Bereich, ein mangelndes und wertvolles Gut.

Ich hatte so eine stille Hoffnung, dass ich mit ‚Jupiter Ascending‘ einen zweiten ‚Speed Racer‘ entdecken würde. Einen Film, der schlicht deshalb durchgefallen ist, weil er dem Publikumsgeschmack seiner Zeit diametral zuwider lief. Das Wenige, was ich über den Film gehört hatte, ließ ihn mindestens nach einem Meisterwerk des „Camp“ klingen: Channing Tatum als Möter in Raketenschlittschuhen, Sean Bean als Bienenmann namens Stinger Apini (warum nicht gleich Sean Bienlein?). Und dann ist da noch Eddie Redmaynes schauspielerische Entscheidung seinen Charakter… so zu spielen. Doch dazu wird später mehr zu sagen sein. Nun gilt es leider bereits zu verraten, dass meine Hoffnung enttäuscht wurde und mein guter Willen auf eine doch recht harte Probe gestellt wurde. Doch lasst mich kurz die Story anreißen, soweit mir das möglich ist.

Jupiter Jones (Mila Kunis) wurde von ihrer russischen Mutter auf der Überfahrt in die USA geboren, wo sie nun ein „illegal alien“ ist und sich mit Putzjobs in Chicago über Wasser hält. Eine Sequenzierung ihrer Gene löst jedoch eine Reihe Alarme im Weltall aus. Denn Jupiter ist die „genetische Reinkarnation“ eines mächtigen Mitglieds der Abrasax-Familie (kein Tippfehler). Diese züchtet Menschen auf tausenden von Planeten, um diese „abzuernten“, so bald genug Bevölkerung vorhanden ist, um die Menschen zu… blauem „Leute-Saft“ zu verarbeiten, der ewig jung hält und das wertvollste Handelsgut des Universums darstellt. Die Erde steht kurz vor der Ernte und gehört Balem Abrasax (Eddie Redmayne). Doch laut des Erbes seiner Mutter fällt unter anderem die Erde zurück an sie, falls ihre genetische Information erneut auftaucht, was sie in Form von Jupiter nun getan hat. Daher will Balem sie beseitigen, bevor sie ihr Recht antreten kann. Doch auch seine Geschwister Titus (Douglas Booth) und Kalique (Tupence Middleton) haben ihre eigenen Pläne und schicken Söldner auf die Erde. Darunter auch Caine Wise (Tatum), halb Mensch halb Wolf, der Jupiter vor allerlei Mordanschlägen schützen muss.

Das ist die kürzest mögliche Kurzfassung. Denn bis Minuten vor Filmende tauchen noch neue Charaktere auf, die mehr Exposition über die Welt des Films preisgeben. Und das ist auch schon eines der größten Probleme des Films. Anstatt eine Welt zu etablieren und dann die Charaktere darin handeln zu lassen, bauen die Wachowskis weiter und weiter an ihrer Welt, sind dringend darauf aus jeden Punkt zu erklären, ob nötig oder nicht. Über diese beständigen Erklärungen vergisst der Film seine Charaktere gern einmal. Beide nicht Balem Abrasax (ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mein Hirn ausbremsen muss, um nicht automatisch Abraxas zu tippen) Geschwister haben ihre mächtig bösen Pläne, die beide dadurch vereitelt werden, dass Channing Tatum auf seinen Raketenschlittschuhen durch eine Wand kracht. Sekunden später sind beide vergessen und werden nie mehr erwähnt. Da werden vom CGI Team und praktischen Bühnenbildnern und sicher nicht zuletzt vom Kostümdesign visuell wirklich beeindruckende Welten geschaffen, die wir für ein paar Sekunden zu sehen bekommen und dann vergessen sollen, um vom nächsten Setpiece beeindruckt zu sein. Nichts bekommt den benötigten Raum zum Atmen. Alles ist voller Ideen, die hingeworfen und dann vergessen werden, während sich die mäßig interessanten Hauptcharaktere Exposition erzählen. Insofern zeigt der Film erstaunliche Ähnlichkeit zu ‚Valerian und die Stadt der tausend Planeten‘. Wobei ich mit dem noch mehr Spaß hatte.

