Auweia, schon wieder Western? Ja, schon wieder Western aber nicht einfach nur Western sondern ein Vertreter eines nicht nur namentlich seltsamen Subgenres: ein Weird Western. Als Weird Western beschreibt man kurz Western, in denen Elemente vorkommen, die dem Horror- oder Science Fiction Genre entspringen. Schon in den 30er Jahren fand sich im ‚Phantomreiter‘ ein unterirdisches Reich, von einer geheimnisvollen Königin regiert. In den 60ern gab es dann eine kurze Hochzeit, in der nicht nur Billy the Kid auf Dracula traf, sondern in ‚Gwangis Rache‘ ein ganzes Tal voller Dinosaurier (in ehrwürdiger Harryhausen Stop-Motion) gefunden wurde. Der wahrscheinlich geläufigste Weird Western ist natürlich ‚Zurück in die Zukunft III‘ auch, wenn wir diesen nicht aus Sicht der Cowboys sondern der Zeitreisenden erleben. Ein offensichtliches Beispiel aus den letzten Jahren ist der wahnsinnig kreativ benannte ‚Cowboys & Aliens‘. Und was ist nun das „weird“ Element in ‚Bone Tomahawk‘? Kannibalistische Höhlenbewohner natürlich. Und nochmal: auweia.
Eigentlich bekommen wir in ‚Bone Tomahawk‘ drei Filme zum Preis von einem: das erste Drittel des Films, spielt im Western-Städtchen Bright Hope, wo wir unsere Hauptfiguren treffen. Da wäre zum einen der stoische Sheriff Hunt, zugegeben ein Klischee aber dennoch genial gespielt von Kurt Russell mit seinem großartigen ‚Hateful Eight‘ Bart. Sein Hilfssheriff Chicory, der typische alte Western-Kauz, der von Richard Jenkins so überzeugend gegeben wird, dass er zum heimlichen Star des Films wird. Schwerer überzeugen kann da Patrick Wilson als Arthur O’Dwyer, dem glücklich verheirateten „Guten Mann“ und Identifikationsfigur für den Zuschauer. Als dessen Frau von (scheinbaren) Indianern entführt wird, nimmt er, trotz eines gebrochenen Beins, mit den oben erwähnten Gesetzeshütern und dem arroganten Rassisten John Brooder (Matthew Fox) die Verfolgung auf.
Und damit sind wir in Film zwei, dem Wildnis-Abenteuer. Die Männer mögen sich nicht unbedingt: Brooder ist ein ziemlicher Widerling mit eigenen Interessen aber der einzige mit Wildniserfahrung; O’Dwyer ist körperlich eigentlich nicht in der Lage für den Gewaltritt und ist ein ständiges Hindernis aber den andern ist klar, dass sie ihn von der Suche nach seiner Frau ohnehin nicht abhalten könnten. Es ist sehr interessant zu sehen, wie Konflikte so etwas wie gespannter, professioneller Höflichkeit Platz machen und ihre Lösung auf später, nach Erledigung der Aufgabe, vertagt wird. Und, dank Chicory, ist der Film hier oft auch sehr komisch.
Und dann landen wir in Teil drei, der Auseinandersetzung mit den Troglodyten. Hier werden vermutlich viele Western Freunde, die den Film in Unkenntnis schauen, schaudernd abschalten. Was hier an impliziter und expliziter Gewalt aufgefahren wird hat sich wahrlich gewaschen. Und sie wirkt umso heftiger, da sie sich gegen Charaktere wendet mit denen wir schon 90 Minuten verbracht haben und die wir (ich zumindest) auch mögen. Grenzwertig aber effektiv. Wer sich von der Beschreibung beunruhigt fühlt sollte wahrscheinlich lieber die Finger von dem Film lassen. Was auch diesen Film mal wieder in die Kategorie bringt: hat es schwer ein Publikum zu finden. Aber dennoch: die Idee klassische Charaktere zu nehmen und sie an einen Ort zu führen, an dem sie nichts zu suchen haben funktioniert hervorragend.
Was sich hier im Text stückhaft liest wirkt im Film, wie aus einem Guss, einem Guss der Autor und Regisseur S. Craig Zahler gerade für ein Erstlingswerk beeindruckend gelungen ist. Er scheint es insbesondere zu verstehen das absolut Beste aus seinen ohnehin schon guten Schauspielern herauszuholen – und dem Zuschauer fast körperliche Schmerzen zu bereiten. Nach ‚Slow West‘ ein weiterer beeindruckender Debut-Western des letzten Jahres (und zwei Filme, die kaum unterschiedlicher sein könnten). Außerdem nach ‚Ravenous‘ (1999) der zweite Kannibalen-Western, den ich sehr mag. Muss ich mir Sorgen machen?
FAZIT: durchweg gelungener, toll gespielter Weird Western, der aber im letzten Drittel recht eklig wird und damit vermutlich viele Zuschauer verschrecken wird.
8/10 Kehlkopfpfeifen
Pingback: Gestern Gesehen: ‚In a Valley of Violence‘ (2016) | filmlichtung
Ich habe den Film die Tage gesehen und habe mir gleich vorgenommen nachzugucken, ob Du den schon rezensiert hast 😉
Es ist ja so ein Topos amerikanischer Horror-Filme, dass irgendwo in der Pampa ein paar Leute leben, die etwas zurückgeblieben und oft auch genetisch degeneriert sind, z.B. durch Inzest. Diese töten, essen (oder was auch immer) Reisende, die zufällig durch ihre Gegend kommen. Es gab auch eine ganz nette Akte X-Folge zu dieser Thematik.
Bei Bone Tomahawk fand ich diesbezüglich witzig, dass man diese Grundidee einfach mal ganz radikal angegangen ist und auf Steinzeitmenschen zurückgegriffen hat, die quasi schon „immer“ dort leben und ihr Unwesen treiben. Es gibt eine Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft, die das ganz ähnlich aufzieht.
Insgesamt fand ich den Film daher auch ziemlich ordentlich!
LikeGefällt 1 Person
Ich behaupte mal ganz dreist in 95% von allem (amerikanischen) Horror, der nicht explizit auf Mythen basiert, lassen sich zumindest Lovecraft-Spurenelemente finden…
Während die Film-Umsetzungen seiner eigentlichen Geschichten ja oft etwas… durchwachsen sind.
Ach, jetzt denke ich wieder an die Guillermo Del Toro Umsetzung von At The Mountains Of Madness, die es beinahe gegeben hätte. *Seufz*
LikeLike