Frisches Blut: weibliche Regisseure im Horror – Teil 1

Für regelmäßige Leser dieses Blogs ist es wohl keine Überraschung, dass Horror ein Genre ist, dem ich mich sehr zugeneigt fühle. Ich habe schon das eine oder andere Mal darüber geschrieben. Allerdings ist mir selbst vor kurzem erst aufgefallen, wie sehr mich die weibliche Sicht auf das Genre fasziniert. Auch das kann man an meinem Blog recht gut nachvollziehen. Mein erster Artikel beschäftigte sich mit Jessica Hausners großartigem ‚Hotel‘ (der Artikel selbst ist übrigens… nicht sooo gut, ähem), ‚Ich seh, ich seh‘ (Veronika Franz Co-Regie) hat mich sehr beeindruckt, genauso im letzten Jahr Alice Lowes hochschwangere Doppelrolle als Regisseurin und Hauptdarstellerin von ‚Prevenge‘. Und nicht zuletzt habe ich Julia Ducournaus brillanten „cannibaling-of-age-movie“ ‚Raw‘ zu einem der liebsten Filme, die ich 2017 gesehen habe, erklärt. Und das beschreibt nur die Arbeit von Frauen hinter der Kamera. ‚May‘ ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme und Angela Bettis liefert eine meiner liebsten darstellerischen Leistungen ab. Oder ‚Spring‘, der das alte (schon im Märchen vorhandene) Klischee der Frau, die sich ins Monster verliebt umdreht. Was macht eine weibliche Perspektive im Horror für mich so faszinierend? Das ist eine gute Frage, die ich selbst nicht vollständig beantworten kann. Ich nehme aber an, die Tatsache, dass in meiner Jugend, als meine Faszination für den Horror entstand, das Genre rein männlich geprägt war, etwas damit zu tun haben dürfte. Denn neue Perspektiven sind ja grundsätzlich interessant. Deshalb will ich, auch anlässlich des Internationalen Frauentags, heute (und damit nur zwei Tage zu spät) und nächsten Samstag (und damit nur neun Tage zu spät) ein paar weitere Horror-Werke von Frauen vorstellen, die mich schwer beeindruckt haben. Ich beschränke mich dabei auf die Arbeit hinter der Kamera, um das Ganze zumindest halbwegs im Rahmen zu halten.

