‚The Villainess‘ (2017) – Jane Wick?

Es gibt gewisse Phänomene, die treten nur sehr selten auf. Totale Sonnenfinsternissen etwa. Oder die Blüte des Titanenwurzes. In die Reihe dieser seltenen Phänomene kann man sicher auch Actionfilme einsortieren, die bei den Filmfestspielen von Cannes beinahe 5 Minuten stehende Ovationen bekommen. Einer dieser seltenen Vertreter ist der südkoreanische Film ‚The Villainess‘ von Jung Byung-gil. Und das allein wäre schon Grund genug ihn sich einmal genauer anzusehen.

Eine junge Frau (Kim Ok-vin) mordet sich durch ein Gangsterversteck mit angeschlossenem Drogenlabor. Nachdem sie von der Polizei festgenommen wurde, erwacht sie aber nicht etwa im Gefängnis, sondern in einem geheimen Trainingslager, wo sie von der Leiterin Kwoon-sook (Kim Seo-hyung) vor eine Wahl gestellt wird: dem koreanischen Geheimdienst 10 Jahre lang in neuer Identität als Schläferin für gelegentliche (Mord-)Aufträge dienen und danach ein Leben lang sicheres Gehalt kassieren, oder gleich hier sterben. Der jungen Frau, die nicht am Leben hängt fällt die Antwort zunächst leicht, doch als Kwoon-sook ihr eröffnet, dass sie schwanger sei, nimmt sie das Angebot doch an. Als ihre, geradezu schmerzhaft niedliche, Tochter geboren ist, wird ihr eine Wohnung in Seoul gestellt, in der sie in der Identität der Theaterschauspielerin Chae Yeon-soo leben wird. Zum Wohle aller hätte der Geheimdienst aber gut daran getan, die Vergangenheit der jungen Frau etwas genauer zu durchleuchten…

Der Film beginnt in medias res (oder eher in mordias res). Wir sehen aus der Ich-Perspektive der jungen Frau, wie sie sich durch das Haus kämpft und mordet. Ihr Gesicht sehen wir zum ersten Mal in einem Spiegel, als einer ihrer Widersachen ihren Kopf hindurch schmettert. Dadurch scheint der Zauber aufgehoben, die Kamera, von der subjektiven Sicht der jungen Frau befreit. Doch scheint sie dennoch eine gewisse Subjektivität zu behalten, wenn sie durch den Raum fliegt, Kämpfenden, jetzt in einem Fitnessstudio, wo Hanteln und Springseile zweckentfremdet werden, ausweicht und bemüht scheint, die Situation im Blick zu behalten. Schließlich folgt sie der jungen Frau durch ein Fenster nach draußen.

Das ist ein Auftakt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Während der folgenden Ausbildungssequenz behält der Film seine subjektive Sicht aus Yeon-soos Perspektive mit wenigen Ausnahmen bei, demarkiert aber in keiner Weise, wenn er aus der Gegenwart in eine Rückblende wechselt. Damit verwirrt er absichtlich und zeigt uns hier bereits, dass es Aspekte von Yeon-soo gibt, die wir nicht kennen. Hier mehr darüber zu sagen wäre nicht in Ordnung, weil das Heraustüfteln, was nun was ist, Teil des Vergnügens ist.

Der folgende Mittelteil ist in meinen Augen leider der Schwächste. Es ist zwar visuell sehr interessant, auf der einen Seite die sehr naturalistisch ausgeleuchteten Alltagsszenen aus Yeon-soos Leben zu haben. Inklusive romantischer Begegnung mit dem Nachbarn, von der wir als Zuschauer wissen, dass sie nicht so unschuldig oder zufällig ist, denn der freundliche Hyun-soo (Sung Joon) ist in Wirklichkeit Yeon-soos vom Geheimdienst gestellter Aufpasser.  Auf der anderen Seite haben wir die Aufträge, die in einem Licht inszeniert sind, das an den Glanz von Neon-Reklamen auf regennassem Asphalt um Mitternacht erinnert. Alles ist etwas „Larger Than Life“, selbst das Blut, das, nicht eben selten, auf Yeon soons Gesicht spritzt scheint zu leuchten.

