Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) Teil 1: Albin Grau und der Pestbringer

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Graf Orlok

Vielleicht haben nicht allzu viele Menschen den originalen Film gesehen, doch das Bild des Grafen Orlok besitzt doch eine gewissen ikonischen Wert. Bleich, kahl, in einen abgerissenen schwarzen Gehrock gehüllt, die Arme mit den klauenhaften Fingern eng an den dürren Körper gelegt starrt er dem Betrachter aus zu großen Augen entgegen. Mit seinen rattenartigen Beißzähnen kann er im ersten Moment durchaus komisch wirken, doch irgendetwas an seinem Blick, seiner unnatürlichen Haltung beunruhigt uns doch. Er hat nichts von der kühlen Eleganz, die die berühmtesten Dracula-Darsteller Bela Lugosi und Christopher Lee in ihrer perfekt geschneiderten Abendgarderobe ausstrahlen, nichts von der gequälten Erotik jener Vampire, die in den 90ern Interviews gegeben haben und ganz sicher würde kein Mädchen ihn den Eltern als neuen Freund vorstellen wollen, im Gegensatz zum modernen Glitzervampir. Nein, dieser Vampir, dieser Nosferatu ist durch und durch monströs. Hier will ich zeigen, wie er in die Welt kam.

Beginnen muss die Geschichte natürlich mit Abraham „Bram“ Stoker. In den 1890ern war der gebürtige Ire der Geschäftsführer des Londoner Lyceum Theaters. In seiner Freizeit schrieb er Romane. 1897 schrieb er seine erfolgreichste (und vermutlich beste) Geschichte: den Briefroman ‚Dracula‘. Er beschreibt, wie der junge Kanzleiangestellte Jonathan Harker nach Transsilvanien geschickt wird, um dort mit dem Grafen Dracula einen Grundstückskauf in London zu finalisieren. Schnell merkt Harker, dass der Graf ein Vampir ist, doch Dracula lässt ihn auf seiner Burg eingesperrt zurück und macht sich auf nach London, mit finsteren Zielen. Harker gelingt die Flucht und er nimmt zusammen mit einigen Freunden, seiner Frau Mina und vor allem Professor Abraham van Helsing den Kampf gegen den Blutsauger auf.

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Bram Stoker – Quelle: wikipedia.org

Ob Stokers Graf Dracula nun mit dem rumänischen Volkshelden, dem walachischen Woiwoden Wlad III. (auch Wlad Draculea, auch Wlad der Pfähler) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts identisch ist können Andere an anderer Stelle sicher besser klären. Sicher ist, dass Vampirexperte van Helsing ein bestimmtes Wort benutzt, um den Vampir zu beschreiben: Nosferatu. Van Helsing benutzt es als rumänische Bezeichnung für einen Untoten. Stoker entnahm dieses Wort vermutlich aus der Reisebeschreibung „The Land Beyond the Forest“ von Emily Gerard. Diese gibt an das Wort von einem griechisch-orthodoxen Priester gehört zu haben. Allerdings gibt es kein solches rumänisches Wort, weshalb man annimmt, dass es sich bei dem Gehörten um den griechischen Begriff „Nosophoros“ handelt. Ein Wort für einen Dämon, das „Pestbringer“ bedeutet.

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Friedrich Wilhelm Murnau – Quelle wikipedia.org

Die nächste Person auf die wir schauen müssen ist Albin Grau. Der studierte Grafiker diente während des Ersten Weltkriegs in Serbien. Hier hörte er Legenden über Vampire, die ihn nicht mehr losließen. Grau war zeitlebens am Okkulten interessiert, stand den hermetischen Lehren Aleister Crowleys nahe und würde später zum Großmeister der „Fraternitas Saturni“, einer Berliner Loge für Magie und Mystik, werden. Das war in den 20er Jahren nicht so abgedreht, wie es heute klingt und gehörte zu der Zeit in manch gehobener Gesellschaft gar zum guten Ton.  Man ahnt aber warum vampirische Legenden bei ihm ein so fruchtbares Substrat fanden. Nach dem Krieg entwarf er als Grafiker Filmplakate, bis er Anfang 1921 zusammen mit dem Kaufmann Enrico Dieckmann die Filmgesellschaft „Prana-Film“ gründete, mit dem expliziten Ziel einen Vampirfilm zu drehen. Bei einigen wohlhabenden schlesischen Kaufleuten, ohne jede Erfahrung im Film, trieben sie mehrere Millionen Mark Kapital auf. Hiervon heuerte Grau zunächst den Drehbuchautor Henrik Galeen an. Dieser teilte nicht nur Graus okkulte Interessen, er hatte 1915 bereits das Drehbuch für ‚Der Golem‘ geschrieben, der auf jüdischen Legenden, um eine lebendig gewordene Tonfigur in Prag, basierte. Für Grau sollte er jetzt Stokers ‚Dracula‘ adaptieren. Für die Regie wurde Friedrich Wilhelm Murnau engagiert, ein routinierter, expressionistischer Regisseur, der zu diesem Zeitpunkt bereits für 11 Filme verantwortlich zeichnete und dem Grau die erhebliche Summe von 25.000 Mark, sowie eine zukünftige Gewinnbeteiligung zusagte.

