Reisetagebuch: ‚Who Killed Captain Alex?‘ (2010) – „The movie is on!!“

Weltreise Ziel #6

Diesmal geht es für die Filmreise Challenge ins touristisch wie filmisch wenig erschlossene Uganda. Wenn es Euch so geht wie mir, dann ist auch Eure erste Assoziation, wenn Ihr Uganda hört Idi Amin. Das ist weder zeitgemäß noch fair. Zeit also sich ein wenig weiterzubilden. 2005 erschien der erste ugandische Spielfilm überhaupt und ‚Who Killed Captain Alex?‘ behauptet von sich der erste ugandische Actionfilm zu sein. Bevor wir über den Film selbst sprechen, den ich am Ende des Textes verlinkt habe, sind aber einige Vorabinformationen vonnöten, damit Ihr, anders als ich, nicht denkt Ihr wärt im falschen Film.

„Low Budget“ heißt in der heutigen Filmwelt ja so ziemlich alles was zwischen 50.000 und ein paar Millionen Dollar kostet. Auch in sogenannte „No Budget“ Filme fließen, wenn auch meist über Jahre, mehrere Tausend Dollar. ‚Who Killed Captain Alex?‘ hatte ein Budget von unter 200 Dollar. Er wurde gedreht auf einer Videokamera, die sich Regisseur Nabwana Isaac Godfrey Geoffrey (oder auch Nabwana IGG, was ich im Folgenden verwenden werde) durch den Verkauf von selbstgebrannten Ziegeln und so ziemlich all seiner Habe erspart hat. Gedreht wurde in und um Wakali, einem Slum der ugandischen Hauptstadt Kampala. Weder durchgehender Zugang zu Elektrizität, noch zu sauberem Wasser war gesichert. Die Darsteller sind enthusiastische Laien, die ihre eigene Kleidung mitbringen und ihre eigenen Requisiten stellen mussten. Die Waffen in diesem Film rangieren folglich von Spielzeuggewehr zu Holzstück in der ungefähren Form einer Faustfeuerwaffe. Den Schnitt und die „Spezialeffekte“ fertigte Nabwana IGG auf einem aus billigen Einzelteilen zusammengestückelten Heimcomputer. Ursprünglich war das ein Film von den Bewohnern Wakalis für die Bewohner Wakalis, der auf gebrannten DVDs von Tür zu Tür (von den Machern selbst) verkauft wurde. Eine Texttafel am Anfang erklärt, dass keiner der Macher damit gerechnet hat, dass irgendjemand darüber hinaus den Film je sehen würde. Dazu kam es nur, weil der Trailer zu einem viralen Phänomen auf Youtube wurde.

Soweit so erwartet, was mich wirklich verwirrte war allerdings der „Video Joker“ oder VJ. In Uganda schaut man Filme zuhause oder in einer Video-Halle. Und in so einer Video-Halle kommentiert den Film, zumeist live, durchgehend ein sogenannter Video Joker. Der bringt den Film in eine für alle verständliche Sprache, oftmals Swahili, denn es gibt zahlreiche lokalspezifische Sprachen und Dialekte, kommentiert gleichzeitig aber auch ironisch die Handlung. Das eigentliche Master von ‚Who killed Captain Alex?‘ ist verloren – Nabwana IGG musste es löschen um auf seinem Rechner Platz für seinen nächsten Film zu schaffen. Es existiert nur noch ein Low Quality Master mit eingebautem Kommentar von VJ Emmie. Und der ist anfangs zumindest… gewöhnungsbedürftig.

Nun aber erstmal zur Handlung: die Tiger Mafia ist die  schlimmste Gang Ugandas und hat, unter der Führung des rücksichtslosen Richard, Kampala fest in der Hand. Doch das ugandische Militär will, unter Leitung des heroischen Captain Alex, die Macht der Kriminellen brechen. Im Zuge der  Operation „Cut Tigerz Balls“ (heh, subtil) wird Richards Bruder verhaftet. Der sinnt auf Rache. Doch bevor es dazu kommt wird Captain Alex von einem Unbekannten ermordet. Nun stellen sowohl die Mafia als auch das Militär und Alex‘ Bruder, ein Kung Fu Meister(!), der Vergeltung will, die Frage ‚Who Killed Captain Alex?‘. Die Auseinandersetzung zwischen Gang und Militär laufen währenddessen auf ein explosives Finale zu.

Die Geschichte ist also hanebüchen, die Darsteller laienhaft genug um über jede Sprachbarriere hinweg schlecht zu wirken, die Spezialeffekte scheinen aus Microsoft Paint und einer Clipart Sammlung zu stammen, Schnitt und Inszenierung sind ein verworrenes Knäuel, dass gelegentlich nur noch der Kommentar des VJ entwirren kann. Kurz der Film ist in beinahe jeder Hinsicht dilettantischer Unsinn – und ich habe beinahe jede Sekunde genossen, ohne auch nur einen Anflug von Ironie.

