‚Jackie‘ (2016) – „Don’t let it be forgot, that for one brief, shining moment there was a Camelot“

Beinahe jeder von uns dürfte irgendwann schon einmal den Zapruder-Film gesehen haben. Jene unschuldige, private Aufnahme, die Abraham Zapruder im November 1963 in Dallas vom vorbeifahrenden Wagen Präsident Kennedys machen wollte, die aber unversehens zu einem merkwürdig gesellschaftlich akzeptierten Snuff-Film werden sollte. In ruckeligen, verwaschenen Aufnahmen sehen wir, wie der Kopf des Präsidenten nach hinten zuckt, seine Frau, Jacqueline „Jackie“ Kennedy, in einer nervösen Übersprungshandlung, an die sie sich später nie erinnern kann, auf den Kofferraum des Kabrios klettert und Hirnmasse und Schädelsplitter zusammensammelt, bevor sie von einem Secret Service Agenten zurück in das Innere des Wagens gestoßen wird, der sich dann mit großer Geschwindigkeit entfernt. Vorgeschichte und Nachwirkung dieser Geschehnisse wurden in Literatur und Film bereits dutzendfach verarbeitet und dokumentiert. Autor Noah Oppenheim und Regisseur Pablo Larrain erlangen dennoch eine völlig neue Perspektive auf die Geschehnisse, indem sie den Blick nur ein wenig zur Seite wenden. Auf Jackie Kennedy, anstatt auf JFK.

Die Rahmenhandlung spielt auf dem Sommersitz der Kennedys, wo Jackie (Natalie Portman), nur eine Woche nach der Ermordung ihres Mannes, einem Journalisten (Billy Crudup) ein ausführliches Interview „zu ihren Bedingungen“ gibt. Sprich, sie wird den Inhalt redaktionell abnehmen, bevor der Artikel veröffentlicht werden kann. In Rückblenden erleben wir dann die Minuten vor und nach dem tödlichen Anschlag und die darauffolgenden Tage aus Jackies Perspektive. Der einzige Ausbruch aus diesem Rahmen sind Rückblenden zu den Aufnahmen einer Fernsehsendung 2 Jahre früher, bei der Jackie Kennedy die interessierte Öffentlichkeit durch das Weiße Haus führte. Hier lässt sie sowohl eine gewisse Unnahbarkeit gegenüber der Kamera erkennen, als auch ein tiefes Interesse am Vermächtnis ehemaliger Präsidenten. Dieses Interesse steigert sich nach dem Mord an Kennedy zu einer Besessenheit, die sie funktionieren lässt, wenn die eigenen Kinder, Alkohol und Tabletten nicht mehr ausreichen. Bereits am Tag nach dem Anschlag studiert sie den Aufbau und Ablauf von Abraham Lincolns Leichenzug, dem sie gleichziehen oder ihn gar übertreffen möchte. Sicherheitsbedenken und Widerworte akzeptiert sie nicht, weder wohlwollende von Schwager Bobby Kennedy (Peter Sarsgaard) oder weniger wohlwollende vom frisch eingeschworenen Lyndon B. Johnson.

Natalie Portman zeigt Jackie Kennedy als eine First Lady, die ihre Haltung, ihr Bild und das ihres Mannes bis zum Letzten in Perfektion halten möchte. Durch die kaleidoskopische Form des Films wissen wir nie genau in was für einer Rückblende wir als nächstes landen, welche Jackie wir als nächstes erleben. Darf sie ihre Trauer für einen Moment leben? Oder muss sie für ihre Kinder da sein? Sich den Offiziellen Washingtons stellen oder gar der ganzen Welt zeigen? Sehen wir die schmerzhaft isolierte Frau, die direkt nach dem Mord der Amtseinschwörung Johnsons beiwohnen muss, sogar von ihrem Schwager durch den schwankenden, türmenden Sarg ihres Mannes, seines Bruders bildlich getrennt wird. Oder die entschlossene Mythologin, die Tage nach seinem Tod an der Hagiografie ihres Mannes arbeitet. Oder die vielleicht aufrichtigste Jackie, die im Gespräch mit einem Priester (John Hurt) darlegt, dass ihre Beziehung zu Kennedy von allerlei Schmerz geprägt war. In der Rahmenhandlung sehen wir sie schließlich als jemanden, der an einer Zigarette zieht und dem Journalisten gleichzeitig ins Gesicht sagt, sie rauche nicht, bevor sie die Regierung Kennedys mehrfach mit Camelot, dem Sitz des idealen König Artus, vergleicht. Hat sie das selbst geglaubt? Wer weiß. Ist das wichtig? Sie hat geschafft, dass die ganze Welt es glaubte, es bis heute glaubt, sie hat ein Bild des idealen Präsidenten und der idealen First Lady geschaffen. Außer Lincoln und Washington kommt kein anderer amerikanischer Präsident dieser Verehrung gleich.

