Gestern Gesehen: ‚Under The Shadow‘ (2016)

Das ist mal ein Debut: der Erstlingsfilm des Exil-Iraners Babak Anvari war als britischer Kandidat für den Fremdsprachen-Oscar angedacht. Denn trotz komplexer Zusammensetzung des minimalen Budgets von Geldgebern aus Jordanien, Katar und eben Großbritannien gilt der Film als britische Produktion. Zur Nominierung ist es zwar nicht gekommen aber für einen ersten Film (und dann noch einen Low Budget Horrorfilm) eine sehr erstaunliche Leistung. Stellt sich die Frage, ob der Film wirklich so gut ist.

Mitte der 80er erreicht der Iran-Irak-Krieg eine neue Phase. Die irakische Seite nimmt gezielt iranische Städte, darunter auch die Hauptstadt Teheran, unter Raketenbeschuss. Vor diesem Hintergrund erfährt Shideh (Narges Rashidi), dass sie ihr lange unterbrochenes Medizinstudium nicht wieder aufnehmen kann, da sie zur Zeit der Revolution in „linke Umtriebe“ verwickelt war. Dann wird auch noch Shidehs Mann als Arzt zum Militärdienst eingezogen. Der möchte Shideh und die gemeinsame, kleine Tochter Dorsa (Avin Manshadi) eigentlich zu seinen Eltern aufs Land schicken. Doch in einem Versuch einen wenig Selbstbestimmung zu behalten besteht Shideh darauf in ihrem teheranischen  Apartmenthaus zu bleiben. Wenige Tage später schlägt eine irakische Blindgänger-Rakete durchs Dach. Für die abergläubischen Nachbarn steht schnell fest, dass die Waffe einen bösartigen Dschinn (im Sinne einer dämonischen Wesenheit, nix mit drei Wünschen) ins Haus gebracht hat. Shideh hält das für Unsinn, doch als Dorsa mit fremden Personen in der Wohnung zu sprechen beginnt, kommen Zweifel in ihr auf.

‚Under The Shadow‘ ist ein übernatürlicher Horrorfilm. Das ist glaube ich ganz wichtig in dieser Deutlichkeit zu sagen, denn Anvari gelingt es meisterhaft  den Bogen vom Drama hin zum Dschinnenspuk so elegant, so unauffällig zu gestalten, dass man eine ganze Weile braucht, bis man sich klarmacht, was eigentlich passiert. Denn der Film spart von Anfang an nicht mit Schrecken. Die sind allerdings noch alles andere als übernatürlich. Shideh wird, als Frau, als Mensch zweiter Klasse gesehen, dass sie auch noch, auf Seiten der Intelektuellen, in die Revolution verwickelt war, macht ihre Situation nicht besser. Nicht einmal ihr Mann kann dafür Verständnis aufbringen. Das Leben in einem Kriegsgebiet, die ständige Sorge um Ehemann, Tochter und das eigene Leben. Es sind persönliche, gesellschaftliche und politische Ängste die Shideh umtreiben. So steht sie von Anfang an im Schatten. Im Schatten der Ayatollahs, im Schatten ihre Mannes, im Schatten ihrer Mutter und nicht zuletzt im Schatten ihrer eigenen Depression. Mit dem Dschinn kommt dann noch ein weiteres kulturelles Bruchstück hinzu, ein mythologisches Wesen, dass ihr den letzten Rückzugsort streitig macht: ihre eigene Wohnung.

Filmisch unterstreicht Anvari diese Entwicklung äußerst geschickt. Die Außenwelt von Teheran wirkt von Anfang an bedrohlich und ist in unübersichtlichen Perspektiven gefilmt, wenn die Kamera sich nicht ohnehin auf Shideh fixiert und alles andere wie Fremdkörper wirken lässt. Die Wohnung hingegen ist ein, auch für den Zuschauer schnell nachzuvollziehender, Rückzugsort. Der Film stellt sicher, dass wir wissen, wo z.B. die Küche in Bezug aufs Kinderzimmer ist. Wie das Wohnzimmer aufgeteilt ist, in dem Shideh zu ihren illegalen Aerobic Videos turnt. In der zweiten Hälfte heben neue, verwirrende Kameraperspektiven diese sicher geglaubte Ordnung perfide wieder auf, der Rückzugsort wird bedrohlich, undurchschaubar.

Und Rationalistin Shideh hat größte Probleme mit der offenkundig übernatürlichen Bedrohung umzugehen. Als sie bei einer Freundin nach einem Buch über Dschinne fragt gibt die ihr zwar eines, sagt ihr jedoch direkt, dass es ein anthropologisches Werk sei und sie die gewünschten Antworten dort nicht finden wird (das ist sicherlich ebenfalls wieder symbolisch zu sehen, für die Hilflosigkeit mit der die intellektuelle Elite dem religiösen Furor der islamischen Revolution gegenüberstand). So kommt es in der zweiten Hälfte des Filmes beinahe zu einer Rollenumkehrung zwischen Mutter und Tochter, die ihren Höhepunkt in einer Szene erreicht, in der Shideh in einer hilflosen Geste Dorsas Kinderzimmer verwüstet, während die fassungslos im Türrahmen steht.

Narges Rashidi als Shideh liefert in diesem Film eine beachtliche Vorstellung ab. Sie gibt die komplexe Mixtur ihres Charakters aus viel zu lange heruntergeschlucktem Zorn, Versagensängsten, ganz „alltäglichen“ Todesängsten eines Kriegsgebietes und der ständigen, stillen Drohung des Aufgebens, des Triumphes der Depression aber auch einer stillen Würde und eines eisernen Willens mit großem Geschick wieder. Ihr wichtigster Widerpart hierbei ist Avin Manshadi als Tochter Dorsa, die ebenfalls eine, gerade für eine Kinderdarstellerin, sehr gute Leistung abliefert.

‚Under The Shadow‘ ist ein großartiger Film, der sich nahtlos in die Reihe hervorragender Horrorfilme der letzten Jahre einreiht. Am ehesten vergleichbar ist er sicherlich mit Jennifer Kents ‚Der Babadook‘, auch wenn hier die Metapher des Monsters deutlich komplexer ist, als das bei dem australischen Film der Fall war. Auch Elemente aus der rigiden Glaubensgemeinschaft von ‚The Witch‘ lassen sich hier wiederentdecken, wenn auch in einen anderen kulturellen Kontext gebracht.

Jeder Freund gepflegten Horrors sollte sich diesen Film auf gar keinen Fall entgehen lassen, ich würde ihn sogar Leuten empfehlen, die normalerweise wenig mit Horror am Hute haben. Anvaris Inszenierung ist derart geschickt und elegant, dass man glatt vergessen könnte, dass man gerade einen Horrorfilm sieht. Bis er einen daran erinnert, dass in den Händen eines Könners, ein Fetzen Baufolie gruseliger sein kann als jedes CGI-Monster.

Der Film scheint bisher nur auf einer – vollständig Extras-freien – UK-DVD erschienen zu sein. Die ist dafür immerhin preiswert (bei Amazon während ich dies schreibe unter 5€). Ob ihr Euch die bestellt oder auf eine vernünftige Veröffentlichung wartet, bitte lasst Euch ‚Under The Shadow‘ nicht entgehen!

7 Gedanken zu “Gestern Gesehen: ‚Under The Shadow‘ (2016)

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