Ich schreibe hier ja gerne den Satz, dass heutzutage kein Franchise mehr sterben darf. Alles wird rebootet, remaket, resequelt, oder re-wasauchimmert. Da fällt eben doch auf, wenn ein potentielles Franchise einfach verschwindet. Vor allem eines, das in einem, für die heutige Großmacht der Popkultur, so wichtigen Moment kam. Die Rede ist von ‚Falsches Spiel mit Roger Rabbit‘, der 1988 ein dringend benötigter Erfolg für Disney Animation war. Ein großer Erfolg, eine neue Disneyfigur in einer Zeit, als die Firma drohte der Bedeutungslosigkeit anheimzufallen. Aber dann gab es nie ein Sequel, nur eine Handvoll Kurzfilme. Was war passiert? (im Folgenden werde ich mich nur auf die Filmaspekte von Roger Rabbit beschränken, die Bücher von Gary K. Wolf und das eine Fahrgeschäft in Disney Parks bleiben (weitgehend) außen vor)
Dafür müssen wir kurz die beteiligten an der Produktion von ‚Falsches Spiel mit Roger Rabbit‘ vorstellen. 1981 kaufte Disney die Filmrechte an dem Buch ‚Who Censored Roger Rabbit?‘ von Gary K. Wolf. Für die Produktion der Story, in der Toons real existierende Darsteller sind, wäre eine komplexe Mischung aus Real- und Zeichentrickfilm notwendig. Ein Regisseur namens Robert Zemeckis interessierte sich für das Projekt. Aber der hatte nicht viel Erfahrung und keine Erfolge vorzuweisen und so versandete das Projekt schnell.
1984 sah es finanziell sehr düster aus für Disney. Die Zeichentrickfilme zündeten nicht mehr und man hatte sehr viel Geld in allerlei Realfilmprojekte versenkt, im vergeblichen Versuch den Erfolg von ‚Star Wars‘ zu kopieren. Neues Blut musste her und das kam in Person von Michael Eisner, der von Paramount herüberwechselte und Disneys CEO wurde. Er brachte seinen Kollegen Jeffrey Katzenberg mit, dem er die Verantwortung für Film- und Zeichentrickproduktion übertrug. Und der dachte ernsthaft darüber nach, die Zeichentricksparte schlicht dichtzumachen.
Denn Disney hatte inzwischen schwere Konkurrenz in dem Feld. Ausgerechnet in Person von Ex-Disney-Animator Don Bluth. Der arbeitete gerade an seinem neuesten Film ‚Feivel, der Mauswanderer‘ und bekam dabei Unterstützung von Hollywoods Regie-Superstar Steven Spielberg. Seit der Mitte der 70er mit ‚Der Weiße Hai‘ den Sommerblockbuster etabliert hatte und danach mit einer ganzen Reihe von Superhits auftrumpfen konnte, besaß er in Hollywood quasi carte blanche. Das ist wohl auch der Grund, weswegen man bei Disney willens war, ihm, trotz seiner Arbeit mit „Nestbeschmutzer“ Bluth, zuzuhören, als er ‚Roger Rabbit‘ wieder ins Gespräch brachte. Das und die Tatsache, dass allgemein bekannt war, dass Spielberg ein Animationsnerd war und ist und durchaus wusste, wovon er spricht.
Katzenberg jedenfalls war Feuer und Flamme von der Idee. Eisner war verhaltener, aber da quasi alles, was Spielberg anfasste zu Gold wurde und Disney dringend einen Hit brauchte, ließ er sich ein. Spielberg sollte einen erheblichen Anteil an den Einnahmen des Films erhalten und bekam ein umfassendes kreatives Veto-Recht. Dafür würde er seinen Einfluss nutzen, um bei anderen Studios wie Warner oder MGM für die Verwendung der dortigen Cartoon-Charaktere zu werben. Disney behielte alleiniges Produktionsrecht, sämtliche Einnahmen aus Merchandise und abgesehen von Spielbergs Veto quasi sämtliche Rechte am Charakter. Die Regie ging an Robert Zemeckis, der sich inzwischen mit ‚Zurück in die Zukunft‘ (produziert von Spielbergs Amblin Entertainment) einen großen Namen gemacht hatte.