Natalie Portman liefert hier eine unglaubliche Darstellung ab. Oder eigentlich eine Reihe perfekter Darstellungen, je nachdem welche Maske Jackie spielen will oder muss. Sie spielt Jackie mit einem auffälligen Akzent, der ein wenig aufgesetzt wirkte und den ich nicht zuordnen konnte. Eine kurze Recherche verriet, dass das der „Kennedy Akzent“ ist, eine Art zu sprechen, die allen Kennedys gemein ist. Jackie emulierte diesen Akzent offensichtlich, also ist es nur passend, dass er ein wenig aufgesetzt wirkt, war er doch genau das. Jede zukünftige Darstellung Jacqueline Kennedys wird sich fraglos an ihr messen lassen müssen. Auch der Rest der Besetzung spielt hervorragend, am Ende des Tages ist dies aber Portmans Film und jeder scheint das zu respektieren. Hervorheben möchte ich nur Greta Gerwig als Jackies Sekretärin, die in ihrer recht kleinen Rolle deswegen auffällt, weil sie die Einzige ist, die Jackie von Herzen kommende Wärme entgegenzubringen scheint.

Pablo Larrain fasst seine eigentlich sehr emotionale Handlung in unterkühlte Bilder, die teilweise beinahe an Kubrick erinnern und gelegentlich 60er Jahre Fernsehbildern nachempfunden sind. Das funktioniert allerdings sehr gut für die verletzte, trauernde aber stets Haltung bewahrende Frau, die sich nicht in die Karten schauen lassen möchte und lässt jene Momente, wenn wir Jackie doch einmal näher kommen und auch Portman im Spiel alle Masken fallen lässt, umso kraftvoller. Unterstützt werden diese Bilder durch den hypnotisch-verzerrten Soundtrack Mica Levis, in dem sie mit denselben Glissandos arbeitet, die sie schon in ‚Under the Skin‘ so effektiv eingesetzt hat.

Gegen Ende des Films kann sich auch Larrain dann der morbiden Faszination des Zapruder-Films nicht mehr entziehen, zeigt den Mord in kurzen, furchtbaren Bildern. Aber hier ist das wohl auch nötig, ist er doch ein zentrales Element, sowohl im emotionalen Zustand Jackies, als auch der Legende an der sie arbeitet.

Der Film ist soweit es nur geht von typischen „und dann, und dann, und dann“ Biopics entfernt. Im Verlauf einiger weniger Tage vermittelt er uns alles, was wir über Jackie wissen müssen, lotet eine unheimliche Gefühlstiefe aus. Ob Ihr Euch nun für Jackie Kennedy interessiert oder nicht ist denke ich ganz egal, Larrains Regie und vor allem Portmans Spiel werden Euch auf jeden Fall abholen und für 100 Minuten und darüber hinaus nicht loslassen. Und zumindest ich habe mit Pablo Larrain einen weiteren Regisseur, dessen Werk ich mir genauer ansehen möchte.

Gestern Gesehen: ‚In a Valley of Violence‘ (2016)

„Did I hit’cha?“

„NO!“

Ti West ist ein Regisseur, den ich zutiefst schätze, bei dem ich andererseits aber jedes Verständnis habe, wenn jemand mit ihm überhaupt nichts anfangen kann. War er bislang im Horror-Genre zuhause, sowohl als Regisseur (‚House of the Devil‘, ‚The Sacrament‘) als auch als Schauspieler (Tariq in ‚You’re Next‘) hat er sich für seinen neuesten Film an seinem Nachnamen orientiert und einen Western gemacht. Kann sein methodischer, eher langsam siedender Stil, der schon im Horror oft abschreckend wirkt, im Western funktionieren?

Die Geschichte liest sich geradezu stereotyp „Western“: ein schweigsamer Fremder (Ethan Hawke), der sich nur Paul nennt kommt, auf dem Weg nach Mexiko, in das texanische Wüsten-Kaff Denton, begleitet nur von seinem Hund Abbie (wer ist ein guter Hund? Abbie ist ein guter Hund!). Hier legt sich Störenfried Gilly (James Ransone) sofort mit ihm an und wird prompt von ihm verprügelt. Dummerweise ist Gilly der Sohn des örtlichen Marshalls (John Travolta) und so muss Paul den Ort eiligst verlassen. Doch Gilly und Kumpane folgen ihm heimlich, ermorden nachts Abbie und werfen Paul von einer Klippe. Der überlebt und kennt nur noch ein Ziel: Rache.

Der aktuelle Western ist zwar nicht oft im Fokus des Mainstream, allerdings ist er durchaus gut besetzt. Wenn ich überhaupt etwas zu kritisieren hätte, dann dass er sich oftmals sehr, sehr ernst nimmt. Das ist an und für sich nichts Schlechtes, doch ist der aktuelle amerikanische Western sehr am Italo-Western der 60er und 70er orientiert, sprich düster, dreckig und brutal. Dabei geht allerdings das Augenzwinkern verloren, mit dem die Europäer das Genre, bei aller Liebe, immer betrachtet haben. ‚In a Valley of Violence‘ besitzt diese leicht ironische Qualität und wie die besten Italo-Western schafft er es sie in einer dennoch zutiefst dramatischen Handlung unterzubringen. Erst durch das Reduzieren auf ein genretypisches Skelett eines Plots, gelingt es West das Ganze mit absurdem Humor anzureichern und eben mit Augenzwinkern auf die typischen Klischees des Westerns zu blicken. Tatsächlich spielt seine typische, erzählerische Entschleunigung auch hier ganz gezielt mit hinein und die westerntypischen Schießereien setzen erst recht spät im Film ein.

