Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) Teil 2: Die Rache der Florence Stoker

Gehen wir kurz noch einmal durch, was wir in Teil 1 erfahren haben: Februar 1922. Albin Grau hat seinen Traum verwirklicht. Die „Prana-Film“ hat seinen Vampirfilm produziert. Henrik Galeen hat seinen Traum in Worte gefasst und Friedrich Wilhelm Murnau hat ihn auf Film gebannt. Nun blieb nur noch ihn der Welt zu zeigen. Grau und Enrico Dieckmann griffen tief in die Werbekiste, um das verwöhnte Kinopublikum der frühen Weimarer Republik auf ihre Schöpfung aufmerksam zu machen. Natürlich war der Traum nicht gänzlich dem Geiste Graus entstiegen, ein Großteil der Handlung des Films war Bram Stokers Roman ‚Dracula‘ entnommen, ohne dass Grau die Rechte dafür besessen hätte. Doch er war überzeugt durch die Veränderung der Namen der Charaktere und das Verlegen der Handlung nach Deutschland auf der sicheren Seite zu sein. Und so stand einer beeindruckenden Prämierenfeier nichts mehr im Wege.

Und diese Feier stand für den 4. März 1922 ins Haus. Die „Prana-Film“ lud in den Marmorsaal des Berliner Zoologischen Gartens zum „Fest des Nosferatu“. Der Marmorsaal sah exakt so aus, wie der Name vermuten lässt mit geschwungenen Bögen aus edlem Marmor und gigantischen Kronleuchtern an der Decke. Der Abend begann mit einem speziell für den Anlass geschriebenen live vorgetragenem Monolog. Daran schloss sich die Vorführung des Films mit Orchesterbegleitung unter der Leitung von Komponist Hans Erdmann an. Im Anschluss gab es noch eine Tanzvorführung bevor die Gäste selbst bis in die frühen Morgenstunden das Tanzbein schwingen durften, auf einem Maskenball bei dem zum Film passende Biedermeier Kostümierung erwünscht war. Unter den Gästen waren Film- und Theatergrößen, nicht zuletzt Ernst Lubitsch und – für die Macher sicher ebenso wichtig – zahlreiche Filmkritiker. Und die zeitgenössische Kritik war gut. Nicht überragend aber gut. Zahlreiche Kritiker lobten die fast dokumentarischen Naturaufnahmen Murnaus, die in ihrer Realität, das eindringende Grauen des todbringenden Vampirs nur noch schrecklicher machten. Schrecks Darstellung des untoten Grafen wurde vielfach positiv gesehen, wobei negativ erwähnt wurde, dass der Vampir oft zu gut ausgeleuchtet, zu gut zu sehen ist, was ihm ein wenig seines Schreckens nimmt. Das ist eine Kritik, der ich durchaus zustimmen würde, insbesondere die Szenen, wenn der Vampir mit dem Sarg unter dem Arm durch Wisborg stakst haben mehr von einem verirrten Touristen als einer okkulten Bedrohung. Roland Schacht, Kritiker der Zeitschrift “ Das blaue Heft“ drückte das sehr viel eloquenter aus: „Dazu dann dieser Vampir, der egal mit einem Sarg herumschleppt, wie jemand, der kurz vor Sieben, wenn die Postämter schließen, noch ein Weihnachtspaket aufgeben will und nicht recht weiß, wo er’s probieren soll.“ Das ist treffend, weniger treffend finde ich sein Fazit, das den Film als einen mäßigen Abklatsch von ‚Das Cabinet des Doktor Caligari‘ beschreibt. Aber wie gesagt im Großen und Ganzen waren die Kritiken in Ordnung und Murnau, von dem zeitgleich ein weiterer Film in die Kinos kam entwickelte sich zu einem Kritikerliebling. Die ersten bösen Überraschungen kamen, als die Kinoveröffentlichung bevorstand zunächst verlieh der Zensor dem Film keine Jugendfreigabe, dann weigerte sich die „Ufa“, der größte Kinobetreiber der Weimarer Republik den Film ins Programm aufzunehmen. Somit fand die Kinoveröffentlichung am 15. März nur in einigen unabhängigen Lichtspielhäusern statt.