Dennoch hat der Film hier gewisse Längen, wenn man darauf wartet in wie fern sich Autor/Regisseur Jung Byung-gil sich nun vom bis hierher allzu offensichtlichen Vorbild von Luc Bessons ‚Nikita‘ lösen wird (er tut es!). Dass eine der Auftragssequenzen dann auch noch ziemlich direkt ‚Kill Bill‘ zitiert hilft auch nicht wirklich. Dennoch, der Film belohnt diese kleinen Geduldsproben mit einem wahrlich explosiven Finale, samt liebevoller Hommage an Jackie Chan.

Neben gelungenen Actionszenen bietet der Film optisch ohnehin einiges auf. Neben der oben beschriebenen stilisierten Gewalt, geht das bis hin zu kleinen, unauffällig trockenen, visuellen Gags. Wenn sich Yeon-soo eine Schießerei mit einigen Gangstern in einer Küche liefert, schwenkt die Kamera ein ganz klein wenig, um eine Reihe sorgfältig gerupfter und zubereitungsfertiger Hühner ins Bild zu bekommen und liefert so ein wenig überraschendes und staubtrockenes Orakel zu den Überlebenschancen der Handlanger.

Hauptdarstellerin Kim Ok-vin ist mir zum ersten Mal in Park Chan-wooks ‚Durst‘ aufgefallen. Hier muss sie sich einer nicht ganz leichten Doppelaufgabe stellen: einerseits die emotionalen Aspekte (oder in einigen Fällen, die nicht vorhandene Emotionalität) ihrer Figur überzeugend herüberbringen, gleichzeitig den körperlichen Anforderungen der Stuntsequenzen gerecht werden. Dass sie den ersten Part überzeugend meistert, überrascht nicht, falls man ‚Durst‘ kennt. Selbst wenn das Drehbuch im Mittelteil gelegentlich in Melodramatische abrutscht, bleibt sie zumindest überzeugend. Auch den anderen Aspekt trägt sie gut, was nicht zuletzt damit zu tun haben dürfte, dass sie Erfahrung in Hapkido und Taekwondo mitbringt (behauptet zumindest Wikipedia). Die anderen Darsteller sind durch die Bank gut, aber keiner der herausragend wäre.

Hat man in Cannes also zu recht applaudiert? Nach dem Finale auf jeden Fall. Aber vielleicht sind gerade der starke Anfang und das starke Ende in gewisser Weise auch das „Problem“ des Films, weil sie den etwas schwächeren, wie erwähnt leicht melodramatischen, Mittelteil umso offensichtlicher machen. Obwohl sich auch die kinetischen Actionsequenzen in diesem Mittelteil nicht vor westlicher Action a la ‚John Wick‘ verstecken müssen. So oder so, von mir gibt es eine glasklare Empfehlung!

 

Reisetagebuch: ‚The Wailing‘/OT: ‚Gokseong‘ (2016)

#04 Film aus Südostasien

Heute führt mich die Filmreise Challenge nach Südkorea. Einem Land, dessen Filmkunst in den letzten Jahrzehnten internationale Anerkennung und Erfolge feiern konnte. Anlässlich der Challenge wende ich mich dem Werk eines Regisseurs zu, von dem ich bislang noch nichts gesehen habe: Na Hong-Jin und seinem Horror/Mystery-Film ‚The Wailing‘.