Hawkes Charakter spielt eine zutiefst klischeehafte Rolle die er aber erstaunlich unklischeehaft anlegt und spielt. In der Szene des nächtlichen Überfalls auf sein Lager, erleben wir keinen typischen Westernhelden, sondern einen verängstigten Mann, der sich so hilflos verhält, wie es vermutlich die meisten von uns tun würden. Das gibt seinem späteren Auftritt als Mann, der der Gewalt abgeschworen hat, durch die Umstände allerdings zurück in die Rolle des Mörders gedrängt wird, einen durchaus gewollten, absurden Anstrich. Er wird zu einem verzerrten Spiegelbild von Gilly, der nur das Leben durch Gewalt kennt. Verdeutlicht wird das noch durch ein Geschwisterpaar (Taissa Farmiga und Karen Gillan), von dem sich eine Schwester zu Paul, die andere zu Gilly hingezogen fühlt. Viel mehr als das bekommen Gillan und Farmiga übrigens leider nicht zu tun. Die beste Leistung im Film liefert allerdings fraglos John Travolta als alternder Kleinstadt-Patriarch ab, der weiß, dass der Konflikt mit Paul das Schlimmste ist was ihm passieren kann. Er wird vom offensichtlichen Schurken beinahe zur tragischen Figur, die von familiärer Pflicht zu ihrem Handeln gezwungen wird. Und, da auch ein guter Hundeschauspieler nicht unerwähnt bleiben soll, muss ich natürlich Jumpy als Abbie erwähnen, für mich die beste Hunderolle seit ‚The Artist‘. Wuff!

Weit weniger gut gefällt mir leider die Ausstattung des Films. Das Kaff, in dem der Hauptteil der Handlung spielt, scheint ungefähr 5 Einwohner zu haben, die auch nur sehr selten auf die Straße gehen. Statisten sind Mangelware. Die Stadt selbst wirkt auch etwas steril, als hätte man eine bestehende Westernstadt übernommen wie sie ist ohne eigene, den Charakteren angemessene Ausstattung hinzuzufügen. Auch fehlen mir ein wenig Staub und Dreck, die in der Wüste fernab aller Zivilisation doch die ständigen Begleiter sein müssten. Gelegentlich wirkt es fast, als wäre nachdem man Hawke und Travolta an Bord geholt hat das Geld ein wenig knapp geworden. Da es sich um eine Blumhouse Produktion handelt und Jason Blum für seine sehr günstigen aber guten-hervorragenden Produktionen bekannt ist würde es mich nicht wirklich wundern.

Ein anderer eher mäßiger Punkt ist die Musik. Jeff Graces Score wirkt immer wieder so als würde er sich im nächsten Moment in eine Hommage an Ennio Morricones außergewöhnlichere Soundtracks verwandeln, biegt im letzten Moment aber immer wieder auf vermeintlich sicherere Pfade ab und bleibt so sehr blass. Keinesfalls schlecht aber man hat immer das Gefühl, er wäre fast zu etwas Besserem geworden.

‚In a Valley of Violence‘ reiht sich problemlos ein, in die Riege gelungener Neo-Western. Ich würde ihn etwas unterhalb von Werken, wie den hervorragenden ‚Slow West‘ oder ‚Bone Tomahawk‘ einordnen aber deutlich über einem Film wie ‚The Homesman‘. Für jeden Western-Fan absolut sehenswert, für Ti West Fans eh Pflichtprogramm. Wer mit Western gar nicht anfangen kann wird von diesem hier aber sicher nicht bekehrt werden.

Gestern Gesehen: ‚Eye In The Sky‘ (2015)

Habt Ihr den Trailer geschaut? Der lässt nichts besonders Gutes erwarten, oder? Und auch der Name des Regisseurs, Gavin Hood, der verantwortlich zeichnet für Filme wie ‚X-Men Origins: Wolverine‘ oder ‚Enders Game‘ lässt nicht auf einen besonders geistreichen Film hoffen. Was sich jedoch zweifellos gut liest ist die Besetzungsliste. Bei mir war es letztlich eine Empfehlung von Bloggerkollege Ma-Go, die den Ausschlag gegeben hat. Und ich kann Euch versprechen, wenn ihr Euch entschließt den Film zu schauen werdet ihr positiv überrascht sein!

Der britischen Colonel Katherine Powell (Helen Mirren) ist es nach sechs Jahren gelungen einige hochrangige Mitglieder der al-Shabaab Milizen bei einem Treffen in Nairobi, bei dem neue Rekruten initialisiert werden sollen, zu lokalisieren. Sie und ihr britischer Stab leiten dabei ein US-amerikanisches Drohnenteam, sowie kenianische Agenten vor Ort mit dem Ziel die hochrangigen Terroristen, darunter eine britische Konvertitin, zu verhaften. Als das Treffen jedoch in ein von der Miliz kontrolliertes Viertel der Stadt verlegt wird, wird ein direkter Zugriff für die kenianischen Truppen unmöglich. Die Mission wandelt sich zu einer gezielten Tötung durch die Raketen der Drohne. Da jedoch – nicht zuletzt durch im Haus befindliche Sprengstoffe – ein erhebliches Risiko für „Kollateralschäden“ besteht, beginnt bei den britischen Politikern, die in die Mission involviert sind, ein verzweifeltes Verschieben von Kompetenzen und Verantwortung. Als sich dann auch noch ein kleines Mädchen (Aisha Takow) vor der Mauer des Gebäudes niederlässt um Brot zu verkaufen, während die Rekruten drinnen ein Märtyrer-Video drehen und sich Sprengstoffwesten anlegen, besteht ein handfestes, moralisches Dilemma.

