‚Oppenheimer‘ (2023)

Ich mag die meisten Filme von Christopher Nolan. Ich mag sie, kann aber zumeist die Begeisterung über die „Meisterwerke“ nicht vollständig teilen. Damit will ich gewiss nicht Nolans Talent als Filmemacher in Frage stellen, das sollte offensichtlich sein. Er verbindet in seinen Filmen zumeist Themen von Identitätsfindung mit gigantischen, wissenschaftlichen Ideen und setzt diese mit einer geradezu mathematischen Präzision, meist in verschiedenen, ineinander greifenden Zeitebenen um. Und er macht all das, ohne dabei die Perspektive eines Mainstream Publikums aus den Augen zu verlieren. Er nimmt nur an, dass das Mainstream Publikum ist ein bisschen weniger doof ist, als andere Hollywood Regisseure das tun. Beinahe jeder seiner Filme fesselt mich. Aber sie bleiben mir nicht unbedingt lange im Gedächtnis. ‚Oppenheimer‘ jedoch werde ich so bald nicht vergessen.

Nolan erzählt die Geschichte des „Vaters der Atombombe“ vor allem auf drei Zeitebenen. Die Zeit von der Gründung des Manhattan Projects bis zum Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki bildet die erste und wichtigste Ebene. Dazu kommen der Entzug Oppenheimers Sicherheitszulassung 1954 durch die Atomenergiekommission und die gescheiterte Bestätigung von Lewis Strauss 1959 als Handelsminister der USA. Dazwischen liegen zahlreiche Flashbacks und einige Flashforwards.

Wir treffen J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) als jungen Studenten an verschiedenen europäischen Universitäten. Er ist geplagt von Heimweh nach den USA und von Visionen einer ungesehenen Welt. Der Welt der Quantenphysik, die er später in den USA etablieren wird. Wir treffen ihn auch als einen Mann, der seinen Tutor vergiften will, weil der ihn eine Vorlesung von Niels Bohr (Kenneth Brannagh) verpassen lässt. Später in den USA engagiert er sich für eine Gewerkschaft für Wissenschaftspersonal und gerät dabei auch in die Nähe kommunistischer Kreise, wo er nicht nur Psychologin Jean Tatlock (Florence Pugh) trifft, sondern auch seine spätere Ehefrau Kitty (Emily Blunt). Als klar wird, dass die Nazis an einer Atombombe arbeiten, gibt Oppenheimer all seine linken Positionen auf, um am Manhattan Project nicht nur beteiligt zu sein, sondern es zu leiten. Er baut Los Alamos auf und rekrutiert zusammen mit Lieutenant General Groves (Matt Damon) die besten Wissenschaftler der USA. Die Arbeit kulminiert im Trinity Test im Juli 1945 und drei Wochen später mit dem Abwurf zweier Atombomben über Japan. Der Theoretiker Oppenheimer muss sich nun den materiellen Folgen seiner Arbeit stellen. Nicht nur den hundertausenden Toten durch seine Bomben, auch den Folgen des sofort einsetzenden Wettrüstens von Ost und West. Sein Widerstand gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe führt 1954 zum Entzug seiner Sicherheitszulassung, in der McCarthy Ära war dies durch seine früheren, linken Beziehungen kein Problem. Doch rächt sich dies später für den Drahtzieher, den ehemalgien Chef der Atomenergiekommission Lewis Strauss (Robert Downey jr.), als dieser als Handelsminister bestätigt werden soll.

Natürlich kann ich hier die Handlung eines dreistündigen, komplex erzählten Films nur annähernd wiedergeben. Nolan füllt seinen Film, notwendiger Weise, mit einer gigantischen Menge an Charakteren. Zahllose Wissenschaftler von Einstein (Tom Conti) bis Edward Teller (Benny Safdie) treten sich hier beinahe auf die Füße. Und dennoch gelingt es dem Film sich auf seine zentralen Figuren zu konzentrieren. Zentral ist, natürlich, Oppenheimer und vor allem sein Umgang damit, für die Atombombe verantwortlich zu sein. Sein berühmtestes Zitat „Now I am become death, destroyer of worlds“ liest er hier zum ersten Mal im Bhagavad Gita während er Sex mit Jean Tatlock hat.