Doch das ist eine ungewollte Ähnlichkeit, viel entscheidender sind die absolut gewollten Zitate. Da sind erst einmal die Selbstzitate der Wachowskis. Jupiter ist mit ihrem Leben und ihrem Platz in der Welt unzufrieden und ist sich sicher, da müsse es doch noch mehr geben. Dann stellt sich heraus, dass sie in einer Welt lebt, wo Menschen letztlich nur Nutztiere für eine andere Macht sind. Whoa, deja vu! Um mal wieder Neo aus ‚Matrix‘ zu zitieren. Und die Idee der genetischen Reinkarnation? Das die exakt gleichen Menschen zu anderen Zeiten wieder auftauchen? Ich denke ich brauche keinen ‚Cloud Atlas‘, um den Ort zu finden, wo ich das schon mal gehört habe. Neben dieser Selbstreferentialität lehnt sich der Film aber auch auf andere Werke. Optisch wie inhaltlich ist er eine fröhliche Mischung aus ‚Flash Gordon‘, ‚Dune‘, ‚Star Wars‘ und ‚Per Anhalter durch die Galaxis‘, hat aber leider von George Lucas auch sein taubes Ohr für Dialoge übernommen, anstatt sich hier bei Douglas Adams zu bedienen. Doch die merkwürdigste und direkteste Referenz ist die auf Terry Gilliams ‚Brazil‘. Plötzlich nimmt sich der Film rund zehn Minuten für eine humoristisch-satirische Bürokratiesequenz, in der Jupiter ihre Königlichkeit beweisen muss (Sean Bienleins Bienlein erkennen Königinnen natürlich sofort, Bienen können das wie jeder weiß, allerdings wird das wohl vor Gericht nicht anerkannt). Sie werden von A nach B und von da zu C und zurück nach A geschickt. Gefilmt in typischer Gilliam Ästhetik. Und am Ende dieser Sequenz sitzt der dann da höchstselbst als oberster Bürokrat mit allerlei Requisiten an den Kopf geklebt und absolviert einen mäßig motivierten Cameo-Auftritt. Dann geht es weiter im geplanten Programm und die ganze Sequenz wird, natürlich, sofort vergessen.

Der ganze Film ist voller Rattenmenschen, Drachenmenschen und was weiß ich Menschen. Nur dürfen die alle nix machen. Da ist ein Elefantenmann-Pilot, den man zum ersten Mal während einer dramatischen Flugsequenz sieht, wo er ein Benjamin Blümeskes TÖRÖÖÖ loslässt. Ich habe auf die einzig mögliche Art reagiert: mit lautem Lachen. Aus der dramatischen Situation war ich raus. Ich habe nix gegen Elefantenmenschen in SciFi Filmen. Im Gegenteil, das klingt sehr cool. Aber führt ihn ein, lasst ihn durch seinen Rüssel atmen, anstatt plötzlichem TÖRÖÖÖ.

Wie passen alle diese Filmstile und Referenzen zusammen? Kaum. Das ist ein weiteres der Probleme. Ein Problem, das sich auch darin äußert, dass die Darsteller sich alle in unterschiedlichen Filmen wähnen. Mila Kunis spielt es wie eine RomCom. Mila Kunis ist hier nicht gut. So gar nicht. Sie ist eine Nichtpräsenz durch den ganzen Film, was ein Problem ist, wenn sie unsere Protagonistin ist. Sie schlafwandelt von einer Falle zur nächsten, geleitet nur von stumpfer Überraschung. Dann fällt sie irgendwo runter und Tatums Caine fängt sie auf. Und deshalb glaube ich auch nicht, dass eine bessere Darstellung diesen Charakter hätte retten können. Sie ist die Louis Lane zu Tatums Superdog. Selbst etwas tun darf sie eigentlich erst ganz am Ende des Films. Und beschließt nichts zu tun. Dann fällt sie wo runter.
Channing Tatum hingegen wähnt sich in einem höchst ernsthaften Film und kommt damit noch am besten weg. Mit seinem blonden Goatee und Vulkanierohren sieht er zwar weniger wie ein Werwolf und mehr wie eine böse Spiegeluniversum-Version eines Channing Tatum Star Trek-Charakters aus, doch hat er genug Charisma um hier einen okayen Actionhelden zu geben. Sean Bien sieht in keiner Weise aus wie eine Biene. Buh! Frechheit! Aber er stirbt auch nicht… glaub ich. Er wird einfach vergessen, genau wie alle anderen Charaktere.