Über die schwierige Produktion will ich hier gar nicht viel schreiben, man darf aber annehmen, dass als 1986 ‚Feivel‘ Disneys hauseigenem ‚Basil, der große Mäusedetektiv‘ im Kino den Käse vom Brot nahm, Michael Eisner nur mäßig glücklich gewesen sein dürfte. Aber als ‚Falsches Spiel mit Roger Rabbit‘ 1988 der dringend benötigte Erfolg wurde, dürfte der Ärger schnell verraucht gewesen sein. Disney waren wieder da, mit einem Film, der klassische Animation und Toons feierte wie kein zweiter. Natürlich sollte schnell eine Fortsetzung her. Nein, nicht bloß eine Fortsetzung, Disney würde erstmals seit 1965 wieder animierte Kurzfilme als Vorfilme fürs Kino produzieren! Mit Roger Rabbit! Für durchaus heftige Millionenbudgets! Roger Rabbit, ein Charakter aus den fiktiven 40ern würde Disneys neuer Charakter für die ebenso realen, wie wilden 90er! Eisner, Katzenberg und Spielberg dürften sich in diesem Moment ein letztes Mal wirklich gut verstanden haben. Bloß Zemeckis wollte nix mehr damit zu tun haben, die Arbeit am Roger Rabbit Film bezeichnete er später als „die Hölle“.
1988 jedenfalls war der 60te Geburtstag von Micky Maus. Und in einem Fernsehspecial gehörte natürlich Roger zu seinen Gratulanten. Das sah schnell und billig hinproduziert aus und war es natürlich auch. Genau so sollte Roger aber nicht aussehen. Gespräche um ein vernünftiges Sequel begannen direkt. Amblin Mitbegründerin Kathleen Kennedy hörte einen Vorschlag von einem jungen Mann namens J.J. Abrams, der sie schwer begeisterte. Allerdings wohl niemanden sonst. Man darf sich durchaus fragen, ob hier die Grundlage für die Star Wars Sequels Jahrzehnte später gelegt wurde, aber das ist ein anderes Thema. Man entschied sich stattdessen für ein Skript namens ‚Toon Platoon‘, in dem eine Truppe aus Toons im Zeiten Weltkrieg gegen die Nazis kämpft und später Jessica Rabbit retten müssen, die von den Nazis entführt wurde und gezwungen wird, Propaganda zu drehen. Später verschob sich die Handlung auf die Bekämpfung von Nazi-Spionen in Hollywood, da man die anderen Studios wohl schwer hätte überzeugen könnte, ihre Toons in Kriegshandlungen zu zeigen (und Disney selbst wohl auch kalte Füße bekam). Für den Realfilm-Teil zeigte sich Tom Cruise sehr interessiert an einer Zusammenarbeit. Da es ein Prequel würde, wäre Bob Hoskins ohnehin raus.
1989 erschien der erste Roger Rabbit Kurzfilm, ‚Tummy Trouble‘ vor ‚Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft‘. 1989 verschoben sich aber auch die Verhältnisse bei Disney. Schon seit 1987 hatte man mit ‚Duck Tales‘ mit ganz klassischen, eigenen Charakteren Erfolg im Fernsehen. Und nun kehrte auch der Kinoerfolg mit ‚Arielle, die Meerjungfrau‘ lautstark zurück. Ein Erfolg, den man im nächsten Jahr mit ‚Die Schöne und das Biest‘ direkt wiederholen würde. Erfolge, an denen Disney die alleinigen Rechte besaß, die nicht mit einem Spielberg durchgesprochen werden mussten. Katzenberg war immer noch Rogers größter Fan, aber Eisner war nicht glücklich. Insbesondere da Spielberg, der sich inzwischen mit Bluth überworfen hatte, mit Amblimation nun auch noch ein eigenes Trickfilmstudio gründete und so in direkte Konkurrenz zu Disney trat.