Die Ruhe eines kleinen, ländlichen Dorfes in Korea wird empfindlich gestört. Bislang unbescholtene Bürger zeigen einen furchtbaren Hautausschlag, beginnen sich mehr und mehr irrational zu verhalten, bevor sie grauenhafte Gewalttaten begehen und dann in eine Art katatonischen Zustand verfallen. Der kriminalistisch nicht eben wahnsinnig fähige Jeon Jong-gu (Kwak Do-won) wohnt mit seiner Frau, Tochter Jeon Hyo-jin (Kim Hwan-hee) und Mutter in dem Dorf und ist als örtlicher Polizist ähnlich überfordert wie seine Kollegen. Eines ist ihnen jedoch klar: die offizielle Version, es handele sich um eine Pilzvergiftung klingt völlig unglaubwürdig. Stattdessen kommt ihm der Verdacht, der Schuldige müsse der Japaner (Jun Kunimura) sein, der seit Kurzem am Rande des Dorfes wohnt. Um den ranken sich ohnehin allerlei Gerüchte. Als Hyo-jin Symptome entwickelt, heuern Jong-gu und seine Mutter nicht nur einen Schamanen (Hwang jun-min) an, Jong-gu beschließt auch den Japaner endlich genauer unter die Lupe zu nehmen, mit unvorhersehbaren Konsequenzen.

Und wenn ich „unvorhersehbare Konsequenzen“ sage, dann meine ich auch „unvorhersehbare Konsequenzen“. Falls jemand glaubt, er könne aus dieser Inhaltsangabe der ersten 30 Minuten den Rest erschließen, kann ich nur versprechen, dass das nicht geht. Na vermischt in seinem Film allerlei Elemente. Das gilt sowohl für direkte Filmzitate, das Setting des verregneten Dorfes, gefühlt am Ende der Welt, orientiert sich etwa an ‚Memories of Murder‘ und es kommen Elemente aus ‚Der Exorzist‘ hinzu und immer mal wieder eine Prise Zombiefilm. Seine Zitate gehen allerdings über Film hinaus. Na nimmt Elemente des Horror- und Mysteryfilms und vermischt sie mit sich wahrhaftig anfühlender Mythologie.

Wie in einer mythologischen Darstellung hat Jeon Jong-gu bereits verloren, als er sich mit den mythischen Wesenheiten einlässt. Ist der Anfang des Films noch von gelegentlicher, wenn auch sehr schwarzer Komik geprägt, macht diese immer mehr der Verzweiflung Platz. Nichts scheint echte Hilfe und wirkliche Antworten zu bringen, weder christliche Religion, noch ursprünglich koreanischer Schamanismus. Jong-gus Verzweiflung wird größer und größer und seine eigenen Handlungen werden mehr und mehr von der Verzweiflung geprägt und damit nicht nur moralisch fragwürdiger.

‚The Wailing‘ entgeht damit einem meiner größten Probleme mit vielen Horrorfilmen. Na achtet darauf, dass wir als Zuschauer nie viel mehr wissen als die Charaktere im Film, um die Verzweiflung spürbar zu machen. Und dort wo andere Horrorfilme Antworten liefern würden uns sich damit oft genug selbst entzaubern („der Dämon heißt Balladun, man kann ihn mit einer frisch angeschnittenen, würzigen Salami fangen… aber nicht der billigen!“), zieht uns Na den Teppich unter den Füßen weg. Und haben wir uns aufgerappelt zieht er uns erneut den Teppich unter den Füßen weg. Nun sind wir ziemlich sicher, dass da gar kein Teppich mehr ist, doch hat uns Na einen neuen Teppich untergeschmuggelt und zieht uns auch den weg. Das muss man sicherlich mögen und man kann darüber streiten, ob es Na am Ende gelingt das Ganze zu einem guten Ende zu führen. Allerdings sorgt er hier dafür, dass fast zweieinhalb Stunden wie im Flug vergangen sind, obwohl ich das im Normalfall als viel zu lang für einen Horrorfilm betrachten würde.

Damit das gelingt, spielt Na mit den Versatzstücken seines Films. Verkehrt Horrofilmklischees ins Gegenteil, enttäuscht Erwartungen und spielt mit historischen, koreanischen Tatsachen, die ich sicherlich nicht wirklich alle nachvollziehen konnte. Etwa den Ressentiments von Koreanern gegenüber Japanern oder der Stellung von Schamanismus zwischen identitätsstiftender Religion und etwas merkwürdigem Aberglauben.