Ich werde mich hierbei vor allem auf moderne Filme beschränken, haben die letzten Jahre doch einen erheblichen Zulauf an Frauen gesehen, die sich im Horror-Genre ausdrücken wollen und – vermutlich der entscheidendere Punkt – ihre Filme auch finanziert bekommen. Das soll keinesfalls als mangelnder Respekt für Pionierinnen, wie Ida Lupino, die 1953 den knallharten ‚The Hitch-Hiker‘ drehte und damit eine Blaupause für das kleine aber beständige Genre des „Anhalter-Horrors“ gelegt hat, verstanden werden. Auch jemand wie Stephanie Rothman, die in den 60ern Horrorfilme für Roger Cormans AiP gedreht hat, gehörte bei einer umfassenden Historie von Frauen hinter der Kamera erwähnt. Und natürlich Kathryn Bigelow, die 1987 in ‚Near Dark‘ den Vampir vom mysteriösen Fremden in eleganter Abendgarderobe zum Jeansjackenträger, der an der Autobahnraststätte mordet, gemacht hat. Aber wie gesagt, das Projekt ist schon zu einem Zweiteiler angewachsen und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Wenn wir uns zurück an den Jahrtausendwechsel begeben finden wir zwei Filme, die auf den ersten Blick eine sehr männliche Perspektive einnehmen. Da wäre zum einen der von der damaligen Kritik sträflich geschmähte ‚Ravenous‘ (1999), in dem Guy Pearce einen Soldaten gibt, der während des amerikanisch-mexikanischen Krieges in ein entlegenes Fort versetzt und dort mit einer ganz besonderen Art Appetit konfrontiert wird. Der Film hatte nach drei Wochen Dreh, dank eines Streits mit den Produzenten, seinen Regisseur verloren. In dieser Situation übernahm die Britin Antonia Bird die Zügel. Und für diese verworrene Situation wirkt der durch und durch satirische Kannibalenfilm letztlich erstaunlich wie aus einem Guss. Ein bizarrer Soundtrack (Banjo-Dingeling und epische Orchestrierung befinden sich in einem ständigen Wettstreit), Action, die gelegentlich direkt aus den „Looney Toons“ stammen könnte (wenn auch angereichert mit einigen Eimern Kunstblut) und die glühenden Blicke, die sich Pearces Charakter und sein Widersacher, gespielt von Robert Carlyle zuwerfen, machen den Film zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Der andere Film wurde von der Kritik freundlicher, wenn auch nicht begeistert aufgenommen. Mit ‚American Psycho‘ setzte Mary Harron den gleichnamigen Roman von Bret Easton Ellis um. Christian Bale gibt den Yuppie Patrick Bateman als wunderbar-widerwärtiges Bündel aus Narzissmus, Materialismus und Misogynie mit Anflügen von Mordlust. Auf den ersten Blick scheint es Bales Film zu sein, so zentral ist seine gänzlich unsubtile Dekonstruktion des Yuppie Mythos (Bale selbst hat einmal gesagt, er habe für die Rolle einfach Tom Cruise imitiert). Doch Mary Harron ist sehr geschickt darin uns als Zuschauer am Gesehenen zweifeln zu lassen. Sie scheint jedes Handeln und jede Aussage, vor allem von Bateman selbst, in dicke Anführungszeichen zu setzen. Als Beispiel seien die Gespräche Batemans mit Polizist Kimball genannt. Harron drehte drei Versionen: in einer war sich der von Willem Dafoe gespielte Polizist sicher Bateman sei ein Mörder, in der anderen war er sicher er sei unschuldig und in der dritten war er unentschieden. Die Verhöre, die wir im Film sehen, sind ein Zusammenschnitt aus allen drei Versionen. Wir können uns nie sicher sein, was real ist, weil Dafoes Reaktionen nie kongruent wirken.

Von beiden Filmen wusste ich tatsächlich für längere Zeit nicht einmal, dass sie von Frauen gedreht wurden. Das änderte sich erst, als ich begann mich aktiver für Filme zu interessieren. In der Rückschau scheint es allerdings beinahe offensichtlich. Beide machen sich über bestimmte, maskuline Aspekte lustig. Dominanzgehabe und Selbstverliebtheit sind Themen in beiden Filmen. Die weiblichen Charaktere sind emotional geerdet, während (zumindest einige) der Männer davon ausgehen das Zentrum ihrer eigenen Galaxie zu sein, während sie, gerade in ‚American Psycho‘, eher wie Variationen von Ken-Puppen wirken (und denn auch dauernd füreinander verwechselt werden).

Aber jetzt lasst uns mal einen großen Schritt in der Zeit nach vorne machen, zu ‚The Love Witch‘ (2016). Wir alle haben schon den Begriff „Auteur“ im Zusammenhang mit Film gehört, ein Filmemacher, der sich in jeden Aspekt des Films erkennbar einbringt. Das würde wohl bedeuten, dass Anna Biller so auteurig ist, wie kaum jemand sonst. Denn bei ‚The Love Witch‘ zeichnet sie nicht nur verantwortlich für die Regie, die Produktion und das Drehbuch, sie hat auch die Musik geschrieben, den Schnitt übernommen und hat Kostüme und Requisiten entworfen/geschneidert/gebaut. Sieben Jahre hat sie an dem Film gearbeitet bevor der Dreh überhaupt begann. Der Film selbst ist gedreht und ausgeleuchtet wie ein 60er Jahre Technicolor Film. Für Autofahr-Szenen wurde Rückprojektion verwendet. Das Ergebnis ist gleichermaßen Pastiche auf, wie Reminiszenz an die späte, goldenen  Ära Hollywoods. Hauptdarstellerin Samantha Robinson, die die titelgebende Liebeshexe spielt und die anderen Darsteller geben denn auch Vorstellungen, die perfekt in die angedachte Zeit passen. Die Hexe Elaine ist eine Frau, die zu sehr liebt. Die ihre Liebhaber im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode liebt. Diese „zu starke Liebe“ beschreibt Biller als eine „typisch weibliche Form der Gewalt“. Und während ich diesen Absatz geschrieben habe ist mir der Grund wieder eingefallen, warum ich bis jetzt nicht über ‚The Love Witch‘ geschrieben habe: ich sehe mich kaum in der Lage es zu tun. Ich kann Euch nur raten den Film selbst zu schauen und unter seiner Bonbon-bunten Technicolor-Optik-Palette, seiner wilden Mischung aus New Age-Weisheiten, viktorianischen Ideen und Mittelaltermarkt-Ästhetik eine ebenso tiefe, wie groteske Finsternis zu finden. Der Film interessiert sich wenig für gängige oder vergangene Klischees, nutzt sie, wirft sie fort wie es passt, zitiert alles von Hitchcock bis Exploitation, ist aber durch und durch und immer komplett Billers ureigene Sicht. Ob Ihr ihn am Ende mögt oder nicht, ich kann Euch zumindest in die Hand versprechen, dass Ihr einen Film wie ‚The Love Witch‘ noch nicht gesehen habt. Und wenn ihr hinterher eloquenter als ich drüber schreibt wäre ich sogar noch glücklicher. Ich bin wahnsinnig gespannt, was Biller als nächstes angeht. Auch wenn es vermutlich 10 Jahre dauern wird und sie diesmal vermutlich auch noch Hauptrolle und Kamera übernehmen wird…