Eben dieses zentrale Dilemma, „sollen wir jetzt zuschlagen und ein kleines Kind töten oder nichts tun und dann verantwortlich sein für all die Toten der Anschläge durch die Sprengstoffwesten“ ist natürlich äußerst reduktiv und letztlich eine Variante des Weichensteller-Dilemmas. Allerdings macht das nicht viel, denn der Film erwartet von Zuschauer, dass er dieses Dilemma für sich selbst löst. Abgesehen von den Leuten die direkt am virtuellen Abzug sitzen, wirft im Film keiner der Akteure ethische oder moralische Bedenken auf. Die Politiker sind darauf bedacht die Verantwortung von sich zu schieben, um politisch das Gesicht zu wahren und denken an die Pressewirkung, während Powell sich „kreativer Statistik“ bemüht, um sowohl ihre Ziele eliminieren zu können als auch juristisch auf der sicheren Seite zu sein. Das lässt das Geschehen erschreckend realistisch wirken, während wir als Zuschauer uns bemühen die Dinge einzuordnen und für uns ethische Entscheidungen treffen. Die nimmt uns der Film, zumindest explizit, auch nicht ab. Bis zum Ende müssen wir für uns selbst verantworten, ob wir das Gesehene gutheißen oder verurteilen. Implizit teilt uns Hood allerdings durchaus auch seine Meinung mit.

Der Film wird oftmals, nicht zuletzt im Trailer, mit Kubricks ‚Dr. Strangelove‘ verglichen. Diesen Vergleich kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, fehlt ‚Eye in the Sky‘ dafür doch ein gewisser satirischer Biss. Den will er allerdings auch gar nicht haben, er ist mehr am Realismus der Situation interessiert. Wenn ich einen Vergleich ziehen müsste, dann wäre dies zu einer der besseren Folgen von Charlie Brookers Serie ‚Black Mirror‘. Hier wie dort steht eine hypermoderne Technik im Mittelpunkt, die eigentlich das menschliche Leben erleichtern sollte, allerdings zu unerwarteten moralischen und persönlichen Problemen führt, die eine ohnehin komplizierte Situation noch verworrener machen.

Der Film ist spannend. Sehr spannend sogar, die meiste Zeit saß ich buchstäblich auf der Sesselkante. Das gelingt ihm trotz beinahe vollständigem Verzicht auf klassische Action. In seinen gut 100 Minuten Laufzeit ist eine einzige Szene, die man als typische Actionszene betrachten kann und die dauert nicht einmal 30 Sekunden. Auch mit der Darstellung von Gewalt hält sich der Film sehr zurück. Er arbeitet mit der Erwartung von Gewalt, durch die Sprengstoffwesten, den Raketenschlag, die ständige Anwesenheit der Milizionäre. Den Rest seiner Spannung bezieht der Film, neben dem oben beschriebenen philosophischen Überlegungen, aus dem ständigen Wechsel von Örtlichkeiten und Atmosphären. Da ist Powells bunkerhaftes Hauptquartier, dass an den 2ten Weltkrieg gemahnt, die Abgeschiedenheit der Piloten, in ihrem finsteren Kontrollcontainer, die Großraumbüro-Atmosphäre einer Bildverarbeitungsstation auf Hawaii, die belebten Straßen Nairobis, ein Außenminister mit Durchfall in einem asiatischen Luxushotel, verschiedene sterile Besprechungsräume, Skype-Konferenzen dazwischen und noch einiges mehr. Das Innere des Hauses der Terroristen sehen wir übrigens nie durch die „objektive“ Filmkamera, sondern nur durch im Film vorhandenes Bildmaterial von z.B. einem ferngesteuerten Käfer. Dazu kommen immer wieder Aufnahmen aus Sicht der Drohne, dem namensgebenden Auge im Himmel, die Nairobi in einer klaren, nachvollziehbaren Organisation zeigen, die in ihrer objektiven Technik in klarem Kontrast stehen zu dem menschlich-chaotischen Geschehen in allen anderen Aufnahmen. Kameramann Haris Zambarloukos und Cutterin Megan Gill gelingt es eindrucksvoll all diese Einzelteile zwar getrennt für sich wirken zu lassen, alles jedoch als verbundene Einheit glaubhaft zu machen.

Die Ensemble Besetzung ist durch die Bank hervorragend. Hervorheben möchte ich Helen Mirren, die auch mit 70 Jahren kein Problem damit hat eine taffe Armeefrau zu geben. Ihrer Darstellung ist es zu verdanken, dass Powell nie überzogen schurkenhaft wirkt. Auch Barkhad Abdi, als kenianischer Agent vor Ort ist ziemlich großartig. Kann man ihm doch zu jeder Zeit am Gesicht ablesen, dass er weiß, dass er weitaus tiefer in der Höhle des Löwen ist als wir ahnen. Und dann ist da natürlich noch Alan Rickman in seiner leider letzten Rolle. Als politischer Liaison-General tut er das, was er stets am besten konnte. Die Arroganz der britischen Upper-Class in geradezu waffenfähige Verachtung zu fokussieren und dabei dennoch sympathisch zu wirken. Ich werde ihn vermissen.