Erst jetzt kam Grau auf die Idee sich die Rechte an ‚Dracula‘ zu besorgen. Bram Stoker war 1912 verstorben und so musste Grau die Verhandlungen mit dessen Witwe Florence führen. Und die sagte ihm mehr oder weniger, er solle sich zur Hölle scheren. Woher diese extreme Ablehnung rührte ist zumindest für mich nicht genau nachzuvollziehen. Es kann einerseits mit antideutschen Ressentiments Stokers aufgrund des gerade zu Ende gegangenen Weltkriegs liegen oder aber ihr als Traditionalistin war der Gedanke das Werk ihres Mannes als expressionistischen Film zu sehen zuwider. Beide Versionen werden wiedergegeben, weshalb vielleicht eine Mischung aus beidem angenommen werden kann. Grau zuckte jedenfalls die Achseln, ließ Galeen den Handlungsort London gegen die fiktionale deutsche Stadt Wisborg austauschen und änderte die Namen der handelnden Figuren.

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Max Schreck – definitiv kein Vampir – Quelle wikipedia.org

Als Graf Orlok (Dracula) wurde Max Schreck besetzt, ein Theaterschauspieler, der bis dahin nur in einem weiteren Film aufgetaucht war. Für Thomas Hutter (Jonathan Harker) konnte Gustav von Wangenhein, ein erfahrener Bühnen- und Filmdarsteller gewonnen werden, für Hutters Frau Ellen (Mina Harker) die ebenso erfahrene Greta Schröder. Allesamt am expressionistischen Theater geschulte, professionelle Schauspieler aber keiner von ihnen ein „Superstar“.

Im Juli 1921 begannen die Dreharbeiten. Die Geschichte las sich folgendermaßen: 1838 schickt Makler Knock aus Wisborg seinen Angestellten Thomas Hutter nach Transsilvanien zu Graf Orlok, da dieser ein Haus in Deutschland zu kaufen wünscht. Hutter soll ihm das Haus, das seinem gegenüber liegt anbieten. Hutter verabschiedet sich von seiner Frau Ellen und reist gen Osten. In einem Gasthaus nahe seinem Ziel warnen ihn die anderen Gäste vor Orlok und geben ihm das „Buch der Vampyre“. Hutter lacht über den Aberglauben der Bauern und reist weiter. Mitten im Wald wird er von Orloks finsterem Reisegespann erwartet, dass ihn in wilder Fahrt zum unheimlichen Schloss des Grafen bringt. Orlok ist mindestens ebenso unheimlich, wie seine Behausung und seine Reaktion, als Hutter sich in den Finger schneidet gibt Anlass zur Sorge. Orlok bittet Hutter einige Tage zu bleiben, bevor er den Vertag unterschreibt. Am nächsten Morgen erwacht Hutter mit Bissmalen am Hals. Als Orlok bei einem weiteren Gespräch ein Foto von Ellen sieht unterschreibt er auf einmal sofort den Vertrag. Hutter ist sicher einen großen Fehler gemacht zu haben. In dieser Nacht wird Orlok von einer Vision der schreienden Ellen davon abgehalten Hutter das Blut auszusaugen. Während Ellen am nächsten Morgen in Wisborg schlafwandelt belädt Orlok einen Wagen mit Särgen, die mit der Friedhofserde seiner Heimat gefüllt sind, legt sich selbst in einen der Särge und das Gespann rast davon. Hutter flieht aus dem Schloss ist aber derart schwach, dass er einen Aufenthalt im Hospital benötigt. Inzwischen lässt Orlok die Särge an Bord der „Empusa“ bringen, auf der während der Fahrt nach Wisborg schnell eine ebenso mysteriöse wie tödliche Krankheit ausbricht. Als ein misstrauischer Seemann einen der Särge aufbricht strömen hunderte von Ratten daraus hervor. Bald sind alle Seeleute tot, die letzten beiden tötet Orlok persönlich. Die „Empusa“ läuft als Geisterschiff ins nächtliche Wisborg ein. Hier frohlockt Knock, der, aufgrund seiner neuen Angewohnheit lebende Fliegen zu verspeisen, inzwischen im „Irrenhaus“ gelandet ist, dass der „Meister“ endlich da sei.