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„Oh, hey Leute! Ich bin ’ne Hyäne und spiele hier einen Werwolf. Die wollten mir aber kein Makeup geben. Ich hoffe ich mache meine Sache gut, das könnte mein Durchbruch sein!“

Doch die Veröffentlichung brachte ein viel größeres Problem mit sich. Florence Stoker, die Witwe von ‚Dracula‘ Autor Bram, wurde auf den Film aufmerksam. Auf den Film, dem sie ausdrücklich nicht die Verwendung des Werks ihres Mannes, das jetzt in ihrer Obhut lag, erteilt hatte. Sie trat der „British Incorporate Society of Authors“ bei, einer Gemeinschaft, die die Rechte britischer Autoren vertritt. Mit deren Hilfe nahm sie sich einen Anwalt in Berlin, der gegen die „Prana“ vorging. Die war allerdings, dank des unvernünftigen Umgangs Graus und Dieckmanns mit dem vorhandenen Kapital, inzwischen Pleite. Oder so behauptete sie zumindest, es gibt Stimmen, die den Konkurs als Versuch sahen sich vor der stokerschen Klage zu schützen. ‚Nosferatu‘ wurde jedenfalls gepfändet. „Pranas“ Rechtsnachfolger verkauften den Film ins Ausland , während die Klage weiterlief. Ein Vergleich, der Florence Stoker 5000 Pfund zugesprochen hätte kam nicht zustande. und im Juli 1925 entschied ein Berliner Gericht in letzter Instanz, dass alle Kopien von ‚Nosferatu‘ an Mrs. Stoker zu übergeben oder aber zu zerstören seien. Dieses Urteil galt europaweit. Aus heutiger Sicht kann man sich glücklich schätzen, dass manche Länder das Urteil schlicht ignorierten. In Frankreich beispielsweise erfreute sich der Film bei den Surrealisten größter Beliebtheit. Selbst in London versuchte die „Film Society“ eine Aufführung zu organisieren. Stoker ließ das unterbinden. 1929 unternahm die „Society“ einen erneuten Versuch, diesmal ließ Stoker die Kopie des Films unter Aufsicht vernichten. Dieses radikale Vorgehen hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass sich Stoker zu diesem Zeitpunkt bereits in Verhandlungen mit den „Universal Studios“ befand, die ihrer eigene, offizielle Version von ‚Dracula‘ 1931 mit Bela Lugosi in der Hauptrolle in die Kinos bringen würden. Fun Fact: 1921 befand sich Lugosi noch in Deutschland und hatte bereits mit F.W. Murnau an ‚Der Januskopf‘ (einer Adaption von ‚Jekyll und Hyde‘) gearbeitet. Das ihm die Rolle des Orlok angeboten wurde darf allerdings bezweifelt werden, da bei drehbeginn seine Emigrationspläne bereits final waren und er die Rolle vermutlich ohnehin abgelehnt hätte, da er ungern mit aufwändigem Makeup arbeitete. Aber nichtdestotrotz ein interessantes „was wäre wenn“. In die USA waren auch Kopien von ‚Nosferatu‘ gelangt und da sich weder die „Prana“ noch ihre Rechtsnachfolger um die Rechte bemüht hatten (wozu auch, im Angesicht des stokerschen Damoklesschwertes) galt der Film dort als „public domain“ und tauchte in allen möglichen Schnittfassungen, oft mit den Originalnamen aus ‚Dracula‘ in den Zwischentiteln, auf.

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Licht und Schatten, die Grundlage des Kinos

Ein vorerst letztes Hurra in Deutschland erlebte ‚Nosferatu‘ 1930. Waldemar Roger, ein Mann über den erstaunlich wenig bekannt ist, hatte 1929 eine Filmfirma, die „Deutsch-Film-Produktion“ gegründet. Er kaufte die Rechte an ‚Nosferatu‘ (angeblich von Albin grau, doch der besaß zu diesem Zeitpunkt die Rechte gar nicht mehr, der Film wurde im Laufe des Konkurses der „Prana“ ja gepfändet) und erhielt von Grau weiteres Filmmaterial, das in der endgültigen Fassung nicht verwendet wurde. Damit, sowie mit vorhandenen Dokumentaraufnahmen und eigenen Nachdrehs schaffte Roger eine neue Version des Films: ‚Die zwölfte Stunde – Eine Nacht des Grauens‘. Diese wurde vertont und soweit von der Handlung ‚Draculas‘ entfernt, dass Stoker keine Handhabe hatte (nicht zuletzt wurde dem Film ein glücklicheres Ende verpasst, in dem Hutter und Ellen glücklich zusammenleben). Murnaus Name als Regisseur wurde entfernt. Henrik Galeen war inzwischen nach England gegangen, F.W. Murnau in die USA, so dass beide keinerlei Einfluss darauf hatten, was mit ihrem Film geschah. Glücklich können sie nicht gewesen sein. Ich habe diese Version nie gesehen und kann daher nichts zu ihrer Qualität sagen. Sie wurde aber nur ein mäßiger Erfolg und die „Deutsch-Film-Produktion“ wurde 1934 wieder abgemeldet.