Kwak Do-won (‚the Good, The Bad, The Weird‘) trägt dabei als Hauptdarsteller den Großteil des Films auf seinen Schultern, es gibt wenige Szenen, in denen er nicht im Mittelpunkt steht. Sein Dorfpolizist Jeon wird anfangs nicht eben ernst genommen. Wenn er ohne Frühstück das Haus verlassen will, schreit ihn seine Mutter an, bis er etwas isst. Dann schreit ihn sein Chef an weil er zu spät kommt. Mit seiner Frau muss er Sex in seinem Auto haben, damit die beiden einmal ungestört sein können. Und wenn er im Film endlich das Heft in die Hand nimmt, dann im schlechtesten möglichen Moment, was ihn zu einer wahrhaft tragischen Figur macht. Kwaks Gesicht, ein offenes Buch für jede Art von Schmerz, passt hervorragend zu der Rolle. Hwang jun-mins Schamane bringt einige dringend benötigte „Antworten“ mit, doch ist etwas Unangenehmes, ja Schmieriges an seinem Charakter und das liegt nicht nur an seinem ständigen Gerede über Geld. Und Jun Kunimura ist großartig als frustrierend unergründlicher Fremder, der von Anfang an alle Karten in der Hand zu halten scheint… oder auch nicht… oder.

Die Kamera von Hong Kyung-pyo, der etwa an ‚Snowpiercer‘ oder ‚Mother‘ (2009) gearbeitet hat, ist wie gewohnt umwerfend. Beinahe magnetisch hält er das Auge fest, verwandelt das verregnete Dorf in einen Ort der finsteren Magie aber auch der Verzweiflung und der Angst. Und all das ohne schnelle Schnitte oder die viel zu beliebten Jumpscares.

Ich denke es ist deutlich geworden, dass ich den Film sehr mag. Ich kann ihn nicht unumwunden jedem empfehlen, dafür ist er zum einen zu lang, zum anderen wird manchen mein liebstes Element, dass er sich allzu aufklärende Antworten verkneift, wohl so ganz und gar nicht gefallen. Mich beeindruckt nur, wie es den Koreanern immer wieder gelingt (siehe z.B. auch ‚Train to Busan‘), einen Horrorfilm mit derart starken Charakterelementen zu verbinden und gleichzeitig klarzumachen, dass es um noch weit mehr geht. Das lässt einen Großteil der Horrorfilme aus anderen Ländern geradezu unbeholfen aussehen… Ich jedenfalls muss mir jetzt erst mal Nas bisherige Filmografie vornehmen.

‚Die Taschendiebin‘ (2016)

Ich bin ein großer Fan der Filme von Park Chan-wook. Durch seinen ‚Joint Security Area‘ bin ich damals sogar erst auf das moderne südkoreanische Kino aufmerksam geworden. Seine Rache-Trilogie ist großartig, ‚Thirst‘ ein ungewöhnlicher, gelungener Vampirfilm, selbst seinen etwas ungeliebten ‚I’m a Cyborg, but that’s okay‘ mag ich sehr. Seinen bislang einzigen Hollywood-Ausflug in Form der Hitchcock-Hommage ‚Stoker‘ fand ich allerdings eher interessant als rundum gelungen. Nachdem ich nun ‚Die Taschendiebin‘ zum zweiten Mal gesehen habe, kann ich sagen, dass ‚Stoker‘ in gewissem Sinn eine Trockenübung für diesen Film gewesen sein könnte, finden sich doch viele thematische Elemente aus diesem Film hier wieder. Überhaupt ist dieser Film, wie das Herrenhaus in dem ein Großteil der Handlung spielt und die Mode vieler Charaktere, eine Melange aus östlichen und westlichen Einflüssen, die Park hier wunderbar zu seinem vielleicht besten Film vermischt.