Uuund daaann iiist daaa… Eddiiie Redmaaayne. Der ist in seinem ganz eigenen Film. Vermutlich einem Film, der nie das Licht der Öffentlichkeit hätte sehen sollen. Er spielt jede Szene, als hätte sich Ming der Gnadenlose in die Robe gepullert und versucht nun dies zu überspielen, während es ihm warm das Bein herunter rinnt. Den Kopf leicht nach hinten gelegt scheint er jedes Wort sowohl zu hauchen als auch herauszupressen. Er wurde viel für diese merkwürdig theatralische Darstellung kritisiert und irgendwo verstehe ich warum, aber mein Gott, er ist das Unterhaltsamste am ganzen Film. Besonders in seinen Szenen mit Kunis. Seine Theatralik ist irgendwo bei 95, ihre bei etwa 3. Ja, spätestens hier fällt der Film in sich zusammen, wie das aufgeblähteste Soufflé aller Zeiten, aber es ist immerhin unterhaltsam.

Auch wenn ich versucht habe unterhaltsam zu sein, hat mir diesen Text zu schreiben kein großes Vergnügen bereitet. 2018 haben die Wachsowskis ihr Studio geschlossen und einen möglichen Rückzug aus dem Filmgeschäft verkündet. Es wäre tragisch, wenn sich zwei hochoriginelle Stimmen mit einem solchen selbstreferentiellen, aufgeblähten Nichts vom Kino verabschieden würden. Sicher, die technischen Aspekte sind durch die Bank gelungen, bis hin zu Michael Giacchinos Musik. Und doch wirft der Film ein Schlaglicht auf die größte erzählerische Schwäche der Wachowskis: dass sie Weltenbau und Exposition nur allzugern über die Handlung und Charaktere setzen. Beim ersten Matrix kamen sie damit durch, bei den anderen beiden nicht. Ich behaupte genau deswegen ist ‚Speed Racer‘ ihr bester Film. Dort gibt es nichts zu erklären. Autorennen von a nach b, wer zuerst da ist hat gewonnen. Cool. Und nun können wird 2 Stunden damit zu bringen brillante Visionen aus diesem einfachen Konzept herauszuholen. Aber ‚Jupiter Ascending‘ fühlt sich an, als hätte man versucht eine dieser Jugendbuch-Trilogien, der Marke „du bist was ganz besonderes, aber in einer dystopischen Zukunft“, die mal so en vogue in den 2010ern waren, in einen Film zwängen wollen. Ohne dabei irgendwas zu streichen. Das Ergebnis ist so vollgestopft, das nichts mehr Bedeutung haben kann.

Ich bin froh, dass es nun doch nicht das letzte Werk der Schwestern sein wird, Lilly schreibt Bücher für eine Serie, und Lana arbeitet bekanntlich am vierten ‚Matrix‘ Film. Für den habe ich zwar keine großen Hoffnungen, doch origineller als das hier muss er fast sein.

Also, „ist der wirklich sooo schlecht?“ Ja. Leider.

Aber vielleicht ist es doch eine ‚Speed Racer‘ Situation und ich erkenne nur nicht die Qualität des Films? Falls ja, dann lasst es mich bitte wissen!

 

PS: hier noch ein Trivia-Nachtrag, der mir ansonsten vermutlich keine Ruhe gelassen hätte. Jupiter Jones ist natürlich der originale Name von „Drei Fragezeichen“ Nummer 1 Justus Jonas. Sind die Wachowskis also Drei Fragezeichen/Three Investigators Fans? Nun, es gibt einen Charakter namens Titus, wie Jupiters/Justus‘ Onkel in der Serie heißt und der auch hier (auf deutlich kompliziertere Weise) mit Jupiter verwandt ist. Auch einen Nebencharakter namens Bob, der Bürokrat ist und damit im weitesten Sinne Recherchen und Archiv betreibt. Aber ich glaube ehrlich gesagt, das ist purer Zufall. Schließlich hätten sie ja ansonsten Peter übersehen und der ist das beste Fragezeichen.

