‚Knives Out – Mord ist Familiensache‘ (2019)

Vorbemerkung: bei einem Whodunnit sind die Wendungen in der Handlung natürlich ein ganz wesentliches Element des Vergnügens. Ich werde daher im Folgenden nichts Plotrelevantes verraten, was über die ersten 20 Minuten des Films hinausgeht.

Ich habe in den letzten Wochen ziemlich viel Agatha Christie gelesen. Kann also bei der Frage nach dem „Whodunnit?“ ganz gut mitreden. Noch bevor ich meine eigentliche Meinung zum Film kundtue, möchte ich schon mal sagen, wie sehr mich der Erfolg des Films freut. Zusammen mit Kenneth Branaghs ‚Mord im Orientexpress‘, macht der Film den Studios hoffentlich klar, dass ein Whodunnit mit gut aufgelegtem Ensemble-Star-Cast keineswegs ein Relikt der 70er ist, sondern, bei allem Supergehelde, ein echter Publikumshunger nach dieser Art von Film besteht. Dasselbe gilt für zahlreiche andere, brutal unterversorgte Genres, in denen es vielleicht nur einen mutigen Versuch braucht, um sich neues (und altes) Publikum zu erschließen. Mich jedenfalls würd‘s freuen! Nun aber zu dem weshalb Ihr hier seid, dem eigentlichen Film.

Die Sache scheint eigentlich eindeutig: der megaerfolgreiche Krimiautor Harlan Thrombey (Christopher Plummer) hat am späten Abend seines 85. Geburtstages Selbstmord begangen. Aber ist es so eindeutig? Warum hat dann jemand den letzten der Gentleman-Detektive, Benoit Blanc (Daniel Craig), mit der Untersuchung des Falls beauftragt? Die örtliche Polizei ruft jedenfalls aus Respekt vor dem Meisterdetektiv die Familie Thrombey noch einmal zusammen und rollt den Fall neu auf. Dabei stellt sich heraus, dass Thrombeys Kinder allesamt garstige Nichtsnutze unterschiedlicher Couleur sind. Linda (Jamie Lee Curtis) ist eine erfolgreiche, selfmade (mit Millionenhilfe vom Papa) Maklerin, ihr Mann Richard (Don Johnson) finanziell von ihr abhängig. Ihr gemeinsamer Sohn Hugh (Chris Evans macht aus seinem verwöhnten Playboytum kein Geheimnis. Walter (Michael Shannon) leitet den Verlag von Harlans Büchern, nach dessen exakten Vorgaben. Und Instagram-„Lifestyle-Guru“ Joni (Toni Collette) kann sich ihren Lebensstil auch nur dank Harlan leisten. Da überrascht es kaum, dass jeder ein Motiv hätte den alten Patriarchen über die Klinge springen zu lassen. Doch immerhin, Harlans Pflegerin Marta (Ana de Armas) hat eine „regurgitatin‘ reaction to mistruthin‘“, wie Blanc es ausdrückt. Sie muss sich übergeben, wenn sie auch nur ans Lügen denkt. Ziemlich nützlich für einen Detektiv, daher wird sie von Blanc schnell zu seinem „Watson“ gemacht.

Das Allerwichtigste zuerst: das zentrale Element des Films, der Whodunnit Plot, ist in meinen Augen auf die beste Weise gelungen. Für die bestmögliche Konstruktion eines Whodunnit muss der Autor irgendwo zwischen einem Uhrmacher und einem Hütchenspieler sein. Ein Uhrmacher, weil ein solcher Plot wie eine komplexe Mechanik mit zahllosen beweglichen Teilen ist. Ein Hütchenspieler, weil er im wesentlichen Moment von genau dem entscheidenden Schwungrad des Werks durch allerlei Tricks ablenken muss. Nur so kann die entscheidende Szene eines Whodunnits, wenn der Detektiv endlich offenlegt wer wann was wo warum gemacht hat, wirklich funktionieren. Wenn er hier eine Information aus der Tasche zieht die er und nur er schon seit drei Tagen hatte, dann ist sofort die Luft raus, der Zuschauer fühlt sich betrogen. Hier spielt Autor/Regisseur Rian Johnson geradezu schon schmerzhaft fair. Er stellt sicher, dass man als Zuschauer wirklich jede noch so kleine wesentliche Information irgendwann präsentiert bekommen hat. Das sorgt natürlich dafür, dass man das eine oder andere kommen sieht, auch wenn zumindest ich genug wieder vergessen/verworfen habe. Denn wie eigentlich immer, so auch hier, tut  Johnson was er am besten kann. Er spielt mit Erwartungen. Führt aufs Glatteis und täuscht. Whodunnit, wie sich herausstellt, ist das ideale Genre für ihn.