‚Eye In The Sky‘ ist vermutlich der beste Film, den wir zu den Themen Drohnenkrieg, politische Ermordung, extralegale Hinrichtung und kriegerisches Vorgehen in befreundeten Ländern zu sehen bekommen werden. Er ist zwar nicht perfekt, die Simplifizierung auf ein direktes moralisches Dilemma ist nicht wirklich hilfreich, aber letztlich ist er doch clever genug, um als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema zu funktionieren. Ich vermute, dass er als britische Produktion hier bedachter sein kann, als ein Hollywood-Film es sein könnte.

Gestern Gesehen: ‚Under The Shadow‘ (2016)

Das ist mal ein Debut: der Erstlingsfilm des Exil-Iraners Babak Anvari war als britischer Kandidat für den Fremdsprachen-Oscar angedacht. Denn trotz komplexer Zusammensetzung des minimalen Budgets von Geldgebern aus Jordanien, Katar und eben Großbritannien gilt der Film als britische Produktion. Zur Nominierung ist es zwar nicht gekommen aber für einen ersten Film (und dann noch einen Low Budget Horrorfilm) eine sehr erstaunliche Leistung. Stellt sich die Frage, ob der Film wirklich so gut ist.

Mitte der 80er erreicht der Iran-Irak-Krieg eine neue Phase. Die irakische Seite nimmt gezielt iranische Städte, darunter auch die Hauptstadt Teheran, unter Raketenbeschuss. Vor diesem Hintergrund erfährt Shideh (Narges Rashidi), dass sie ihr lange unterbrochenes Medizinstudium nicht wieder aufnehmen kann, da sie zur Zeit der Revolution in „linke Umtriebe“ verwickelt war. Dann wird auch noch Shidehs Mann als Arzt zum Militärdienst eingezogen. Der möchte Shideh und die gemeinsame, kleine Tochter Dorsa (Avin Manshadi) eigentlich zu seinen Eltern aufs Land schicken. Doch in einem Versuch einen wenig Selbstbestimmung zu behalten besteht Shideh darauf in ihrem teheranischen  Apartmenthaus zu bleiben. Wenige Tage später schlägt eine irakische Blindgänger-Rakete durchs Dach. Für die abergläubischen Nachbarn steht schnell fest, dass die Waffe einen bösartigen Dschinn (im Sinne einer dämonischen Wesenheit, nix mit drei Wünschen) ins Haus gebracht hat. Shideh hält das für Unsinn, doch als Dorsa mit fremden Personen in der Wohnung zu sprechen beginnt, kommen Zweifel in ihr auf.

‚Under The Shadow‘ ist ein übernatürlicher Horrorfilm. Das ist glaube ich ganz wichtig in dieser Deutlichkeit zu sagen, denn Anvari gelingt es meisterhaft  den Bogen vom Drama hin zum Dschinnenspuk so elegant, so unauffällig zu gestalten, dass man eine ganze Weile braucht, bis man sich klarmacht, was eigentlich passiert. Denn der Film spart von Anfang an nicht mit Schrecken. Die sind allerdings noch alles andere als übernatürlich. Shideh wird, als Frau, als Mensch zweiter Klasse gesehen, dass sie auch noch, auf Seiten der Intelektuellen, in die Revolution verwickelt war, macht ihre Situation nicht besser. Nicht einmal ihr Mann kann dafür Verständnis aufbringen. Das Leben in einem Kriegsgebiet, die ständige Sorge um Ehemann, Tochter und das eigene Leben. Es sind persönliche, gesellschaftliche und politische Ängste die Shideh umtreiben. So steht sie von Anfang an im Schatten. Im Schatten der Ayatollahs, im Schatten ihre Mannes, im Schatten ihrer Mutter und nicht zuletzt im Schatten ihrer eigenen Depression. Mit dem Dschinn kommt dann noch ein weiteres kulturelles Bruchstück hinzu, ein mythologisches Wesen, dass ihr den letzten Rückzugsort streitig macht: ihre eigene Wohnung.

Filmisch unterstreicht Anvari diese Entwicklung äußerst geschickt. Die Außenwelt von Teheran wirkt von Anfang an bedrohlich und ist in unübersichtlichen Perspektiven gefilmt, wenn die Kamera sich nicht ohnehin auf Shideh fixiert und alles andere wie Fremdkörper wirken lässt. Die Wohnung hingegen ist ein, auch für den Zuschauer schnell nachzuvollziehender, Rückzugsort. Der Film stellt sicher, dass wir wissen, wo z.B. die Küche in Bezug aufs Kinderzimmer ist. Wie das Wohnzimmer aufgeteilt ist, in dem Shideh zu ihren illegalen Aerobic Videos turnt. In der zweiten Hälfte heben neue, verwirrende Kameraperspektiven diese sicher geglaubte Ordnung perfide wieder auf, der Rückzugsort wird bedrohlich, undurchschaubar.