‚Matrix‘ (1999) – „Whoa, deja-vu!“

Kein Film bleibt in seiner Wahrnehmung 20 Jahre lang unverändert. ‚Matrix‘ war gleichsam absolutes Kind seiner Zeit, eine perfekte Abbildung von Mode, Musik und allgemeiner „Coolness“ der späten 90er, wie auch Trendsetter sowohl in technischer als auch in erzählerischer Hinsicht für den frühen Film des frühen 21sten Jahrhunderts. Dann wurden allerdings die Beine des kulturellen Thrones sehr schnell wackelig, als ein mäßiges und ein schlechtes Sequel folgten und ‚Matrix‘ noch dazu eines der Opfer des damaligen Trends zur Multimedialität wurde und für seine Sequels Handlungselemente in einen animierten Kurzfilm und ein hingeschludertes Videospiel auslagerte. Doch darum soll es heute nicht gehen. Heute sprechen wir über ‚Matrix‘ und der war ein Brett, ist noch ein Brett und wird es auch in 20 Jahren noch sein. Ich glaube was ihn so sehr zu einem Kung-Fu-Schlag vor das Brustbein machte, war wie überraschend er aus dem Nichts kam. Fangen wir da am besten an.

Lana und Lilly Wachowski setzten einen Fuß in die Tür Hollywoods durch ihre Mitarbeit am Drehbuch zum Stallone/Banderas Film ‚Assassins‘ (1995). In der Studioführung Warners erwartete man ganz Großes von dem Film. Ein neues Franchise sollte er begründen, zahlreiche Sequels nach sich ziehen. Noch bevor sich zeigte, dass der Rest der Welt deutlich weniger von ‚Assassins‘ hielt als die Warner-Bosse, stellten die Wachowskis Warner ihr eigenes Regieprojekt vor: ‚Bound‘, ein Arthouse-Neo-Noir-Thriller. Warner zeigte sich bereit den zu finanzieren. Aber nur, wenn sie ihre weibliche, lesbische Hauptrolle gegen ein Mann eintauschten. Dazu waren sie nicht bereit. Hier sprang glücklicherweise der ausführende Produzent von ‚Assassins‘, Dino De Laurentiis ein. Er gab ihnen 6 Millionen Dollar Budget und völlig freie Hand. Sie drehten mit Gina Gershon und Jennifer Tilly in den Hauptrollen und Joe Pantoliano als Fiesling. Der Film spielte sein Geld wieder ein, plus einiges dazu und wurde zu einem Kritikerhit. Beim nächsten Mal würde Warner den Wachwoskis wohl genauer zuhören.

Allerdings hatte man bei Warner als nächstes wohl mit einem weiteren Neo-Noir gerechnet. Das war in den 80ern/90ern ein respektables Genre und ein anderes Geschwisterpaar, die Coens, war dort groß geworden. Doch die Wachowskis kamen mit etwas anderem. Einem Arthouse-Science Fiction-Cyberpunk Film. Auch das war in den späten 90ern nicht so ungewöhnlich, doch sollte der 60 statt 6 Millionen Dollar kosten. Dennoch, Warner blieb interessiert, holte sich aber Village Roadshow zusätzlich ins Boot, um das finanzielle Risiko zu teilen. Den Wachowskis ließ man erneut freie Hand. Als sie ihre Stars zu monatelangem Kampfsport- und Stunt Training unter dem Hong Kong-stämmigen Yuen Woo Ping ansetzten und sie in den Pausen philosophische Literatur büffeln ließen, dürften bei Warner die einen oder anderen Fingernägel angekaut worden sein. Das gab sich wohl erst, als der Film nicht nur ein kultureller Meilenstein wurde, sondern auch eine knappe halbe Milliarde Dollar einspielte.

Die Produktion ist so gut dokumentiert wie sonst höchstens noch die ‚Herr der Ringe‘ Filme, darum will ich darüber hier nichts schreiben. Erwähnt sei nur die Anekdote, dass Hauptdarsteller Keanu Reeves im Kampftraining einen Unfall erlitt, infolge dessen es zu einer Versteifung zweier Halswirbel kam. Daher litt er längere Zeit an Lähmungserscheinungen in den Beinen. Doch Reeves weigerte sich das Training auszusetzen, geschweige denn die Rolle abzugeben. So tritt Neo im Film kaum (und wenn ist meist nur „sein“ Bein im Bild), sondern kämpft mit den Fäusten. Umso befriedigender, wenn er am Ende des Films Widersacher Agent Smith gleich einen ganzen Gang hinunterkickt.