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Orlok hält nix von Proxemik

Und damit endete vorerst die aktive Geschichte des Nosferatu. Mit dem Tode Florence Stokers 1937 endete das Aufführungsverbot in Europa, doch andere, weit schlimmere Ereignisse warfen ihre finsteren Schatten voraus. Fritz Hippler und Veit Harlan entnahmen Elemente aus dem Schauerfilm, auch Nosferatu, um widerwärtige Propaganda für ein unmenschliches System zu schaffen.

Das Erstaunliche war jedoch, dass nach dem 2. Weltkrieg das Interesse von Filmwissenschaft und -interessierten an ‚Nosferatu‘ nicht ab- sondern zunahm. Der deutsche Expressionismus und F.W. Murnau und ihre Wirkung auf die (Pop-)Kultur (mehr dazu in Teil 3) waren nicht wegzureden. 1979 drehte Werner Herzog mit seiner verhassten Muse Klaus Kinski in der Rolle des Vampirs eine, wie er es nennt Hommage, viele andere würden sagen, ein Remake des Klassikers. 1981 begannen die Arbeiten an einer ersten vollständig rekonstruierten und restaurierten Version des originalen Films. Mehrere weitere folgten. 2006 gab die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung eine Version, bei der jedes Einzelbild digital aufbereitet wurde und die Viragierung (die Einfärbung des Films, um bestimmte Tageszeiten darzustellen) wieder eingefügt wurde heraus, die mit der originalen Musik von Hans Erdmann unterlegt war. Der Film konnte wieder so gesehen werden, wie er einmal gedacht war.

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Expressionismus ohne Kulisse

Und was denke ich nun über den Film? Er ist ungelogen einer meiner liebsten Vampirfilme. Kaum einem anderen Film ist es je wieder in der Art und Weise Murnaus gelungen die Andersweltlichkeit des Vampirs herauszustellen. Schrecks Vampir fühlt sich falsch an. Der einzige Ort an dem er natürlich wirkt ist das finstere Gemäuer seiner Burg. Hier filmt Murnaus ihn quasi als lebendigen (oder zumindest untoten) Teil der Umgebung. Er füllt Türrahmen zur Gänze aus, verschwimmt mit dem Hintergrund, scheint fast allgegenwärtig. Doch beginnend mit seiner Schiffsreise wird er zum Fremdkörper. Der Vampir ist hier kein Verführer, der einzige Moment, der so etwas wie Erotik beinhaltet, ist, wenn der Schatten von Orloks Hand im Schoß von Ellen kurz innehält, bevor er ihr Herz packt. Aber auch das ist selbstverständlich übergriffig und gewalttätig und in keiner Weise verführerisch gemeint. Er ist auch nicht in der Lage (oder interessiert daran) neue Vampire zu schaffen, er bringt nur Tod und Krankheit. Hier mag auch einer der Ansatzpunkte zur Interpretation der Intention der Macher liegen: alle hatten sie den Ersten Weltkrieg erlebt. Grau, Galeen und Murnau waren Veteranen. Sie stellten hier nun eine heile Welt dar (die des Biedermeier, die wahrscheinlich am meisten nach innen gekehrte Epoche der deutschen Statten) in die plötzlich von außen Tod und Krankheit, sprich Krieg und die zahlreichen Epidemien, die mit der einhergehenden Not kamen (insbesondere die Spanische Grippe), personifiziert in der überirdischen Figur des vampirischen Grafen, einbrechen. Das ist sicherlich keine realistische Darstellung der Situation von 1914, wird aber vermutlich widerspiegeln, was große Teile der Bevölkerung 4 Jahre nach dem Krieg empfanden. Die Figur, die im Roman den Widerstand gegen Dracula organisiert, Professor van Helsing, kommt im Film nicht vor (seine Entsprechung wäre Prof. Bulwer aber alles was der tut ist mit den Achseln zu zucken, da er auch nicht helfen kann), es scheint keine Gegenwehr gegen die tödliche Gefahr zu geben. Ob Ellens eigene Entscheidung sich zu opfern nun progressiv in Bezug auf die Selbstbestimmung der Frau war oder aber das „Jungfrauenopfer“ urälteste Klischees bediente, darüber ließe sich vermutlich trefflich streiten.