Der Film basiert auf dem Roman „Fingersmith“ von Sara Waters, den ich allerdings nicht kenne. Er verlegt die Handlung vom viktorianischen England ins japanisch besetzte Kore der 30er Jahre. Das passt, wie ein schwarzer Lederhandschuh, findet sich doch hier wie dort eine extrem streng stratifizierte Gesellschaft. In dieser Gesellschaft möchte der Betrüger Fujiwara (Ha Jung-woo) um jeden Preis aufsteigen. Dafür will er die japanische Adlige Lady Hideko (Kim Min-hee ) heiraten. Zu diesem Zweck plant er sich selbst als japanischer Graf auszugeben und gleichzeitig eine Gaunerkollegin, die Taschendiebin Sookee (Kim Tae-ri), als Dienstmädchen in den Haushalt von Hidekos Onkel Kouzuki (Cho Jin-woong) einschleusen, die ihre Position nutzen soll, um Hideko  von der Großartigkeit „Graf Fujiwaras“ zu überzeugen und als Dienstmädchen Treffen zwischen den beiden ermöglichen soll. Onkel Kouzuki seinerseits möchte Hideko ebenfalls heiraten, um so als echter Japanischer Adliger akzeptiert zu werden. Wirklich kompliziert wird die Sache allerdings, als sich Sookee und Hideko ineinander verlieben.

Das Erste, was man über den Film sagen muss ist, wie unfassbar gut fotografiert er ist. Wenige Filme bringen mich dazu schon in den ersten Minuten mehrfach ein leises „wow“ von mir zu geben, Park schafft das hier problemlos und hält diesen Wow-Faktor über zweieinhalb Stunden. Er fasst hier wunderschöne Menschen in wunderschönen Kostümen vor wunderschönen Hintergründen in Bilder, die es schaffen tatsächlich noch etwas mehr zu sein als die Summe ihrer Teile. Die Musik von Cho Young-wuk trägt weiterhin ihren Teil dazu bei. Bei aller inszenatorischen Eleganz verliert der Film allerdings niemals seinen Drive, sein Tempo. Selbst im zweiten, des in drei Kapiteln unterteilten Films, das zahlreiche Sequenzen des ersten Kapitels aus anderer Perspektive wiedergibt, wird er nicht langweilig. Sprich, der Film verliebt sich nie zu sehr in seine Bilder, weiß das seine rauschenden Kimonos und überschwänglichen Bibliotheken immer nur dazu dienen dürfen seine Charaktere zu unterstützen. So gewaltig aber ist seine Bilderflut, dass ich mehrfach schlicht vergessen habe die Untertitel zu lesen, weil ich zu sehr in seinen Bildern verloren war. Das ist mir noch nicht häufig passiert.

Und die Untertitel zu lesen, um der Geschichte zu folgen lohnt sich absolut, denn die kommt mit so einigen Wendungen, daher, mit Plänen innerhalb von Plänen. Park erzählt sie mit Leichtigkeit, Eleganz und wunderbar wohldosiertem, tiefschwarzen Humor. Sicherlich hat keine Wendung die Wucht jenes Moments aus Parks ‚Oldboy‘, das ist aber auch nicht das Ziel, auch die Ränke dieser Geschichte dienen vornehmlich dazu uns die Charaktere näher zu bringen.

Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen funktioniert ganz hervorragend. Sookees sorgfältig gehegte Pläne sind von dem Moment zum Scheitern verurteilt, als sie die kühle, scheinbar naive aber definitiv einsame Hideko das erste Mal sieht. Das bringt mich zu den, in vielen Besprechungen kritisierten, Sexszenen zwischen den beiden. Die sind sicherlich expliziter als vieles, was wir heute im Kino geboten bekommen, sind allerdings für die Wärme und die Intimität zwischen den beiden Charakteren von entscheidender Wichtigkeit und erscheinen mir ehrlich gesagt in keiner Weise exploitativ oder geschmacklos. Wenn man sich weiterhin die männlichen Figuren ansieht, wird es für mich schwierig hier besondere Männerfantasien auszumachen. Denn Fujiwara wird schnell zu einem reinen Störfaktor für die beiden, ein lästiger, aufdringlicher Vollidiot, während Onkel Kozouki eine schwarzzüngige, sadistische, übergriffige Monstrosität ist, der die Realität am liebsten seinen geliebten, pornografischen Schriften angleichen würde. Insofern würde ich den Film eher als sexuell befreiend begreifen wollen, denn als typischen Vertreter des „Male Gaze“. Ein passender Vergleich wäre vielleicht der zu ‚Carol‘ von 2015, den ich ebenfalls sehr mochte.