Die Diskussionen zwischen den Roger Rabbit Verantwortlichen wurden wohl schärfer. Spielberg wollte 1990 den zweiten Kurzfilm vor dem von ihm produzierten ‚Arachnophobia‘ schalten. Eisner war strikt dagegen. Roger richtete sich vornehmlich an Kinder und die schauen keine Horrorkomödie um Mörderspinnen. Nein, der Kurzfilm sollte vor ‚Dick Tracy‘ geschaltet werden. Der spielte, wie Roger, in den 40ern und Eisner war sicher, das würde Disneys ‚Batman‘, also ein Riesenerfolg. Da Spielberg nur kreativ mitreden durfte, das Programmatische die Sache Disneys war, setzte Eisner sich durch. ‚Roller Coaster Rabbit‘ lief vor ‚Dick Tracy‘ (und so weh es mir auch tut, ich muss Eisner hier Recht geben! Also was die Wahl des Films betrifft, nicht so sehr bei der Idee ‚Dick Tracy‘ könnte ein ‚Batman‘-artiger Erfolg werden).
1991 sollte der dritte Kurzfilm erscheinen. Vermutlich vor ‚Rocketeer‘. Nun aber machte Spielberg von seinem Veto-Recht Gebrauch und stoppte die Produktion. Warum? Um Eisner die Sache mit ‚Arachnophobia‘ brühwarm heimzuzahlen? Durchaus möglich. Aber es gibt Leute, die dem Projekt nahestanden, die sagen ‚Hare in my Soup‘ war schlicht nicht besonders gut und Spielberg hätte die Produktion aus Qualitätsgründen gestoppt. Wie dem auch sei, dies sorgte dafür, dass auch die Produktion des ‚Roger Rabbit‘ Sequels pausiert wurde.
Spielberg hatte vermutlich inzwischen Roger Rabbit insgesamt satt, nicht zuletzt, weil die Gespräche mit Eisner vermutlich so lustig wie Zähne ziehen waren. In der Zeichentrickserie ‚Tiny Toon Abenteuer‘, die Amblimation für Warner produzierte, tauchte in Folge 61 ein Charakter auf, der Roger sehr ähnlich war, mit ähnlich lispelnder Stimme sprach und vom Publikum von einer Bühne ge-buht wurde. Es gab damals Gerüchte Spielberg selbst hätte den Dialog dieses Charakters eingesprochen. Das stimmt wohl nicht, aber als Zustandsaufnahme ist es doch deutlich.
Tom Cruise stieg alsbald aus dem Film-Sequel aus, 1992 endete das Projekt offiziell, die Animatoren wurde stattdessen zum ‚König der Löwen‘ beordert. Der Grund dafür könnte schlicht das Auseinanderdriften von Disney und Spielberg sein, allerdings gibt es noch eine andere Theorie. Spielberg befand sich damals in der Vorbereitung zu ‚Schindlers Liste‘. Und der Film veränderte seine Sicht auf Nazis komplett. Verwendete er sie zuvor als oftmals komisch/groteske Schurken, wollte er das nach dem Film nicht mehr tun. Und Roger Rabbit gegen Nazi Spione klingt eindeutig nach albernen Nazi Charakteren.
Spielberg jedenfalls setzte Ideen, die er sicherlich noch für Roger hatte vermutlich 1993 in ‚Animaniacs‘ um, einer weiteren Zeichentrickserie für Warner, die die Prämisse, dass Cartoonfiguren Darsteller sind, direkt übernimmt. Bei Disney wollte man wohl ebenfalls seinen eigenen Roger und schuf die Serie ‚Bonkers‘, um einen Cartoon Luchs, der vom Wacky Toon Studios gefeuert wird und der dann bei der Polizei anheuert. Im Gegensatz zu ‚Animaniacs‘ war ‚Bonkers‘ aber kein großer Erfolg beschert (und ich bin mir sicher, ihr lest hier zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert den Namen).
Und doch taute das Eis 1992 ein letztes Mal zumindest an. Ein vierter (bzw. neuer dritter) Roger Rabbit Kurzfilm wurde produziert, ‚Trail Mix-Up‘. Der lief 1993 vor ‚Die Spur des Windes‘. Und wenn Ihr Euch jetzt wundert, warum Ihr von dem Film noch nie gehört habt, keine Sorge, das hat sonst auch keiner. Nun kann man sich fragen, ob das eine letzte Boshaftigkeit von Michael Eisner war, um dem Hasen den Rest zu geben, oder ob Disneys Programm 1993 einfach nicht viel mehr hergab.