Damit habe ich im ersten Teil nur drei Filme untergebracht und wieder einmal meine Geschwätzigkeit bewiesen. Dafür verspreche ich, dass wir nächste Woche genau den Ausflug nach Australien machen, den viele von Euch erwarten, uns dann nach Kanada begeben, wo wir doppelt sehen werden, dann in England umkippen, bevor wir nachts einem Mädchen begegnen, das allein nach Hause geht… da steht uns also Einiges bevor!

Wir sehen uns.

Und zwar in Teil 2 und der ist hier!

20 Gedanken zu “Frisches Blut: weibliche Regisseure im Horror – Teil 1

  1. Ainu und ich haben gestern gemeinsam überlegt, wie oft du jetzt schon „RAW“ vorgestellt und/oder lobend erwähnt hast 😉 Der läuft gerade auf Amazon Prime. Allerdings nur im OVmU. Aber das nur am Rande.

    Ich bin gespannt auf den zweiten Teil. Vor allem auf das spazierende Vampirmädchen…

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    • Im Vergleich zu ‚May‘ oder ‚Hotel‘ noch so gut wie gar nicht… da steht Euch noch einiges bevor!

      Wer hat was von *Vampir*mädchen gesagt? 😉
      Aber was solls, der Titel des Films war eh irreführend. SIE HAT MEHRFACH EIN SKATEBOARD VERWENDET, ANSTATT ZU GEHEN!!! DAS IST JA ALS WÜRDE JESSE JAMES NICHT VOM FEIGLING ROBERT FORD ERMORDET, SONDERN FÄLLT VOM STUHL, ODER SO!!!!!

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      • Ups… Dann habe ich da wohl zu viel hineingelesen 😀

        Mal eine andere Frage. Ich überlege heuer bis Ende der Saison die Sieger der größten Awards zu schauen und in einer kurzen Reihe vorzustellen. Mit dabei wären die Oscars, Globes, Berlinale, Cannes, Venedig, Europäischer Filmpreis usw. Hast du eine Ahnung was eines der seriösesten Festivals/Institut im Bereich Horror/Mystery ist? Ich habe ein paar gefunden. Die wirken aber nicht so… nennen wir es mal wichtig.

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        • Tja, das einzige, was mir auf Anhieb einfällt ist natürlich das Fantasy Filmfest. Ich glaube das Screamfest ist noch ein ganz großes, damit habe ich mich aber nie auseinandergesetzt.
          Ich habe letztens eine Liste der Empire Awards für Horror gesehen, die las sich okay, letztlich ist das aber glaube ich auch „nur“ eine Zeitschrift.

          Oh Moment, es gibt da doch diesen speziellen Preis nur für Fantsay, Scifi und Horror…. Saturn Awards sagt Google. Obwohl ich noch nie gesehen hätte, dass ein Film mit dem Saturn Award werben würde…

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