Wenn ich einen Kritikpunkt einbringen müsste, dann ist das die gelegentliche, nur mäßig gelungene Einbindung von Gedankengängen der Charaktere als Voice-Over. Es ist beinahe erstaunlich, dass Park in der Lage ist solche Bilder zu komponieren, ihnen dann aber in entscheidenden Momenten doch nicht genug vertraut und auf eine solche Krücke zurückgreift. Wenn Sookee Hideko das erste Mal sieht, dann sagt ihre Reaktion alles, da brauche ich kein Voice-Over, das mir sagt, dass Hideko wunderschön ist. Das sehe ich nebenbei auch selbst. Aber ich will das nicht zu sehr aufblähen, der Einsatz ist wie gesagt sehr sparsam, zumindest für mich dennoch gelegentlich störend.

Lasst mich noch ein paar Worte zum Titel sagen, weil das ein Thema ist, dass mir immer noch durch den Kopf geht. Der koreanische Titel lautet ‚Agassi‘, hat nichts mit Tennis zu tun, sondern bedeutet Fräulein, im Doppelsinne von Adelstitel und unverheirateter Frau. Der internationale Titel wurde dann ‚The Handmaiden‘, also das Dienstmädchen. Im Deutschen war man dann direkt so ehrlich zu verraten, wer hinter dem Dienstmädchen steckt. Der originale Titel ist sicher der beste, allerdings glaube ich nicht, dass ‚Das Fräulein‘ im Deutschen besonders gut funktioniert hätte. Das lässt doch eher an piefige 50er Jahre denken, als an viktorianisch-gothische Erotik. Und der deutsche Titel gefällt mir hier ehrlich gesagt besser als der internationale.

Wenn ihr alle Elemente einer gelungenen „Gothic Novel“, also verbotene Leidenschaften, Selbstmorde und verborgene Perversionen elegant eingebettet in eine für Korea ebenso verstörende, wie prägende Epoche sehen möchtet, dann ist dieser Film der Richtige für Euch. Wenn ihr einen Meister sowohl der Technik als auch des visuellen Erzählens auf dem Höhepunkt seines Schaffens sehen wollt, dann auch. Sicherlich einer der (wenn nicht der beste) besten Filme des letzten Jahres.

Gestern Gesehen: ‚Train to Busan‘ (2016)

Och nö, Zombies. Das war meine erste Reaktion, als ich einen Trailer für diesen Film sah. Ich bin seit Jahren „ausgezombt“. Filme, Videospiele, Serien, Comics, Bücher, eine laufende Leichenlawine an Zombiekrams und letztlich immer das Gleiche. Rottende Rabauken, die renitent „Raahh!“ rufen, auf der einen Seite und die übliche Ansammlung von Klischees mit erstaunlich schwerer Artillerie auf der anderen Seite. Und dann wird einer gebissen und sagt es niemandem – immer!

Aber dann waren da zwei andere Aspekte, die meine instinktive Ablehnung relativierten. „Zug“ und „Südkorea“, die mich selbstverständlich an den hervorragenden ‚Snowpiercer‘ denken ließen. Okay, das war ausreichend, damit ich dem Film des, mir bis dahin unbekannten, Yeon Sang-ho eine Chance gebe.

