Reisetagebuch: ‚Ich denke oft an Piroschka‘ (1955)

Reiseziel #17: schaue einen deutschen Heimatfilm der 50er

Ich glaube ich bin ein Stück weit selbst schuld. Zumindest habe ich „Heimatfilme“ als Themenvorschlag für die Filmreise Challenge an Ma-Go geschickt. Mehr oder weniger als Witz. Aber Ma-Go hat sich wohl, ganz richtig, gedacht es soll bei der Challenge ja um Filme gehen, die man sonst nicht sehen würde. Und das trifft bei mir mit Heimatfilmen definitiv zu. Ich verstehe, warum das Genre im Nachkriegsdeutschland und während der technokratisch geprägten Zeit des Wirtschaftswunders Erfolge gefeiert hat. Die Flucht in eine unveränderliche, heile Bergwelt voller Oberförster und Höchstbauern ist ja an sich auch nichts Verwerfliches, sie interessiert mich nur eben so gar nicht. Darum habe ich auch einen Film gewählt, den ich vielleicht anfangs gar nicht unbedingt dem Heimatfilm zugerechnet hätte, denn statt mit den heimatlichen Bergen wartet Kurt Hoffmanns ‚Ich denke oft an Piroschka‘ mit ungarischer Puszta-Exotik auf. Aber, da er auf allen möglichen Heimatfilm Listen auftaucht…

Der in die Jahre gekommene Schriftsteller Andreas (Gunnar Möller) erinnert sich an seine Studienzeit, als er 1925 zu einem Ferienaustausch nach Ungarn fuhr. Auf dem Weg trifft er auf einem Donauschiff die schöne Greta (Wera Frydtberg), mit der er einen Tag und eine Nacht in Budapest verbringt, bevor ihre Reisen sie wieder trennen. Andreas kommt in seinem Ziel, dem Dörfchen Hódmezővásárhelykutasipuszta an. Neben seiner Gastfamilie und einigen anderen Charakteren trifft er hier auch auf Piroschka (Liselotte Pulver), die Tochter des Bahnhofsvorstehers. Die beiden werden schnell unzertrennlich und dann sagt auch noch eine Wahrsagerin Andreas voraus er würde in Ungarn seine große Liebe finden. Alles scheint wunderbar, bis eine Postkarte von Greta vom Plattensee eintrifft.

Hoffmann ist sehr bemüht ein, zugegeben arg romantisiertes Bild von Ungarn zu zeichnen. Sonnenuntergänge über der Puszta, Trachten, Tokajer und Chorgesänge. Gutes Gulasch, das zweimal brennt. Und in Budapest ein aufdringlich fiedelnder Prímás. Nichts was dem touristisch interessierten Deutschen der Fünfziger bekannt war wurde ausgelassen. Aber gerade die alten, dampfschnaufenden Eisenbahnen, die man wohl schon damals für den Film aus dem Museum geholt haben muss, scheinen es Kameramann Richard Angst angetan zu haben und er findet die eine oder andere sehr schöne Einstellung für sie, während Franz Grothes Musik dazu fröhlich beschwingt Brahms‘ Ungarische Tänze evoziert.

Die ungarischen Charaktere (zumindest die mit Text) werden allesamt von deutschsprachigen Schauspielern verkörpert, die einen Akzent verwenden, der wohl ungarisch klingen soll („Warum sagen sie mir nicht Piri?“). Ich wurde allerdings den Verdacht nicht los, dass sie exakt gleich klingen würden, wenn sie tschechische oder polnische Charaktere verkörperten. Wobei Charaktere für die Nebenfiguren schon sehr hochgegriffen ist. Von denen kommt eigentlich keiner über ein Abziehbild hinaus. Bahnhofsvorsteher István Rácz (Gustav Knuth) dient zum Beispiel vor allem für Witzchen darüber wie unpünktlich die Bahn in Ungarn ist. Das ist beim ersten Mal nicht besonders lustig, beim gefühlt 15. Mal annähernd schmerzhaft. Was aber nicht heißen soll, der Humor des Films würde überhaupt nicht funktionieren. Es gab ein paar Momente, die ich geradezu erstaunlich lustig fand. Beispielhaft sei das erste Treffen zwischen Pioschka und Andreas genannt. Letzterer versucht gerade Fotos zu machen, fürchtet sich aber vor ein paar Gänsen. Dafür lacht Piroschka ihn aus. Er denkt sie verstünde kein Deutsch und sagt ihr daher „ein paar Dinge, die man einem jungen Mädchen sonst nicht sagen würde“. Am nächsten Morgen erzählt ihm seine Gastmutter Piroschka habe sie nach einigen wenigen deutschen Vokabeln gefragt, die sie nicht kannte. Die meisten konnte die Mutter ihr nennen. Außer „Zicke“ und „Kaff“…

Lilo Pulver als Piroschka ist ohnehin was den Film funktionieren lässt. Sie strahlt an jedem gekünstelten Akzent vorbei. Der Film war für sie ein kleiner Durchbruch und führte zu weiteren Zusammenarbeiten mit Hoffmann aber auch zu internationalen Produktionen für Billy Wilder und neben Jean Gabin. Und auch in diesem sicher nicht rundum gelungenen Film ist ihr Filmstar-Charisma problemlos zu erkennen. Besonders, wenn ihr Gegenüber Gunnar Möller seine Rolle als stocksteifen Langweiler spielt. Das ist ein Stückweit natürlich der Rolle geschuldet, der spießige Deutsche bei den lustig aufspielenden Ungarn. Aber es war für mich wirklich schwer erkennbar, was Piroschka an Andreas nun so toll fand (außer den Namen, latürnich).

Der Film hat kein Happy End im traditionellen Sinn, damit verrate ich, glaube ich, nicht zu viel, weist doch der Titel in gewisser Weise bereits darauf hin. Dieser Heimatfilm verlegt den romantisierten, idealisierten Ort und Charakter in die Erinnerung. Das erklärt einerseits warum die Nebencharaktere blass bleiben, Andreas denkt halt an seine große Liebe und gibt dem Film andererseits eine leicht melancholische Note. Der ideale Ort ist nicht der unvergängliche Berg, sondern eine ferne, wenn auch noch nicht verblassende Erinnerung.

Ich denke für dieses Thema hätte ich es um einiges schlechter treffen können. Der Film ändert nicht meine Meinung zum Heimatfilm und hat auch sicherlich einiges an erzählerischer Patina angesetzt. Aber er hatte den einen oder anderen lustigen Moment und eine charismatische Hauptdarstellerin und das ist doch schonmal mehr als nichts.

16 Gedanken zu “Reisetagebuch: ‚Ich denke oft an Piroschka‘ (1955)

  1. Den habe ich als Kind mit meiner Oma gesehen.

    Wenn der Erzähler in seine Erinnerungen abtaucht, erinnert ihn doch das Geräusch der Eisenbahn an den Namen Piroschka, oder? Pi-rosch-ka oder so ähnlich.

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  2. Einer der Lieblingsfilme meines Vaters. Aber, ach irgendwie fand ich den schön. Der Film ist kein Meisterwerk, aber doch ein guter. Wenn man bedenkt, welch bedeutungslosen Schmarn es als Heimatfilme gibt, ist der gut anzusehen.

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  3. Pingback: Die Festtage kommen! + Film- und Blogrückschau | filmlichtung

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