Die Tomaten faulen von der Wurzel her – mein Problem mit „RottenTomatoes.com“

Lasst uns über Tomaten reden! Ein Grundpfeiler der mediterranen Küche! Ein Problem ist, dass man im Supermarkt quasi nur noch die roten Wasserbomben aus niederländischen Treibhäusern bekommt, letztlich ist das aber nur passend, kommt der Name doch vom Mayawort Xitomatl, was so viel wie „dickes Wasser“ bedeutet. Ich überlege ja selbst Tomaten zu ziehen und… okay, die Filmlichtung hat sich nicht etwa zu einem botanisch-kulinarischen Magazin gewandelt, es geht natürlich nach wie vor um Filme. Dennoch soll es heute um Tomaten gehen. Verfaulte Tomaten nämlich, wenn wir einen Blick auf den Rezensions-Aggregator „Rotten Tomatoes“ werfen.

Die Seite war mir bis vor kurzem reichlich egal. Das Interesse in Deutschland schien allgemein eher minimal aber bei dem Besuch eines Technikgroßmarktes meines Vertrauens in meiner Nähe habe ich letztens tatsächlich einen rot-grünen „Certified Fresh“ Aufkleber auf dem Cover einer Bluray gesehen. Anscheinend habe ich den Einfluss der Seite unterschätzt. Wer sich momentan fragt, wovon ich überhaupt rede: „Rotten Tomatoes“ ist eine amerikanische Metakritik Seite. Das heißt sie sammeln die Rezensionen bestimmter zuvor ratifizierter (vornehmlich US-amerikanischer) Kritiker zu einem Film. Falls die Kritiker eine numerische Note vergeben haben wertet Rotten Tomatoes (RT) diese, so sie überdurchschnittlich ist als „fresh“ oder falls unterdurchschnittlich als „rotten“. Ist keine numerische Bewertung vorhanden leitet RT aus dem Text ab, ob der Kritiker den Film als „rotten“ oder „fresh“ betrachtet. Sind über 60% der Rezensionen positiv wird der Film an sich bei RT als „fresh“ geführt, bei über 75% als „Certified Fresh“ was mit einem eigenen Symbol versehen wird. Alles darunter ist „rotten“. Die einzelnen Rezensionen tauchen mit einem Kurzfazit und einem Direktlink auf.

Die Bewertungen werden also in ein reines Binär-System verwandelt, ein Film ist entweder gut oder schlecht, alle Nuance der eigentlichen Rezension geht verloren. Das mag dem im Internet leider sehr üblichen Lagerdenken entgegenkommen, in dem man entweder für oder gegen etwas ist, und dieses etwas entweder das Beste aller Zeiten oder kompletter Mist ist. Und wenn 90% der Kritiker sagen ein Film sei „fresh“, dann muss er doch großartig sein, oder? Selbst wenn wir ignorieren, dass es so etwas wie eine objektive Rezension gar nicht gibt (und das ist gut so!) und Rezensionen auch durch ihre Aggregation nicht objektiver werden gibt es mit einem solchen System arge Probleme. Es belohnt z.B. Mittelmäßigkeit. Nehmen wir an ein Film hat 10 Rezensionen, die auf einer 10er Skala bewerten. Sieben davon geben dem Film eine 5,5/10 und drei geben ihm 4/10. Bei RT wäre er damit zu 70% „fresh“ und, da so wenige Rezensionen vorliegen, reichen sogar die 70% schon für ein „Certified Fresh“. Ein anderer Film hat womöglich 5 10/10 Bewertungen (3 davon bezeichnen ihn als Film des Jahres) und 5 4/10 Bewertungen. Damit wäre er bei 50% und „rotten“. Ein Beispiel für so etwas ist ‚Antz‘, der allgemein als „ganz okay“ gilt, bei RT allerdings 96% aufweist und damit so etwas wie ein Allzeit-Klassiker ist. Man beachte auch, dass der rechts neben dem „Tomatometer“ stehende „Audience Score“, also die Zuschauerwertung, die Nutzer der Seite selbst eintragen, nicht binär normalisiert wurde, beide Zahlen in sich also völlig unvergleichbar sind!

Nun nimmt aber das amerikanische Internet (und vor allem anscheinend das dem Superhelden-Genre zugeneigte) diese Werte ganz furchtbar ernst. Der schlechte Tomatenwert für ‚Suicide Squad‘ sei schuld am mangelnden Erfolg des Films, hieß es. Die Seite habe sich gegen das DC Extended Universe (siehe hier für „Cinematische Universen“) verschworen! Und es wurde sogar eine Petition verfasst die Seite zu schließen! Aus Gründen!! Die mir nicht völlig klar sind!!![1] Das ist natürlich vollständig albern, denn RT schreibt die Kritiken ja wie gesagt nicht selbst, sondern kuratiert (und normalisiert) sie nur.