Und Rationalistin Shideh hat größte Probleme mit der offenkundig übernatürlichen Bedrohung umzugehen. Als sie bei einer Freundin nach einem Buch über Dschinne fragt gibt die ihr zwar eines, sagt ihr jedoch direkt, dass es ein anthropologisches Werk sei und sie die gewünschten Antworten dort nicht finden wird (das ist sicherlich ebenfalls wieder symbolisch zu sehen, für die Hilflosigkeit mit der die intellektuelle Elite dem religiösen Furor der islamischen Revolution gegenüberstand). So kommt es in der zweiten Hälfte des Filmes beinahe zu einer Rollenumkehrung zwischen Mutter und Tochter, die ihren Höhepunkt in einer Szene erreicht, in der Shideh in einer hilflosen Geste Dorsas Kinderzimmer verwüstet, während die fassungslos im Türrahmen steht.

Narges Rashidi als Shideh liefert in diesem Film eine beachtliche Vorstellung ab. Sie gibt die komplexe Mixtur ihres Charakters aus viel zu lange heruntergeschlucktem Zorn, Versagensängsten, ganz „alltäglichen“ Todesängsten eines Kriegsgebietes und der ständigen, stillen Drohung des Aufgebens, des Triumphes der Depression aber auch einer stillen Würde und eines eisernen Willens mit großem Geschick wieder. Ihr wichtigster Widerpart hierbei ist Avin Manshadi als Tochter Dorsa, die ebenfalls eine, gerade für eine Kinderdarstellerin, sehr gute Leistung abliefert.

‚Under The Shadow‘ ist ein großartiger Film, der sich nahtlos in die Reihe hervorragender Horrorfilme der letzten Jahre einreiht. Am ehesten vergleichbar ist er sicherlich mit Jennifer Kents ‚Der Babadook‘, auch wenn hier die Metapher des Monsters deutlich komplexer ist, als das bei dem australischen Film der Fall war. Auch Elemente aus der rigiden Glaubensgemeinschaft von ‚The Witch‘ lassen sich hier wiederentdecken, wenn auch in einen anderen kulturellen Kontext gebracht.

Jeder Freund gepflegten Horrors sollte sich diesen Film auf gar keinen Fall entgehen lassen, ich würde ihn sogar Leuten empfehlen, die normalerweise wenig mit Horror am Hute haben. Anvaris Inszenierung ist derart geschickt und elegant, dass man glatt vergessen könnte, dass man gerade einen Horrorfilm sieht. Bis er einen daran erinnert, dass in den Händen eines Könners, ein Fetzen Baufolie gruseliger sein kann als jedes CGI-Monster.

Der Film scheint bisher nur auf einer – vollständig Extras-freien – UK-DVD erschienen zu sein. Die ist dafür immerhin preiswert (bei Amazon während ich dies schreibe unter 5€). Ob ihr Euch die bestellt oder auf eine vernünftige Veröffentlichung wartet, bitte lasst Euch ‚Under The Shadow‘ nicht entgehen!

Gestern Gesehen: ‚Der Nachtmahr‘ (2016)

Ach ja, ‚Der Nachtmahr‘. Vom Feuilleton zum Low-Budget Messias des deutschen Genre-Films erklärt. Für unter 100.000€ soll Akiz, alias Achim Bornhak, der vor 10 Jahren dieses Uschi Obermayr Biopic gedreht hat, an das ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann, hier einen Horrorfilm mit „echter“ Tricktechnik, sprich mit real vorhandenen Kreatur-Effekten gedreht haben. Da wird schon eine gewisse Erwartungshaltung geweckt.

Die Geschichte von ‚Der Nachtmahr‘ ist schnell erzählt: Tina (Carolyn Genzkow) ist 17 und lässt keine Party aus. Sie lebt mehr oder weniger neben ihren wohlhabenden Eltern her, die von ihr nur erwarten, dass sie „funktioniert“. Tut sie das nicht steht ein Besuch beim Psychologen an. Nachdem Tina, bei einem Rave im Wald, eine verstörende Vision hatte, begegnet sie nachts in der elterlichen Küche einer kleinen, verkrümmten, sabbernden Kreatur mit blinden Glubschaugen und spindeligen Extremitäten, die sich über den Kühlschrankinhalt hermacht. Nach dem ersten Schock stellt sich aber noch ein viel größeres Problem heraus: niemand außer Tina kann die Kreatur sehen. Verliert sie den Verstand?

Lasst mich eine Sache direkt klarstellen, die viel Verwirrung in Bezug auf den Film vermeiden kann: ‚Der Nachtmahr‘ ist kein Horrorfilm. Bis zum ersten Treffen Tinas mit dem Wesen gebärdet er sich auffällig wie einer, doch macht dann sehr schnell klar, dass er in eine andere Richtung möchte. Die Kreatur ist bald nicht mehr furchteinflößend, sondern mitleiderregend, wenn auch dank Aussehen und Geräuschkulisse weiterhin schwer erträglich.

