Jeder Filmfan ist irgendwo beindruckt von Stuntleuten. Drohte ihr Berufsstand über viele Jahre womöglich von CGI Trickserei überflüssig gemacht zu werden, hat in den letzten Jahren der Erfolg von Filmen wie ‚John Wick‘, ‚Fury Road‘ oder der ‚Mission: Impossible‘ Reihe gezeigt, dass „echte“ handgemachte Stunts, vielleicht unterstützt von CGI, einen weit größeren Wow-Effekt auszulösen vermögen, als reine Computergrafik. Irgendwas in unserem Hirn erkennt, wozu menschliche Körper in der Lage sind und was eben nur noch ein „Cartoon“ ist.
Auch Hollywood scheint diese neue Liebe für Stuntleute erkannt zu haben. Brad Pitt hat einen Oscar gewonnen, für seine Darstellung von Stuntman Cliff Booth in Quentin Tarantinos ‚Once Upon A Time in Hollywood‘. Derzeit läuft ‚The Fall Guy‘ im Kino, eine Wiederauflage des alten Colt Seavers Stoffes und dem Vernehmen nach eine Hommage an das Stuntfach. Das ist schön und gut, doch hat Pitts Oscargewinn Stunt Koordinator Jack Gill zu einer inzwischen zum Meme geworden Bemerkung gebracht: „Ist es nicht erstaunlich, dass man als Schauspieler, der einen Stuntman spielt einen Oscar gewinnen kann? Aber als Stuntman kann man keinen Oscar gewinnen?“ Und Gill muss es wissen, hat er doch über 30 Jahre lang versucht, die Academy dazu zu bewegen, einen Preis für Stuntleute auszuloben. Ohne Erfolg.
Sind es bekannte Stars, die ihre eigenen Stunts vollführen, dann wird viel darüber geredet und geschrieben, das Publikum zeigt sich tief beeindruckt. Sei es ein Tom Cruise oder ein Jackie Chan (das soll kein Vorwurf an beide sein, gerade Chan hat sich bereits in den 70ern dafür eingesetzt, dass Stuntleute in seinen Filmen im Abspann genannt werden, was keinesfalls üblich war!). Darsteller können auch von Stunts profitieren, wenn sie sie gar nicht selber vollführen. Charlize Theron etwa, hat sich in den letzten Jahren zur Actiondarstellerin entwickelt. Völlig verdient, wie ich gleich anmerken möchte. Allerdings werden doch auch eine Dayna Grant oder Monique Ganderton daran gewisse Mitarbeit geleistet haben. Wer sind die? Ihre Stuntfrauen in ‚Fury Road‘ bzw. ‚Atomic Blonde‘. Das ist übrigens gar nicht leicht herauszufinden. Googelt man zum Zeitpunkt zu dem ich dies schreibe „Charlize Theron stunt performer“ findet man Aurélia Agel. Und tatsächlich, Frau Agel war mehrfach Stuntfrau für Theron (etwa in ‚Fast & Furious X‘), aber für Google interessant ist sie eher, weil die Klatschpresse auf sie aufmerksam wurde, da sie Justin Howell, Chris Hemsworths Stuntperformer geheiratet hat. Cool.
Was also sind die Gründe, warum Stunts einerseits essentieller Teil des Kinos sind, dem von Publikum und Machern immer wieder Respekt gezollt wird, der aber ohne eine Kategorie beim größten Preis der Filmbranche auskommen muss?
Erste Vermutung: Snobismus. Die Hollywoodeliten schauen auf das Stuntproletariat herab und wollen es nicht würdigen. Das ist jetzt natürlich absichtlich dick plakativ formuliert, wird aber sicherlich zu einem Teil durchaus wahr sein. Viele technische Kategorien der Oscars werden in ihre eigene „Show“ ausgelagert, die nicht im Fernsehen übertragen wird. Oscars sind Glamour und Glanz der Stars. Da mögen Stuntleute vielleicht nicht ganz reinpassen. Aber das ist auch genau der Grund warum ich es nicht glaube. Wenn Hollywood auf ein „Proletariat“ herabschaut, dann sind das CGI Künstler und die bekommen ihren eigenen Preis für visuelle Effekte. Lagert halt den Stuntpreis auch zu den Technik-Oscars aus, Problem gelöst.
Zweite Vermutung: es zerstört die Magie des Films. Wir wollen für 90 Minuten glauben, dass Arnold Schwarzenegger oder Bruce Willis diese Charaktere sind, die alles einstecken können und nur umso härter austeilen. Wenn wir merken, dass das irgendwer anderes ist, der vom Dach springt, oder vom Auto umgefahren wird, dann beschädigt es den Film an sich. Das halte ich ebenfalls für unsinnig. Im Zeitalter der DVD konnte uns Hollywood gar nicht genug hinter die Kulissen gucken lassen. Die eigentliche „Magie“ des Films ist, dass wir alle ziemlich genau wissen, wie er gemacht wird, er aber dennoch funktioniert. Beim Bühnenmagier wissen wir auch, dass der „nur“ flinke Finger hat, beeindruckt sind wir doch. Überzeugt mich also auch nicht.
Kommen wir also zum dritten Punkt Der ist weniger eine Vermutung, sondern die häufig gelesene, wenn auch nicht ganz „offizielle“ Begründung: ein Preis würde zu immer gefährlicheren Stunts verführen. Und das ist ja nun der größte Quatsch überhaupt. Dieses sprichwörtliche „höher, schneller, weiter“ Denken gibt es doch ohnehin schon. Adrenalinjunkie Cruise muss sich für jeden ‚Mission: Impossible‘ Film irrsinnigere Stunts ausdenken. Jeder ‚John Wick‘ Film muss den letzten in Sachen Rumms übertrumpfen. Schaut Euch die, im wahrsten Sinne des Wortes, halsbrecherische Eskalation von Jackie Chans Stunts an, bis er, notwendiger Weise, die Reißleine gezogen hat.
Aber es gewinnt doch ohnehin in keiner Kategorie der auffälligste Kandidat. Es gewinnt doch nicht die grellste Maske, die irrsinnigsten Kostüme oder das durchgeknallteste Setdesign. Es gewinnt, wenigstens theoretisch, wir reden hier immer noch über Oscars, der Beitrag, der den künstlerisch wichtigsten Beitrag zur Gesamtheit des nominierten Films beigetragen hat. Und das wäre bei Stunts ja nicht anders. Bloß weil jemand ohne Netz einen Dreifachsalto von einem Hochhausdach an eine Quadcopter-Drohne vollführt, wäre das ja noch lange nicht preiswürdig, solange es nicht zur Gesamtheit des umliegenden Films beiträgt. Und da halte ich Stuntkoordinatoren für erfahren und vernünftig genug, die Gesundheit ihrer Stuntleute nicht aus purer Preisgeilheit zu verheizen.
Die Gründe überzeugen mich also nicht, aber den Preis gibt es trotzdem nicht. 2025 wird es einen Oscar für das beste „Casting“ geben. Einen Preis, den ich für redundant halte, der mit besten (Neben-)Darstellern abgedeckt sein sollte. Bestes Ensemble hätte ich da noch für vernünftiger gehalten. Stuntleute werden jedoch wieder leer ausgehen. Aber hey, vielleicht wird ja Ryan Gosling für ‚The Fall Guy‘ nominiert. Dann kann man immerhin das alte Pitt/Gill-meme direkt wieder aufwärmen.