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Hutter wird von Orloks Kutsche abgeholt

Orlok verlässt mit einem Sarg und jeder Menge Ratten das Schiff und wandert durch die dunklen Straßen zu seinem neuen Haus. Derweil findet Reeder Harding an Bord der „Empusa“ das Logbuch samt Einträgen zur tödlichen Krankheit. Schnell lässt er den Notstand ausrufen, doch es ist zu spät: die Pest hat Wisborg erreicht (Galeen kannte also offensichtlich die Herkunft des Wortes Nosferatu) und fordert viele Opfer. Knock wird von einem mörderischen Mob aus der Stadt gejagt, der ihm die Schuld an dem Unglück gibt. Endlich erreicht auch Hutter Wisborg und Ellen findet im „Buch der Vampyre“ einen Abschnitt der verrät, dass eine „Frau reinen Herzens“ den Vampir mit der Gabe ihres Blutes lange genug aufhalten kann, bis der Morgen graut und der Vampir vergeht. Orlok glotzt ihr bedrohlich aus seiner neuen Behausung gleich über die Straße entgegen und sie bricht beinahe zusammen. Sie schickt Hutter weg, einen Arzt zu holen, was Orlok ermutigt in ihr Haus zu schleichen und ihr Blut zu trinken. Tatsächlich wird der Graf bei seinem verderblichen Mahl vom Hahnenschrei überrascht und verendet in Rauch und Asche. Hutter kehrt mit dem Arzt zurück, doch es ist zu spät, Ellen stirbt in seinen Armen. Die Pest in Wisborg verschwindet, wie durch ein Wunder.

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Ellen opfert sich selbst um Wisborg (und vor allem Hutter) zu retten

Die Dreharbeiten waren für einen deutschen Film der Zeit und insbesondere für einen expressionistischen Film ungewöhnlich: es fanden intensive Außenaufnahmen und die Nutzung realer Standorte als Kulissen statt. Wismar mit seinem Marktplatz, seinem Hafen, seiner Kirche  und seinem Wassertor stellte einen Großteil des fiktiven Wisborg dar. Das Haus, das Orlok kauft war ein aufgelassener Lübecker Salzspeicher, daneben fanden weitere Aufnahmen in Lübeck aber auch in Lauenburg und Rostock statt. Strandszenen wurden auf Sylt gedreht. Als Orloks Schloss diente die Arwaburg in den Karpaten, wo auch Aufnahmen auf dem Fluss Orava (deutsch Arwa), von der Hohen Tatra und Hutters Rast in einem nahen Dorf geschossen wurden. Die Innenaufnahmen entstanden im JOFA Studio in Berlin und im Anschluss wurden einige letzte Szenen im Tegeler Forst gedreht.

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Knock wird zum Renfield dieser Version

Murnau fertigte zu jeder Szene aufwändige Vorzeichnungen an und rhythmisierte das Spiel der Schauspieler mit einem Metronom. Wenn Orlok auftaucht verwendete er eine Reihe von Tricks: so fährt seine Kutsche dank Zeitraffer unnatürlich schnell, sie fährt, durch die Verwendung von Negativaufnahmen, durch einen geisterhaften weißen Wald und Orlok selbst kann durch Wände gehen. Murnau hielt sich weitgehend akribisch an das Drehbuch von Galeen, die letzte Sequenz jedoch, in der Ellen sich opfert und das Monster besiegt, stammt aus der Feder Murnaus selbst.

Die Prämiere des Films stand kurz bevor, eine intensive Werbekampagne war angelaufen, vor allem eine Strecke in der Zeitschrift ‚Bühne und Film‘ mit Fotos, Inhaltsangabe und einem Essay Graus zum Thema Vampirismus. Was konnte also noch schief gehen? Ziemlich viel, genau genommen alles, wie wir in Teil 2 sehen werden. Ein kleiner Hinweis: im Vorspann des Films fand sich noch immer ein Hinweis auf ‚Dracula‘. Die Fortsetzung gibt es nur hier und nur „demnächst“.

3 Gedanken zu “Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) Teil 1: Albin Grau und der Pestbringer

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