Das bringt mich dazu, dass ich vielleicht kurz die Handlung zusammenfassen sollte. Mr. Anderson (Keanu Reeves ) führt ein Doppelleben. Tagsüber Programmierer für eine Softwarefirma, nachts als Hacker Neo auf der Suche im Netz nach jemandem namens „Morpheus“, getrieben von einem Gefühl, dass mit der Welt etwas nicht stimmt. In einem Club trifft er Hacker-Legende Trinity (Carrie-Ann Moss), die ihm mitteilt, dass Morpheus auch ihn sucht. Alsbald sieht sich Neo von mysteriösen Agenten unter der Leitung eines Smith (Hugo Weaving) verfolgt, deren Handeln ihn noch mehr an der Welt zweifeln lässt. Endlich begegnet er Morpheus (Lawrence Fishburne) und erfährt die ganze Wahrheit. Seine Welt existiert nicht. Es ist eine Simulation, die „Matrix“. Tatsächlich werden die Menschen schon lange von den Maschinen als biologische Batterien gehalten. Nur wenige sind frei und versuchen weitere aus der Gefangenschaft zu befreien. Tatsächlich glaubt Morpheus gar mit Neo den „Einen“ gefunden zu haben. Den Menschen, der die Matrix kontrollieren kann.

Heute gesehen, fühlt sich der Film erstaunlich wie eine „Brücke“ zwischen klassischem Actionfilm und dem modernen Superheldenfilm an. Machen wir das mal an der Eröffnung fest. Eine Gruppe Polizisten hat „Terroristin“ Trinity in einem leeren Warenhaus in die Enge getrieben. Eine Gruppe Agenten übernimmt die Situation. Als Zuschauer werden wir dank (damals) unbekannten Darstellern wie Moss und Weaving vor die Frage gestellt, wer ist eigentlich „gut“, wer ist „böse“? Die Agenten oder die mysteriöse Frau im engen Leder? Es folgt eine Verfolgung über Häuserdächer (übrigens dieselben Kulissen aus dem thematisch ähnlichen ‚Dark City‘), der sich mit gigantischem Soundtrack und teilweise deutlichen Sets sehr nach „altem“ Hollywood anfühlt. Die Szene endet damit, dass Trinity einen unmöglichen Sprung über eine breite Straße hinweg hinlegt, verfolgt vom Agenten (der gar in typischer Superheldenpose landet). Wir haben den modernen Film erreicht, die Polizisten bleiben verwirrt und hilflos zurück. Dieser Übergang von Alten zum Neuen lässt sich überall im Film finden, nicht zuletzt, wenn sich am Ende Neo Superman-artig aus den Häuserschluchten erhebt.

Über die philosophischen Grundlagen des Films ist an anderen Stellen weit ausführlicher und kompetenter berichtet worden (die Bluray kommt gar mit Audiokommentar von Philosophen daher) als mir das hier möglich wäre. Ich möchte nur noch einmal hervorheben, dass kein Film 20 Jahre lang unverändert wahrgenommen wird. Und mit dem was wir heute darüber wissen, dass Lilly und Lana Wachowski Transfrauen sind, erhalten manche Szenen sicherlich eine weit persönlichere Bedeutung als man damals ahnen konnte. Sei es Neo, der weiß, dass sein wahrer Name Neo ist, doch eine Horde anzugstragender Autoritätspersonen (die Agenten) besteht darauf ihn weiter „Mr. Anderson“ zu nennen. Oder auch der erste Dialog zwischen Trintiy und Neo: Neo „I thought you were a guy.“ Trinity: „Most guys do.“ Oder schlicht die Tatsache, dass Neo eine Pille einnimmt um zu der Person zu werden, die er wirklich ist.

Thematisch passt sich das natürlich wunderbar in das grundsätzliche Thema des Films um Erkenntnis, Platons Höhlengleichnis etwa wird direkt zitiert, und vor allem Selbsterkenntnis ein. Temet Nosce steht über der Tür des Orakels (Gloria Foster), die lateinische Version der altgriechischen Phrase „Gnothi seauton“, die über dem Tor zur Pythia im Apollonischen Orakel zu Delphi stand. „Erkenne Dich selbst“. Da passt es, dass die Sprüche dieses Matrix-Orakels keinesfalls deterministische Zukunftsvoraussagen sind, sondern notwendige, wenn auch kryptische Informationen eben zur Selbsterkenntnis. Daher vergebe ich ‚Matrix‘ auch die Verwendung meiner wohl meistgehassten erzählerischen Faulheitsstütze: die Prophezeiung, die uns sagt, dass der Hauptdarsteller des Films der Held ist und auf die sich Morpheus immer wieder bezieht, damit wir das auch wirklich kapieren. Hier, im Gegensatz zu fast jeder anderen Verwendung, funktioniert sie (halbwegs).