Die Pflicht ist also mit Bravour bestanden, der Rest ist Kür. Und auch die läuft ganz wunderbar. Oft genug ist es ja so, dass sich der Spaß beim Machen eines Films nicht eben zwangsläufig auf den Spaß beim Schauen auswirkt. Ganz anders hier. Ich glaube ich habe Daniel Craig seit Jahren nicht so gut aufgelegt gesehen wie hier, wo er seinen Gentleman-Detektiv mit einem (im Original) wunderbar überzogenen Südstaaten-Drawl gibt. Bei Christie oder Doyle gibt es öfter den Moment, wenn die Beteiligten die Fähigkeiten eines Poirot oder Holmes anzweifeln. Wir als Leser/Zuschauer wissen es natürlich besser. Blanc hat den erzählerischen Vorteil, dass wir als Zuschauer tatsächlich nichts über seine Qualitäten wissen. Ob er nun wirklich ein Meisterdetektiv, oder doch nur ein aufgeblasener Windbeutel mit Flair für das Dramatische ist. Johnson hat in Interviews angedeutet, in einer möglichen Fortsetzung spräche Blanc, ohne jede Erklärung, mit einem gänzlich anderen Dialekt. Ich bin sicher, das war ein Scherz, allerdings wäre es ideal, um den Charakter so ungreifbar wie möglich zu machen. Auch der Rest des Castes hat erkennbare Freude daran ihre Charaktere zu absolut pompösen Unsympathen zu machen, was nicht nur unterhaltsam ist, sondern auch dabei hilft, das Verdachtsnetz so weit wie möglich zu halten. Ana de Armas, deren Marta letztlich die eigentliche Protagonistin ist, bildet dazu einen stillen, geerdeten Gegenpol.

Das bringt mich zu einem weiteren wesentlichen Element: ein guter Krimi ist immer auch ein Stück weit Gesellschaftsgemälde. Und hier geht Johnson auf interessante Weise vor, weil er die Elemente des Krimis zu 100% auf dieses Gesellschaftgemälde überträgt. Was Charaktere sagen ist oftmals weit weniger wichtig als was sie tun. Wenn etwa Don Johnsons Richard die harte US-Immigrationspolitik verteidigt, die Familie Martas aber positiv hervorhebt, weil sie legal ins Land gekommen ist, dann sagt das in der Tat weit weniger aus, als die Tatsache, dass er der neben ihm stehenden Marta ganz unbewusst einen benutzten Teller in die Hand drückt, so als gehöre sie zum Dienstpersonal.

Ein selten gewürdigtes, hier aber kaum zu übersehendes Element ist das Produktionsdesign. Harlans Landhaus ist vollgestopft mit Requisiten aus seinen Romanen. Hier ist eine geheime Tür, hier glotzen Dir zwei körperlose, übergroße Plastikaugen entgegen, dort sitzt eine lebensgroße Puppe. Man könnte vermutlich Stunden damit zubringen dieses Haus vom Keller bis zum Speicher zu erforschen.

Mit viel erzählerischer Verve (wenn Edgar Wright den Film zu seinem liebsten des Jahres erklärt, verrät das wohl etwas über dessen erzählerischen Schwung), aber auch einer ordentlichen Portion augenzwinkerndem Humor belebt Johnson hier, mehr noch als Branaghs doch recht betulicher Express, ein Genre wieder, dass er offensichtlich in- und auswendig kennt und mit all seinen Albernheiten liebt. Craig braucht ja nach Bond eine neue Reihe und wenn es Benoit Blanc Filme würden, dann hätte ich damit wahrlich kein Problem. Doch auch wenn es „nur“ ein Signal für die Wirtschaftlichkeit des Whodunnit oder des Mid Budget-Films im Allgemeinen ist, wäre schon viel erreicht.

Eine dicke Empfehlung jedenfalls von mir, gänzlich unabhängig übrigens davon, was ihr von Rian Johnsons Abenteuern in einer weit entfernten Galaxie haltet.

10 Gedanken zu “‚Knives Out – Mord ist Familiensache‘ (2019)

  1. Ich fand den wirklich brillant, wie er Who Dun It, How to catch him und Gesellschaftskritik verpackt, ist aber einer der Filme, die in der Synchro sicher verlieren (nicht nur wegen Craig).

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  2. Muhahaha
    Jetzt wollte ich gerade schreiben: Herzlichen Glückwunsch zum ersten Knives Out Beitrag, in dem Star Wars nicht erwähnt wird. Und dann der letzte Satz 😂

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