Und das hilft vielleicht bereits dabei zu sagen, dass wir es hier, entgegen den Aussagen einiger Kritiker, sicherlich nicht mit einer Hagiografie Oppenheimers zu tun haben. Ja, Nolan gesteht dem Wissenschaftler zu, ein Genie gewesen zu sein. Er ist aber auch ein rücksichtsloser Opportunist und arrogant bis zur Selbstaufgabe. Und er kann eben seinen Schwanz nicht in der Hose lassen. Er wurde aber nach dem Ende des Krieges vermutlich auch von moralischen Zweifeln geplagt. Die einzigen Wissenschaftler, die hier wirklich gut wegkommen (neben der warnenden Stimme Einsteins) sind die Chicagoer Metallurgen um Leó Szilárd (Maté Haumann) und David Hill (Rami Malek), die zu jeder Zeit richtig (oder wenigstens entsprechend meiner moralischen Vorstellungen) handeln. Nolan zeigt hier nicht die erschreckenden Bilder der Toten und der Überlebenden der Atombomben, er zeigt Oppenheimer, der diese Bilder sieht. Dafür ist er, vielleicht nicht zu Unrecht, kritisiert worden. Aber das ist wie dieser Film erzählt. Und worüber er erzählt: Oppenheimer. Das vielleicht wirklich Erstaunliche ist, wie wenig uns Nolan vom wirklichen Innenleben seines Protagonisten zeigt. Wir können Vieles was wir wissen müssen an Cillian Murphys Gesicht, das im Laufe des Films mehr und mehr an einen Totenschädel erinnert ablesen. Anderes bleibt Frage, verborgen hinter Oppenheimers nicht immer durchschaubarer Selbstdarstellung. Der Film entlässt ihn nicht aus seiner monströsen Verantwortung , macht aber auch deutlich, dass die weit größeren Monster diejenigen waren, die Oppenheimers Erfindung in die Finger bekommen haben. Bis hin zu Gary Oldmans Präsident Truman, der Oppenheimer, angewidert von dessen Zweifeln (historisch belegt), als „Crybaby“ bezeichnet.

Cillian Murphy liefert hier zu jeder Zeit ein absolut fesselndes Schauspiel ab. Für mich die beste Leistung seiner Karriere. Nolan fängt ihn in gigantischen Großaufnahmen ein und lässt ihn verloren in noch gigantischeren Landschaften wirken. Doch letztlich ist es Murphy, der seinen Oppenheimer glaubwürdig macht.

Nolan wurde, hier nun sicher nicht zu Unrecht, häufig vorgeworfen, dass er keine weiblichen Charaktere schreiben könne. Nun, er arbeitet dran. Und mit Jean und vor allem Kitty sind ihm hier zwei durchaus runde und vielschichtige, weibliche Charaktere gelungen, die allerdings mit Florence Pugh und Emily Blunt halt auch ganz hervorragende Darstellerinnen haben.

Das Ensemble ist so riesig, dass ich mich hier gar nicht über den gesamten Cast auslassen kann. Sie liefern durch die Bank sehr gute Leistungen ab. Erwähnt sei vielleicht nur noch Jason Clarke, dessen fantastische Fähigkeit den unsympathischsten Menschen in jedem erdenklichen Raum zu geben, als Ankläger Robb in vollem Einsatz ist.

Meine Darstellung lässt den Film bis hierhin vielleicht als etwas dröges Werk erscheinen, über Männer in Anzügen, die in kahlen Räumen über Quantenphysik oder (Anti-)Kommunismus reden. Das ist der Film aber keineswegs. Okay, das ist er schon, aber Nolan und Kameramann Hoyte van Hoytema setzen quasi jeden Moment visuell interessant um. Sei es ein idiotisch großes Blumengesteck auf einem Tisch, das visuelle Spannung schafft, oder Oppenheimers befremdliche Visionen, die mehr und mehr Einzug in die Wirklichkeit halten. Der völlig erwartbare Moment des Trinity Tests wird hier zu einem ebenso schrecklichen wie beeindruckenden Höhepunkt. Unterstützt von perfektem Sounddesign (ich kann sogar alle Dialoge verstehen! In einem Nolan Film!!). Auch Ludwig Göransson bedrückend-enervierender Soundtrack trägt seinen Teil bei.

Ja, ich gehe so weit zu sagen, dass ‚Oppenheimer‘ Nolans bislang bester Film ist. Es ist aber auch ein Film, auf den man sich einlassen wollen muss. Es ist kein fröhlicher Film, mit einem Ende, das einen ähnlich wie Einstein am Teich zurücklassen wird. Und er ist drei Stunden lang. Wobei ich die hier tatsächlich kaum bemerkt habe. Ich kann ehrlich gesagt kaum abwarten, ihn noch einmal zu sehen. Und das hatte ich bei einem Nolan Film noch nie.

2 Gedanken zu “‚Oppenheimer‘ (2023)

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