Wenn man sich das klar macht, gibt es Vieles am ‚Nachtmahr‘, was man mögen kann. Da wäre zum einen die schiere Breite seiner Einflüsse. Von der Poesie William Blakes (die im Film direkt zitiert wird), über die „Gothic Novel“ (ein schöner Alternativtitel für den Film wäre wohl ‚Doktor Tina und Mr. Nachtmahr‘), über den Nachtmahr selbst, der direkt dem berühmten Füssli-Gemälde gleichen Namens entsprungen zu sein scheint, über den italienischen Neorealismus (der Film zeigt, in krummen und schiefen nicht ausgeleuchteten Aufnahmen, verschwitzte, strubbelige Darsteller ohne Maske), bis hin zu Neuem, die Partyszenen erinnern an Harmony Korines ‚Springbreakers‘, einige Szenen in Tinas Elternhaus zitieren David Lynch. Zum Anderen ist da der Zugang zur Protagonistin. Anders als „typische“ Horrorfilme betrachtet Akiz den Party-Drogen-Teenie-Hedonismus Tinas nicht als einen verdammenswerten, moralischen Übergriff, der vom messerschwingenden Maskenträger brutal bestraft werden muss, sondern er überlässt die Wertung dem Zuschauer, ja liefert durch die schwer erträgliche, unverständige Borniertheit von Tinas Eltern auch noch eine nachvollziehbare Erklärung mit.

Der Film bleibt, in seinen einfachen Bildern, aussagekräftig, stattet z.B. Partyszenen mit satten Primärfarben aus, als Kontrast zum Monochrom von Elternhaus und Schule. Er nimmt seine größte Limitation, sein geringes Budget, und macht mittels Handheldkamera-Aufnahmen eine ästhetische Entscheidung daraus, die ziemlich gut funktioniert. Die Musik müssen Leute bewerten, die, anders als ich, diese Art von elektronischer Tanzmusik nicht nur tolerieren, sondern schätzen können… sie ist jedenfalls laut und passt meist zur Szene. Die Schauspieler, jung, wie alt machen im Großen und Ganzen ihre Sache sehr gut. Carolyn Genzkow ist hier hervorzuheben, ist sie doch in beinahe jeder Einstellung des Films zu sehen und vermittelt die Gefühlswelt des jungen Mädchens sehr gut. Einzig ausnehmen vom Lob möchte ich aber einen völlig unmotivierten Wilson Gonzales Ochsenknecht. Gibt es eigentlich einen guten Grund, warum wir den in Filmen sehen, abgesehen davon, dass sein Vater der Uwe ist?

Wenn der Film also eine spannende Melange aus allerlei Einflüssen bildet, seine technischen Limitationen zu seinem Vorteil auszunutzen weiß und aus den meisten Darstellern gute Leistungen herausholt, bleibt die Frage, warum er mir persönlich nicht besser gefällt. Ich finde ihn nämlich nur recht gut, nicht viel mehr. Und, so merkwürdig das auch klingt, ich fürchte mein Problem ist, dass er eben nicht sperriger ist. Jedes Element des Films fügt sich absolut sauber in ein interpretatorisches Bild ein, dass am Ende komplett ist. Es fehlt dem Film ein wenig an Persönlichkeit.

Ich versuche klarer zu machen, was ich meine: die ersten Minuten von ‚Der Nachtmahr‘ sind ganz hervorragend. Eine Technoparty im Wald ist allein schon ein wunderbar kontrastierendes Bild, dazu noch orakelnde Handyfilmchen und eine merkwürdige Vision. Was es mir aber besonders angetan hatte, war die allererste Einstellung eines Autos auf einer finsteren Landstraße. Aus irgendeinem Grund erinnerte die mich ganz extrem an eine halbwegs berühmte Aufnahme aus dem britischen 80er B-Movie-Etwas ‚Xtro‘. Der setzt im Folgenden auf heftige Ekeleffekte und macht nicht immer viel Sinn, fühlt sich aber hochpersönlich an. Ich verstehe hinterher Regisseur Harry Bromley Davenport etwas besser. Mag ihn aber vielleicht nicht unbedingt lieber. Nicht zuletzt deshalb ist ‚Xtro‘ aber, wie man sieht, ein Film, der sich im Gedächtnis festsetzt. ‚Der Nachtmahr‘ fühlt sich nie persönlich an. Er wirkt mehr so, wie eine etwas selbstverliebte Fingerübung von Regisseur und Autor Akiz.

Vielleicht hätte er mir ohne diese erste Assoziation besser gefallen. Und ich weiß, dass ich da vermutlich unfair bin, weil ‚Der Nachtmahr‘ „objektiv“ vermutlich ein besserer Film als ‚Xtro‘ ist. Es ist bemerkenswert, wie viel Subtilität Akiz noch in diesem eigentlich recht deutlichen Film verbergen kann. Ein anderes großes Problem meinerseits ist vermutlich aber einfach, dass viele Themen dieses Films erst vor Kurzem deutlich besser behandelt wurden. In It Follows zum Beispiel. oder auch in Victoria.

‚Der Nachtmahr‘ ist als Low Budget Genrefilm als deutsche Produktion so oder so bemerkenswert. Wer also auch nur das geringste Interesse an dem Thema mitbringt sollte ihn sich ansehen. Die ganz großen Erwartungen, die Feuilleton-Besprechungen und eben die ersten Szenen wecken können, sollten aber zurückgesteckt werden. Laut Akiz war ‚Der Nachtmahr‘ der erste Teil eines „Film-Triptychons“ aus Geburt – Liebe – Tod. Ich bin gespannt was die nächsten beiden können.

