Die 2010er und der Film: 3D und Celluloid

Anderthalb Monate sind noch übrig, dann ist sie vorbei, die zweite Dekade des 21ten Jahrhunderts. Für den Film war es eine Zeit der versuchten Revolutionen, von denen bei weitem nicht jede gelang. Es war aber auch eine Zeit der Reaktion, eine Rückkehr alter Strukturen und ein Offenlegen von fehlgeleiteten Strukturen. Vieles hat sich geändert, manches zum Besseren, manches zum Schlechteren. Grund genug auf einige Trends der 2010er zurückzublicken. Eine Zeit in der Begriffe wie Streaming oder Cinematic Universe mit Bedeutung gefüllt wurden. Eine Zeit, in der Disney die Popkultur aufgekauft hat. Doch wir wollen nicht zu weit vorgreifen. Beginnen wir mit etwas, das für die darbenden Kinos des letzten Dekadenwechsels als Heilsbringer gehandelt wurde: die 3D Technologie.

In der zweiten Hälfte der 2000er feierte 3D Technologie eine langsame Rückkehr ins Kino. Von Zweiflern wurde sie schnell verlacht, hatten doch auch Versuche in den 50er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts das 3D nie wirklich im Kino etablieren können. Doch die 2000er endeten mit einem veritablen Kinnhaken für diese Zweifler. Einem Kinnhaken in Form von James Camerons ‚Avatar – Aufbruch nach Pandora‘. Inhaltlich je nach Geschmack oft als Pocahontas oder die Schlümpfe im Weltall verlacht, konnte doch niemand die technische Brillanz anzweifeln, mit der Cameron hier die 3D Technologie ausnutzte. Und zumindest was das Finanzielle angeht wurden die bereits taumelnden Zweifler 2010 mit einer doppelten Kombination direkt in die Nieren aus ‚Alice im Wunderland‘ und ‚Toy Story 3‘ endgültig auf die Bretter geschickt. 3D Kino brachte Geld und sowohl Kinos als auch Studios wollten ihren Teil abhaben. Filme, die nie dafür gemacht wurden, wurden auf 3D „umgerechnet“. ‚Kampf der Titanen‘ oder ‚Die Legende von Aang‘ waren Beispiele für diese von Anfang an umstrittene Vorgehensweise. Aber nicht zuletzt deshalb, weil die Filme nie dafür gemacht wurden, konnte keiner dieser Filme die Wirkung von ‚Avatar‘ erzielen. Für den siebenten Film der Harry Potter Reihe ‚Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1‘ war eigentlich eine 3D Fassung angedacht, allerdings entschloss sich das Studio gegen die Veröffentlichung, weil die Qualität der übereilt hergestellten 3D Version ungenügend war.

Doch der Reiz des Neuen war noch sehr groß und der Goldrausch blieb in Gang. Selbst ältere Filme wie Camerons ‚Titanic‘ oder George Lucas‘ ‚Star Wars: Episode I‘ wurden 2012 auf 3D umgerechnet zurück in die Kinos gebracht. Für Star Wars waren auch die damals existierenden fünf anderen Filme angedacht, doch wurde daraus nichts. Offiziell wurde das mit der Konzentration auf die Entwicklung von ‚Das Erwachen der Macht‘ erklärt, es kann aber auch mit mangelndem Erfolg zusammenhängen.

Denn zur Mitte der Dekade hin sackte das Interesse an 3D ein wenig ab. Die Anzahl der in 3D erscheinenden Filme blieb bei ungefähr 40 im Jahr stehen. Das entspricht ca. 5% der erscheinenden Filme. Allerdings machen diese 5% in Deutschland immerhin um die 20% des Gesamtumsatzes aus Kinofilmen aus[1]. In den USA liegt diese Zahl etwas niedriger, etwa bei 15%[2]. Bei den Filmen, die in 3D produziert werden, handelt es sich folglich vor allem um die großen Blockbuster. Bei ‚Avengers: Endgame‘ etwa waren 62% der in Deutschland verkauften Karten Tickets für 3D Vorstellungen. Bei ‚Jurassic Park: das gefallene Königreich‘ waren es gar sagenhafte 84%.