Wie kann das sein? Nun, da ist zunächst einmal die Tatsache, dass die Macher keineswegs wahnhafte Idioten sind, die glauben sie hätten irgendein Meisterwerk erschaffen. Der Film an sich hat einen zutiefst selbstironischen Grundton und in stilleren Szenen kommt der VJ zum Tragen, der sich über das Geschehen lustig macht und dem Zuschauer auch schonmal zusichert „Action is coming, I promise you!“ Jetzt werden einige von Euch, die seit längerem meine Kommentare lesen, wissen, dass ich „absichtlich schlechte Filme“ normalerweise nicht leiden kann. Hier kommt es auf den Kontext an. ‚Sharknado‘ ist zynischer Mist, mit dem Ziel an das Geld von Leuten zu kommen, die schlechte Filme ironisch genießen. Mit dem Geld und dem Talent, das dafür zur Verfügung steht hätte man so viel Besseres machen können. Die Macher von ‚Who Killed Captain Alex?‘ haben nie eine Filmschule von innen gesehen und haben einen Film aus wortwörtlich Nichts geschaffen. Sie haben den besten Film gemacht, den sie konnten, angetrieben nur von Kreativität, die nach einem Ventil sucht und dem unbedingten Willen zu unterhalten. Natürlich ist der Film nicht perfekt geworden, also haben sie diese Imperfektionen genommen um die wiederrum zu weiterer Unterhaltung zu machen. ‚Who Killed Captain Alex?‘ ist der Anti-‚Sharknado‘.

Herrje, wie viele Artikel habe ich in letzter Zeit geschrieben, die in irgendeiner Weise mit den zynischen, finanziellen Aspekten des Filmemachens zu tun hatten? Ich musste erst einen Film wie ‚Who Killed Captain Alex?‘ sehen, dessen Macher vermutlich nicht einen einzigen zynischen Knochen im Leib haben, um zu merken wie satt ich das habe. Das hier, das ist Film in seiner wunderbaren, pursten Form. Alles ist erlaubt, nur keine Langeweile. Das ist exakt der Film, den Will Proudfoot und Lee Carter aus ‚Son of Rambow‘ drehen.

Außerdem sind zumindest einige der Actionszenen, allen voran die Kung-Fu Szenen tatsächlich ganz gut aufgebaut und nicht schlecht fotografiert. Man kann zumindest alles nachvollziehen, etwas das bei weit teureren Actionszenen nicht immer gegeben ist.

Der Dreh- und Angelpunkt des Films ist wohl Video Joker Emmie. Mit dem habe ich mehrere Phasen durchlebt. „Mein Gott, nervt der Typ!“ wurde zu „Gelegentlich ist er nützlich um die Handlung nachvollziehbarer zu machen.“ wurde zu „Okay, das war lustig!“ wurde zu lautem Lachen über so ziemlich alles was er sagt. Seien es die ironischen Kommentare zur Handlung oder auch seine Einwürfe in den Actionszenen, wo er dem Zuschauer schon mal mitteilt, dass dies ein „supa action movie!“ sei oder auch nur enthusiastisch „movie, movie, movie!!“ ruft und Treffer mit „Mamma Mia!“ oder „ow, ow, ow!“ kommentiert.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Musik. Woher die Stücke im Einzelnen stammen weiß ich nicht, sicher ist nur, dass sie nicht für den Film komponiert wurden, abgesehen von einem sehr liebenswerten Lied des Regisseurs auf seine Großmutter, die ihn aufgezogen hat und das über den Abspann spielt. Aber dann ist da noch ein Panflötencover(!) von Seals „Kiss From A Rose“(!!)… Als ich das erste Mal erkannt habe, was ich da höre habe ich eine nicht unwesentliche Menge Getränks ungewollt durch die Nase ausgestoßen. Das Lied wird dann zu so einer Art Allzweckwaffe des Films. Emotionales Gespräch? Panflötencover von Seals „Kiss From A Rose“! Infiltrationsszene? Panflötencover von Seals „Kiss From A Rose“!!

Kurz, ‚Who Killed Captain Alex?‘ ist nicht nur charmant, er ist auch geradezu inspirierend. Wenn diese Leute, die keinen Strom, kein sauberes Wasser und mit Sicherheit kein Geld haben ihre kreativen Ideen umsetzen können, welche Ausrede hat dann irgendjemand von uns?

Den Film könnt Ihr auf dem Youtube Kanal der Macher kostenlos schauen. Dort findet Ihr auch eine Version mit Audiokommentar von Nabwana IGG, der einige interessante Hintergründe zur Entstehung liefert.

PS: ach ja, und wenn jemand von Euch rausfindet wer nun Captain Alex ermordet hat, dann sagt mir doch bitte Bescheid!

10 Gedanken zu “Reisetagebuch: ‚Who Killed Captain Alex?‘ (2010) – „The movie is on!!“

  1. Pingback: Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (29-01-18)

  2. Schöner Artikel. Danke dafür.

    War dem Film seit einer gefühlten Ewigkeit auf der Spur (seit eben jemer berüchtigte Trailer auf YouTube auftauchte), wollte ihn in der Form mit dem VJ-Sprecher aber dann nicht wirklich gucken. Wenn es nunmal nicht anders geht, werde ich nun doch in den sauren Apfel beißen – und hoffentlich so viel Spaß dabei haben wie du!

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    • Ja, es sieht so aus, als würde kein Weg an VJ Emmie vorbei führen. Selbst die Version, de man direkt bei den machern bestellen kann ist dieselbe.
      Hoffentlich geht es Dir, wie mir, dass der Apfel gar nicht so sdauer ist!

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  3. Oh Mann, ich weiß nicht ob ich mir den reinziehen kann. Auf der anderen Seite geht es bei der Challenge ja genau darum auch mal was Anderes/Verrücktes zu schauen. Ich trage ihn mir mal in meine Kandidatenliste (habe ich tatsächlich für jede Etappe angelegt) und schaue was passiert.

    Nebenbei. Ich hatte schon öfter darüber nachgedacht, warum es in Hollywood eigentlich keinen VJ gibt. Das wäre in manchen Film sicherlich eine Bereicherung 😀

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  4. Pingback: Die Festtage kommen! + Film- und Blogrückschau | filmlichtung

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