Als ich vor ziemlich genau einem Jahr den Film ‚Tully‘ besprochen habe, kam ich zu dem Schluss, dass er ganz gut sein, ‚Young Adult‘ aber die weit bessere Kollaboration zwischen Autorin Diablo Cody, Regisseur Jason Reitman und Hauptdarstellerin Charlize Theron sei. Wie es mir so zu eigen ist, zweifelte ich diese Aussage bald selbst an, schließlich war es schon ein paar Jahre her, seit ich ‚Young Adult‘ gesehen hatte. Kaum 12 Monate später habe ich die Neusichtung nachgeholt und kann beruhigt feststellen, ich hatte völlig recht. ‚Young Adult‘ ist sogar noch besser als ich ihn in Erinnerung hatte.
Mavis Gary (Theron), Autorin Ende 30, schreibt am letzten Buch einer Jugendbuchreihe, die wegen mangelndem Erfolg eingestellt werden wird. Als sie aus einer Mail erfährt, dass ihre High School Liebe Buddy Slade (Patrick Wilson) mit seiner Frau Beth (Elizabeth Reaser) ein Baby bekommen hat, stürzt sie das in eine Lebenskrise. Sie beschließt in die Kleinstadt ihrer Jugend, Mercury in Minnesota, zurückzukehren und Buddy wieder für sich zu gewinnen. Dabei trifft sie auf den gehbehinderten, übergewichtigen Matt Freehauf (Patton Oswalt), der die gesamte Schulzeit über den Spind neben ihr hatte, den sie jedoch nie nur eines Blickes gewürdigt hat.
Mavis Gary ist ein Charakter der Art, wie es ihn für Männer sehr häufig gibt, der für Frauen aber immer noch Seltenheitswert hat. Sie fordert das Publikum geradezu heraus sie nicht zu mögen. Sie leidet an Depression, ist Alkoholikerin und hatte eine nervöse Störung, die dafür sorgt, dass sie sich selbst die Haare ausrupft. Sie ist von tiefem Selbsthass geplagt, lenkt den aber um in Verachtung für alles und alle um sie herum. Und in einen verzweifelten Versuch die Situation ihrer Jugend, „Ihre besten Jahre“ wie sie sagt, wieder herzustellen. Wenn sie ihr Schoßhündchen vernachlässigt, oder Matt bei der ersten Begegnung dank seiner Krücke als den „Hatecrime Guy“ erkennt, dem in der High School drei Schläger, die dachten er sei schwul, den Unterleib zertrümmert haben, dann möchte man fast schreien. Aber Cody schreibt diese Figur mit einer solchen Bitterkeit und zeigt gleichzeitig ihre Mission Buddy „zurückzugewinnen“ als Autounfall in Zeitlupe, dass man (oder zumindest ich) irgendwann eine geradezu widerwillige Sympathie für sie entwickelt. Ich glaube ein ganz wesentlicher Antrieb dafür ist, dass der Film nie versucht Mavis‘ Handlungen zu rechtfertigen. Er zeigt sie ehrlich als das was sie sind.
Cody kam übrigens auf die Idee zu der Figur, als sie in einer Q&A Veranstaltung gefragt wurde, warum sie immer über Teenager schreibe. Danach trug sie sich eine Weile mit der Sorge, ob sie in ihrer eigenen Entwicklung gehemmt sein und begann sich zu überlegen, wie eine solche Autorin aussehen könnte. Mavis setzt ihre Erlebnisse in ihrer Weise für die Hauptperson ihrer Buchreihe um. Eine Schülerin so beliebt, dass sie zur Prom Queen der Nachbarschule gewählt wurde. Das ist wie Mavis sich ihrer eigenen Schulzeit erinnert, warum danach gefühlt alles bergab ging. Ehrlich gesagt ist es nicht alles, aber das würde zu viel verraten.
Matt Freehauf ist eine Art Zerrspiegel von Mavis. Auch er kann sich mental nicht aus der Schulzeit fortbewegen. Weil das an ihm verübte Verbrechen den Rest seines Lebens ruiniert hat. Er überträgt seine Unzufriedenheit mit sich selbst allerdings weniger in zornige Verachtung als eher rücksichtslose Ehrlichkeit. Er ist der einzige in Mercury, der sich von Mavis‘ Autorenschaft unbeeindruckt zeigt („Ach so, Vampire.“ antwortet er darauf, dass sie Jugendbücher schreibt). Er hat keinerlei Hoffnungen bei ihr zu landen, spricht also vollkommen ehrlich mit ihr. Und sie verschwendet kaum einen zweiten Gedanken an ihn, spricht also weitgehend ehrlich mit ihm. Hier ist auch der Punkt, an dem ich die durchaus berechtigte Kritik, eine depressive Alkoholikerin, die Ben & Jerrys eimerweise vertilgt, sähe wohl kaum so aus wie Charlize Theron beantworten würde. Das ist für sich genommen richtig, da helfen auch Augenringe, Schlabberhose und gammeliges „Hello Kitty“ Shirt nicht. Doch ist es hier nicht der reine Hollywood-Schönheitswahn, sondern ein gewollter Kontrast in der Erscheinung von Mavis und Matt, der die, durchaus ungesunde, Seelenverwandtschaft zunächst übertüncht.
Der Film gehört zu einem guten Teil Charlize Theron. Sie ist in quasi jeder Szene zu sehen. Ihre Mavis ist bitter, überheblich, erbärmlich, hilflos, fies und, nicht ganz unwesentlich, sehr, sehr komisch. Nun ist Theron selten wirklich schlecht in Filmen, dennoch würde ich diese Leistung absolut zu ihren besten zählen. Stand Up Komiker Patton Oswalt kann ebenfalls auf eine recht lange, meist aus kleinen Nebenrollen bestehende Filmografie zurückblicken. Darunter würde ich Matt ebenfalls zu seinen besten Rollen zählen. Ohne ihn je zur Pointe zu machen, zeichnet er ihn als einen Mann, der all seine Unzulänglichkeiten auf einen einzelnen, unverschuldeten Moment zurückführt. Und damit womöglich sogar recht hat. Patrick Wilson tut was er am besten kann. Er gibt den Durchschnittstypen konfrontiert mit einer außergewöhnlichen Situation. Und er steht im Zentrum des wohl lustig-furchtbarsten Moments des Films. Auch nicht schlecht.
Ich würde den Film als das Meisterstück von Autorin Cody bezeichnen. Ein Drehbuch, das sich nie mit einer langweiligen Antwort zufrieden gibt, das bohrt und kratzt und bloßlegt. Dabei tritt sie absichtlich die gewohnten Konventionen der Romantic Comedy mit Füßen, ja entlarvt sie oft genug als ziemlich furchtbar zynisch. Reitmans routinierte Regie scheint dem im ersten Moment nicht viel hinzuzufügen zu haben, doch seine Leistung ist, dass er Buch und Spiel genau den Platz einräumt, den sie verdient haben. ‚Young Adult‘ ist eine harsche Charakterstudie und eine der besten „Unromantic Comedies“.
Pingback: ‚Ghostbusters‘-Geschichte letzter Teil: „Whoa, killer replica!“ | filmlichtung
Pingback: Die 5 Besten am Donnerstag: meine 5 liebsten, weiblichen Filmcharaktere im Jahr 2020 | filmlichtung
Pingback: Neuer ‚Ghostbusters Legacy‘ Clip… – Fanboy-Sorgen | filmlichtung
Pingback: Die 5 Besten am Donnerstag: die 5 besten Filmrollen meiner 5 liebsten Darstellerinnen | filmlichtung