Diese Woche aber, wo ‚Justice League‘ in die Kinos kam, scheint es beinahe so, als wollte sich RT der Fanboy-Schelte beugen. Die Veröffentlichung der Kritiken und ihres Meta-Tomaten-Werts wurde bis auf Donnerstag, den Tag der Veröffentlichung von ‚Justice League‘ verzögert (normalerweise bis zu 7 Tage vorher). Liegt es an den Vorwürfen? Oder ist der Grund wirklich, wie RT sagt, um es zeitgleich mit einer neuen Facebook-Video-Show der Seite zu veröffentlichen?[2] Der wirkliche Grund könnte durchaus etwas sinisterer sein. RT gehört „Fandango“ einer Firma, über die man in den USA online Kinotickets kaufen kann. Fandango (ein Wort übrigens, das ich nicht hören oder lesen kann ohne innerlich „Scaramouche, Scaramouche, will you do the…“ zu ergänzen) wiederrum gehört zu 70% NBCUniversal und zu 30% Warner Bros.. Jenen Warner Bros., die ‚Justice League‘ herausbringen. Jenen Warner Bros., die besorgt um ihr DCEU sind. Die nach ‚Wonder Woman‘ wirklich verzweifelt einen weiteren Hit brauchen könnten. Irgendetwas sagt mir, dass die zurückgehaltenen Kritiken keine guten sind. Das Warner Bros., wenn die Kritiken gut wären das bereits feiern würde, wie Cristiano Ronaldo das letzte Tor. Aber so stinkt es. Und zwar deutlich schlimmer als faule Tomaten.

Also auch wenn ich vorher kein Problem mit RT gehabt hätte, spätestens heute hätte ich eines. Die Petition wirkt dadurch natürlich nochmal ein ganzes Stück alberner, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Sucht Euch ein paar Kritiker denen ihr vertraut und deren Meinung ihr zumeist teilt oder gerade nicht. Lest was die zu sagen haben und bildet Euch am besten Euer eigenes Bild. Und misstraut jedem, der behauptet er könne den Wert eines Filmes oder irgendeines Kunstwerkes objektiv in einer Prozentzahl ausdrücken!

 

[1] http://de.ign.com/suicide-squad/115506/news/suicide-squad-verargerte-dc-fans-starten-petition-gegen-rott

[2] https://www.vox.com/culture/2017/11/14/16648850/justice-league-rotten-tomatoes-score

19 Gedanken zu “Die Tomaten faulen von der Wurzel her – mein Problem mit „RottenTomatoes.com“

  1. Moin, toller Beitrag, der das Dilemma mit RT gut auf den Punkt bringt.
    Letztlich denke ich, wer sich von (in der Endausprägung) so wenig differenzierten Bewertungen zum Besuch eines Filmes animieren oder eben davon abhalten lässt, hat das Medium Film nicht wirklich verstanden.

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  2. Ich sehe das immer alles gar nicht so eng und mag mich dem Kommi oben anschließen. Eine Einordnung (Punktzahl) zum Vergleich ist ab und zu ganz nett, um die Kritik dahinter besser einordnen zu können bzw. umgekehrt und Disskussionsstoff zu haben. Aber natürlich sollte sich der Filmfreund oder die Filmfreundin davon nicht allzusehr beeindrucken lassen.

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    • Das stimmt, Zahlen an sich sind natürlich kein Problem und können nützlich sein, um schnell zu sehen, wie ein Film bei Kritk/Publikum ankam. Das „Blöde“ an RT ist eben, dass sie an den Kritikerzahlen durch die binäre Normalisierung erst mal rumwerkeln, anstatt sie einfach in eine Statistik aufzunehmen und damit völlig unvergleichbare Zahlen schaffen.

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  3. Alles absolut richtig. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die IMDB, wenngleich das Bewertungssystem doct nicht ganz so absurd ist wie bei RT. Wenn man sich aber anschaut wem die IMDB gehört, können einem im HInblick auf die Objektivität (wenn es diese überhaupt gäbe) schon Zweifel kommen. Das ist nämlich kein anderer als der nette Herr Amazon. Und der hat ja manche Filme exklusiv und zumindest ein kleines Interesse daran, dass gewisse Filme gekauft werden. Ein 7,3 Film verkauft sich wahrscheinlich häufiger als ein 3,7 Streifen.