Fondsmanager Seok-woo (Gong Yoo) ist geschieden und lebt mit seiner Tochter Su-an (Kim Su-an) und seiner Mutter in Seoul. Er lebt für seine Arbeit und hat wenig Zeit oder Aufmerksamkeit für seine Tochter. Die möchte deshalb ihren Geburtstag bei ihrer Mutter in Busan verbringen. Seok-woo ist nach einigem hin- und her, bereit sie mit dem Hochgeschwindigkeitszug KTX hinzubringen. Ein Unfall in einem Biotechnologieunternehmen hat aber, gerade an dem Tag, dafür gesorgt, dass sich Menschen, infiziert durch einen Biss, in rasende, schnelle, aggressive Killer verwandeln. Seok-woo, Su-an, der übellaunige Sang-hwa (Ma Dong-seok) und dessen schwangere Frau Sung-kyung (Jeong Yu-mi) und ein ganzer Haufen anderer Passagiere (darunter eine Baseball-Mannschaft…) durchqueren so das Land in der Hoffnung auf einen sicheren Bahnhof. Und, wie es so geht, sind die Zombies nicht die größte Gefahr.

Nein, allen Klischees weicht dieser Film nicht aus. Versucht er auch gar nicht. Denn eigentlich weicht er kaum einem aus, fast als wäre er auf Schienen. Aber er hat einige herausragende Asse im Ärmel. Da sind zunächst die Actionsequenzen zu nennen. Seien es Jagden durch verlassene Bahnhöfe oder nervenzerfetzende Auseinandersetzungen im beengten Raum der Waggons, Yeon Sang-ho meistert hier die Choreografie und schafft es (fast schon eine Seltenheit, heute) Schnitte zu setzen, die die Dramatik stets noch erhöhen, statt die Handlung  zu zerstückeln. Die Action darf „atmen“, hält den Zuschauer aber gleichzeitig atemlos.  Ganz wie es sich für einen Horrorfilm gehört, wird eine Situation, die schon ausweglos erscheint, immer nur noch schlimmer.

Ein aber noch weit wichtigerer Trumpf sind die zentralen Charaktere. Seok-woo und Su-ans nicht eben unkomplizierte Vater-Tochter Beziehung ist nicht nur eine direkte Personifizierung des zentralen Themas des Films, Egoismus vs. Altruismus, anhand des rücksichtslosen Fondsmanagers („du bist es wohl gewohnt überflüssige Menschen abzuservieren“)  einerseits und seines empathischen Kindes andererseits. Sie liefert auch einen ganz wichtigen emotionalen Kern, der dafür sorgt, dass der Film mehr wird als ein unterhaltsamer aber letztlich platter Zombiefilm. Das die Charaktere recht gut geschrieben sind und die zentralen Darsteller ganz hervorragende Arbeit abliefern trägt seinen Teil bei. Auch den, für Zombiemedien leider alles andere als unüblichen, Nihilismus umgeht der Film so ziemlich geschickt. Die Klassenunterschiede, die in ‚Snowpiercer‘ das treibende Element der Handlung waren sind hier, in etwas subtilerer Form, ebenfalls vorhanden. Nicht zuletzt, weil in diesem Zug vom Obdachlosen über Studenten und Rentner bis zum CEO allerlei Gesellschaftschichten aufeinandertreffen.

All das soll aber nicht den Eindruck erwecken, ich hätte nix zu meckern. Mit knapp zwei Stunden ist der Film etwa 20 Minuten zu lang. Bestimmte Elemente wiederholen sich einige Male zu oft. Auch erfolgt außerhalb der zentralen Personen die Charakterisierung mit sehr groben Pinselstrichen. Im Großen und Ganzen funktioniert es zwar, doch sammelt der Film hier ein paar Punkte mehr auf der Klischee-Checkliste, als er eigentlich nötig hätte. „Snowpiercer mit Zombies“ ist eine Kritik, die mir tatsächlich durch den Kopf ging, allerdings bin ich der Meinung, dass man damit beiden Filmen Unrecht tut.

‚Train to Busan‘ ist eine cool inszenierte Zombie-Zugfahrt, die auch Genremuffeln, wie mir, durchaus gefallen kann. In der Kür gibt es ein paar Abstriche aber das zentrale Thema und die Kern-Charaktere sind interessant genug, um über die etwas zu lange Laufzeit zu fesseln. Und das es etwas länger dauert erwartet man ja schon fast, bei einer Reise mit dem Zug.