Gestern Gesehen: ‚Train to Busan‘ (2016)

Och nö, Zombies. Das war meine erste Reaktion, als ich einen Trailer für diesen Film sah. Ich bin seit Jahren „ausgezombt“. Filme, Videospiele, Serien, Comics, Bücher, eine laufende Leichenlawine an Zombiekrams und letztlich immer das Gleiche. Rottende Rabauken, die renitent „Raahh!“ rufen, auf der einen Seite und die übliche Ansammlung von Klischees mit erstaunlich schwerer Artillerie auf der anderen Seite. Und dann wird einer gebissen und sagt es niemandem – immer!

Aber dann waren da zwei andere Aspekte, die meine instinktive Ablehnung relativierten. „Zug“ und „Südkorea“, die mich selbstverständlich an den hervorragenden ‚Snowpiercer‘ denken ließen. Okay, das war ausreichend, damit ich dem Film des, mir bis dahin unbekannten, Yeon Sang-ho eine Chance gebe.

Fondsmanager Seok-woo (Gong Yoo) ist geschieden und lebt mit seiner Tochter Su-an (Kim Su-an) und seiner Mutter in Seoul. Er lebt für seine Arbeit und hat wenig Zeit oder Aufmerksamkeit für seine Tochter. Die möchte deshalb ihren Geburtstag bei ihrer Mutter in Busan verbringen. Seok-woo ist nach einigem hin- und her, bereit sie mit dem Hochgeschwindigkeitszug KTX hinzubringen. Ein Unfall in einem Biotechnologieunternehmen hat aber, gerade an dem Tag, dafür gesorgt, dass sich Menschen, infiziert durch einen Biss, in rasende, schnelle, aggressive Killer verwandeln. Seok-woo, Su-an, der übellaunige Sang-hwa (Ma Dong-seok) und dessen schwangere Frau Sung-kyung (Jeong Yu-mi) und ein ganzer Haufen anderer Passagiere (darunter eine Baseball-Mannschaft…) durchqueren so das Land in der Hoffnung auf einen sicheren Bahnhof. Und, wie es so geht, sind die Zombies nicht die größte Gefahr.

Nein, allen Klischees weicht dieser Film nicht aus. Versucht er auch gar nicht. Denn eigentlich weicht er kaum einem aus, fast als wäre er auf Schienen. Aber er hat einige herausragende Asse im Ärmel. Da sind zunächst die Actionsequenzen zu nennen. Seien es Jagden durch verlassene Bahnhöfe oder nervenzerfetzende Auseinandersetzungen im beengten Raum der Waggons, Yeon Sang-ho meistert hier die Choreografie und schafft es (fast schon eine Seltenheit, heute) Schnitte zu setzen, die die Dramatik stets noch erhöhen, statt die Handlung  zu zerstückeln. Die Action darf „atmen“, hält den Zuschauer aber gleichzeitig atemlos.  Ganz wie es sich für einen Horrorfilm gehört, wird eine Situation, die schon ausweglos erscheint, immer nur noch schlimmer.

Ein aber noch weit wichtigerer Trumpf sind die zentralen Charaktere. Seok-woo und Su-ans nicht eben unkomplizierte Vater-Tochter Beziehung ist nicht nur eine direkte Personifizierung des zentralen Themas des Films, Egoismus vs. Altruismus, anhand des rücksichtslosen Fondsmanagers („du bist es wohl gewohnt überflüssige Menschen abzuservieren“)  einerseits und seines empathischen Kindes andererseits. Sie liefert auch einen ganz wichtigen emotionalen Kern, der dafür sorgt, dass der Film mehr wird als ein unterhaltsamer aber letztlich platter Zombiefilm. Das die Charaktere recht gut geschrieben sind und die zentralen Darsteller ganz hervorragende Arbeit abliefern trägt seinen Teil bei. Auch den, für Zombiemedien leider alles andere als unüblichen, Nihilismus umgeht der Film so ziemlich geschickt. Die Klassenunterschiede, die in ‚Snowpiercer‘ das treibende Element der Handlung waren sind hier, in etwas subtilerer Form, ebenfalls vorhanden. Nicht zuletzt, weil in diesem Zug vom Obdachlosen über Studenten und Rentner bis zum CEO allerlei Gesellschaftschichten aufeinandertreffen.

All das soll aber nicht den Eindruck erwecken, ich hätte nix zu meckern. Mit knapp zwei Stunden ist der Film etwa 20 Minuten zu lang. Bestimmte Elemente wiederholen sich einige Male zu oft. Auch erfolgt außerhalb der zentralen Personen die Charakterisierung mit sehr groben Pinselstrichen. Im Großen und Ganzen funktioniert es zwar, doch sammelt der Film hier ein paar Punkte mehr auf der Klischee-Checkliste, als er eigentlich nötig hätte. „Snowpiercer mit Zombies“ ist eine Kritik, die mir tatsächlich durch den Kopf ging, allerdings bin ich der Meinung, dass man damit beiden Filmen Unrecht tut.

‚Train to Busan‘ ist eine cool inszenierte Zombie-Zugfahrt, die auch Genremuffeln, wie mir, durchaus gefallen kann. In der Kür gibt es ein paar Abstriche aber das zentrale Thema und die Kern-Charaktere sind interessant genug, um über die etwas zu lange Laufzeit zu fesseln. Und das es etwas länger dauert erwartet man ja schon fast, bei einer Reise mit dem Zug.