Die Zweifler an der Technologie, zu denen ich mich zählen muss, haben allerdings nie mit ihrer Kritik aufgehört. Höhere Preise, eine Brille über meiner Brille tragen zu müssen, die mit der Brille einhergehende Verdunkelung, all das hat mir nie gefallen. Dazu kommen echte Probleme wie Kopfschmerzen oder Übelkeit. Damit habe ich selbst zum Glück zwar nie Probleme gehabt, allerdings hat mich das 3D Erlebnis auch nie genug überzeugt, dass ich die Probleme hätte ignorieren können. Aber inzwischen habe ich eingesehen, dass der 3D Film nirgendwo hingehen wird. Und ganz ehrlich, mit seiner Rolle als „Spektakelverstärker“ bei den Achterbahnfahrten, die aktuelle Blockbuster sind (gefährliche Worte, ich weiß), habe ich mit ihm meinen Frieden gemacht. Und wer weiß schon was passiert, wenn Cameron seinen nächsten ‚Avatar‘ ins Kino bringt…

Aber die Entwicklung von 3D im Kino hat auc… „HALT HALT HALT!!! Was ist denn mit 3D im Heimkino!?“ Oh… richtig. Ich könnte gemein sein und sagen, ich habe 3D im Heimkino exakt so viel Platz eingeräumt, wie es heute noch verdient. Seit 2017 verzichten die meisten Fernsehhersteller auf 3D Unterstützung ihrer Geräte. Auf den kleineren (im Vergleich zur Kinoleinwand) Fernsehern wirkte der 3D Effekt noch weit weniger beeindruckend. Dazu war das Bild hier oft noch dunkler. Beim gemeinsamen Fernsehen wollten Leute nicht unbedingt Brillen tragen. Wenn denn überhaupt genug Brillen für alle vorhanden waren, hat da schließlich jeder Hersteller sein eigenes Süppchen gekocht. Sollte irgendwann ein neuer Versuch gestartet werden, sollten sich die Hersteller wohl auf einen gemeinsamen Standard einigen. Und vielleicht gezielt mit den Herstellern von Videospielkonsolen  zusammenarbeiten. Hier könnte ich mir zumindest ein gehobenes Interesse für 3D vorstellen.

Darf ich jetzt? Cool.

Aber die Entwicklung von 3D im Kino hat auch eine andere Evolution, die bereits 10 Jahre früher ernsthaft begann beschleunigt: das Ende dessen, was dem Medium Film seinen Namen verliehen hat. Des Filmstreifens aus Celluloid. Ende der 90er, parallel zum Aufstieg der DVD, begann der Aufstieg der digitalen Projektion im Kino. Und wenn der Film am Ende ohnehin als digitales File gezeigt wird, warum sich dann erst mit Film herumärgern, wenn auch die Qualität von Digitalkameras immer mehr steigt? ‚Star Wars Episode II: Angriff der Klonkrieger‘ wurde 2002 der erste große Hollywoodfilm, der digitale Technologie für die gesamte Erstellung benutzte. Für die Kinos war die Umstellung auf digitale Projektion mit erheblichen Kosten verbunden. Einen kinotauglichen 35mm Projektor bekam man ab etwa 5.000 Euro, ein digitaler Projektor fängt bei 100.000 Euro an. Trotz Fördergeldern und örtlicher Hilfestellungen für Traditionshäuser in Europa befeuerte die Digitalisierung den Weg weg von kleinen Kino, das oft genug pleiteging, hin zum Multiplex spätestens seit Mitte der 2000er. Da 3D Filme auf jeden Fall digital projiziert werden müssen (abgesehen von der IMAX-Methode, die mit doppeltem 70mm Film arbeitet), beschleunigte dieser Boom Anfang dieses Jahrzehnts den Vorgang noch einmal. Immer mehr Filmproduktionen stiegen direkt auf digitale Kameras beim Filmen um.

2013 war Paramount das erste große Hollywood Studio, das verkündete überhaupt nicht mehr mit Film arbeiten zu wollen. 2014 schien das Ende von Celluloid besiegelt. Digitale Technologie hatte nichts als Vorteile. Low Budget Produktionen waren nicht mehr durch die Kosten des teuren Films limitiert. Macher konnten sofort sehen, was sie gedreht hatten, ohne auf die Entwicklung des Films warten zu müssen (was Kontrolle über den Look eines Films deutlich vom Kameramann zum Regisseur verschob). Und der Verleih war wahnsinnig flexibel, mussten doch keine Filmrollen mehr über Land kutschiert werden, sondern Dateien wurden per Internet oder Satellit direkt an den jeweiligen Projektor geliefert. Wer sich näher für das Thema interessiert, dem sei der Dokumentarfilm ‚Side by Side‘ empfohlen.