Was mir bei diesem Sehen ganz persönlich aufgefallen ist, ist zum ersten, dass ich erschreckend mit Cypher (Joe Pantoliano) übereinstimme. Nicht mit seinem Verrat und seinen Morden, natürlich, aber damit, dass ich lieber für den Rest meines Lebens simuliertes Steak mit simuliertem Wein genießen würde, als echten Proteinrotz mit echtem, selbstdestillierten Hirntöter, während ich ein Leben auf beständiger Flucht führe. Ja, ich fürchte, ich wäre schwer aus der Matrix zu befreien (aber, hey, Morpheus sagt ja selbst, dass das ab einem bestimmten Alter kaum noch möglich ist. Das hab ich wohl überschritten…). Weiterhin hat mich überrascht, dass der Film deutlich weniger Action enthält als sich in meiner Erinnerung abgesetzt hatte. Aber das liegt vermutlich daran, dass gerade die letzte dreiviertel Stunde, nachdem Trinity und Neo beschließen Morpheus zu befreien, eine Actionszene nach der anderen ist. Von der grandiosen Schießerei in der Empfangshalle zum Kampf gegen den Agenten auf dem Dach, zur Hubschrauberrettung, zum Kampf Neo/Smith in der Ubahnstation usw.

Funktioniert ‚Matrix‘ also 21 Jahre nach Erscheinen und sicher 16 Jahre seit meiner letzten Sichtung noch? Die Frage habe ich ja eingangs schon beantwortet: ja, natürlich funktioniert er noch. In mancher Hinsicht womöglich besser als damals. Die Idee von Neos Doppelleben in „Realität“ und Online ist heute besser nachzuvollziehen als je zuvor, wo jeder mindestens einen Sozialmedien-Account hat, auf dem die meisten, absichtlich oder unabsichtlich, eher eine Version ihrer selbst als tatsächlich sich präsentieren. Die CGI Effekte haben, vor allem verglichen mit dem etwa gleichalten ‚Star Wars Episode I‘, die Zeit erstaunlich gut überstanden. Schwach wirkt nur die ein- oder andere Greenscreenaufnahme. Tatsächlich hat mir der Film diesmal so gut gefallen, dass ich fast gewillt bin den Fortsetzungen eine weitere Chance zu geben. Sollte ich das tun und sollten sie mir gefallen, dann werdet Ihr an dieser Stelle darüber erfahren. Und dem vierten ‚Matrix‘ Film schaue ich einmal skeptisch aber nicht hoffnungslos entgegen.

PS: eine Frage für Experten: wurde für die BluRay die Grünfärbung in den Matrix-Szenen deutlich zurückgenommen? Oder kommt mir das nur so vor? Oder hab ich meinen Fernseher falsch eingestellt? Oder das Ganze nur falsch in Erinnerung?

Ist der wirklich sooo schlecht? ‚Speed Racer‘ (2008)

Zehn Jahre alt wird der berüchtigte Flop der Wachowski Geschwister diesen Sommer. Kann es einen besseren Moment geben, um den Blick zurückzuwenden und die Frage zu stellen, ob die Verfilmung eines 60er Jahre Manga von Tatsuo Yoshida (bzw. der etwas späteren Anime-Serie) wirklich derart misslungen ist, wie ihr Ruf vermuten lässt? Kurz: Ist der wirklich sooo schlecht?

Allerdings spiele ich heute nicht nach meinen eigenen Regeln und verrate meine Antwort im Voraus: um Himmels Willen, nein! ‚Speed Racer‘ ist in keiner Hinsicht ein schlechter Film. Er ist ein ungewöhnlicher Film. Für den Mainstream von 2008 ist er sogar ein zu ungewöhnlicher Film, der dazu noch das Pech hatte gegen den schlimmstmöglichen Rivalen antreten zu müssen. In einem Duell, das womöglich den Hollywood Popcorn Mainstream der letzten 10 Jahre entscheidend beeinflusst hat. Falls Euch das noch nicht neugierig genug auf den Artikel gemacht hat, lasst Euch sagen, dass Batman auch noch auftaucht! Verlieren wir also bloß keine Zeit! Weiterlesen