    Prinzipiell habe ich kein Problem damit, wenn man Filme zusammenfassend mit einer Punktzahl, einer oder einem Schriftzeichen bewertet. Allerdings wäre es schon schön zu lesen/hören wie diese Wertung zustande kommt. Ich bin übrigens bei Letterboxd unterwegs. Dort werden die Filme zwar auch auf einer Skala bepunktet. Dafür bekommt man aber direkt angezeigt welche Punktzahl von den Usern wie oft vergeben wurde. Hat der Film 20.000 eine 6,0 bekommen? Oder 10.000 mal eine 10,0 und 10.000 eine 2,0? Das ist meiner Meinung nach schon interessant zu wissen. Dazu kommt, dass man einzelnen Leuten folgen kann. Unter Film X bekommt man dann angezeigt welcher meiner „Freunde“ den Film gesehen, bewertet und sogar rezensiert hat. Da kann man dann sehr schön auswählen, welche Meinung, in welcher Form auch immer, man welche Bedeutung beimisst. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass der Filmlichter Film Y ein Herzchen gibt und ihn mit 8,0 bewertet, könnte ich dem Filmchen vielleicht auch mal eine Chance geben. Oder so. 🙂

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    • Ja, von der Idee, dass so große einflussreiche Seiten ein paar hochmotivierten Filmfans gehören sollte man sich verabschieden. Diese Justice League Sache ist aber (oder wirktt auf jeden Fall) wie eine ziemlich dreiste Einflussnahme, wie zumindest ich sie noch nicht geshen hatte.

      Mitt einer Punktwertung habe ich auch kein Problem, ich hoffe das wirkte nicht so. Ich meine, ich hätte ein Problem, wenn ich jemanden frage, wie er einen Film findet und er sagt nur 8/10… 😉
      Für einen schnellen Überblick, wie ein Film bei Kritik und Publikum angekommen ist sind Zahlen ja geradezu notwendig. Aber selbst das verbaseln RT ja indem sie Publikums und Kritikerwert unvergleichbar machen.

      Das Letterboxd Sytem, quasi eine automatiserte Empfehlung unter Freunden, hingegen erscheint mir sinnvoll. Das ist ja quasi dasselbe, wie sich Kritiker zu suchen, denen man vertraut.

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  4. Sehr interessanter Beitrag. Auch der Tipp sich Kritiker zu suchen, ist richtig. Die Subjektivität der Kritiken sind schließlich das Salz in der Suppe und es ist langweilig mit jemandem über ein Film zu reden, der ihn genauso gut findet wie man selbst. Der Versuch die Innersubjektivität zusammenzufassen ist löblich, dass dahinter dann Filmproduzenten stehen lässt das ganze allerdings ridikül erscheinen.
    Schmunzeln musste ich bei der Fandango-Stelle, weil es mir da genauso geht😅😉

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    • Ja, das motiviert beinahe mal alle größeren Filmseiten auf die Besitzer zu überprüfen, um zu sehen wem sie letztlich gehören. Wie Ma-Go hier in einem anderen Kommentar sagt, dass die imdb Amazon gehört ist auch etwas bedenklich. Unabhängig geht anders.

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  5. Sehr schöner und treffender Artikel der genau meine Ansichten zu dieser Seite widerspiegelt! Find ich total sinnlos…da les ich doch lieber die Kritiken aus denen sich die Scores ergeben anstatt irgendwas auf diese Prozentzahl zu geben oder mach mir gleich selbst ein Bild…

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    • Ich kann den Wunsch nachvollziehen auf einen Blick sehen zu wollen, wie ein Film bei Kritik und Publikum angekommen ist. Das hat keinen Einfluss auf mein Interesse an dem Film aber ich kann den Wunsch verstehen, gerade bei Leuten, die nur hier und da mal einen Film schauen.
      Aber selbst das verdusselt RT ja, mit ihrer idiotischen binären Normalisierung, die auch noch Kritk und Publikum unvergleichbar macht. Weshalb jeder, den ich kenne, der was auf solche Werte gibt bei IMDB, ofdb oder sonstwas schaut.

      Aber ja, einen guten Kritiker, der einem auseinandersetzt was ihr oder ihm an dem Film gefallen hat und was nicht können Zahlen eh nicht ersetzen.

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      • Ja, seh das ganz genauso wie du. Trotzdem bin ich jemand der sich lieber eine Kritik durchliest und sei es nur eine kurze anstatt nur Nummer zu sehn. Wobei ich ja zB echt gern so Best and Worst Listen anschaue…aber das mehr zu Unterhaltungszwecken😉. Wobei ich durch Bestenlisten eigentlich auch schon einige Perlen entdecken durfte🤔…aber ich schweife ab😄

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