Filmhersteller Kodak, deren Aktien nach einem bankrott Ende 2013 unter einen Dollar gerasselt waren, sahen sich 2014 gezwungen die Notbremse zu ziehen. Die Fabriken in der traditionellen Firmenstadt Rochester sollten geschlossen werden. Allerdings wandte sich eine Gruppe großer Namen, Christopher Nolan, Martin Scorsese, Quentin Tarantino, Edgar Wright, J.J. Abrams, Judd Apatow und Bennet Miller an die Hollywood-Studios und bat darum den Film nicht sterben zu lassen. Zu viele ästhetische Gründe sprächen dagegen aus reiner Kostenersparnis vollkommen auf die Option des Celluloids zu verzichten. Und so taten sich die großen Studios zusammen und garantierten Kodak eine jährliche Mindestabnahme an Filmmaterial. Die Lichter bleiben an in Rochester und Celluloid erlebte Mitte der 2010er eine kleine Renaissance in den Kinos. Nicht nur kleine Filme wie ‚Carol‘ oder ‚Son of Saul‘ nutzten Film, auch „Happenings“ wie Tarantinos ‚Hateful Eight‘. Am wichtigsten aber waren wohl Blockbustervertreter wie der Bondfilm ‚Spectre‘ und vor allem J.J. Abrams ‚Das Erwachen der Macht‘. Somit hat ‚Star Wars‘ nicht nur die Revolution der Digitalisierung angeführt, es hat letztlich auch ihre vollständige Dominanz verhindert. Heute sieht es so aus, als hätten beide Medien ihren Platz nebeneinander gefunden.

Und so sieht es am Ende der Dekade mit diesen technischen Neuerungen aus. Ihr revolutionäres Potential haben sie verloren, doch ihren Platz haben sie gesichert. Auch wenn die alte Technologie nach wie vor mehr (2D Kino) oder weniger (Celluloid) eine Rolle spielt. Auf pure Gimmicks wie 4D, 5D, XD oder sonstiges bin ich hier nicht weiter eingegangen. Da kommen wir dann den von Scorsese gemahnten Achterbahnfahrten für meinen Geschmack etwas zu nahe. Was werden die 2020er an neuen Technologien bereithalten? Werden es weitere Versuche mit der High Frame Rate? Dem brillenlosen 3D? Wir werden es sehen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Das war natürlich nur ein erster Blick auf die Veränderungen, die die 2010er dem Film gebracht haben. Beim nächsten Mal schauen wir auf die wachsende Bedeutung der Marke und warum Disney hier, sollte sich nichts Grundlegendes ändern, auf lange Zeit die Mäusenase weit, weit vorne hat. Zum Guten, wie zum Schlechten.

 

[1] https://de.statista.com/infografik/15375/marktdaten-zum-3d-kino-in-deutschland/

[2] https://www.hollywoodreporter.com/behind-screen/is-golden-age-3d-officially-1025843

12 Gedanken zu “Die 2010er und der Film: 3D und Celluloid

  1. Ich muss ja sagen, dass ich nach anfänglicher Skepsis durchaus zum 3D-Fan geworden bin, da die Konvertierungen inzwischen so gut sind, dass sie die Immersion bei mir verstärken. Auch wenn der TV zu Hause mit 60 Zoll natürlich nicht riesig ist, so schaue ich darauf doch sehr gerne 3D-Filme. Übrigens ist es auch nicht richtig, dass 3D-Filme immer dunkler sind, denn sowohl im Kino als auch auf meinem TV zu Hause werden 3D-Filme mit höherer Helligkeit abgespielt als 2D-Filme. Dies kompensiert zumindest zum Teil die Abdunklung durch die Polarisationsfolie der Brille. Da die Technik, zumindest im Heimkino, über kurz oder lang aussterben wird, erfreue ich mich einfach noch so lange daran, wie es sie gibt 🙂

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    • Mein Schatz und ich schauen zu Hause auch sehr gern unsere Filme auf 3D…und wie du wahrscheinlich auch genießen wir die Zeit solange wir es noch können und fürchten uns vor dem Tag, an dem entweder Player oder TV den Geist aufgeben 😅

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        • Ein Bekannter von uns hatte das…war wirklich genial mit dem Beamer, der Leinwand und dann schön in 3D einen coole Blockbuster 👍!
          Wir schauen zum Beispiel auch manchmal gern Serien und lassen uns die von TV auf 3D hochrechnen…funktioniert zwar nicht immer astrein und schaut natürlich nicht so gut aus, wie wenn der Inhalt per se 3D ist, aber ich kann dir sagen, wenn Daenerys in Game of Thrones mit ihren Drachen in 3D übers Schlachtfeld fliegt, dann hat das schon was 😉

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          • Oh cool! Funktioniert das wirklich einigermaßen? Sollte ich mal testen. Bisher habe ich nur native 3D-Blu-rays gesehen, die bislang immer sehr gut ausgesehen haben.

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          • Also das hochrechnen durch den TV funktioniert, sagen wir mal, so zu 90% sehr gut, zu 5% gut und zu 5 % eher mäßig…manchmal merkt man dann einfach in der Szene, dass der TV grad nicht checkt was vorne sein sollte und was hinten (dann kann es vorkommen, dass er das „falsche“ in den Vordergrund rechnet), aber prinzipiell schauen wir grad so epische Sachen wie Game of Thrones ganz gerne so weil die vielen geilen Szenen die paar verpatzten für uns locker ausgleichen

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  2. Pingback: Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (18-11-19)

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