Danach jedenfalls kühlte die Beziehung zwischen Eisner und Katzenberg extrem ab. Als Disneys Vizepräsident Frank Wells 1994 bei einem Hubschrauberabsturz starb, erwartete Katzenberg auf dessen Position befördert zu werden. Als Eisner verkündete diese Position zunächst unbesetzt zu lassen und ihre Aufgaben kommissarisch selbst auszuführen, war das Tischtuch endgültig zerrissen. Katzenberg verließ Disney und gründete DreamWorks SKG, gemeinsam mit David Geffen und… Steven Spielberg. DreamWorks holte die Animatoren vom aufgelösten Amblimation an Bord und positionierte sich sofort als direkte, aggressive Konkurrenz zu Disney und Pixar. Nirgendwo war das deutlicher als bei Katzenbergs Herzensprojekt, an das niemand sonst bei DreamWorks glaubte. ‚Shrek‘, eine Parodie auf Disneys Märchenumsetzungen, deren Schurke, Lord Farquart, in einer Art Disneyland lebte und die Gesichtszüge von Michael Eisner trug. Wenn Katzenberg etwas konnte, dann einen ordentlichen Groll hegen.
Damit sollte die Geschichte Rogers eigentlich enden. Tut sie aber nicht. Wegen Michael Jordan, ausgerechnet. Michael Eisner sah 1997 mit einigem Ärger den gigantischen Erfolg, den Warner mit ‚Space Jam‘ einfuhr. Das hätte, seiner Meinung nach, verdammt nochmal Roger Rabbit sein sollen! Und so wurde ein Roger Rabbit Prequel erstaunlich schnell in Produktion gegeben. Und Spielberg legte überraschend kein Veto ein. Hier sollte Roger ein Helfer hinter der Bühne am Broadway sein, der in Star Jessica verknallt ist und durch Zufall selbst Karriere macht. Eisner gab Songs bei Stammkomponist Alan Menken in Auftrag, wollte Pixar Technologie nutzen, um die Produktion zu erleichtern. Doch da es keine Budget-Voraussagen unter 100 Millionen Dollar gab, verwarf Eisner die Idee alsbald wieder. Übrig von dem Projekt ist nur einer der Songs von Menken, der 2008 auf dem Debütalbum von Schauspielerin und Sängerin Kerry Butler verwendet wurde.
Damit sollte die Geschichte Rogers eigentlich enden. Tut sie auch. Weitgehend. In den 2000ern arbeitete Robert Zemeckis an der DVD-Umsetzung von ‚Falsches Spiel mit Roger Rabbit‘ und fand auf einmal wieder Interesse an einer Fortsetzung. 2010 zeigte sich auch Bob Hoskins interessiert, verabschiedete sich 2012 jedoch aufgrund seiner Parkinson Erkrankung von der Schauspielerei. Ebenfalls 2012 verkündete Zemeckis, man warte nur auf das „Okay“ der Disney-Chefetage (inzwischen Eisner Protegé Bob Iger). Seitdem gab es keine News mehr zu dem Thema. Das Okay kam offenbar nie.
Meine Einschätzung ist, dass Disney Roger Rabbit nicht wieder anfassen, solange sie nicht volle Kontrolle über den Charakter haben. Warum auch, wenn sie doch volle Kontrolle über einen Großteil der Popkultur haben? Die Frage ist also, ob Spielberg bereit wäre, seinen Anteil zu verkaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sehr daran hängt. Die nächste Frage wäre, ob Disney seinen Preis bezahlen wollen würde. Und dann ist da die Frage, ob sich heute überhaupt noch jemand für ein Sequel/Prequel interessieren würde. Roger selbst ist halb vergessen, klassische Cartoons finden kaum noch Interesse und haben wenig Platz in der heutigen Programmgestaltung. Immerhin, die Roger Rabbit-Kurzfilme kann man nun wohl als Extras auf Disney+ schauen.
Hier haben wir also ein Franchise, dass womöglich gestorben ist. Gescheitert an den gigantischen Egos hinter den Kulissen von Hollywood. Und an Disneys unaufhaltsamem Erfolg in den 90ern, der den albernen Hasen schlicht überflüssig machte.