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Wenn jemand mit okkulter Bildung Knocks Nachricht an den Vampir übersetzen möchte, bitte (ich bin mir sicher ein bestimmtes Zeichen so deuten zu können, dass er nicht nett ist)!

Murnau zeigte, wie mit Licht und Schatten, sowie der klugen Platzierung der Kamera, auch aus naturalistischen Umgebungen expressionistische Visionen werden konnten. Die aufwändigen Kulissen des ‚Cabinet des Dr. Caligari‘ waren nicht notwendig und der Film machte einen weiteren Schritt fort vom Theater. Passend für den Film, jene Bilder aus Licht, wurde hier denn auch das Licht der Sonne zur Todesfalle für Orlok. Die Empfindlichkeit gegen Sonnenlicht findet sich im Roman so nicht. Die Filmtricks, mit denen Murnau arbeitete, wie Zeitraffer oder Negativbilder funktionieren für den heutigen Zuschauer nicht mehr wirklich, ein Hinweis für die Vergänglichkeit von Special Effects  und der Vampir ist nach seiner Ankunft in Wisborg, wie oben beschrieben, das eine oder andere mal zu gut sichtbar, zu mondän gefilmt aber dennoch ist ‚Nosferatu‘ ein Film der heute noch hervorragend funktioniert, wenn der Zuschauer bereit ist sich darauf einzulassen. Und das obwohl oder vielleicht gerade weil, er sich wie ein Relikt aus einer anderen Zeit anfühlt.

In Teil 3 werde ich mich mit der kulturellen Wirkung Nosferatus (im Gegensatz zu der Draculas) beschäftigen. Nur hier, nur „demnächst“.

3 Gedanken zu “Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) Teil 2: Die Rache der Florence Stoker

  1. Sehr spannend! Ich habe als ich an meinem Dracula-Artikel gearbeitet hatte auch einiges zum Streit um „Nosferatu“ gelesen. Ich halte es übrigens für ziemlich dreist einen Film zu kopieren und dann zu sagen: „Ätsch! Der Name ist ganz anders und der Schauplatz auch. Das hat gar nichts mehr mit der Vorlage zu tun.“ Dass Nosferatu wahrscheinlich der bessere Film im Vergleich mit Universals Klassiker ist, lasse ich jetzt mal außen vor.
    Ich selbst habe „Nosferatu“ mehrfach angefangen, konnte mich aber nicht wie du sagst, „darauf einlassen“. Der Film war mir schlicht und ergreifend zu anstrengend zu schauen. Sorry…

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    • Das Albin Grau bei der Produktion irgendwo zwischen komplett naiv und kackendreist gehandelt hat steht ganz außer Frage. Stoker war rechtlich, wie moralisch völlig im Recht.
      Vor allem ist Nosferatu gerade in der zweiten Hälfte so anders als Dracula, dass mit ein wenig mehr Arbeit eine ganz neue Geschichte draus hätte werden können. Aber ja, der einzige Grund warum noch wer über Grau redet ist, dass er bei dem Film eben mit zwei der besten Kreativen des Expressionismus gearbeitet hat.

      Ich muss mir wohl endlich mal die spanische Universal-Dracula Version ansehen. Habe gerade Deinen Beitrag dazu gelesen und wie fast jeder, der sie gesehen hat (was, zugegeben, nicht viele sind) betonst Du wie viel besser die ist.

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      • Ich kann dir die besagte Universal Monster BD Collection wirklich nur ans Herz legen. Da ist der Film auch drauf. Und nein, ich bekomme keine Gewinnbeteiligung für meine Werbung. Warum eigentlich nicht, Universal?

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